Deutsche Balladen
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Der fremde Spielmann

(Carl Philipp Conz, 1762 – 1827)

            Was rennen die Straßen auf und ab
die Väter, die Mütter so bange?
»Schon sank hinunter der Sonnenschein,
schon grauet die Nacht von den Bergen herein;
wo bleiben die Kinder so lange?«

Als jetzt die Abendglock' erklang
mit dumpf verhallenden Tönen,
der Pförtner die Tore zu schließen begann,
da wuchs bis zur Verzweiflung an
das tief bekümmerte Sehnen.

Ein Spielmann kam gezogen daher,
gar bunt und seltsam geschmücket;
schön weht ihm vom Hute die Feder, ein Band
wallt von der Schulter, in seine Hand
eine goldene Harf man erblicket.

Er rührt die Saiten, das klang so süß,
so wunderneu in den Ohren,
es rauschte der Töne bezaubernde Flut,
daß sich in berückender Wollust Glut
die Sinne dem Hörer verloren.

Und als das Städtchen ab und auf
er wandelte spielend und singend,
da sammeln sich all die Kindlein zu Hauf
wohl durch das Städtchen ab und auf,
ihm nach mit Entzücken sich dringend.

Und immer, immer gedrängter die Schar,
und wirbelnder immer die Saiten;
es tanzten, es sangen und sprangen empor
die Knaben und Mädchen in hellem Chor,
ein Wunder vor allen Leuten.

So zog mit dem Trupp er hinab ans Tor;
ob schalten, ob baten die Alten,
was auch die Mutter vom Fenster schrie:
»Geht nicht vors Tor, oh bleibet hoch hie!«
Doch keins ließ sich mehr halten.

Und an dem Tor ein grauer Mann
mit wunderbarlichen Falten
dreimal hohl rufend, ein Warner, schrie:
»O Kinder, Kinder bleibt doch hie!«
Doch keines ließ sich mehr halten.

Zu dem Tore sie stürmen all hinaus;
voran mit Singen und Klingen
der Spielmann eilet, sie hinterher,
bald tönen die Saiten so dumpf und schwer,
daß Ängsten ihr Herz durchdringen.

Er führt sie an einen Wald so graus;
jetzt ringen umsonst sie zu fliehen.
Weh! überqualmet von schweflichtem Duft,
weit gähnend eröffnet sich eine Kluft;
hinunter die Klänge sie ziehen.

Und rasch die Kluft jetzt zusammen sich schlang
unter kläglichem Heulen und Weinen,
O weh! wie brach jetzt voll Jammer und Schmerz
als die Kund erscholl, manch Mutterherz
um die armen verlorenen Kleinen! –

Ein Wanderer, der mit Entsetzen es sah,
erzählt es frühmorgens mit Tränen.
Nichts fanden die Sucher; der Waidmann allein
hört oft im Grauen der Nacht dort ein Schrein
in dumpfen, verlorenen Tönen.

 


 


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