Deutsche Balladen
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Männlein in der Gans

(Friedrich Rückert, 1788 – 1866)

        Das Männlein ging spazieren einmal
auf dem Dach, ei seht doch!
Das Männlein ist hurtig, das Dach ist schmal,
gib acht, es fällt noch.
Eh sich's versieht, fällt's vom Dach herunter
und bricht den Hals nicht, das ist ein Wunder.

Unter dem Dach steht ein Wasserzuber,
hinein fällt's nicht schlecht;
da wird es naß über und über,
ei, das geschieht ihm recht.
Da kommt die Gans gelaufen,
die wird's Männlein saufen.

Die Gans hat's Männlein 'nuntergeschluckt,
sie hat einen guten Magen;
aber das Männlein hat sie doch gedruckt,
das wollt ich sagen.
Da schreit die Gans ganz jämmerlich;
das ist der Köchin ärgerlich.

Die Köchin wetzt das Messer,
sonst schneid'ts ja nicht:
die Gans schreit so, es ist nicht besser,
als daß man sie sticht;
wir wollen sie nehmen und schlachten
zum Braten auf Weihnachten.

Sie rupft die Gans und nimmt sie aus
und brät sie,
aber das Männleich darf nicht 'raus,
versteht sich.
Die Gans wird eben gebraten;
was kann's dem Männlein schaden?

Weihnachten kommt die Gans auf den Tisch
im Pfännlein;
der Vater tut sie 'raus und verschneid't sie frisch.
Und das Männlein?
Wie die Gans ist zerschnitten,
kriechts Männlein aus der Mitten.

Da springt der Vater vom Tisch auf,
da wird der Stuhl leer;
da setzt das Männlein sich drauf
und macht sich über die Gans her.
Es sagt; du hast mich gefressen,
jetzt will ich dafür dich essen.

Da ißt das Männlein gewaltig drauf los,
als wären's seiner sieben;
da essen wir alle dem Männlein zum Trotz,
da ist nichts übergeblieben
von der ganzen Gans als ein Tätzlein,
das kriegen dort hinten die Kätzlein.

Nichts kriegt die Maus,
das Märlein ist aus.
Was ist denn das?
ein Weihnachtsspaß;
aufs Neujahr lernst
du, – was?
Den Ernst.

 


 


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