Deutsche Balladen
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Die Fahn' im Friedhof

(Hermann von Gilm, 1812 – 1864)

            Im Heimwald an die Edeltanne
hat sich ein junger Schütz gelehnt,
die Brust gewölbt, wie sie dem Manne
die freie Luft der Berge dehnt.
Er hat sich eine Fahn' erschossen –
es war sein letzter Meisterschuß –
die Kugel hat sein Lieb gegossen,
er wußte daß sie treffen muß.

Die eine Hand im Gurt von Leder,
die andere zerdrückt den Hut,
dran klebt am Kiel der Spielhahnfeder
ein Nelkenpaar, wie trocknes Blut.
Und achtlos liegt die Fahn' am Boden
und flattert übers Farrenkraut –
so steht er da, der Mann im Loden
und denkt an seine tote Braut.

Er denkt an jenes Gartengitter,
das leicht ein Jäger übersprang,
er denkt der Zeit, wo sie zur Zither
der Liebe süßes Trutzlied sang;
dort, wo des Abends Nebel fliegen,
von kahlen Felsen überragt,
hat sie die fichtenlüstern' Ziegen
von jungen Anflug weggejagt.

Siehst du sie nicht herunterwinken,
im Rock von nelkenbraunem Zwilch?
Sie lächelt, ihre Zähne blinken
wie junges Maiskorn in der Milch;
schlank wie das Fohlen von dem Hirsche,
das Auge groß und brombeerschwarz,
der Mund süß wie die Spätbergkirsche
und würzig wie das Fichtenharz.

Es dunkelt schon; die Bienen tragen
den letzten Honig aus dem Klee,
des Waldes Rosen gehn und schlagen
sich Zelte auf im Gletscherschnee;
und mit dem Büchsensack von Juchten
und mit der Fahne goldgestickt
springt jetzt der Schütz hinab die Schluchten
wie eine Gemse, die erschrickt.

Es führt ein Weg mit feinem Kiese
bedeckt zu einem Gitter hin,
kein Garten ist's und keine Wiese,
doch gibt es Gras und Blumen drin;
die Türe offen, gestern, heute,
als wagte sich dahin kein Dieb,
und drinnen schlafen so viel Leute
und drinnen schläft des Schützen Lieb.

Dort pflanzt er auf des Grabes Hügel
die Fahn', geschmückt mit Rosmarin,
und flieht dahin, als hätt' die Flügel
der Lüfte König ihm geliehn. –
Vergebens forscht man in der Runde
nach dem Entflohnen Tag für Tag, –
die Fahn' im Friedhof gibt wohl Kunde,
daß er nicht wiederkehren mag.

 


 


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