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Gottfried Keller (1819 – 1890)

Waldfrevel

Seht den Schuft am Waldessaum
Mit gewandten Sprüngen fliegend,
Einen jungen Eschenbaum
Auf den breiten Schultern wiegend!
Hat die Axt, die er gestohlen,
Vornen in den Stamm geschwungen.
Weit noch hinter seinen Sohlen
Kommt der Wipfel nachgesprungen.
Wie er heimlich lacht und singt,
Daß das Herz im Leibe springt!

Und die Dirne kommt daher
Mit geschnittnen Weidenruten;
Von der Last, die drückend schwer,
Stehn die Wangen ihr in Gluten.
Und der Bursche wirft die schwere
Bürde beider in den Graben –
Beide springen nach, als wäre
Dort ein Nest voll Glück zu haben.

Wo ein kleiner Freudenquell
Tief im Erlengrunde fließet
Und die Silberadern hell
Durch das samtne Moos ergießet,
Wirft der schlanke Dieb sich nieder
Mit der Dirn im braunen Arm,
Löst ihr hastig Tuch und Mieder –
Und er flüstert liebewarm,
Daß sein brennend Herz erklingt,
Wie die Nuß im Feuer singt:

»Schätzchen, o du kommst mir just,
Daß ich meine Schätze grabe,
Wieder einmal meine Lust
Am verborgnen Reichtum habe!
Zeig mir der Korallen Schein
An dem frischen roten Munde,
Gib mir schnell mein Elfenbein,
All das feingedrehte runde!«
Wie der Has im Kohle springt
Ihm das Herz und singt und klingt.

»Laß mich wägen all mein Gold,
Deines Haares schwere Güsse!
Laß mich zählen meinen Sold,
Zähle mir einhundert Küsse
Blank und bar auf meine Lippen,
Weil uns kein Verräter lauschet;
Laß mich von dem Weine nippen,
Der mich armen Schelm berauschet!

Nun verhüll die Herrlichkeit
Mit den Lumpen, mit den Fetzen,
Daß kein Auge ungeweiht
Spähen kann nach meinen Schätzen!
Dieses Tuch um deine Haare
Dreimal, viermal sorglich winde,
Daß die goldne Schimmerware
Ja kein Strahl der Sonne finde.«

Gleich ist drauf die Dirn davon
Durch den dunkeln Wald gesprungen,
Wieder hat der Bursche schon
Seinen Eschenbaum geschwungen;
Wie die Beine rasch ihn tragen
Mit dem langen, schwanken Raube!
Einen grünen Siegeswagen,
Schleift die Kron er nach im Staube.
Wie die Grill im Grase springt
Ihm das Herz und singt und klingt!


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