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»Verzeihen Sie«, sagte der blasse junge Mann zu der Krankenschwester, »bin ich hier endlich richtig?«
»Zu wem wollen Sie denn?«
»Zu Fräulein Estrid Sörensen.«
»Wie ist Ihr Name, bitte?«
»Kai Vastrup.«
Die Schwester atmete hörbar auf.
»Na endlich!« sagte sie. »Es ist die höchste Zeit, daß Sie kommen!«
Erstaunt blickte Kai die Schwester an.
»Ja! Die höchste Zeit!« wiederholte diese lächelnd. »Die Kranke spricht ja von nichts anderem, als von Ihnen.«
Als sie bemerkte, wie seine Augen aufleuchteten, fuhr sie mit ernster Stimme fort: »Zunächst aber muß ich nachsehen, ob ich Sie heute überhaupt zu der Kranken lassen kann. Und auf keinen Fall dürfen Sie länger als zehn Minuten bleiben.«
»Ist sie sehr krank?« fragte Kai mit unverhüllter Angst.
»Sie war es«, erwiderte die Schwester. »Eine Gefahr besteht nicht mehr.«
Die Schwester verschwand, um, wie es Kai schien, eine Ewigkeit fortzubleiben. Aber endlich kam sie zurück.
»Also kommen Sie!« sagte sie, freundlich lächelnd. »Ich habe ihr natürlich gesagt, wer sie besuchen will. Eine Überraschung, und mag sie noch so angenehm sein, können wir ihr noch nicht zumuten. Aber Sie dürfen nicht länger als zehn Minuten bei ihr bleiben. Haben Sie mich verstanden?«
So leise wie möglich auftretend, folgte er der Schwester einen langen Gang hinunter, und als sie endlich eine der vielen Türen öffnete, taumelte er fast über die Schwelle.
Da lag in einem Bett eine ihm wohlbekannte Gestalt mit weißen, durchsichtigen Wangen. Die Augen waren groß und voll verhaltener Angst auf den Eintretenden gerichtet.
Die Schwester drückte hinter dem Besucher leise die Tür ins Schloß.
» Kay!«
Er eilte vorwärts, fiel auf die Knie und legte seinen Kopf auf die Bettdecke.
Die schmalen Hände strichen sanft über sein Haar.
Er richtete sich auf, ergriff ihre Hände und küßte sie. »Geliebte!« flüsterte er, »von nun an soll uns nichts mehr trennen. Wir gehören zusammen für alle Ewigkeit.«
Ein gequälter Zug kam in ihr Gesicht. Ihre Lippen zitterten, als sie leise sagte: »Du vergißt Peddersens Gasse!«
»Nein!« sagte er, ihre Hände festhaltend. »Wenn deine Eltern sich schuldig gemacht haben, so haben sie es längst abgebüßt. Und mein Vater war ja auch nicht ohne Schuld. Trotz alledem bin ich glücklich, daß er, wie der Polizeiarzt festgestellt hat, an einem Herzschlag gestorben ist, nicht an der Wunde am Hinterkopf. – Aber nun wollen wir an die Zukunft denken, nicht an die Vergangenheit. Deine Mutter ist außer aller Gefahr, und auch dein Vater wird in den nächsten Tagen aus der Klinik entlassen. Nun beeile dich, daß auch du recht bald wieder gesund wirst! Dann feiern wir alle zusammen Verlobung und bald, bald darauf – Hochzeit!«
Die Schwester öffnete leise die Tür:
»Herr Vastrup, die zehn Minuten sind um!«
* * *