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Oberinspektor Benson setzte sich an den runden, mit feuchten Bierflecken übertupften Tisch.
»Hören Sie mal her, Jasking!« »Sie sind ein Waschlappen. Sitzen hier und betrinken sich vor lauter Angst und Zähneklappern. Bloß, weil Sie mal zufällig einen Leichnam gefunden haben. Du lieber Gott, wenn ich das auch so machen wollte! Wäre schon längst am Delirium tremens zugrunde gegangen.«
Mit seinen glasigen Augen starrte Niels Jasking den Oberinspektor an.
»Sie sind doch der Kriminalrat von Peddersens Gasse?« fragte er mit lallender Zunge.
»Allerdings, Jasking. Sie haben ein fabelhaftes Gedächtnis. Schade nur, daß Sie andauernd so besoffen sind! Ich will Ihnen mal was sagen. Wenn Sie sich jetzt nicht zusammennehmen, lasse ich Sie so lange einsperren, bis Sie wieder nüchtern geworden sind.«
»Was heißt hier einsperren?« begehrte Jasking auf, sich seinen eingebeulten steifen Hut tief in den Nacken schiebend. »Sie scheinen Niels Jasking nicht zu kennen, Herr, sonst würden Sie so etwas nicht sagen. Wenn ich ein paar Glas getrunken habe, kann ich viel schärfer nachdenken, als wenn ich nüchtern bin. Fragen Sie nur los, Herr Kriminalrat!«
»Der Hausmeister Sörensen gab Ihnen doch heute morgen einen Auftrag?«
Jasking nickte lebhaft und nahm dann seinen rechten Zeigefinger zu Hilfe. Der Finger war eigentlich ziemlich schmutzig; doch Niels gebrauchte ihn notwendig, wenn er sprechen sollte. Dieser Finger hatte die Aufgabe, die Worte, die besonders wichtig waren, sozusagen zu unterstreichen.
»Fuffzehn Kronen hat mir der Geizkragen von Hausbesitzer für diese Arbeit angeboten, Herr Kriminalrat. Sowas müßte eigentlich bestraft werden. Ist das nicht einfach schmutzig? Aber was soll ein armer Teufel tun, Herr Kriminalrat? Macht man es nicht, dann kommt ein anderer und macht die Arbeit für fuffzehn Kronen.«
»Sörensen sagte Ihnen doch, daß Sie den ganzen Erdboden herausnehmen sollten, nicht wahr?«
»Natürlich hat er das gesagt. Oder glauben Sie, ich hätte das aus reinem Privatvergnügen gemacht? Drei Kronen für das Ausgraben und zwölf Kronen für den Fußboden. Dabei habe ich aber noch vier Kronen Unkosten für Zement und Kies. Das Handwerkszeug gar nicht mitgerechnet.«
»Haben Sie sich denn Ihren eigenen Spaten mitgebracht?«
»Spaten? – Nee. – Wußte ja zuerst gar nicht, daß da auch was zum Graben war. Nee, der Spaten war schon da. Stand unten im Keller. Sörensen gab ihn mir.«
Benson spitzte die Ohren. Wo mag dieser Spaten jetzt sein?« fragte er.
»Weiß ich nicht. Denken Sie vielleicht, ich hab ihn geklaut? Ist nicht! Ich habe ihn unten stehen lassen, und da wird er ja wohl noch sein.«
Benson erhob sich.
»Also, Sie haben den Spaten unten im Keller stehen lassen?«
»Na, wenn ich es sage!«
Benson nickte Jasking, der ihn verwundert anstarrte, kurz zu und verließ die kleine Kneipe mit schnellen Schritten. Es waren von hier nur wenige Minuten bis nach Peddersens Gasse.
In dem Hinterkeller, in dem die Leiche verscharrt gewesen war, fand er zwei Polizisten eifrig bei der Arbeit, die Erde durchzusieben.
»Nun, wie stehts?« fragte er. »Schon was gefunden?«
Der eine der Polizisten kratzte sich hinter dem Ohr. »Ich weiß ja nun nicht, ob es das ist, was Sie suchen, Herr Oberinspektor. Eine abgebrochene Klinge von, einem Taschenmesser und eine ganze Menge halbverfaulter Papierschnitzel.«
»Papierschnitzel?«
»Ja. Es scheint sich um ein altes Zeitungsblatt zu handeln, das wer weiß wie lange hier schon vergraben gelegen hat. Sollen wir das nun auch heraussuchen?«
»Ja, natürlich. Heben Sie jedes Schnitzelchen sorgfältig auf!«
»Jawohl, Herr Oberinspektor!«
»Und nun zeigen Sie mir mal die abgebrochene Taschenmesserklinge!«
Der Polizist reichte sie ihm, und Benson steckte sie wortlos in die Tasche.
»Sie scheinen bald damit fertig zu sein?« fragte er, nachdem er eine Weile schweigend zugeschaut hatte.
»Ja, ich denke, daß wir in einer knappen Stunde damit fertig sind.«
Benson blickte sich suchend in dem kleinen Raum um.
»Haben Sie hier einen Spaten stehen sehen?« fragte er.
»Nein«, sagte der Polizist. »Hier hat kein Spaten gestanden. Jedenfalls habe ich keinen gesehen. Wir haben unsere eigenen Spaten mitgebracht, als wir den Toten ausgruben.«
Der Oberinspektor begann, den ganzen Keller zu durchsuchen. Er schob sogar die hölzernen Pferde beiseite und stöberte zwischen alten Säcken und allerlei Gerümpel herum. Ein Spaten aber war nirgends zu entdecken.
Mit eiligen Schritten verließ er den Keller und machte sich auf die Suche nach dem Hausmeister. Er fand ihn, wie er mit einem mächtigen Schlüsselbund in der Hand im Hofe herumlungerte und den Arbeitern der Südfrucht-Import-Firma zuschaute, die gerade dabei waren, die Kellerluken ihres Lagers zu schließen.
»Hören Sie mal, Sörensen«, redete Benson ihn an, »ich suche einen Spaten. Und zwar den Spaten, mit dem Jasking die Grube im Keller ausgeworfen hat.«
Der Hausmeister runzelte nachdenklich die Stirn. »Der Spaten muß unten im Keller sein.«
»Seltsamerweise ist er nicht unten im Keller«, sagte Benson. »Jasking behauptet, er habe ihn nicht mitgenommen, und doch ist er verschwunden.«
»Unmöglich!« rief der Hausmeister. Benson betrachtete ihn prüfend.
»Sie sahen den Spaten doch unten im Keller stehen, als Jasking mit seiner Arbeit begann?«
»Ja, Herr Oberinspektor.« Sörensen fuhr sich mit dem Handrücken über die dunklen Stoppeln seines Kinns. »Er stand unten im Keller, dessen entsinne ich mich ganz genau. Jasking sagte, er wolle einen Spaten holen. Aber wenn Jasking erst einen Spaten holen geht, kommt er für Stunden nicht wieder zurück. In jeder Kneipe bleibt er hängen. Es ist ein wahres Kreuz mit dem Menschen, so ordentlich und zuverlässig er sonst mit seiner Arbeit ist. Ich war froh, daß ich den Spaten fand, und daß Jasking nicht erst fortzugehen brauchte, um einen zu holen.«
»Hören Sie zu, Sörensen«, sagte Benson ernst. »Dieser Spaten muß unter allen Umständen wieder herbeigeschafft werden. Sehen Sie sich sofort einmal nach ihm um. Irgendwo muß er doch sein, und Sie kennen das ganze Grundstück ja schließlich am besten.«
Der Hausmeister nickte dienstwillig. »Jawohl, Herr Oberinspektor. Ich will mein Möglichstes tun, den Spaten wieder herbeizuschaffen. Er kann ja schließlich nicht aus der Welt sein.«
Dann drehte er sich um und schlurfte langsam mit seinen mageren Beinen, um welche die Hosen wie um einen Besenstiel schlotterten, über den Hof davon und verschwand im Kellereingang.
Benson blickte noch eine ganze Weile gedankenvoll vor sich hin, ehe er Peddersens Gasse verließ und sich nach Vastrups Wohnung auf den Weg machte. – –
Frau Vastrup war eine vollschlanke, gesund und sogar noch jugendlich aussehende Frau. Man sah es ihr an, daß sie in ihrem Leben zwar schwer und viel hatte arbeiten müssen, aber sicher nie mit Not und Elend zu kämpfen gehabt hatte.
An diesem Nachmittage aber war sie nur noch der Schatten ihrer selbst. Ihre Wangen waren hohl und eingefallen, die Augen vom vielen Weinen geschwollen und die Lider gerötet. Mit blassen, zitternden Lippen bat sie den Oberinspektor, näherzutreten.
Das Wohnzimmer, in dem sie Platz nahmen, machte mit seinen alten, aber gepflegten Möbeln einen behaglichen, untadelig sauberen Eindruck.
Die Vernehmung verlief indessen ziemlich ergebnislos.
Frau Vastrup bestätigte einiges, was der junge Vastrup bereits ausgesagt hatte, und sie bestätigte vor allem, daß ihr Mann ein sehr schwaches Herz gehabt hätte und sich vor Aufregungen hätte hüten müssen. Sonst aber wußte sie nichts Neues zu berichten.
Benson verabschiedete sich daher schon bald von ihr und suchte den jungen Vastrup in der Werkstatt auf. Er fand ihn an einer kleinen Esse stehen, damit beschäftigt, kleine Rohrhaken, wie man sie zur Befestigung von Heizungsröhren verwendet, zu schmieden. Benson drückte ihm die rußige Hand und bat ihn, sich nicht stören zu lassen; er könne ruhig eine Weile warten.
Kai Vastrup nickte, zog einen der halbfertigen, rotglühenden Haken aus dem Feuer und bearbeitete ihn mit klingenden Hammerschlägen auf dem Amboß. Als er fertig war, warf er das Stück zu anderen, bereits vollendeten, auf den steinernen Fußboden der Werkstatt.
»Ich hätte, statt Mordbuben und anderem Gesindel nachzujagen, auch lieber ein Handwerk lernen sollen«, meinte der Oberinspektor bedauernd. »Aber schließlich ist ja auch meine Arbeit nötig und muß getan werden. Nun, ich will Sie nicht lange aufhalten. Es handelt sich um einen Spaten.«
»Wollten Sie einen geliehen haben?« fragte Kai leicht verwundert.
Benson schüttelte lächelnd den Kopf. »Das gerade nicht, aber ich hätte gerne von Ihnen gewußt, wieviele Spaten Sie besitzen.«
»Wieviele Spaten wir besitzen?« wiederholte Kai verständnislos. »Ja – eigentlich sind es vier Stück, wenn ich die alten, die nicht mehr zu gebrauchen sind, nicht mitrechne.«
»Was meinen Sie mit ›eigentlich‹?«
»Ich wollte damit sagen, daß nur noch drei da sind; einer ist spurlos verschwunden. Ich habe keine Ahnung, wo er geblieben sein mag.«
»So, so«, sagte Benson höchst interessiert. »Seit wann vermissen Sie denn den vierten Spaten?«
Kai Vastrup stocherte gedankenvoll in der Glut des Feuers, während er sie mittels des Blasebalgs wieder anfachte. »Seit wann? – Hm, das ist schwer zu sagen. Vor etwa vierzehn Tagen fiel es mir auf, daß einer der Spaten fehlte. Wahrscheinlich ist er irgendwo stehen geblieben; aber hinterher weiß dann kein Mensch mehr, wo das wohl gewesen sein mag.«
»Und Sie können mir auch nicht sagen, wann ungefähr Sie zum letzten Male die vier Spaten beieinander gesehen haben? Vielleicht, ehe Ihr Vater verschwand?«
»Das ist sehr gut möglich, Herr Oberinspektor.«
»Denken Sie doch einmal darüber nach, denn es ist sehr wichtig. Drüben im Keller von Peddersens Gasse wurde ein Spaten gefunden. Es besteht die Möglichkeit, daß es der Spaten ist, den Sie vermissen.«
»Wenn Sie mir den gefundenen Spaten zeigen, kann ich Ihnen genau sagen, ob es der unsere ist. Unsere Spaten sind nämlich alle ohne Ausnahme am oberen Querholz mit B. V. gezeichnet.«
»Vielen Dank«, erwiderte Benson freundlich, »aber leider kann uns das im Augenblick nichts nützen. Dieser Spaten ist nämlich wieder verschwunden.«