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II.

Herr Harian war ein leberleidender, älterer Junggeselle, der von den Zinsen lebte, die ihm seine zahlreichen, meistens sehr alten und zerfallenen Grundstücke einbrachten. Und das war nicht wenig. Eher war es zuviel zu nennen, denn sein Leiden sowie seine chronisch schlechte Laune hatte er ja nur dem Umstand zu verdanken, daß er so viel Geld zum Verbrauchen hatte.

Herr Harian war wohlbeleibt, hatte einen kahlen, wie eine Billardkugel glänzenden Schädel, dabei aber eine graue, ungesunde Gesichtsfarbe und tiefe Säcke unter den trüben Augen, die fortwährend gereizt und verärgert in die Welt schauten.

»Nun, was bringen Sie mir, Sörensen?« sagte er zu seinem Hausmeister, an Stelle einer Begrüßung und reichte ihm eine müde, kraftlose Hand.

Sörensen setzte sich auf den ihm angebotenen Stuhl vor dem Schreibtisch und räusperte sich umständlich.

Herr Harian betrachtete ihn stirnrunzelnd. Er hatte das sichere Gefühl, daß der Hausmeister ihm nichts Gutes brächte. Von »Peddersens Burg« war überhaupt noch nie etwas Gutes gekommen. Da hatte er sich für sein gutes Geld ja etwas Schönes aufschwatzen lassen, als er vor einigen Jahren den Gebäudekomplex gekauft hatte! Das war aber nun nicht mehr zu ändern. Man mußte eben versuchen, das nur Ärger einbringende Objekt mit möglichst großem Gewinn wieder loszuschlagen.

Er sah es gar nicht gern, daß Sörensen zu ihm kam – ausgenommen natürlich, wenn er die einkassierten Mietgelder ablieferte. Kam er zu anderen Zeiten, so handelte es sich immer nur darum, daß eine Mauer eingestürzt oder ein Fußboden durchgebrochen war. Das kostete dann jedesmal eine hübsche Stange Geld. Ob es nicht das beste wäre, den alten Kasten einfach abreißen zu lassen? Vielleicht lohnte es sich. Die Fabriken, die an »Peddersens Burg« angrenzten, waren um Platz für Erweiterungsbauten sehr verlegen und bezahlten sicher einen guten Preis. –

»Es ist nämlich wegen der Ratten«, wurde Herr Harian von Sörensen aus seinen Träumen aufgeschreckt. Wütend blickte er auf seinen Hausmeister.

»Ratten?« bellte er. »Ja, zum Teufel, was gehen mich denn die Ratten an?« Herr Harian wurde noch wütender, als er merkte, daß sein altes Leiden ihm wieder gehörig zu schaffen machen würde.

»Ich meine nur, daß wir Gift legen müßten«, sagte Sörensen stockend. »Die Viecher nehmen in der letzten Zeit schrecklich überhand. Ich dachte – – –«.

»Wenn die Ratten den Leuten lästig werden, so sollen sie sich gefälligst darum kümmern, wie sie sie loswerden!« – knurrte der Hausbesitzer mit grimmigem Gesicht.

»Sehr wohl, Herr Harian«, sagte der eingeschüchterte Hausmeister demütig, ohne sich von seinem Platz zu rühren.

»Na schön, das wäre denn ja erledigt.« Mit einem erleichterten Seufzer lehnte sich Herr Harian in seinen Sessel zurück.

Aber Sörensen traf noch immer keine Anstalten zum Gehen. Herr Harian beugte sich mit einem mißtrauischen Ausdruck vor und fragte lauernd: »Oder hat sich jemand über die Ratten beschwert, was?«

»Nein, das gerade nicht, Herr Harian. Aber ich dachte – – –«

»Sie dachten, der alte Harian ist ein reicher Mann, dem man ein bißchen helfen muß, sein Geld unter die Leute zu bringen. Vielleicht haben Sie sich schon Prozente bei den Geschäften ausgemacht, wo Sie für mein Geld das Rattengift kaufen wollen?«

»Um Gotteswillen, nein!« rief der Hausmeister erschrocken. »Daran habe ich natürlich nicht im entferntesten gedacht. Ich wollte nur sagen, wenn die Ratten bei unseren Mietern erst größeren Schaden angerichtet haben, werden Sie für diesen Schaden wohl aufkommen müssen.«

Herr Harian schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. »Sollen sie unsern Herrn Bürgermeister für den Schaden verantwortlich machen, aber nicht mich! Haben Sie verstanden?«

»Sehr wohl, Herr Harian!«

Der Hausmeister blieb noch immer fest auf seinem Stuhl sitzen. Nach des Grundbesitzers Dafürhalten wäre es für ihn wohl an der Zeit gewesen, sich zu empfehlen, da die Rattenfrage doch zur Zufriedenheit gelöst worden war. Aber aus irgendeinem verdächtigen Grunde machte der aufdringliche Bursche noch immer nicht die geringsten Anstalten zum Gehen.«

»Nun? Sonst noch was?«

Sörensen gab sich einen Ruck. »Es handelt sich nämlich um Conni Nielsens Keller«, antwortete er zögernd.

Herr Harian runzelte die Stirn. »Conni Nielsen? – Kenne ich nicht.«

»Das ist doch der Mann, der am 3. März einen kleinen, nach hinten gelegenen Lagerkeller für fünfzehn Kronen im Monat mietete.«

»Ja, ich entsinne mich«, sagte Herr Harian nach einer Weile. »Er bezahlte die fünfzehn Kronen an Sie, und Sie brachten Sie mir am folgenden Tage.«

Sörensen nickte, während der Grundbesitzer nach einem auf dem Schreibtisch liegenden Geschäftsbuch griff und es aufschlug. »Hier haben wir es ja schon: Herr Conni Nielsen. Kleiner Lagerkeller, Block B, hinten. Monat März mit Kr. 15, – bezahlt.«

»Ja, das ist es.«

Herr Harian klappte das Buch wieder zu und legte es beiseite. »Ja, und was ist nun damit!«

Der Hausmeister fuhr sich mit der Zungenspitze über seine trockenen Lippen.

»Er ist nicht wiedergekommen, Herr Harian.«

»Nicht wiedergekommen?« Harian runzelte die Stirn. »Soll das etwa heißen, daß die Miete für April nicht eingehen wird?«

»Wenn er sich nicht wieder sehen läßt? – –« Sörensen zuckte die Achseln. Das waren schließlich Dinge, die ihn nichts angingen.

Es entstand eine kurze Pause, in der Herr Harian gedankenvoll auf die Löschunterlage seines Schreibtisches kritzelte. Dann hob er den Kopf und fragte:

»Hat er noch Sachen da?«

Sörensen nickte. »Ja, Pferde.« Herrn Harians Augen wurden so groß wie Untertassen.

»Was hat er im Keller? – Pferde?« rief er verdutzt.

»Hölzerne Pferde«, verbesserte sich der Hausmeister.

»Hölzerne Pferde?« Herr Harian lachte blechern. Aber schnell wurde er wieder ernst; denn die fünfzehn Kronen, die ihm zu entgehen drohten, ärgerten ihn.

»Was ist das für ein Quatsch mit den hölzernen Pferden?« fragte er gereizt und blickte den Hausmeister an, als ob er ihn fressen wollte.

Sörensen bekam einen roten Kopf.

»Das sind so Pferde, wie sie auf ein Karussell gehören, Herr Harian. Der Nielsen hatte nämlich so ein Karussell, das war ihm abgebrannt – – bloß die paar hölzernen Pferde hatte er retten können – und da – –«

»Ich will Ihnen mal was sagen, Sörensen. Schmeißen Sie das Zeug raus und vermieten Sie den Keller an den ersten besten, der ihn haben will! Ich habe keine Lust, auf die Miete dieses Herrn Karussellbesitzers zu warten. Haben Sie mich verstanden?«

Sörensen nickte. »Kann ich machen, Herr Harian. Aber was wird – mit dem Zementfußboden?«

»Was ist mit dem Zementfußboden?«

»Er ist aufgebrochen«, antwortete Sörensen zögernd. »Nun haben sich die Ratten einen Weg durch das Erdreich gewühlt.«

»Wer, zum Teufel, hat den Fußboden des Kellers aufgebrochen?« rief Herr Harian erbost.

»Das weiß ich nicht«, entgegnete Sörensen mit kläglicher Stimme. »Es kann eigentlich niemand anders als dieser Conni Nielsen gewesen sein.«

»Conni Nielsen? – Aus welchem Grunde?«

»Ja, darüber habe ich mir auch schon den Kopf zerbrochen. Warum, um alles in der Welt, mag er den Fußboden aufgebrochen haben? Kann ja aber auch sein, der Zement ist von der Kälte aufgeplatzt, und die Ratten haben etwas nachgeholfen –«

»Blödsinn!« knurrte Herr Harian. Dann fragte er lauernd: »Wohl 'ne teure Geschichte, das mit dem Fußboden, he?«

Der Hausmeister schüttelte eifrig den Kopf. »Durchaus nicht, Herr Harian. Wenn ich Niels Jasking Bescheid sage, so macht er es uns gut und gern für fünfzehn Kronen – alles in allem.«

»Fünfzehn Kronen!« fauchte der Grundbesitzer gereizt. »Sie tun ja gerade so, als ob ich Millionär wäre. Glauben Sie, ich finde fünfzehn Kronen auf der Straße?«

Sörensen sah seinen Brotgeber hilflos an. Dann setzte er mit einer leicht überredenden, ein wenig um Entschuldigung bittenden Stimme hinzu: »Schließlich ist es nicht mehr als das, was der Mann für den Keller bezahlt hat. Nun ist es ebenso gut, als wenn der kleine Keller nie vermietet worden wäre. Er hat ja sowieso über ein Jahr leer gestanden.«

»Schöner Trost!« brummte Herr Harian. »Erst steht das Ding über ein Jahr leer, und wenn man dann meint, man hätte endlich mal eine kleine Einnahme, geht alles wieder durch so eine verwünschte Reparatur zum Teufel.«

»Es ist ja nicht meine Schuld, Herr Harian.«

»Nicht Ihre Schuld? – Ja, Herr, wozu glauben Sie, habe ich Sie eigentlich? – Einen Zementboden aufschlagen – das kann man doch schließlich nicht gut heimlich machen. So etwas verursacht doch einen Heidenlärm. Das muß man doch hören?!«

Sörensen schüttelte den Kopf. »In Peddersens Burg ist überall und zu jeder Stunde des Tages Lärm. Da ist die Druckerei, wo den ganzen Tag die Maschinen summen. Da sind die Schlossereien mit ihrem Gehämmer und Gestampfe. Gar nicht zu reden von dem Südfruchtlager, wo den ganzen Tag die lauten Karren hin und herrollen, daß es nur so eine Art hat. Da achtet schließlich kein Mensch mehr darauf, wenn es mal irgendwo hämmert, weil man schließlich die einzelnen Geräusche gar nicht mehr von einander zu unterscheiden vermag.«

Herr Harian wandte sich mit einer verdrießlichen Miene ab und kritzelte etwas auf ein Blatt Papier. Nach einer Weile bemerkte er mit einem beleidigten Zucken um den wulstigen Mund:

»Sagen Sie zu Jasking, daß er die Arbeit haben kann, wenn er sie für zwölf Kronen machen will. Zwölf Kronen sind überhaupt schon viel zu viel Geld für das bißchen Zement, wovon der ganze Sack höchstens zwei Kronen kostet. Sonst werde ich einen andern Mann hinschicken, der es bestimmt für zehn Kronen macht.«

»Wenn du doch an deinem verdammten Geld ersticken würdest?« dachte Sörensen in ohnmächtigem Zorn. Laut aber sagte er: »Jasking wird es bestimmt für zwölf Kronen machen, Herr Harian. Aber ich möchte Sie gerne vor doppelten Unkosten bewahren, und da dachte ich – – –«.

Herr Harian grinste höhnisch. »Das ist ja ganz was Neues! Sie möchten mich vor doppelten Unkosten bewahren? Wie nett von Ihnen! Also – was dachten Sie!«

Der Hausmeister machte ein finsteres Gesicht. »Mir kann es ja schließlich egal sein, Herr Harian. Geben Sie Jasking zwölf Kronen, und er macht ihnen die Sache in Ordnung. Aber wenn wir hinterher die Schweinerei mit der Leitung haben – – –.«

»Was sagen Sie?! Haben die Ratten die Leitung in der Erde angefressen?«

»Möglich ist es«, erwiderte Sörensen ruhig. »Wissen kann man es natürlich nicht –. Aber es wäre sicher richtig, wenn wir vorher die Erde aufgraben ließen, um nachzusehen, ob die Leitungen in Ordnung sind. Dafür nimmt Jasking drei Kronen; das macht dann im ganzen fünfzehn Kronen.«

Harian feixte höhnisch. »Mit anderen Worten also: Sie wollen mir unbedingt fünfzehn Kronen abknöpfen. Dacht' ich mir's doch!« Er spielte nachdenklich mit dem Bleistift und bemerkte die zornige Röte in Sörensens Gesicht. »Na, vielleicht haben Sie recht«, lenkte er ein. »Erst den Fußboden machen lassen, um ihn dann hinterher wieder aufreißen zu müssen, weil die Leitungen defekt sind, hieße erst recht, das Geld aus dem Fenster werfen.«

»Also soll ich Niels Jasking Auftrag geben?« fragte der Hausmeister.

Herr Harian nickte gnädig. »Meinetwegen. Aber kommen Sie mir hinterher nicht damit, daß die Sache doch mehr gekostet hat. Es ist schlimm genug, daß ich einem faulen Mieter fünfzehn Kronen nachwerfen muß. Und nun haben Sie doch wohl hoffentlich keine Wünsche mehr, Sörensen?«

»Nein«, antwortete der Hausmeister aufatmend. »Das wäre alles, was ich von Ihnen wollte.«


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