Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Am nächsten Morgen, gleich nach Beginn der offiziellen Bürozeit, wurde Oberinspektor Benson dringend am Fernsprecher verlangt.
Benson, noch in Hut und Mantel, meldete sich.
»Hier Kriminalpolizei Aarhus. Sie haben doch gegen einen gewissen Conni Nielsen, Karussellbesitzer, einen Steckbrief erlassen?«
»Ja, und – –?« fragte Benson gespannt.
»Wir haben eine Spur gefunden – das heißt: Der Name stimmt schon, aber nicht die Personalbeschreibung. Auch ist der Betreffende Besitzer einer großen Berg- und Talbahn. Er hat sein Unternehmen auf dem Osterjahrmarkt einer kleinen Stadt in der Nähe von Aarhus aufgebaut. Der Ortspolizist hat ihn vernommen. Er schildert ihn als einen Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, groß, schlank und mit einer gesunden Gesichtsfarbe. Seine Stimme ist hart und klar, nicht heiser, wie das Signalement angibt. Außerdem behauptet er, zu der fraglichen Zeit im Aalborger Krankenhaus gelegen zu haben. Wir haben diese Angabe nachgeprüft. Sie stimmt. Nach alledem dürfte es klar sein, daß er mit dem von Ihnen gesuchten Mann nicht identisch ist.«
»Natürlich nicht«, erwiderte Benson, der schon etwas ungeduldig geworden war.
»Vielleicht hat unser Mann den Namen irgendwo gelesen und benutzt. Ich weiß nur nicht – Sie sagten doch, Sie hätten eine Spur gefunden? Wenn Sie –«
»Geduld, Herr Kollege! Das kommt noch! Dieser Conni Nielsen hat uns nämlich eine interessante Geschichte erzählt. Am 1. März soll ein gewisser Lars Larsen, der mit einem Karussell von Jahrmarkt zu Jahrmarkt zu ziehen pflegte, in Kopenhagen einen größeren Brand verursacht haben, dem nicht nur sein Wohnwagen, sondern auch sein Karussell zum Opfer fiel. Er soll in der Trunkenheit unvorsichtig mit einer Petroleumlampe hantiert haben. Conni Nielsen hatte die Geschichte von einem anderen Schausteller, der Augenzeuge gewesen sein will. Er erzählte, der Alte hätte den Eindruck eines Wahnsinnigen gemacht, wie er immer wieder den Versuch gemacht hätte, die hölzernen Pferde seines Karussells zu retten. Einige hätte er auch tatsächlich den Flammen entrissen. Schließlich hätte man ihn mit Gewalt zurückhalten müssen. Vermutlich hat der Schreck ihm den Verstand verwirrt. Er soll einige Tage darauf in ein Krankenhaus eingeliefert worden sein. Was später aus ihm und den geretteten hölzernen Pferden geworden ist, wußte Conni Nielsen nicht. Aber soweit er in der Lage war, eine Personalbeschreibung des alten Mannes zu geben, zeigte sie mit der Ihrigen eine merkwürdige Übereinstimmung.«
»Ausgezeichnet! – Wie soll der Mann geheißen haben? – Lars Larsen?« Benson schrieb den Namen auf ein Blatt Papier.
»Ich werde sofort in allen Kopenhagener Krankenhäusern nachforschen lassen. Ich glaube sicher, das ist der Mann, den wir suchen. Tausend Dank, Herr Kollege!«
Als Benson gerade den Fernsprecher aus der Hand gelegt hatte, trat Inspektor Hunt ins Zimmer.
»Hören Sie, Hunt!« sagte Benson. »Ich habe etwas für Sie.« Er berichtete kurz, was er soeben erfahren hatte. Plötzlich aber brach er unvermittelt ab; denn durch die weiten Gänge und vielen Treppen des Polizeipräsidiums hallten dröhnende Hammerschläge.
»Du lieber Gott!« seufzte der Inspektor, »was wird denn nun schon wieder repariert?«
Benson zeigte einen angespannt horchenden Gesichtsausdruck. Plötzlich kam ein seltsames Funkeln in seine Augen. »Kommen Sie mit, Hunt!« sagte er. »Das möchte ich mir einmal aus der Nähe ansehen.«
Der junge Inspektor folgte ihm kopfschüttelnd. Die Hammerschläge kamen von den Kellerräumen. Bald fanden sie denn auch einen Arbeiter, der im Begriff war, den Zementfußboden mittels Hammer und Meißel aufzuschlagen.
»Was machen Sie denn da?« fragte Benson den Mann, der sich mit dem Ärmel seiner Bluse den Schweiß vom Gesicht wischte.
»Wasserleitung ist kaputt,« antwortete der Arbeiter lakonisch und griff wieder nach seinem Hammer.
»Einen Augenblick, lieber Freund«, sagte Benson freundlich. »Wie wäre es, wenn Sie mit der Erzeugung dieses Höllenlärms noch eine Minute warteten? Ich möchte Sie gern etwas fragen. Sie sind, wie ich sehe, dabei, den Zementfußboden aufzubrechen. Wozu machen Sie das?«
Der Arbeiter schenkte dem unwissenden Oberinspektor einen mitleidigen Blick. »Ja, sehen Sie«, sagte er, »hier unter dem Fußboden läuft eine Wasserleitung und zwar die Fülleitung für den Heizkessel. Da ist nun ein Rohr geplatzt, und da es natürlich repariert werden muß, bleibt wohl nichts anderes übrig, als den Zementfußboden aufzuschlagen. Denn sonst kann man an das geplatzte Rohr ja nicht rankommen. Wenn es repariert oder ausgewechselt ist, wird die Zementdecke wieder darübergelegt. Ist Ihnen das klar, Herr?«
»Ja, durchaus. Aber ich finde es eigentlich recht unpraktisch, wenn wegen jeder kleinen Reparatur so viele Umstände gemacht werden müssen. Wäre es nicht praktischer, die Rohre von Anfang an frei zu legen, so daß sie ohne weiteres geflickt werden können, wenn etwas entzwei ist?«
»Meinen Sie?« lachte der Arbeiter. »Ein ganz guter Gedanke; aber da die städtischen Wasserwerke noch nicht dazu übergegangen sind, ihre Hauptleitungen durch die Luft zu legen, wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als auch die Anschlüsse in der Erde zu lassen. Die Sache ist aber die: es soll unter normalen Umständen gar nicht vorkommen, daß die Wasserleitungen kaputtgehen. Meistens rächt es sich, wenn sie nicht genügend Schutz vor den Frösten haben, wie es wohl auch hier der Fall gewesen sein wird. Jetzt, wo das Frühjahr kommt, machen sich diese Frostschäden erst richtig bemerkbar.«
»Ja, da haben Sie wohl recht«, sagte Benson gedankenvoll. »Aber eins wundert mich. Wir hörten oben im dritten Stock den Lärm des Hämmerns so laut, daß wir zunächst glaubten, Sie säßen mit ihrem Hammer nur einen Stock tiefer. Es ist erstaunlich, wie der Schall sich durch die Mauern fortpflanzt.«
»Ja, das wird wohl immer so sein«, meinte der Arbeiter. »Man macht den Lärm ja schließlich nicht zu seinem bloßen Vergnügen.«
»Richtig!« nickte Benson. »Aber wenn Sie nun aus irgendwelchen Gründen einmal keinen Lärm machen dürfen – und doch einen solchen Zementfußboden aufbrechen müssen – was machen Sie dann?«
»Nichts«, erwiderte der Arbeiter. »Höchstens würde ich mir meine Pfeife anstecken; denn das macht ja keinen Lärm.«
»Sie wollen damit also sagen, daß es unmöglich ist, einen Zementfußboden aufzubrechen, ohne dabei Lärm zu machen.«
»Ja. Das will ich damit sagen. Der Zement soll ja schließlich brechen, und das erfordert Kraft. Man braucht dazu einen schweren Hammer, einen sicheren Schlag und eine gewisse Portion Muskelkraft. Das wird wohl immer so sein.«
»Nun ja, das gebe ich zu. Aber ich kann mir doch Fälle denken, wo man bei dieser Arbeit einfach keinen Lärm machen darf. Stellen Sie sich vor, Sie hätten jemand erschlagen und wollten die Leiche nun unter dem Zement verbergen. Sie wären dann also vor die Aufgabe gestellt, den Zement so geräuschlos wie nur möglich, aufzubrechen. Was würden Sie da machen?«
»Ach so, verstehe. Sie haben wohl so einen ähnlichen Fall, und da wollen Sie wissen, wie der das gemacht hat? – Ja, das ist nun schwer zu sagen. Lärm gibt es immer bei so etwas. Da kommt man nun nicht drum herum. Man könnte alles mögliche tun. Wenn man Zeit zu so etwas hat, dann nimmt man einen Steinbohrer und einen kleinen Hammer und bohrt eine ganze Menge Löcher in den Fußboden. Das macht dann wenigstens nicht soviel Lärm. Nachher nimmt man eine Brechstange und versucht, den Fußboden von den Löchern aus aufzubrechen.«
»Und das geht?«
»Ja, manchmal geht's – manchmal auch nicht.«
»Hm. Ich nehme aber an, daß unser Mann nicht sehr viel Zeit gehabt hat. Sagen Sie, könnte man nicht eine Spiralbohrmaschine verwenden, um Löcher in den Zementfußboden zu bohren?«
»Das wäre das dümmste, was man machen könnte«, antwortete der Arbeiter überlegen grinsend.
»Warum?« fragte der Oberinspektor.
»Weil Stahl und Zement sich nicht vertragen. Selbst der härteste Stahlbohrer würde im Zement schnell stumpf werden. Und außerdem würde es eine Unmenge Zeit in Anspruch nehmen.«
Benson schüttelte ärgerlich den Kopf.
»Das wird wohl so sein, aber es paßt durchaus nicht in meine Theorie.«
»Sagen Sie mal,« unterbrach ihn der Arbeiter, »wissen Sie denn auch ganz genau, daß Ihr Mann den Zementboden wirklich selber aufgebrochen hat?
»Wie meinen Sie das?« fragte Benson verblüfft.
»Nun, ganz einfach. Der Zementfußboden war vielleicht bereits aufgebrochen – zu irgend einem ganz anderen Zweck.«
»Ja, das ist eine Idee,« brummte der Oberinspektor. Er reichte dem Arbeiter die Hand.« Jedenfalls danke ich Ihnen für Ihre freundliche Belehrung.«
Als sie auf der Treppe waren, sagte Benson zu seinem Begleiter: »Ich glaube, die Geschichte ist viel komplizierter, als ich zunächst angenommen habe. Wissen Sie, worauf ich hinauswollte?«
Hunt nickte: »Sie haben geglaubt, Sörensen habe Ihnen die Unwahrheit gesagt, als er behauptete, das Aufbrechen des Fußbodens nicht gehört zu haben. Denn das ist schließlich ein Geräusch, das man mit dem besten Willen nicht überhören kann.«
»Zement, Beton und Mauerwerk haben eben nun einmal die Eigenschaft, den Schall fortzupflanzen,« sagte Benson. »Ich war wirklich versucht, anzunehmen, daß Sörensen mich in diesem Punkt belogen haben müsse. Nun aber hat mich der Mann im Keller auf eine ganz neue Idee gebracht. Es ist tatsächlich durchaus denkbar, daß der Fußboden bereits aufgebrochen war, als der Mörder sein Opfer vergraben wollte. Es ist nicht nur denkbar, sondern es ist sogar wahrscheinlich. Der offene Zementfußboden mag ihn überhaupt erst auf den Gedanken gebracht haben, den Leichnam der Erde anzuvertrauen. Dann haben wir auch eine Begründung für die von uns aufgeworfene Frage, warum der Mörder den Fußboden nicht wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzte. Ganz einfach! Er hatte gar keine Veranlassung dazu, weil er den Zementfußboden bereits aufgeschlagen vorgefunden hatte.«
»Alles ganz gut und schön,« meinte Hunt, als sie in den Flur ihres Stockwerkes einbogen, aber schließlich muß der Fußboden ja doch einmal aufgeschlagen worden sein, und man kann doch schließlich nicht annehmen, daß das schon Monate vorher geschehen wäre.
»Nein, da haben Sie recht. Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht. Wissen Sie übrigens, warum ich den Arbeiter fragte, ob es nicht möglich wäre, den Fußboden einfach anzubohren?«
»Nein.«
»Passen Sie auf,« sagte Benson, »ich will Ihnen einmal etwas zeigen.«
Als sie das Amtszimmer betreten hatten, holte der Oberinspektor die Zementscherben, die er von Peddersens Gasse mitgebracht hatte, aus der Tasche seines Mantels hervor. Sehen Sie sich das einmal an, Hunt!«
Der Inspektor betrachtete die Scherben eingehend. An jeder Bruchstelle waren deutlich die Spuren eines Bohrers zu erkennen.
»Kein Zweifel!« fuhr Benson fort. Jemand hat Löcher in den Zement gebohrt, um ihn dann mittels einer Brechstange aufzubrechen. Nach dem, was uns der Arbeiter vorhin sagte, muß der Mann eine Unmenge Bohrer verbraucht haben. Der Grund ist klar: das Öffnen des Fußbodens sollte nicht gehört werden. Jedenfalls kann er unter diesen Umständen in Peddersens Gasse nicht fremd gewesen sein.«
»Und der Mann mit den hölzernen Pferden?«
»Hat natürlich nicht als Fremder zu gelten, weil er ja einen Kellerraum gemietet hatte.«
»Haben Sie Sörensen irgendwie im Verdacht?«
»Der Hausmeister verschweigt etwas. Davon bin ich fest überzeugt. Denken Sie einmal an diesen merkwürdigen Anfall! Ich kann mir nicht helfen; aber es kommt mir so vor, als ob der plötzlich aufgefundene Spaten daran schuld gewesen wäre.«
»Halten Sie ihn denn für den Mörder, Herr Oberinspektor?«
»Nein,« erwiderte Benson langsam.« Soweit möchte ich denn doch nicht gehen. Es sprechen Zu viele Umstände dagegen.«