Publius Vergilius Maro
Äneis
Publius Vergilius Maro

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(Zehnter Gesang)

              Aber dem Lausus zu helfen ermahnt die göttliche Schwester,
440   Turnus, dich, der das Heer im geflügelten Wagen durchrollet.
Als die Genossen er sah: Nun räumt mir alle das Schlachtfeld!
Laßt mich allein mit Pallas zum Kampf! mir allein ist des Pallas
Seele bestimmt! O ich wünschte, daß selbst anschaute sein Vater,
Ruft er; da wichen sofort aus befohlenem Raum die Genossen.

445  

Über der Rutuler Gehn und den stolzen Befehl sich verwundernd,
Staunt der Jüngling auf Turnus und rollt um den Wuchs des erhabnen
Ferne den Blick, und umspähet ihn ganz mit trotzigem Anschaun.
Solcherlei Wort' entgegen des Königes Worten erhebt er:

Mich wird ehren entweder gewonnene Rüstung des Feldherrn,

450   Oder ein rühmlicher Tod. Auf beides gefaßt ist der Vater.
Hemme das Drohn! – So sprach er und trat in die Mitte des Feldes;
Eiskalt schoß zu dem Herzen das Blut den arkadischen Kriegern.
Turnus sprang von dem Wagen herab und näher zu Fuß ihm
Wandelt er. So wie der Leu, der von ragender Warte des Felsens
455   Fern im Gefilde den Stier sich dem Kampf vorüben gesehen,
Schnell ihn ereilt: so war auch des kommenden Turnus Erscheinung.
Als ihn erreichbar er glaubte dem Schwung des gesendeten Speeres,
Vor drang Pallas zuerst, ob vielleicht Glück fördre die Kühnheit
Ungleich wagender Kraft, und er ruft zum erhabenen Äther:

460  

Beim gastfreundlichen Tisch, den der Vater dir Fremdlinge darbot,
Fleh' ich, Alcid'; hilf selber genaht dem großen Beginnen.
Laß den sterbenden schaun, wie ich blutige Waffen ihm raube,
Und als Sieger mich kenne das brechende Auge des Turnus!

Hoch vernahm den Jüngling der Gott und den schwellenden Seufzer

465   Zwängt' er in innerster Brust; es entrolleten eitele Thränen.
Jetzo begann zu dem Sohne mit freundlichen Worten der Vater:

Fest steht jedem sein Tag; nur kurz ist und unersetzlich
Allen das Leben bestimmt: doch Ruhm ausdehnen durch Thaten,
Das ist der Tugenden Werk. Vor Trojas türmenden Mauern

470   Sanken der Göttersöhne so viel; ja selber Sarpedon
Sank zugleich, mein teures Geschlecht. Auch rufet den Turnus
Sein Schicksal; er erreichte das Ziel des gegebenen Alters.

Sprach's und wandte die Augen hinweg von den Rutulerfeldern.
Pallas aber entschwingt mit gewaltiger Stärke den Wurfspieß,

475   Und der gehöhleten Scheid' entreißt er die funkelnde Klinge.
Jener im Flug, wo der Schulter die obere Rüstung emporsteigt,
Stürmet hinein, und, Bahn durch den Rand des Schildes sich brechend,
Streift er zuletzt auch ein wenig vom mächtigen Leibe des Turnus.
Jetzt hob Turnus den Schaft mit spitz vorstarrendem Eisen,
480   Wog ihn lang' auf Pallas und schnellete, also beginnend:

Schau nunmehr, ob vielleicht durchdringender unser Geschoß sei!
Jener sprach's; und den Schild, den so viel Eisen und Erze
Wölbeten, den so häufig umlief die bedeckende Stierhaut,
Schmetterte mitten die Spitze hindurch mit erschütterndem Schlage,

485   Drang durch des Panzers Verzug und bohrt' in die ragende Brust sich.
Jener rafft sich umsonst das heiße Geschoß aus der Wunde;
Gleich und desselbigen Weges erfolgt mit dem Blute der Odem.
Ach er stürzt' auf die Wund'; ihn umtönt die rasselnde Rüstung;
Feindliches Erdreich knirscht der Sterbende, blutigen Mundes.
490   Über ihm steht nun Turnus genaht:

Arkader, hört, beginnt er, und bringt mein Wort dem Euander,
Eingedenk; wie jener verdienete, send' ich ihm Pallas!
So viel Ehre das Grab, so viel die Beerdigung Trost hat,
Sei ihm geschenkt! Nicht hab' er um niedrigen Preis des Äneas

495   Gastfreundschaft! – So sprach er und links mit dem Fuß dem entseelten
Trat er den Leib, und raubt' ihm die Last des gewaltigen Gurtes
Und das geprägete Gräul: wie in einer Nacht der Vermählung
Jünglinge schändlich erwürgt hinsanken in blutigen Kammern:
Clonus, Eurytus Sohn, hatt' ihn aus Golde gemeißelt.
500   Froh ob solchen Gewinns siegprangt der Eroberer Turnus.
Menschliches Herz, unkundig des Schicksals, welches bevorsteht,
Und zu bewahren das Maß, wann glückliche Tag' es erheben!
Schaun wird Turnus die Zeit, da teuer erkauft er zurückwünscht
Pallas den unverletzten, da jener Gewinn und der Tag ihn
505   Angraut. Aber die Freunde mit herzlichen Thränen und Seufzern
Tragen, gelegt auf dem Schilde, zurück im Gefolge den Pallas.
O du, Schmerz heimbringend und herrliche Ehre dem Vater!
Dieser Tag hat zuerst dich dem Kriege geschenkt und geraubet,
Doch du ließest gestreckt unermeßliche Rutulerhaufen.

510  

Nicht mehr Ruf von so herbem Verlust, schon sichere Währschaft
Fliegt dem Äneas daher: auf der schmalesten Scheide des Todes
Wanke sein Volk: nun gelt' es, geschlagene Teucrer zu retten.
Alles Begegnende mäht er mit Stahl und breit in die Heerschar
Hauet er brennend sich Bahn querdurch, dich, Turnus, von frischem

515   Morde gebläht, dich suchend. Ihm schwebt Euander und Pallas,
Hell ihm alles vor Augen: der Tisch, dem zuerst er ein Fremdling
Dort genaht, und die Treue der Hand. Von dem Stamme des Sulmo
Vier der Jünglinge nun, und gleich viel Söhne des Ufens,
Rafft er lebend hinweg, daß dem Geist er opfere Sühnung,
520   Und ihm der lodernde Brand mit gefangenem Blute gesprengt sei.
Fern nun hatt' er auf Magus die feindliche Lanze gerichtet;
Der taucht unter mit List, und über ihn bebt das Geschoß hin.
Dann ihm die Knie' umfassend beginnt er also in Demut:

Ach bei dem Vater, der starb, bei dem blühenden Erben Iulus,

525   Fleh' ich, erhalt' dies Leben dem Sohne zugleich und dem Vater!
Hoch ist das Haus; drin liegt mir geheim von gemeißeltem Silber
Manches vergrabne Talent; ich habe gebildeten Goldes
Und ungebildetes viel. Nicht hierauf ruht ja der Teucrer
Sieg, noch kann ein Leben so viel zur Entscheidung hinzuthun.

530  

Magus sprach's; und Äneas erwiderte solches dagegen:
Was du von vielen Talenten an Gold' und Silber mir rühmest,
Spare den Kindern daheim. Den Erkauf des Krieges hat Turnus
Aufgehoben zuerst, gleich als ihm Pallas dahinsank.
So auch meint Anchises, der starb, so meint es Iulus.

535  

Dieses gesagt, ergreift er den Helm mit der Linken, zurück dann
Biegt er des Flehenden Hals und fügt bis zum Hefte das Schwert ein.
Nah ihm Hämonidus auch, der latonischen Zwillinge Priester,
Dem mit heiliger Binde die Schläf' einhüllte der Festschmuck,
Ganz umstrahlt von Gewand' und ausgezeichneter Rüstung.

540   Diesen verfolgt er im Feld', und jetzt den gesunkenen hochher
Opfert er, weitumschattend den strahlenden; aber Serestus
Trägt die gesammelte Wehr, dir, Herrscher Gradivus, ein Siegsmal.
Wieder erneun das Gefecht der Sproß des vulkanischen Stammes
Cäculus, und, der gekommen aus marsischen Waldungen, Umbro.
545   Ilions Held tobt gegen sie. Rasch mit dem Stahle dem Anxur
Schlug er die Link' in den Staub und ganz den gewölbeten Schild hin.
Etwas größeres hatt' er gesagt und dem Worte gewähnet
Kraft zu verleihn, und mochte den Geist aufschwingen zum Himmel,
Da er graues Haar sich verhieß und Jahre in Fülle.
550   Tarquitus jetzt frohlockend daher in leuchtender Rüstung,
Dryopes Sohn, der Nymphe, vom waldeinsiedelnden Faunus,
Bot auf dem Wege sich dar dem entflammeten; er, mit der Lanze
Weit ausholend, verhaftet den lastenden Schild und den Harnisch.
Dann sein Haupt, da umsonst er fleht' und vieles zu reden
555   Trachtete, stürzt er zur Erde hinab; und den laulichen Rumpf fort
Wälzend im Staub', erhebt er die feindlichen Worte darüber:

Lieg' hier, Schrecklicher, nun! Nicht birgt dich die teuere Mutter
Unter der Erd', und bedeckt mit dem Vatergrabe den Leichnam!
Wildem Gevögel zurück hier bleibest du, oder im Strudel

560   Trägt dich die Flut, und die Wunden umnagen dir hungrige Fische!

Stracks auf Antäus und Lucas, im vordersten Treffen des Turnus,
Rennt er, auf Numa den starken, und dich, blondlockiger Camers,
Vom großherzigen Volscens gezeugt: der an Acker begütert
War vor allen Ausonen, und herrscht' in der stillen Amyclä.

565   Wie an Gestalt Ägäon, dem hundert Arme sich, sagt man,
Hundert Hände geregt, und aus fünfzig Rachen Entflammung
Lodernder Brüste gebrannt, da er, Zeus Glutstrahlen entgegen,
So viel rasselnde Schilde zugleich und Schwerter emporschwang:
Also durchtobte das Feld ringsum obsiegend Äneas,
570   Als einmal ihm erwarmte der Stahl. Schau, wider Niphäus
Trabendes Vierspann jetzt, und die Brust des begegnenden strebt er;
Aber sobald den lang anschreitenden, drohenden Stürmer
Sahen die Ross', umkehrend vor Angst und zurück sich entreißend,
Schütten den Lenker sie aus und entfliehn mit dem Wagen zum Ufer.
575   Lucagus sprenget indes mit schneeweiß prangendem Zweispann,
Liger der Bruder zugleich, in das Feld; doch der Bruder mit Zügeln
Lenket die Ross', und umher schwingt Lucagus feurig die Klinge.
Nicht ertrug Äneas die trotzig stürmenden Brüder,
Vorwärts rennt er und steht machtvoll mit empfangender Lanze.
580   Liger darauf:

Nicht Diomedes Gespann, nicht schaust du den Wagen Achilles,
Oder die Phrygierflur. Gleich Ende des Kriegs und des Lebens
Giebt man in Landen allhier! – So frech vom rasenden Liger
Flogen die Wort' umher. Doch nicht der troische Heros

585   Stellt ihm Worte darauf, mit dem Wurfspieß sendet er Antwort.
Lucagus, wie er, zum Schlag vorwärts mit der Waffe sich dehnend,
Treibt sein Doppelgespann, wie dem Kampf er sich mutig bereitet,
Links vorstellend den Fuß; ein dringet der Speer durch den untern
Rand des leuchtenden Schildes und links durchbohrt er den Schoß ihm.
590   Taumelnd entstürzt er dem Wagen und wälzt im Gefilde sich sterbend.
Aber der fromme Äneas erhebt den bitteren Ausruf:

Lucagus, nicht hat den Wagen der säumigen Rosse Verrat dir
Etwa gekränkt, noch gewendet vom Feinde ein nichtiges Blendwerk;
Selbst ja in Sprung von den Rädern entfliehest du. – Dieses gesaget,

595   Faßt er das Doppelgespann. Doch wehrlos streckte die Hände
Sein unglücklicher Bruder, entrollt demselbigen Wagen:

Bei dir selbst, bei jenen, die dich, solch einen, gezeuget,
Laß, trojanischer Held, mir die Seel' und erbarm' dich des Flehens.

Als er noch mehreres bat: Nicht solcherlei, saget Äneas,

600   Sprachst du zuvor; nun stirb und brüderlich folge dem Bruder!
Dann mit der Kling' entschloß er die Brust und die Kammer des Lebens.

Also durch die Gefilde verstreuete Leichen der edle
Dardanerfürst; wie ein Strom des Gebirgs, wie die nachtende Windsbraut,
Wütet' er. Dort nun brechen sie aus, und, das Lager verlassend,

605   Stürmt mit Ascanius vor die umsonst belagerte Jugend.

Juppiter wendet indessen das Wort freiwillig zur Juno:
Du mir leibliche Schwester zugleich und teuerste Gattin,
Wie du geglaubt, nur Venus (und traun nicht täuscht dich die Meinung)
Hält die troische Macht aufrecht, nicht streitbarer Männer

610   Regsame Hand, und ein Mut voll Trotz ausharrend in Mühsal!

Juno bescheiden darauf: Was, o holdseliger Gatte,
Quälst du die leidende doch, die dir ernstredendem zittert?
Wäre mir so, wie vordem sie war, wie zu sein auch geziemte,
Macht in der Liebe noch jetzt, nicht würdest du das ja mir weigern,

615   Du, der alles vermag, daß dem Kampf ich entzöge den Turnus,
Und unbeschädiget ihn zu Daunus führte, dem Vater.
Sterb' er demnach und büße mit redlichem Blute den Teucrern!
Doch wird jenem der Nam' aus unserem Stamme geleitet,
Und ihm ist Pilumnus der Ahnherr vierter. Wie oft auch
620   Hat er mit reichlicher Hand dir Gaben gebracht in die Tempel!

Da antwortet der König des ätherhellen Olympus:
Wird nur Frist und Verzug des nahenden Todes dem Jüngling,
Der bald sinket, erfleht; und du meinst, so mög' ich es ordnen:
Rette den Turnus durch Flucht und entreiß ihn dem drängenden Schicksal.

625   So weit ist willfahren erlaubt. Doch wo tieferer Anspruch
Unter dem Flehn sich versteckt, und du wähnst, ganze werde verrückt nun
Oder geändert der Krieg, dann nährest du eitele Hoffnung.

Juno mit Thränen darauf: Ach wenn, was die Stimme mir abschlägt,
Gäbe das Herz, und dem Turnus bestätiget bliebe das Leben.

630   Doch des unsträflichen harrt nichts heilsames; oder von Wahrheit
Fernt mich Schein! O möchte vielmehr mich falsche Besorgnis
Täuschen, und du, der es kann, zum besseren lenken den Vorsatz!

Als sie die Worte gesagt, ungesäumt vom erhabenen Himmel
Eilte sie, führend den Sturm, mit Gewölk umgürtet, die Luft durch;

635   Und zu dem Ilierheer und Laurentierlager gelangt sie.
Dann aus gehöhleter Wolk' ein kraftlos wankendes Luftbild
Ähnlichet sie dem Äneas, ein seltsames Wunder dem Anblick;
Leiht dardanische Waffen, auch Schild und mähnigen Helmbusch,
Ganz wie des göttlichen Mannes gefälscht; giebt nichtige Worte,
640   Giebt unbedeutenden Hall und ahmt des wandelnden Tritt nach:
So wie man sagt, daß im Tod' Abbildungen schweben des Leibes,
Oder betäubeten Sinnen ein Traum vorgaukelt mit Täuschung
Fröhlich voran nun hüpft das Phantom den vordersten Schlachtreihn,
Fordert heraus mit Geschossen den Mann und reizet mit Ausruf,
645   Ein dringt Turnus mit Macht und die schwirrende Lanze von fernher
Schleudert er: jenes entzeucht mit gewendetem Rücken den Fußtritt.
Jetzo sobald den Äneas in Flucht gewendet zu schauen
Turnus wähnt', und das Herz von stürmischer Hoffnung ihm aufschwoll:

Wohin fliehst du, Äneas? Verlaß doch die Kammer der Braut nicht!

650   Dieser Arm wird geben das Land, das durch Meere du suchtest?

Also hebt er die Stimm' und verfolgt und erregt die gezogne
Kling' in der Hand, nicht sehend, es trag' ihm die Freude der Wind hin.

Dort stand eben ein Schiff an dem Saum des erhabenen Felsens,
Festgeknüpft und die Leiter gestreckt und die Brücke gefertigt:

655   Das von Clusiums Orten den König Osinius hertrug.
Dorthin rennt das Phantom des gejagten Äneas und angstvoll
Schlüpft's in die Winkel hinein: nicht säumiger folget ihm Turnus;
Alles, was hemmt, durcheilt er und springt hoch über die Brücke.
Als er das Vorschiff eben berührt, reißt Juno das Seil ab,
660   Daß der gelösete Kiel in durchwanderte Fluten zurückstürmt.
Jenen indes, den entfernten, verlangt Äneas zum Kampfe:
Und der begegnenden Männer entsendet er viele dem Orcus.
Nicht mehr bergende Winkel erspäht das leichte Phantom nun,
Sondern es fliegt in die Luft und birgt sich in dunkele Wolken,
665   Weil den Turnus im Raume des Meers umtreibet der Strudel.
Rückwärts schaut er befremdet und undankbar der Errettung;
Beid' erhebt er die Händ' empor zu den Sternen mit Ausruf:

O allmächtiger Zeus, so großer Erniedrigung würdig
Achtest du mich und gebeutst, die schmähliche Strafe zu dulden?

670   Wo doch hin und woher? wie zurück und in welcher Gestalt fliehn?
Darf ich noch einmal sehn die Laurentierstadt und das Lager?
Wie dann sämtlich die Männer, die mir zum Streite gefolgt sind?
Und die ich all', o Schand' in dem gräßlichen Tode zurückließ!
Die ich zerstreut nun seh' und der Fallenden Jammergeschrei nun
675   Höre! Was thun? O welcher genug unergründliche Abgrund
Öffnet sich mir? Mitleidig erbarmt euch meiner, o Winde!
Felsen hinan und Geklipp (ich wünschender Turnus, ich fleh' euch!)
Traget das Schiff und drängt es in schreckliche Watten der Syrte,
Wo kein Rutuler, kein mitkundiger Ruf mich erreichet!
680   Jener sprach's, und im Geist bald hier, bald woget er dorthin:
Ob er sich selbst in den Stahl sinnlos ob solcher Entehrung
Stürz' und die Rippen hindurch die blutige Klinge sich treibe;
Ob in die Flut er tauche den Sprung und schwimmend des Ufers
Krümmen erstreb' und wieder den teucrischen Waffen sich stelle.
685   Dreimal beschloß er beides, doch dreimal hielt die erhabne
Juno zurück und hemmt' in dem Mut mitleidig den Jüngling.
Günstige Flut durchschlüpft er im Meer und am wallenden Ufer,
Bis zu der altenden Stadt des Vaters Daunus er anlangt.

Aber auf Zeus Anregung erhebt sich Mezentius jetzo

690   Flammenden Muts in die Schlacht und bestürmt frohlockende Teucrer.
Ringsher rennt Tyrrhenergewühl, und all' auf den einen
Drängen sie, all' auf den einen mit Haß und umtobenden Waffen.
Er, wie ein trotziger Fels, der weit vorragt in die Meerflut,
Ausgesetzt den Orkanen in Wut und dem brandenden Abgrund,
695   Alle Gewalt und Drohung des Meers aushält und des Himmels,
Und unbewegt dasteht: so Hebrus, den Sohn Dolichaons,
Streckt er in Staub, und den Latagus auch, und den flüchtigen Palmus:
Latagus, dir mit dem Stein und dem mächtigen Steine des Berges
Überdeckt er das volle Gesicht; anschneidend den Kniebug,
700   Läßt er den Palmus sich winden gelähmt; und die Waffen dem Lausus
Schenkt er zu hüllen den Leib und den wallenden Busch auf den Scheitel.
Auch Euanthes den Phryger sodann, auch Mimas, des Paris
Kriegsfreund, gleich an Geburt. denn in einer Nacht, da Theano
Ihn dem Amycus gab, da gebar, von der Fackel gefüllet,
705   Cissens Tochter den Paris: es sank an der Veste des Vaters
Paris; doch diesen empfängt die laurentische Fremde, den Mimas.
So wie dort von den Hunden gehetzt anstürmet der Eber
Hoch vom Gebirg', ihn haben des Vesulus Fichten beherbergt
Viele Jahr', ihn viele der Sumpf der Laurentier; feist nun
710   Kommt er vom Dickicht des Rohrs; sobald in die Garn' er gelanget,
Stutzt er und schnaubt unmutig, und sträubt hochborstig die Bug' auf;
Dann hat keiner das Herz, ihm zu nahn noch entgegen zu wüten;
Fernher werfen sie Spieß' und bedräun mit sicherem Ausruf;
Doch er geht unverzagt und säumt nach jeglicher Seite,
715   Knirscht mit den Zähnen erboßt und schüttelt die Speer' aus dem Rücken:
Also jetzt, wie gerecht sie der Zorn auf Mezentius anreizt,
Hat nicht einer den Mut, mit gezogenem Stahl zu begegnen;
Nur mit Geschoß ringsher und des Grimms Ausrufungen kämpft man.

Unter dem Heer war Acron, aus Corythus altem Bezirke,

720   Grajer von Stamm, hereilend von unvollbrachter Vermählung.
Als er diesen gesehn, wie er fern die Geschwader durchwühlte,
Rot von der Feder umstrahlt und der Braut meerpurpurnem Festkleid:
So wie der hungrige Leu, der oft um ein hohes Geheg' irrt,
(Denn ihn erregt wutvolle Begier), wenn ein flüchtiges Reh ihm
725   Vorkommt, oder ein stolz im Geweih aufragender Kronhirsch,
Froh sich erhebt, weit dehnet den Schlund und die Mähnen emporsträubt,
Dann fest über dem Fleisch daliegt; graß triefet des Würgers
Rachen von Blut:
Also stürzt in der Feind' Andrang sich Mezentius freudig.
730   Acron sinkt, der Arme, dahin, und schlägt mit der Ferse
Dunkeles Land, ausatmend, und färbt den zerbrochenen Wurfspieß.
Doch nicht jenen zu strecken, der scheu hinfloh, den Orodes,
Achtet er wert, noch blind mit geworfenem Stahl zu verwunden,
Grad' ins Gesicht ihm gewandt, und Mann dem Manne begegnend,
735   Kämpft er und siegt, der Erschleichung zu stolz, durch tapfere Waffen.
Dann auf den Hingeworfnen mit Fuß sich stemmend und Lanze:
Männer, da liegt, unverächtlich im Streit, der Trotzer Orodes.
Jauchzend erhöhn die Genossen zugleich den fröhlichen Päan.

Er schweratmend darauf: Nicht straflos wirst du, o Sieger,

740   Wer du auch bist, dich meiner noch lang' erfreuen; auch dir schon
Ruft ein gleiches Geschick, bald nimmst du den selbigen Grund ein.

Ihm Mezentius so mit des Unmuts bitterem Lächeln:
Stirb nur! um mich dann möge der Götter und Sterblichen Vater
Sich kümmern! – Sprachs und zog aus dem Leibe den Wurfstahl.

745   Harte Ruh drückt jenem das Aug' und eiserner Schlummer
Fest, und auf ewig verschließt die leuchtenden Blicke das Dunkel.

Cädicus schlägt den Alcathous nun, den Hydaspes Sacrator:
Rapo, Parthenius, dich und den weidlichen Orses; Messapus
Streckt den Clonius hin, und Lycaons Sohn Ericetes:

750   Jenen, der lag im Gefilde vom Sturz des entzügelten Rosses,
Ihn den wandelnden, wandelnd er selbst. Auch der Lycier Agis
Trat hervor; doch ihn streckt, nicht leer altahnlicher Tugend,
Valerus; Salius warf den Thronius, diesen Nealces,
Meister des Speeres sowohl, wie des fernher täuschenden Pfeiles,

755  

Gleich nun hatte den Gram und die wechselnden Tode der Wütrich
Mavors gestellt: nun hauten zur Wett' und sanken in Staub hin
Sieger sowohl wie Besiegte; nicht hier galt Fliehen und dort nicht.
Götter in Juppiters Burg schaun mitleidsvoll den vergebens
Ringenden Zorn und bedauern der Sterblichen drückendes Elend;

760   Dort blickt Cypria her, dorther die saturnische Juno;
Unter den Tausenden tobt die bleiche Tisiphone graunhaft.

Aber Mezentius geht und bewegt die gewaltige Lanze
Stürmisch einher im Gefilde. Wie ungeheuer Orion,
Wann er zu Fuß sich einher durch des weit umwallenden Nereus

765   Abgrund bahnet den Weg, mit der Schulter entragt den Gewässern;
Wie er, wann hoch vom Gebirg' er der Vorzeit Orne zurückträgt,
Unten den Boden betrat und das Haupt in den Wolken verschleiert:
So mit gewaltigen Waffen erhebt sich Mezentius machtvoll.
Aber Äneas sofort, wie er fern im Getümmel ihn wahrnahm,
770   Richtet entgegen den Gang. Der bleibt unerschrocken und furchtlos,
Harrt des erhabenen Feindes und steht durch eignes Gewicht fest.
Als er den Raum mit dem Blick abmaß, der dem Speere genug war:

Sei mir der Arm, als Gott, und der Wurfstahl, welchen ich schwinge,
Nun zum Schutz! Ich gelob', im eroberten Schmucke des Räubers

775   Sollst du, o Lausus, geschmückt mir hinfort des gewandten Äneas
Denkmal sein. – Er sprach's und die schwirrende Lanze von fernher
Schleudert er; aber im Flug von dem Schild' entprallt sie und weitab,
Unter der Brust in die Weiche, durchbohrt sie den edlen Antores.
Herkules Freund und Genoß, hatt' Argos Bürger Antores
780   Sich dem Euander gesellt und die Italerveste bewohnet.
Jetzo an fremder Wund' entsinkt der Arme, zum Himmel
Schaut er empor und denkt noch im Tod' an das liebliche Argos.
Nun auch schwingt Äneas den Speer: der die Rundung, von dreifach
Wölbendem Erze gehöhlt, und die leinenen Decken, und dreier
785   Farren gediegene Haut durchschmetterte; unten am Schoß dann
Haftet er, doch nicht trug er die Kraft mit. Eilig das Schwert nun,
So wie erfreut Äneas das Blut wahrnahm des Tyrrheners,
Reißt von der Hüfte der Held und erhitzt auf den bebenden dringt er.

Innig erseufzt', um den Vater bewegt, der kindliche Lausus,

790   Als er es sah; und Thränen entrolleten über das Antlitz.
Deinen traurigen Tod, und was du, Redlicher, thatest,
Wenn ja Glauben gewährt so erhabenem Werke die Nachwelt,
Werd' ich nie, noch dich, denkwürdiger Jüngling, verschweigen.

Jener, den Fuß abwendend, und unwirksam und verhaftet,

795   Zog sich zurück und schleppte den feindlichen Schaft in dem Schilde.
Vor nun stürmte der Jüngling und mischt' in die Waffen sich selber.
Und als schon mit der Rechten zum Streich Äneas sich aufschwang,
Rannt' er ihm unter die Klinge daher und jenen durch Säumnis
Hielt er auf. Nach folgten mit Kriegszuruf die Genossen,
800   Bis, gedeckt von der Tartsche des Sohns, wegginge der Vater;
Ringsher schnellt man Geschoß und verwirret den Feind aus der Ferne
Häufigen Wurfs. Äneas ergrimmt und hält sich bedeckt dort.
Und gleichwie, wenn ein Schauer einmal mit ergossenem Hagel
Stürzt vom Gewölk, auf dem Feld' ein jeglicher Pflüger umherflieht,
805   Jeglicher Bauer der Flur, und der Wanderer eilt in ein Obdach,
Teils am Ufer des Stroms, teils unter umwölbendem Felshang,
Während es regnet aufs Land, um bald, wann die Sonne zurückkehrt,
Fortzuschalten den Tag: so, rings von Geschossen umrasselt,
Hält Äneas die Wolke des Kriegs, bis verrase der Donner,
810   Standhaft aus, und den Lausus ermahnt, und den Lausus bedroht er:

Was doch zum Tode gerannt, und über die Macht dich erkühnet?
Frommes Gefühl, Achtloser, verleitet dich! –Aber nicht minder
Trotzt der Bethörte daher. Schon steigt dem dardanischen Fürsten
Höher der wütende Zorn, und die äußersten Faden dem Lausus

815   Spinnen die Parzen herab; denn es stößt Äneas dem Jüngling
Grade das mächtige Schwert durch den Leib, und gänzlich verbirgt er's.
Schneidend durchdrang es die Tartsche, des Trotzigen leichte Bewaffnung,
Und das Gewand, das die Mutter gestickt mit gesponnenem Golde;
Und ganz füllte den Busen das Blut; das veratmete Leben
820   Wich zu den Manen betrübt und verließ den erkaltenden Leichnam.
Doch als jener die Miene des Sterbenden, als er das Antlitz
Sah, der anchisische Held, das totenfarbige Antlitz,
Tief auf seufzet' er voll Mitleids und bot ihm die Rechte,
Und ihm brannt' in der Seele der Vaterliebe Gedächtnis.

825  

Was soll dir für solches Verdienst, unglücklicher Jüngling,
Was der fromme Äneas verleihn, so edler Natur wert?
Sein sei, welche dich freute, die Wehr; und dich zu der Väter
Schlummernden Seelen im Staube, wenn des ihr sorget, entsend' ich.
Doch wird dies, du Armer, den Gram des Todes dir lindern:

830   Daß durch Äneas du sankst, den gepriesenen. – Selbst dann ermahnend
Ruft er die zaudernden Freund' und hebt von der Erde den Jüngling,
Welcher mit Blut entstellte das Haar, nach der Weise geordnet.

Doch der Erzeuger indes am wallenden Strom Tiberinus
Wusch die versiegende Wund' in der Flut und labte die Glieder

835   Gegen den Stamm sich lehnend des Baums. Seitab an den Ästen
Hängt der eherne Helm, schwer ruht auf dem Anger die Rüstung.
Heldenjünglinge stehen umher; mattatmend und kraftlos
Stützt er den Hals, umflossen die Brust von der Länge des Bartes.
Oftmals fragt er nach Lausus, und oftmals, daß man ihn rufe,
840   Sendet er, daß man ihm melde den Wunsch des traurigen Vaters.
Tot schon tragen den Lausus die Seinigen über der Rüstung,
Weinend den mächtigen Jüngling, von mächtiger Wunde besieget.
Ferne verstand ihr Klagen das unglückahnende Herz gleich.
Ganz mit Staub' entstellt er das grauende Haar, und beide
845   Streckt er die Hände zum Himmel empor und hängt an dem Leichnam.

Hielt so große Begier mich, o Sohn, an das Leben gefesselt,
Daß ich der feindlichen Hand vortreten für mich den Erzeugten
Ließ? Durch deine Wunden bin ich, der Erzeuger, gerettet?
Leben ist mir dein Tod? Ach nun erst fühl' ich mich elend,

850   So in die Fremde verbannt! nun drang tief ein mir die Wunde!
Selbst auch hab' ich den Namen, o Sohn, dir beflecket mit Vorwurf,
Ich durch Groll verstoßen vom Thron und Scepter der Ahnherrn!
Büßen dem Vaterland' und dem Hasse der Meinigen sollt' ich!
Hätte doch jeglicher Tod mein schuldiges Leben geendet!
855   Nun leb' ich, und noch immer das Licht und die Machen verlass' ich!
Aber ich will! – So rufend, erhob er zugleich auf die kranke
Hüfte sich; und, wie der Schmerz in der tiefen Wund' ihn gelähmet,
Doch nicht sinket der Mut; und das Roß ihm zu führen gebeut er.
Dies war Zier ihm und Trost, dies trug aus jeglicher Schlacht ihn
860   Siegreich. Jetzo gewandt zu dem trauernden, redet er also:

Rhäbus, lange genug, wenn etwas Sterblichen lang' ist,
Lebten wir! Heut entweder mit Sieg mir die blutige Rüstung
Bring' und das Haupt des Äneas zurück, und die Schmerzen um Lausus
Räche mir; oder, wofern uns Durchgang keine Gewalt bricht,

865   Dann erliege zugleich! Denn nie, o du tapferster, glaub' ich,
Würdigst du fremde Befehl' und gebietende Teucrer zu dulden!

Sprach's, und empfahn von dem Rücken des willigen, nahm er gewohnte
Stellung, und jegliche Hand beschwert er mit spitzigem Wurfstahl,
Leuchtend von Erz sein Haupt und umstarrt vom buschigen Roßschweif.

870   Also den Lauf in die Menge beflügelt' er. Wild miteinander
Wogt im Herzen die Scham und die tobende Wut und die Trauer,
[Und wahnsinnige Liebe zugleich und sich fühlende Tugend].
Dreimal rief er Äneas nunmehr mit gewaltigem Rufe.
Aber Äneas erkannt' ihn sogleich und betete fröhlich:

875  

Gebe der Ewigen Vater doch das, und der Herrscher Apollo,
Daß du den Kampf zu kämpfen beginnst!

Also sprach er und trat mit drohender Lanz' ihm entgegen.
Jener darauf: Was jetzt, da den Sohn du, Grausamer, raubtest,
Schreckst du mich? Das war einzig der Weg, wo vertilgen du konntest!

880   Nicht ja scheun wir den Tod, noch achten wir einen der Götter!
Endige! Selbst schon komm' ich zum Tod' und bringe dir diese
Gabe zuvor! – So rief er und schwang auf den Feind das Geschoß her.
Wieder ein anderes drauf und ein anderes schnellt er, und flieget
Im unmäßigen Kreis; doch es wehrt die goldene Wölbung.
885   Dreimal schwenkt er den Trab um den Stehenden links in die Runde,
Werfend Geschoß aus der Hand; dreimal in die Runde sich wendend,
Dreht auf dem ehernen Schilde die schreckliche Pflanzung Äneas.
Doch da so vielem Verzuge zu stehn, und so viel der Geschosse
Auszuziehn ihn verdreußt, und des Kampfs Ungleiche belästigt,
890   Manches erwägt er im Geist, und hervor nun bricht er, und zwischen
Beide gehöhlete Schläfen dem Streitroß schwingt er die Lanze.
Hochauf bäumt sich das Roß und schlägt mit den Hufen die Lüfte,
Und den geworfenen Reiter, ihm selbst nachfolgend verwirrt es,
Über ihn her vorwärts mit erhobenem Buge sich stürzend.
895   Hochauf lodert zum Himmel der Lärm von Latinern und Troern.
Rasch ist Äneas zur Stell' und das Schwert aus der Scheide sich raffend,
Redet er: Wo ist nun der verwegne Mezentius, wo nun
Jener verwilderte Mut? – Ihm jetzt der Tyrrhener, da aufwärts
Schauend zur Luft er Atem geschöpft und Besinnung zurückkam:

900  

Bitterer Feind, warum so gehöhnt und mit Tode gedrohet?
Ist in dem Morde denn Schimpf? Nicht also kam ich zum Kampfe;
Noch hat mir solchen Vertrag mit dir mein Lausus gestiftet!
Dies nur, wofern ist Gnade besiegeten Feinden, erfleh' ich:
Laß mir Erde bedecken den Leib! Mich umdränget, ich weiß es,

905   Herbe der Meinigen Haß: halt ab, ich flehe, die Wut doch,
Und mir gönne, gesellt mit dem Sohn, zu ruhen im Grabmal!

Sprach's und empfängt in der Kehle den nicht unerwarteten Mordstahl,
Und mit dem wallenden Blut auf die Rüstungen strömt er die Seel' aus.


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