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Äneas besucht bei Cumä die Sibylla Deïphobe, die ihm große Kriege weissagt, und zum Gange in die Unterwelt einen goldenen Zweig und Entsündigung wegen des toten Misenus fordert. Als Äneas die Bäume zur Bestattung fällt, zeigen ihm Tauben den Zweig, womit er samt der Sibylla am Avernus hinabsteigt. Vorn mancherlei Grauengestalten. Dann Seelen um Charons Boot, darunter umgekommene Freunde und Palinurus. Nach der Überfahrt: Cerberus; Kinderseelen; unschuldig Verurteilte; Selbstmörder, unglücklich Liebende, mit Dido; edle Krieger, samt Deiphobus. Links den Schlund des Tartarus mit gepeinigten Verbrechern lassend, gehen sie rechts zu Plutos Palast, wo Äneas den Zweig anheftet; dann zu den Frommen in Elysium. Anchises zeigt dem Sohne die Seelen seiner Nachkommen in Alba und Rom bis zu Augustus und Marcellus, und giebt ihm Rat über die bevorstehenden Kriege. Rückkehr durch die elfenbeinerne Pforte. Äneas fährt nach Cajeta.
Also ruft er mit Thränen und giebt der Flotte die Zügel, Und zum euböischen Strande von Cumä gleitet er endlich. Meerwärts drehn sie die Schnäbel der Schiff', und mit fassendem Zahne Beißt der Anker den Grund; am Gestad' hin stehn die gewölbten |
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5 | Hinterverdecke gereiht; und die Jünglinge schwingen voll Freud' sich An den hesperischen Strand. Teils suchen sie Samen des Feuers, Tief im Kieselgeäder versteckt, teils raffen sie Waldung, Dichte Gewölbe des Wilds; und gefundene Strömungen zeigt man. Aber der fromme Äneas besucht des erhabnen Apollo |
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10 | Heilige Höhn und ferne der schauderhaften Sibylla Ungeheuere Kluft, der höheren Geist und Empfindung Delos Gott einhaucht, der Prophet, und öffnet die Zukunft. Schon in der Trivia Hain und die goldenen Wohnungen gehn sie. Dädalus, wie man erzählt, da er floh aus dem Reiche des Minos, |
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15 | Kühn auf hurtigen Schwingen sich anzuvertrauen dem Himmel, Schwamm in der seltsamen Fahrt zu den frostigen Bärinnen aufwärts; Über der chalcischen Burg stand endlich der schwebende Künstler: Wo er, zuerst umkehrend zum Grund, dir, Phöbus, der Luftfahrt Rudernde Flügel geweiht und erbaut den gewaltigen Tempel. |
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20 | Hier an der Pfort' Androgeos Tod; und die Bürger des Cecrops, Duldend die traurige Straf', als jährigen Zins zu entrichten Sieben gelosete Söhn'; auch steht die Urne der Ziehung. Dort entgegen erhebt sich im Meer das gnosische Eiland: Wo die gräßliche Liebe des Stiers, und Pasiphae, heimlich |
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25 | Zugeführt, und das Zwittergeschlecht, und der doppelte Sprößling Minotaurus erscheint, ein Denkmal schmählicher Buhlschaft. Dort das gekünstelte Haus, und der unauswirrbare Irrgang; Aber er sah mit Erbarmen die liebende Königestochter, Dädalus, und selbst löst' er den irrenden Trug des Verschlosses, |
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30 | Da das Gewirr sein Faden enträtselte. Teil an dem Kunstwerk, Icarus, hättest auch du, nicht wenigen, gönnte der Schmerz ihn! Zweimal wagte der Vater in Gold zu bilden den Unfall; Zweimal sank dem Vater die Hand. – Ja das weitere alles Forscht' ihr wandernder Blick, wenn nicht der entsandte Achates |
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35 | Kam, und Deïphobe mit, der Trivia und des Apollo Priesterin, Tochter des Glaucus; die also sprach zu dem König: Nicht ist dieses die Zeit, die solche Betrachtungen fordern. |
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Also gebot dem Äneas die Priesterin; schnell von den Männern |
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45 | Jetzt war die Mündung erreicht, da die Jungfrau: Fordert das Schicksal! Ausrief; der Gott! o schauet, der Gott! Wie sie solches am Eingang Redete, plötzlich erschien nicht frühere Farbe, noch Antlitz, Nicht in geordneten Locken das Haar: nein, keuchend der Busen, Heftig in Wut aufschwellend das Herz, auch höher das Ansehn, |
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50 | Und nicht sterblich der Ton; als nun sie des mächtigen Anhauchs Füllte der nähere Gott. Du säumst, mit Gelübden zu flehen, Rief sie, o Troer Äneas, du säumst? Nicht eher ja öffnet Weit sich der schaudernden Wohnung Geklüft! Da sie solches geredet, Blieb sie verstummt, und kalt durch Mark und Gebeine den Troern |
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55 | Bebte das Graun: jetzt fleht' aus innerstem Herzen der König:
Phöbus, du stets ein Erbarmer der schwer ausduldenden Troja, |
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60 | Sah ich Massyliervolk und von Syrten umgebene Fluren. Endlich gewinnen wir nun Italias fliehende Ufer. Möge bis hierher uns das troische Schicksal gefolgt sein! Ihr auch, jetzo geziemt's, o schont des pergamischen Volkes, Götter und Göttinen alle, die Ilions Größe gekränkt hat, |
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65 | Und Dardanias Ruhm. Und du, o hehre Prophetin, Ahnerin kommender Ding', o gieb, (nicht Reiche verlang' ich, Die mein Los mir versagt,) daß in Latium wohnen die Teucrer, Und umirrende Götter, und flüchtige Mächte von Troja! Einen marmornen Tempel der Trivia und dem Apollo |
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70 | Ordn' ich hinfort, und Feste, genannt vom Namen des Phöbus. Dein auch harrt ein Ehrengemach in unserem Reiche. Wo ich, Erhabne, die Los', und wie viel des geheimeren Schicksals Meinem Volk du gesagt, hinleg', und erkorene Männer Heilige. Nur nicht Blättern vertraue du deine Orakel, |
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75 | Daß nicht, Winden ein Raub, sie verwirrt durcheinander zerfliegen; Rede mir, fleh' ich, du selbst! – So hemmt' er die Rede des Mundes. Aber von Phöbus Gewalt ungebeugt noch, tobt die Prophetin |
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80 | Rasen, und zähmt der Empörten das Herz, und ein Bändiger zwängt er. Schnell sind geöffnet die hundert gewaltigen Gänge der Wohnung, Alle von selbst, und tragen zur Luft der Seherin Antwort: O der du endlich des Meers graunvolle Gefahren erschöpft hast! |
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85 | Kommt der Dardaner Volk; laß fahren die Sorg' aus dem Herzen; Doch nicht wünscht es gekommen zu sein! Krieg', schaurige Kriege Schau' ich, und tief gerötet mit Blut aufschäumen den Thybris. Nicht wird Xanthus und Simois dir, noch ein dorisches Lager Fehlen; da ist schon auch im latischen Land' ein Achilles, |
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90 | Sohn der Göttin auch er. Nie weicht, feindselig den Teucrern, Juno hinweg: wann du, demütig in harter Bedrängnis, Ach, welch Italervolk, was nicht anflehest für Städte! Quelle des Leids ist wieder ein Weib, Gastfreundin der Troer, Auswärts wieder ein Ehegemach. |
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95 | Nicht nachgeben dem Leid, nein noch kühnherziger angehn, Wo nur Bahn dein Los dir vergönnt! Des Heiles Beginn wird, Was du am wenigsten träumst, von der griechischen Stadt sich eröffnen. Also ruft aus dem hehren Geklüft die Seherin Cumas, |
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100 | Wahre Laut' in Dunkel gewirrt: so schüttelt des Wahnsinns Zügel mit Macht, so bohrt in die Brust ihr den Stachel Apollo! Doch wie vertobte die Wut, und der rasende Mund sich beruhigt; Jetzo begann Äneas der Held: Von keinerlei Drangsal, Jungfrau, steigt die Gestalt mir neu auf, noch unerwartet. |
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105 | Alles erwog ich zuvor, und wandt' im Herzen den Vorsatz. Eins nur fleh' ich: da hier des unteren Königes Pforte Preiset der Ruf, und das dunkle Gesümpf aus Acherons Aufsturz; Sei, dem Blicke zu nahn und dem Munde des teueren Vaters, Jetzo vergönnt; du führ' und öffne den heiligen Eingang. |
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110 | Jenen hab' ich durch Flammen und tausend verfolgende Waffen Selbst auf der Schulter entrafft und hervor aus dem Feinde gerettet; Jener, mir stets des Weges Genoß, hat alle Gewässer, Alle die Schrecken mit mir, von dem Meer und dem Himmel, ertragen, Er, der Schwächliche, über das Los und die Kräfte des Alters. |
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115 | Ja, daß demutsvoll ich dir fleht' und deiner Behausung Nahete, hat er mich bittend ermahnt. O des Sohns und des Vaters, Edle, erbarme dich jetzt! du vermagst ja alles; umsonst nicht Gab auch Hekate dir die avernischen Haine zur Obhut. Wenn zu entrufen vermochte den Geist der Vermähleten Orpheus, |
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120 | Kühn durch der thracischen Laute Gewalt und melodische Saiten; Wenn vom wechselnden Tode den Bruder erlösete Pollux, Und oft geht und kehret den Weg: was gedenk' ich des Theseus? Was der herkulischen Kraft? Auch mir ist Juppiter Urahn. Als mit solcherlei Worten er fleht' und den hohen Altar hielt, |
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125 | Jetzo begann zu reden die Seherin: Göttergeschlecht du, Troer, anchisischer Sproß, leicht geht es hinab zum Avernus; Nachts ist offen und tags die Pforte des dunkelen Pluto. Doch umwenden den Schritt, und zu oberen Lüften hinaufgehn, Das ist Arbeit und Müh'. Nur Lieblinge, welche sich auskor |
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130 | Juppiter, oder verklärt aufschwang zu dem Äther die Tugend, Konnten es, Göttern entsproßt. Rings Waldungen sperren den Zugang, Und mit düsterer Bucht der umfließende Strom den Cocytus, Drum wenn solch ein Verlangen dem Geist, wenn solche Begier ist, Zweimal zu schwimmen auf stygischer Flut, und des Tartarus Dunkel |
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135 | Zweimal zu schaun, wenn Freude dir schafft solch thörichte Kühnheit: Lerne, was Not ist zuvor. In dumpfiger Dichte des Baumes Sproßt mit goldener Windung ein Zweig und goldenen Blättern, Drunten der schrecklichen Juno geheiliget. Diesen bedeckt rings Wildernder Hain, ihn schließen in dämmernde Schatten die Thäler. |
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140 | Doch nicht eher gelingt's in der Erd' Abgründe zu steigen, Als bis einer des Baums goldlaubigen Schößling sich abbrach. Diesen verlangt die schöne Proserpina, als ihr erkornes Ehrengeschenk. Ist der erste getrennt, nicht fehlet ein andrer Goldener, und es belaubt sich ein ähnlicher Sproß des Metalles. |
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145 | Spähe denn hoch mit den Augen umher, und brich den gefundnen Wohl mit der Hand. Denn er selbst wird leicht dir folgen und willig, Wenn dich das Schicksal ruft: wenn nicht, wird keine Gewalt ihn Bändigen, noch dein Arm mit gehärtetem Stahl ihn erschüttern. Und zudem auch liegt dir des Freundes entseeleter Leichnam, |
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150 | (Ach noch weißt du es nicht!) der die sämtliche Flotte beflecket, Während du Rat hier holst, und an unserer Schwelle hier weilest. Diesen bestatte zuvor und gieb ihm ein ruhiges Plätzchen, Dann zur Entsündigung erst schwarzwollige Schafe geführet. Jetzo die stygischen Hain', und wohin kein Lebender wandelt, |
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155 | Hoffe zu schaun. Sie sprach's, und geschlossenen Mundes verstummt sie.
Aber Äneas, den Blick voll Trauer niedergeheftet, |
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160 | Vielfach redeten beid' im Wechselgespräch miteinander, Welchen entseeleten Freund die Seherin, wessen Bestattung, Fordere. Aber nunmehr den Misenus am trockenen Ufer Schauen die Kommenden dort vom kläglichen Tode getilget, Äolus Sohn Misenus, dem nie ein anderer vorging, |
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165 | Männer zu regen mit Erz und Streit mit Getön zu entflammen. Hektor war er Genoß, dem erhabnen, Hektor begleitend, Trug er die Kriegsdrommet' und die kriegrische Lanz' in der Feldschlacht. Doch als jenen des Lebens beraubt der Sieger Achilles, Hatte der tapfre Held sich dem Dardanerfürsten Äneas |
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170 | Angefügt ein Genoß, nicht schlechteren Teil sich erwählend. Nun, da einst durchhallte die Flut mit gehöhleter Muschel, Thörichter! und mit Getön die Unsterblichen einlud zum Wettstreit; Hatte ihn der eifernde Triton belau'rt (wenn glaublich die Sag' ist) Unter Geklipp, und den Mann in die schäumende Woge getauchet. |
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175 |
Alle demnach ringsher wehklageten laut um den Leichnam; |
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180 | Kiefern krachen im Sturz; es erschallt von den Äxten die Steineich'; Auch schlanksteigender Eschen Gebälk und klüftiges Stammholz Spaltet der Keil; man entrollt unmäßige Ornen den Berghöhn. Selbst auch schaltet Äneas voran in des Werkes Vollendung, Rings antreibend die Freund' und mit ähnlichen Waffen gerüstet. |
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185 | Und nun wälzet er dieses bei sich im traurigen Herzen, Schauend die Waldeinöd' endlos, und ruft im Gebet aus: Wenn doch jetzo sich uns der goldene Zweig an dem Baume |
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190 |
Kaum dies hatt' er gesagt, als ein Paar leichtfliegender Tauben Leitet mich ihr, ist etwa ein Weg, und einher durch die Lüfte |
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195 | Lenkt in die Haine den Lauf, wo reich dem triebsamen Boden Schattet der Sproß. Und du, o verlaß nicht, göttliche Mutter, Mich in der Not! – So rief er empor und hemmte den Fußtritt, Aufmerksam, was zeichne den Flug, wie verfolge die Richtung; Jene, zum Weiden gesenkt, entflatterten ferner und ferner, |
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200 | Daß die Verfolgenden leicht sie im Auge zu halten vermochten. Jetzt, da sie kamen zum Schlund' und starken Gedünst des Avernus, Heben sie rasch sich empor, und die lauteren Lüfte durchgleitend, Senken zum Sitz, o erwünscht! sich beid' auf den Wipfel des Baumes, Wo durch Grün abstechend der goldene Schimmer hervorblinkt. |
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205 | So wie in Waldungen oft bei winterndem Froste die Mistel Jugendlich grünet von Laub, die nicht aussäet ihr Stammbaum, Und mit feuriger Frucht um rundliche Äste sich breitet: Also war die Gestalt dem sprossenden Gold in der dunkeln Steineich', also klirrte das Blech im Säuseln des Windes. |
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210 | Hurtig ergreift Äneas den Zweig, und den schwankenden bricht er Gierig und trägt ihn zum Hause der ahnungsvollen Sibylla. Aber indes wehklagten die Teucrer am Strand um Misenus |
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215 | Stapelten sie hochauf das Gerüst; mit düsterem Reisig Werden die Seiten umwebt, und davor die Grabescypressen Aufgestellt, und die Höhe mit leuchtenden Waffen gezieret. Teils auch siedende Ström' und von Glut aufwallende Kessel, Fertiget man; und den Leib des Erkalteten bähn sie und salben. |
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220 | Wehklag' hallt. Dann ruht der Beweinete sanft auf dem Polster; Purpurfarbne Gewande darauf, die bekannte Umhüllung, Breiten sie aus; es erhebt ein Teil die mächtige Bahre, Trauriger Dienst – und unter den Stoß, nach der Weise der Väter, Halten sie zündende Fackel gewendet. Häufig verbrennt man |
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225 | Weihrauch, heilige Kost und gefüllete Kannen des Öles. Als die Asche nunmehr hinsank, und die Flamme verloschen, Wurde der Rest mit Weine getränkt und der schlürfende Glimmer; Sammelnd barg das Gebein in den ehernen Krug Corynäus; Dann mit Reinigungsflut dreimal umtrug er die Freunde, |
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230 | Sprengend mit duftigem Tau und dem Busch des glücklichen Ölbaums, Weihte die Männer umher und sprach die Worte des Abschieds. Aber der fromme Äneas erhebt ein gewaltiges Grabmal Über dem Mann, und sein' eigene Wehr, die Drommet' und das Ruder, Hart an dem luftigen Berge, der nun Misenus von jenem |
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235 | Heißt, und in ewige Zeit den dauernden Namen behauptet.
Dieses gethan, vollführt er sofort den Befehl der Sibylla. |
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240 | Fort sich zu schwingen im Flug: so streng' aus dunkeler Mündung Stets aushauchender Qualm stieg auf zum gewölbeten Himmel. [Deshalb wurde der Ort Aornos genannt von den Griechen.] Hier nun war's, wo zuerst vier dunkelleibige Farren Darstellt' und auf die Stirne die Priesterin neigte den Weinguß, |
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245 | Dann die obersten Haare, gerupft aus der Mitte der Hörner, Als der Sühnung Beginn, einlegt' in die heilige Flamme, Rufend der Hekate Macht, die im Himmel und Erebus waltet. Andere ziehn von unten die Kling' und empfahn in den Schalen Lauliches Blut. Selbst jetzo ein rings schwarzwolliges Lämmchen |
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250 | Würgt mit dem Schwerte der Held für der Furien Mutter und Tellus; Dir, Proserpina, würgt er die Kuh, unfruchtbar und fehllos. Nachtaltäre darauf dem stygischen König erbaut er, Leget sodann in die Flammen der Stier' ungeteilete Leiber, Fette des Öls aufgießend den brennenden Eingeweiden. |
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255 |
Aber o sieh, um die Helle der nahenden Sonn' und den Aufgang |
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260 | Doch du wandre den Pfad, und ziehe den Stahl aus der Scheide. Jetzt ist Mut, Äneas, dir not, jetzt männliche Fassung. Dies nur sprach sie und stürzte mit Wut in die offene Felskluft, Götter der Macht, die den Seelen gebeut, und verstummende Schatten, |
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265 | Chaos und Phlegethon auch, weitschweigende Orte des Nachtgrauns, Sei mir Gehörtes zu reden erlaubt, und mit euerer Vollmacht Aufzudecken, was tief Erdreich und Finsternis einhüllt! Beid' jetzt gehn sie dunkel die einsam schattende Nacht durch, |
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270 | Wie bei zweifelndem Lichte des Monds in kärglichem Schimmer Geht durch Waldung der Weg, wann trüb' umschattet den Himmel Juppiter, und rings alles entfärbt in Dämmerung schwebet. Selber am Eingang nun, und im vordersten Schlunde des Orcus, |
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275 | Blaß auch wohnen umher Krankheiten und trauriges Alter, Angst, und schmähliche Not, und übelratender Hunger: Grause Gestalten zu schaun! und der Tod und die ringende Mühsal: Dann der Bruder des Todes, der Schlaf, und des frevelen Herzens Hämische Freud'; vorn an der Schwelle des Kriegs mordtriefendes Scheusal, |
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280 | Eiserne Furienkammern zugleich, und die rasende Zwietracht Ihr durchschlängelte Haar von blutigen Binden gefesselt. Mitten erstreckt unmäßig die uralt ragenden Arme Ein dumpfschattiger Ulm, wo, sagt man, rings ein Gegaukel Nichtiger Träume verkehrt und jeglichem Blatte sich anschmiegt. |
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285 | Auch viel andere noch der vielfach schreckenden Wunder Hausen am Thor, Centauren und zweigestaltete Scyllen, Briareus, hundertfältig an Wuchs, und das Gräuel von Lerna, Hebend der Hälse Gezisch, und, mit Glut ankämpfend, Chimära, Auch Harpyien und Gorgonen, und du, dreileibiger Unhold. |
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290 | Hier von plötzlichem Schrecken bewältiget, faßt er das Eisen Schleunig, der Held, und gezückt den kommenden beut er die Schärfe; Und wenn nicht die Gefährtin ihn weis' anmahnete, leiblos Flattere luftiges Leben in nachgeschatteter Bildung, Stürmt' er hinein, mit dem Eisen umsonst die Schemen zerschlagend. |
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295 |
Jetzo der Weg, der zum Strom des tartarischen Acheron führet. |
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300 | Dick umstrotzet das Kinn; hell stehn die Augen im Feuer; Aufgeknotet enthängt die schmutzige Hülle den Schultern. Stroman drängt mit der Stange der Greis und bedienet die Segel, Totengebild' auffahrend im eisenfarbigen Nachen, Ältlich bereits; doch frisch ist dem Gott und grünend das Alter. |
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305 | Dorthin stürzt' anschwärmend das ganze Gewühl an die Ufer: Mütter zugleich und Männer, und einst großherziger Helden Geistige Riesengestalt, und Knaben und bräutliche Jungfraun, Jüngling' auch, auf die Scheiter getreckt vor den Augen der Eltern Zahllos, so wie im Walde, wann herbstliche Kälte beginnet, |
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310 | Fallende Blätter verwehn, wie zum Land aus tiefem Gewässer Zahllos Vögel im Schwarm aufziehn, wann kältere Jahrzeit Über das Meer sie verscheucht und zu sonnigen Landen entsendet. Flehend standen sie all', um zuerst hinüber zu kommen, Streckten die Hand' und sahn zum anderen Ufer mit Sehnsucht. |
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315 | Doch bald diesen empfäht, bald den der düstere Schiffer; Andere treibt er hinweg, mit geworfenem Schlamm sie entfernend. Aber Äneas, verwunderungsvoll, und bewegt von dem Aufruhr: |
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320 | Diese den Strand, da dort aus gebräuneter Welle sie rudern?
Kurz antwortete jenem die Priesterin grauenden Alters: |
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325 | Alle der Schwarm, den du schaust, ist noch unbestattet und hilflos; Steurer des Kahns ist Charon; Begrabene trägt das Gewässer. Nicht ist über die Borde des Grauns und die brausenden Fluten Weg sie zu führen vergönnt, bis beerdiget ruhn die Gebeine. Hundert Jahr' unstät umschweben sie flüchtig die Strand' hier; |
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330 | Dann erst finden Empfang sie, genaht dem ersehneten Wasser.
Stehn blieb hier des Anchises Geschlecht und hemmte den Fußtritt, |
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335 | Welche zugleich, da von Troja durch brausende Meere sie fuhren, Senkte der Sturm, in Gewog' einrollend das Schiff und die Männer. Siehe da kam der Steurer einher, Palinurus, gewandelt, |
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340 | Ihm, da er kaum den Betrübten erkannt im dunkelen Schatten, Rief er also zuerst: Wer doch, Palinurus, der Götter Hat dich hinweg uns gerafft und versenkt in der Mitte des Meeres? Sage wohlan! denn es hat, der zuvor nie Täuschungen aussprach, Durch die eine Verkündung das Herz mir getäuschet Apollo, |
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345 | Welcher verhieß. du solltest, vom Meer unbeschädiget, kommen Zu dem ausonischen Ziel. Ist das die versicherte Treue? Jener darauf: Nicht hat dich getäuscht der phöbische Dreifuß, |
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350 | Als ich zum Hüter bestellt anhaftete, lenkend die Meerfahrt, Zog ich im Sturze mit mir. Bei dem finsteren Meere beteur' ich, Daß ich nimmer für mich so ängstliche Sorge getragen, Als dir möchte, beraubt des Geräts, nach entrissenem Meister, Nicht ausdauern das Schiff in so hoch aufsteigenden Wogen. |
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355 | Drei der winternden Nächt', unermeßliches Wogengewühl durch, Trug mich der Süd machtvoll auf der Flut; mit dem vierten der Morgen Sah ich Italia fern, hochher von der Spitze der Brandung. Mählich schwamm ich zum Lande hinan; schon Sichres gewann ich; Wenn nicht grausames Volk, da vom triefenden Kleid' ich beschwert war, |
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360 | Und die gebogenen Händ' ausstreckt' an die Zacke der Felswand, Mich mit dem Stahl anrannt' und Beut' unkundig verhoffte. Jetzo hält mich die Flut, mich drehen die Wind' am Gestad' um. Drum bei dem freundlichen Licht und der Luft Einatmungen fleh' ich, Und bei dem Vater dich an, und dem blühenden Erben Iulus: |
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365 | Reiß mich aus solcherlei Gram, Unbezwungener! Streu mir entweder Wenigen Staub, denn du kannst, und geh zum velinischen Hafen, Oder, ist irgend ein Weg, den dir die göttliche Mutter Zeigete, (denn, wie mir däucht, nicht ohn' obwaltende Götter Strebst du, so mächtige Ström' und den stygischen Pfuhl zu befahren) |
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370 | Reiche mir Armen die Hand und laß durch die Fluten mich mitgehn, Daß ich zum wenigsten tot ausruh' in behaglicher Stille. Als er solches gesagt, da begann also die Prophetin: |
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375 | Furienstrom anschaun und zum Strand' ungeheißen hinweggehn? Ende den Wahn, daß Göttergeschick sich wende dem Anflehn! Aber vernimm, was ich rede, den Trost der harten Begegnis. Denn die Benachbarten werden umher durch die Städte, wenn Vorschau Himmlischer Wunder sie schreckt, dir weihn der Gebeine Versöhnung, |
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380 | Werden erheben ein Grab, und am Grab' hochfeierlich opfern; Und von dir wird ewig der Ort Palinurus genannt sein. Durch dies Wort schwand jenem die Sorg', und im traurigen Herzen Sie nun gehen den Weg fürbaß und nahen der Strömung. |
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385 | Doch wie der Fährmann sie dort sah von der stygischen Flut her, Daß durch stilles Gehölz sie den Fuß zuwandten dem Ufer, Ruft er zuerst mit Worten sie an, und grimmig beginnt er: Wer du auch bist, der gewappnet zu unseren Fluten herankommt, |
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390 | Hier ist der Schatten Bezirk, der betäubenden Nacht und des Schlafes, Lebende wehrt mir zu führen im stygischen Kahne das Schicksal. Nicht mir Freude fürwahr bracht' Herkules, welchen ich aufnahm Hier in den Teich; nicht brachte Pirithous Freude, noch Theseus; Ob zwar Göttergeschlecht und an Kraft unbezwinglich sie waren. |
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395 | Jener zog mit der Hand den tartarischen Hüter zur Fessel Selbst von des Königes Thron und fort den erzitternden schleppt' er: Diese da wagten dem Dis vom Gemach zu entreißen die Fürstin. Kurz antwortete drauf die amphrysische Seherin also: |
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400 | Waffengewalt. Gern mag der gewaltige Pförtner im Fels dort Durch endloses Gebell die entfärbeten Geister erschrecken, Mag Proserpina keusch das Gemach einnehmen des Oheims. Trojas Held Äneas, durch Frömmigkeit glänzend und Waffen, Steigt zu dem Vater hinab in des Erebus düsteren Abgrund. |
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405 | Wenn dich nicht der Gedanke bewegt so frommer Empfindung; Schaue den Zweig (sie enthüllt den verborgenen Zweig aus der Kleidung.) Ob du ihn kennst! – Nun sinket vom schwellenden Zorne das Herz ihm. Weiter kein Wort; anschauend des schicksalsprossenden Reises Herrliches Ehrengeschenk, das längst er nicht mehr gesehen, |
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410 | Wendet er steuerwärts sein bläuliches Boot an das Ufer, Drauf der Seelen Gewimmel, das längs den Bänken gereiht saß, Treibt er hinweg und öffnet die Gäng' und empfäht den erhabnen Held Äneas im Raum: es erseufzt der belastete Nachen, Leichtgewebt, und sauget, der spaltige, viel des Gesümpfes. |
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415 | Endlich dem Strom jenseits unbeschädigt, Mann und Prophetin, Setzt er in wüstem Moraste sie aus und bläulichem Schilfgras. Cerberus vorn, machtvoll dreistündiges Bellen erhebend, |
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420 | Einen betäubenden Kloß mit würzigen Säften und Honig Vorwirft. Er, drei Rachen in rasendem Hunger eröffnend, Schnappt den geworfnen hinweg, und den ungeheueren Rücken Löst er gestreckt, und ruht langhin durch die Höhle gebreitet. Schleunig gewinnt Äneas den Weg, da der Hüter berauscht lag |
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425 | Und er enteilt dem Gestade der unrückgängigen Wasser.
Plötzlich ertönt's von Stimmen daher und lautem Gewimmer, |
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430 |
Diesen zunächst, die dem Tod unwahre Beschuldigung zusprach. Hierauf halten den Ort die Traurigen, welche den Tod sich |
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435 | Gaben mit eigener Hand schuldlos, und, des Lichtes Verächter, Selber die Seel' hinwarfen. Wie gern in der heiteren Höhe Möchten sie jetzt Armut ausstehn und harte Bedrängnis! Richtspruch verbeut's; und des Trauergesümpfs unfreundliche Wasser Bändigen und neunfältig umströmet die Styx sie verkerkernd. |
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440 |
Auch nicht ferne davon in ausgebreitetem Umfang |
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445 | Hier auch Phädra und Procris erblicket er, und Eriphyle, Welche betrübt vorzeigte des grausamen Sohnes Verwundung. Auch Euadne, Pasiphae dann, und Laodamia Gehen gesellt dir, Jüngling vordem, nun Mädchen, o Cänis, Wiederum vom Geschick in vorige Bildung gewandelt. |
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450 | Auch die Phönicerin dort, die frisch verwundete Dido, Irrt' umher im großen Gehölz. Da der troische Heros Dieser zuerst annaht', und eben erkannt' in der Dämmrung Didos dunkle Gestalt, wie wer im beginnenden Monat Durch umnebelnde Wolken den Mond sieht oder zu sehn glaubt; |
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455 | Strömet' er Thränen herab und begann voll herzlicher Liebe: |