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Bürger, Soldaten der von nun an freien russischen Armee, mir ist die seltene Ehre zugefallen, euch zum frohen Feste zu gratulieren: die Sklavenketten sind zerschmettert, das russische Volk hat innerhalb dreier Tage, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen, die größte Revolution der Weltgeschichte vollbracht. Der Blutzar Nikolai hat abgedankt, seine Minister sind verhaftet, der Thronfolger Michail hat auf die für ihn zu schwere Krone freiwillig verzichtet. Nun gehört die ganze Gewalt dem Volke. An die Spitze des Reiches hat sich die Provisorische Regierung gestellt, um in kürzester Frist die Wahlen zur Allrussischen Konstituierenden Versammlung auf Grund des direkten, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechtes auszuschreiben. ... Es lebe die Russische Revolution, es lebe die Konstituierende Versammlung, es lebe die Provisorische Regierung. ...«
»Hurrraaah!« brüllte gedehnt die tausendköpfige Menge der Soldaten. Nikolai Iwanowitsch Smokownikow zog aus der Tasche seiner sämischledernen Feldbluse ein großes, khakifarbenes Tuch und fuhr sich damit über den Hals, das Gesicht und den Bart. Er sprach von einer aus Brettern zusammengezimmerten Tribüne herab, zu der Querbalken hinaufführten. Hinter seinem Rücken stand der Regimentskommandeur Tjotjkin, der vor kurzem zum Obersten befördert worden war, – sein wettergebräuntes Gesicht mit dem kurzen Bärtchen und der fleischigen Nase drückte gespannte Aufmerksamkeit aus. Als das Hurra erklang, führte er mit besorgter Miene die Hand an den Schirm seiner Mütze. Auf dem flachen Felde mit den schwarzen aufgetauten Stellen und den schmutzigen Schneehaufen vor der Tribüne standen Soldaten, an die zweitausend Mann, ohne Waffen, mit Stahlhelmen, in aufgeknöpften, zerdrückten Mänteln und lauschten mit aufgerissenem Munde den sonderbaren Worten, die der feine Herr mit dem puterroten Gesicht an sie richtete. Im grauen Nebel in der Ferne ragten die Schornsteine eines niedergebrannten Dorfes. Hinter diesem begannen die deutschen Stellungen. Einige zerzauste Krähen flogen über dieses öde, tote Feld. »Soldaten!« fuhr Nikolai Iwanowitsch fort, die Hand mit den gespreizten Fingern vorgestreckt, während ihm das Blut in den Hals stieg: »Gestern noch wart ihr Gemeine, eine stumme Herde, die vom Hauptquartier des Zaren hinausgeschickt wurde, um niedergemetzelt zu werden ... Man fragte euch nicht, wofür ihr sterben solltet ... Man züchtigte euch für jedes Vergehen und füsilierte euch ohne Gericht.« (Der Oberst Tjotjkin hüstelte, trat von einem Fuß auf den andern, sagte aber nichts und neigte wieder aufmerksam lauschend den Kopf.) »Ich, der von der Provisorischen Regierung ernannte Kommissär der Armeen der Westfront, erkläre euch,« – Nikolai Iwanowitsch preßte seine Finger zusammen, als fasse er ein Pferd am Zaume – »von nun an gibt es keine Gemeinen mehr. Diese Benennung ist abgeschafft. Von nun an seid ihr, Soldaten, gleichberechtigte Bürger des Russischen Reiches, und es gibt keinen Unterschied mehr zwischen einem Soldaten und einem Armeekommandeur. Die Anreden ›Euer Wohlgeboren‹, ›Euer Hochwohlgeboren‹, ›Euer Exzellenz‹ werden abgeschafft. Von nun an sagt ihr: ›Guten Tag, Herr General‹, oder ›Nein, Herr General‹, ›Ja, Herr General‹. Die erniedrigenden Antworten wie ›Zu Befehl, ja‹ oder ›Zu Befehl, nein‹ werden abgeschafft. Das Honneurmachen vor Offizieren jeglichen Grades wird für immer abgeschafft. Ihr dürft, wenn ihr wollt, dem General auch die Hand zum Gruße reichen. ...«
»Ho, ho, ho!« rollte es freudig durch die Menge der Soldaten. Auch der Oberst Tjotjkin lächelte, mit seinen erschrockenen Äuglein blinzelnd.
»Nun die Hauptsache, Soldaten: der Krieg wurde bisher von der Regierung des Zaren geführt; heute führt ihn das Volk, d.h. ihr. Die Provisorische Regierung schlägt euch daher vor, in allen Armeen Soldatenkomitees zu bilden; Kompagnie-, Bataillons-, Regimentskomitees, bis zu Armeekomitees aufwärts. Schickt in diese Komitees eure Kameraden, denen ihr vertraut! ... Von nun an soll der Finger des Soldaten neben dem Bleistift des Höchstkommandierenden über die Kriegskarte fahren. ... Soldaten, ich gratuliere euch zu der größten Errungenschaft der Revolution. ...«
Wieder brauste ein Hurrageschrei über das ganze Feld. Tjotjkin stand stramm, die Hand am Mützenschirm. Sein Gesicht war grau geworden, seine Augen blickten mit Demut und Entsetzen auf Nikolai Iwanowitsch. In der Menge begann man zu schreien:
»Machen wir bald Frieden mit den Deutschen?« »Wie viel Seife kriegen wir pro Mann?«
»Herr Kommissär, wird man wegen Diebstahl vom Komitee oder vom Gericht abgeurteilt?«
»Ich habe eine Beschwerde, Herr. ...«
»Ich bitte um Urlaub, ich bin magenkrank. ...«
»Den dritten Monat schon faulen wir hier im Schützengraben ... können nicht mehr. ...«
»Herr Kommissär, wie wird es nun sein, – wird man jetzt in Petersburg einen König wählen? ...« Um alle diese Fragen bequemer beantworten zu können, stieg Nikolai Iwanowitsch von der Tribüne, und sofort umringten ihn die erregten, einen starken Geruch verbreitenden Soldaten. Der Oberst Tjotjkin stand an das Geländer der Tribüne gelehnt und sah, wie sich im Dickicht der Stahlhelme der bloße, kurzgeschorene Kopf mit dem fleischigen Nacken des Armeekommissärs bewegte. Einer der Soldaten, ein rothaariger, boshafter Mensch, der den Mantel lose über den Schultern trug – Tjotjkin kannte ihn gut: er war ein frecher Kerl und Schreier aus der Fernsprechabteilung –, packte Nikolai Iwanowitsch am Riemen seines French und fing an, ihn auszufragen, während seine Blicke in der Runde schweiften: »Herr Kriegskommissär, Sie haben zu uns süß gesprochen, und wir haben mit Wonne zugehört. ... Beantworten Sie mir jetzt meine Frage. ... Können Sie meine Frage beantworten, oder können Sie es nicht, – sagen Sie es mir gleich. ...« .
Die Soldaten rückten mit freudigem Gerede enger zusammen. Der Oberst Tjotjkin runzelte die Stirn und stieg von der Tribüne hinunter.
»Ich richte an Sie die Frage,« sagte der Soldat, indem er mit seinem schwarzen Fingernagel beinahe die Nase Nikolai Iwanowitschs berührte: »Man schreibt mir aus meinem Dorfe: bei mir zu Hause ist die Kuh eingegangen, ein Pferd habe ich nicht, meine Frau ist mit den Kindern betteln gegangen ... Haben Sie nun das Recht, mich wegen Desertion erschießen zu lassen? Das will ich wissen!«
»Wenn Ihnen Ihr persönliches Wohl teurer ist als die Freiheit, so verraten Sie die Freiheit wie ein Judas, und Rußland wird Ihnen die Worte ins Gesicht schleudern: ›Sie sind unwürdig, Soldat der Revolutionsarmee zu sein ... ‹ Gehen Sie nach Hause!« rief Nikolai Iwanowitsch mit erhobener Stimme.
»Schreien Sie mich nicht so an!«
»Wer ist er, daß er so schreit ...«
»Soldaten!« – Nikolai Iwanowitsch stellte sich auf die Fußspitzen: »Es liegt hier ein Mißverständnis vor ... Das erste Gebot der Revolution, meine Herren, ist die Treue gegen unsere Verbündeten ... Die freie, revolutionäre, russische Armee muß sich mit frischen Kräften über den schlimmsten Feind der Freiheit, das imperialistische Deutschland stürzen ...«
»Hast du schon selbst die Läuse in den Schützengräben gefüttert?« fragte eine rohe Stimme.
»Die hat er sein Lebtag nicht gesehen ...«
»Schenk ihm drei Stück zur Zucht ...«
»Rede zu uns nicht von der Freiheit, rede lieber vom Krieg: drei Jahre kämpfen wir schon ... Euch paßt es wohl, euch in der Etappe zu mästen, wir müssen aber wissen, wie dem Kriege ein Ende gemacht werden kann ...«
»Soldaten!« rief Nikolai Iwanowitsch von neuem, »die Fahne der Revolution ist erhoben: Freiheit und Krieg bis zum sieghaften Ende ...«
»Was faselt der Narr ...«
»Wo ist denn der Sieg ... Drei Jahre kämpfen wir schon, haben aber nichts von einem Siege gesehen ...«
»Warum habt ihr dann den Zaren gestürzt ...«
»Sie haben den Zaren gestürzt, damit er sie nicht stört, den Krieg noch hinzuziehen ...«
»Was hört ihr auf ihn, Kameraden, er ist ja bestochen ...«
»Man sieht ja gleich, wer ihn hergeschickt hat ...«
Der Oberst Tjotjkin bahnte sich mit den Ellbogen den Weg durch die Soldatenmenge und sah, wie ein baumlanger, gebückter, schwarzer Artillerist Nikolai Iwanowitsch an der Brust packte, ihn schüttelte und ihm ins Gesicht schrie: »Wozu bist du hergekommen? ... Sag, wozu bist du hergekommen? ...«
Der runde Nacken Nikolai Iwanowitschs verschwand unter seinem Kragen, der Bart, der wie gemalt aussah, flog hin und her. Er stieß den Soldaten zurück und zerriß ihm dabei mit einer krampfhaften Bewegung seiner Finger den Hemdkragen. Der Soldat verzog das Gesicht, riß sich den Stahlhelm vom Kopfe und schlug mit ihm Nikolai Iwanowitsch einigemal mit aller Kraft auf den Schädel und aufs Gesicht.