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Traurig und öde sind die Karpathen an einem windigen Herbstabend. Trüb und unruhig war es den Flüchtlingen zumute, als sie auf der windungsreichen, von den Regengüssen bis zum Gestein ausgewaschenen, weißen Straße den Paß erreichten. Drei oder vier bis zum Wipfel entblößte Fichten wiegten sich über dem steilen Abhang. Unten im Nebel rauschte dumpf der fast unsichtbare Wald. Noch tiefer, auf dem Grunde murrte und plätscherte ein wasserreicher Strom und ließ die Ufersteine dröhnen.
Hinter den Fichtenstämmen, weit hinter den bewaldeten und nackten Berggipfeln leuchtete zwischen den bleiernen Wolken der lange, trübrote Schlitz des Abendrotes. Der Wind blies in dieser Höhe frei und stark; er pfiff alte Erinnerungen in die Ohren.
Die Flüchtlinge bogen in den Wald ein und gingen längs der Straße. Sie sprachen wenig und nur im Flüsterton. Es war ganz dunkel geworden. Über ihren Köpfen rauschten wichtig die Fichten, und es klang wie ferne Wellenbrandung, – streng und ewig.
Teljegin stieg von Zeit zu Zeit auf die Landstraße hinunter, um nach den Kilometersteinen zu sehen. An einer Stelle, wo sie einen Militärposten vermuteten, machten sie einen großen Umweg, kletterten über mehrere Gräben, stießen im Dunkeln auf gestürzte Bäume und Bergbäche, wurden ganz naß und zerrissen sich die Kleider. So gingen sie die ganze Nacht. Des Morgens machten sie in einer versteckten Waldschlucht an einem Bache halt.
Teljegin und Meljschin breiteten die Karte auf der Erde aus, und jeder machte für sich eine kleine Orientierungsskizze. Es wurde beschlossen, sich am anderen Tage zu trennen: Meljschin und Schukow wollten nach Rumänien gehen, Teljegin den Weg über Galizien versuchen. Sie vergruben die große Karte in die Erde. Dann häuften sie Laub auf, vergruben sich, darin und schliefen sogleich ein.
Das war um die dritte Nachmittagsstunde. Über der Schlucht hoch oben auf dem Felsen stand ein Mann, auf ein Gewehr gestützt, – der Posten, der die Brücke bewachte. In der Waldeinsamkeit ringsum und zu seinen Füßen war es still; man hörte nur, wie ein schwerfälliger Auerhahn über eine Waldwiese flog und mit den Flügeln das Tannengebüsch streifte und wie irgendwo eintönig und langsam Wasser tropfte. Der Wachtposten stand eine Weile unbeweglich da, warf dann das Gewehr auf die Schulter und entfernte sich.
Als Iwan Iljitsch die Augen öffnete, war es schon Nacht; zwischen den schwarzen, unbeweglichen Zweigen leuchteten die Sterne, sie waren groß und klar und funkelten wie himmlischer Tau.
Er setzte sich auf, sah sich um und legte sich wieder auf den Rücken. Die Nacht war still, im Dunkeln plätscherte ein Bächlein. Iwan Iljitsch begann sich des letzten Tages zu erinnern, aber die Empfindung der seelischen Spannung vor dem Standgericht und während der Flucht war so schmerzhaft, daß er diese Gedanken von sich wies und wieder zum Himmel hinaufschaute. Über seinem Kopfe strahlte in einem kleinen Sternbild mit blauem Licht ein Stern. Vor tausend Jahren hatte dieser blaue Strahl den Stern verlassen, und nun fiel er auf Iwan Iljitschs Auge und rührte an seinem Herzen. Dieser Stern, und die Milchstraße, und die zahllosen Gestirne sind nur wie ein Sandkorn im himmlischen Ozean; und dort gibt es auch Abgründe in die Ewigkeit, schwarz wie Kohlensäcke. Und alle diese Sterne und schwarzen Abgründe sind in ihm, im glühenden Herzen Iwan Iljitschs, das heftig im trockenen Laube pochte.
Es war wohl der Sternenstaub von Millionen von Welten notwendig, um dieses lebendige Klümpchen Herz zu schaffen, das nur darum lebt, weil es lieben will. Und ebenso wie das Sternenlicht sich unfaßbar über die Erde ergießt, so sendet auch das Herz sein unsichtbares Licht, – die Sehnsucht nach Liebe, – zu den Sternen hinauf und will nicht daran glauben, daß es klein und sterblich ist. Es war ein Augenblick göttlicher Größe.
»Sie schlafen nicht?« fragte die leise Stimme Meljschins.
»Nein, ich bin schon lange wach. Stehen Sie auf und wecken Sie den Hauptmann. Wir müssen aufbrechen.«
Eine Stunde später schritt Iwan Iljitsch allein auf der im Dunkeln weiß schimmernden Straße dahin.