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Schadow lag dicht bei der Schießscharte des Maschinengewehrnestes und verfolgte mit gierigen Blicken, ohne die Augen vom Feldstecher loszureißen, den Kampf. Das Nest war im Abhang eines bewaldeten Hügels gegraben. Am Fuße des Hügels wand sich in einem gestreckten Bogen der Fluß; rechts stieg der Rauch von der in Brand geschossenen Brücke auf; hinter dieser war im Moore die gebrochene Linie der Schützengräben zu sehen, in denen die erste Kompagnie des Ussolskischen Regiments saß; links schlängelte sich durch den Schilf ein Bach, der in den Fluß mündete; noch weiter links, hinter dem Bache brannten die drei Gebäude des Meierhofs; im vorspringenden Schützengraben hinter ihnen lag die sechste Kompagnie des Ussolskischen Regimentes. Etwa dreihundert Schritt von dieser begannen die deutschen Linien, die sich dann nach rechts zu den bewaldeten Hügeln hinzogen.
Im Widerscheine der zwei Feuersbrünste sah der Fluß schmutzig rot aus, und sein Wasser kochte gleichsam von der Menge der niederfallenden Geschosse, spritzte und hüllte sich in rosa und gelbe Dampfwolken.
Das stärkste Artilleriefeuer war auf den Meierhof konzentriert. Über den brennenden Gebäuden leuchteten jeden Augenblick rötliche Schrapnellexplosionen, und zu beiden Seiten der in einem Winkel gebrochenen Schützengrabenlinie erhoben sich dichte, schwarze Rauchsäulen. Hinter dem Bache, im Schilfe und im Grase blitzten hie und da die glühenden Nadeln des Gewehrfeuers.
Rrrrach, rrrrach, – dröhnten die platzenden schweren Geschosse. Ppach, ppach, ppach, – krachten dumpf die Schrapnells über dem Flusse, über den Wiesen und auf der andern Seite über den Schützengräben der 2., 3. und 4. Kompagnie. Rrrruh, rrrruh, – rollte es hinter den Hügeln, wo es von den zwölf deutschen Batterien wetterleuchtete. Ssik, ssik, – pfiffen die Antwortschüsse der Russen.
Das Dröhnen tat den Ohren weh, preßte die Brust zusammen und wälzte auf jedes Herz schweren Haß.
So dauerte es lange, lange. Schadow blickte auf seine selbstleuchtende Uhr: sie zeigte halb drei; also tagte es gleich, und der Angriff war jeden Augenblick zu erwarten.
Und in der Tat: der Artilleriedonner wurde immer lauter, das Wasser im Flusse kochte stärker, die Geschosse regneten auf alle Flußübergänge und alle Hügel auf dieser Seite. Manchmal erzitterte dumpf die Erde, und von den Wänden und der Decke des Unterstandes fielen kleine Steine und Lehmklumpen herab. Aber um den niedergebrannten Meierhof herum war es still geworden. Plötzlich flogen in der Ferne, schräg hinter dem Flusse die Feuerbänder von Dutzenden von Raketen in den Himmel, und die Erde wurde wie von der Sonne erleuchtet. Als die Lichter erloschen waren, blieb es einige Minuten lang ganz dunkel. Die Deutschen erhoben sich aus ihren Unterständen und gingen zum Angriff vor.
Schadow unterschied endlich im trüben Morgenlichte weit auf der Wiese kleine Gestalten; sie warfen sich bald zu Boden, bald überholten sie einander. Vom Meierhofe fiel kein einziger Schuß. Schadow wandte sich um und rief in die Tiefe des Unterstandes: »Einen Gurt her!«
Das Maschinengewehr erzitterte wie vor teuflischer Wut und begann, beißenden Brandgeruch verbreitend, Blei auszuspucken. Die kleinen Gestalten auf der Wiese kamen sofort in schnellere Bewegung, einzelne warfen sich zu Boden. Aber das ganze Feld war schon von den dunkeln Punkten der vorgehenden Deutschen übersät. Die Vordersten erreichten bereits die zerschossenen Schützengräben der sechsten Kompagnie. Aus diesen erhoben sich an die zwanzig Mann. Und sehr schnell sammelte sich um diese Stelle herum eine ganze Menge.
* * *
Bei Sonnenaufgang war der Kampf zu Ende. Die Deutschen hielten den Meierhof und das linke Ufer besetzt. Vom ganzen Stützpunkt blieb nur die Mulde auf dem rechten Ufer des Baches, wo die erste Kompagnie lag, in den Händen der Russen. Den ganzen Tag wurde über den Bach träge hin und her geschossen, aber es war schon klar, daß der ersten Kompagnie die Gefahr drohte, umzingelt zu werden: da die Brücke niedergebrannt war, hatte sie keine unmittelbare Verbindung mit dem diesseitigen Ufer mehr, und das Vernünftigste wäre wohl gewesen, das Moor noch in der gleichen Nacht zu räumen.
Der Kommandeur des ersten Bataillons, Oberst Borosdin, erhielt aber in der ersten Nachmittagstunde den Befehl, alle Vorbereitungen zu treffen, um während der Nacht den Fluß zu überschreiten und die Stellungen der ersten Kompagnie zu verstärken. Hauptmann Tjotjkin mußte die fünfte und siebte Kompagnie unterhalb des Meierhofes sammeln und in Pontons hinübersetzen. Das dritte Bataillon des Ussolskischen Regiments, das sich in der Reserve befand, sollte die Stellungen der Angreifenden übernehmen, das 238. Kundrawinsche Regiment durch die Furt gehen und auf das Zentrum der feindlichen Stellungen losschlagen.
Der Befehl war sehr ernst und die Disposition klar: der Meierhof wurde rechts vom ersten und links vom zweiten Bataillon wie von einer Zange umklammert, das Kundrawinsche Regiment sollte aber die ganze Aufmerksamkeit und das Feuer des Feindes auf sich lenken. Der Angriff war für Mitternacht angesetzt.
Schadow begab sich in der Abenddämmerung zur Furt, um die Maschinengewehre aufzustellen und brachte eines von ihnen mit größter Vorsicht in einem Boot auf eine winzige, mit Weidengestrüpp bewachsene Insel mitten im Flusse. Hier blieb er auch selbst. Die Stellung war gefährlich, aber bequem.
Die russischen Batterien unterhielten den ganzen Tag ein träges Feuer, das die Deutschen ebenso träge erwiderten. Nach Sonnenuntergang verstummte die Artillerie gänzlich, und es knatterten nur hie und da längs des Flusses vereinzelte Gewehrschüsse. Um Mitternacht begann in tiefster Stille der Übergang der Truppen über den Fluß, an drei Stellen zugleich. Um die Aufmerksamkeit des Feindes abzulenken, eröffneten die Abteilungen des Bjelozerkower Regiments, die etwa fünf Werst weiter entfernt standen, ein lebhaftes Feuer. Die Deutschen schienen auf etwas zu warten und verhielten sich ruhig.
Schadow hatte die von Spinnweben bedeckten Zweige des Weidengebüschs auseinandergeschoben und verfolgte den Übergang der Truppen über den Fluß. Rechts stand tief über den zackigen Hügeln ohne zu flimmern ein gelber Stern, und sein trüber Widerschein zitterte im glänzenden Wasser des Flusses. Über diesen Lichtstreifen zogen dunkle Punkte. Auf den Inselchen und Sandbänken zeigten sich laufende Gestalten. Nicht weit von Schadow bewegten sich mit leisem Plätschern an die zehn Mann, bis an die Brust im Wasser, die Gewehre und die Patronentaschen in den hocherhobenen Händen. Es waren Leute vom Kundrawinschen Regiment, die durch den Fluß wateten.
Plötzlich leuchteten weit auf dem anderen Ufer schnelle Flammen auf, Geschosse schwirrten und sangen, und hoch über dem Flusse platzten mit metallischem Geknatter die Schrapnells. Bei jedem Aufleuchten wurden die aus dem Wasser ragenden weißen, bärtigen Gesichter sichtbar. Die ganze Sandbank wimmelte von rennenden Menschen. Ppach, ppach, ppach, – platzten immer neue Geschosse. Es ertönten Schreie. Raketen flogen über den ganzen Himmel und zerstoben zu blendenden Feuern. Die russischen Batterien dröhnten. Die Strömung trieb zu Schadows Füßen einen zappelnden Menschen vorbei. »Den Kopf, den Kopf haben sie mir durchlöchert!« wiederholte er mit gepreßter Stimme, sich an die Weidenzweige klammernd. Schadow lief auf die andere Seite seiner Insel. In weiter Entfernung zogen über den Fluß mit Menschen beladene Pontons, und er konnte sehen, wie die Truppenteile, die schon drüben waren, übers Feld liefen. Über dem Flusse und den Hügeln wütete wie gestern der Sturm des Trommelfeuers. Das kochende Wasser schien voller Würmer: durch die schwarzen und gelben Rauchwolken und zwischen den Wassersäulen stürmten, schrien und zappelten die Soldaten. Diejenigen, die das andere Ufer erreicht hatten, klammerten sich an die Füße der Vordermänner. Hinten knatterten die Schadowschen Maschinengewehre. Vorne platzten die russischen Granaten. Die beiden Kompagnien des Hauptmanns Tjotjkin hatten den Meierhof unter Kreuzfeuer genommen. Die Vorhut des Kundrawinschen Regiments, das, wie sich später zeigte, bei diesem Flußübergang die Hälfte seines Bestandes verlor, versuchte einen Bajonettangriff, hielt aber nicht durch, sondern legte sich vor den Drahtverhauen nieder. Aus dem Schilfe hinter dem Bache kamen die dichten Ketten des ersten Bataillons herausgeschwärmt. Die Deutschen verließen fluchtartig die Schützengräben.
Schadow lag am Maschinengewehr, sich mit beiden Händen an das wie rasend zitternde Schloß klammernd, und überschüttete mit mörderischem Feuer den grasbewachsenen Abhang hinter den deutschen Schützengräben, über den die Menschen zu zweit, zu dritt und in kleinen Gruppen liefen; sie stolperten und fielen auf die Seite oder auf den Rücken.
»Achtundfünfzig. Sechzig,« zählte Schadow. Eine schmächtige Gestalt erhob sich und schleppte sich, die eine Hand an den Kopf gedrückt, den Abhang hinauf. Schadow bewegte vorsichtig das Visier des Maschinengewehrs, und die kleine Gestalt kniete nieder und legte sich. »Einundsechzig.« Plötzlich erstand vor den Augen Schadows ein blendender, versengender Lichtschein, und er fühlte, wie es ihn in die Luft hob und mit scharfem Schmerz am Arm riß.
* * *
Der Meierhof und alle anliegenden Schützengräbenlinien waren besetzt, und an die zweihundert Deutsche gefangen genommen; das Artilleriefeuer auf beiden Seiten war beim Morgengrauen verstummt. Man fing an, die Verwundeten und Gefallenen aufzulesen. Die Sanitäter, die die kleinen Inseln absuchten, fanden im zerbrochenen Weidengestrüpp ein umgeworfenes Maschinengewehr, daneben einen Gemeinen ohne Kopf und an die fünf Klafter weiter, auf der anderen Seite der Insel, Schadow, der mit den Beinen im Wasser lag. Als man ihn aufhob, stöhnte er; aus dem blutdurchtränkten Ärmel ragte rosafarben ein Stück Knochen.
Als man Schadow auf den Verbandplatz brachte, rief der Arzt Jelisaweta Kijewna zu: »Da hat man Ihren Helden gebracht. Er wird sofort operiert!« Schadow war bewußtlos, seine Nase war spitz und sein Mund schwarz geworden. Als man ihm das Hemd auszog, sah Jelisaweta Kijewna auf seiner breiten weißen Brust eine Tätowierung: mehrere mit den Schwänzen verbundene Affen. Während der Operation biß er die Zähne zusammen, und sein Gesicht zuckte wie im Krampfe.
Als er nach all den Qualen verbunden war und die Augen aufschlug, beugte sich Jelisaweta Kijewna über ihn. »Einundsechzig«, sagte er. Schadow phantasierte bis zum Morgen und schlief dann fest ein. Jelisaweta Kijewna bat um Erlaubnis, ihn ins große Lazarett beim Divisionsstab begleiten zu dürfen.