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Der Mond hing als trübe Kugel über den öden Torfsümpfen. Der Nebel rauchte längs der verlassenen Schützengräben. Überall ragten Baumstümpfe aus der Erde und hie und da schwarze, niedere Fichten. Es war feucht und still. Über den schmalen Faschinenweg bewegte sich langsam, ein Pferd hinter dem andern, ein Sanitätstransport. Die Frontzone lag nur an die drei Werst entfernt, hinter der zackigen Silhouette des Waldes, und kein Ton klang von dort herüber.
In einem der Wagen lag, auf dem Heu ausgestreckt, unter einer nach Pferdeschweiß riechenden Decke Bessonow. Jeden Abend nach Sonnenuntergang hatte er Fieber, die Zähne klapperten vor leichtem Schüttelfrost, der ganze Körper war wie ausgetrocknet, und durch das Gehirn zogen mit kaltem Brausen klare, leichte, bunte Gedanken. Es war das herrliche Gefühl des Weichens jeder Körperschwere.
Die Pferdedecke bis ans Kinn heraufgezogen, blickte Alexej Alexejewitsch in den nebligen, fiebernden Himmel; – da ist es, das Ende des Erdenwegs: Nebel, Mondlicht und der wie eine Wiege schaukelnde Wagen; der Kreis der Jahrhunderte hat sich geschlossen, und wieder knarren die Räder der Skythenwagen. Alles Gewesene ist ein Traum: die Lichter Petersburgs, die Musik in strahlenden, warmen Sälen, die Flut von Frauenhaaren auf einem Kissen, dunkle Pupillen, Todesqual im Blicke ... Langweile, Einsamkeit ... Das Halbdunkel des Arbeitszimmers, der Rauch der Zigarette, das vor krankhafter Erregung schlagende Herz und der Rausch keimender Worte ... Das junge Mädchen mit den weißen Margueriten, das so plötzlich aus dem erleuchteten Vorraum in sein dunkles Zimmer, in sein Leben getreten war ... Und Langweile, Sehnsucht und Trübsinn, die wie kalter Staub auf seinem Herzen liegen ... Das sind nur Träume ... Der Wagen schaukelt ... Neben dem Wagen geht ein Bauer mit einem dünnen Bärtchen, das wie Bast aussieht, die Mütze über die Augen gezogen; seit zweitausend Jahren schreitet er schon so neben dem Wagen ... Die unendlichen Räume der Zeit liegen offen im Mondlichte ... Aus dem Dunkel der Jahrhunderte schweben Schatten heran, Wagenräder knarren und durchpflügen die Welt mit schwarzen Furchen. Die Hunnen ziehen wieder über die Erde. Und dort, im trüben Nebel – in den Himmel steigende Rauchsäulen, Knarren und Ächzen von Rädern. Das Knarren und Ächzen wird immer lauter, der ganze Himmel ist von herzerschütterndem Dröhnen erfüllt ...
Der Wagen blieb plötzlich stehen. Durch das Brausen, das die vom Mondlicht und Nebel erfüllte Nacht durchdrang, klangen die erschrockenen Stimmen der Trainsoldaten. Bessonow hob, auf einen Ellenbogen gestützt, den Oberkörper. Nicht hoch über dem Walde schwebte eine lange, vielkantige Säule mit glänzenden Seitenflächen, – sie beschrieb im Mondlicht eine Schleife, kam, mit ihren Motoren brüllend, immer näher, wurde größer, und aus ihrem Bauche drang ein schmales Lichtschwert; es glitt über den Sumpf, die Baumstümpfe, die gefällten Fichten und das Tannengestrüpp und bohrte sich in die Straße und die Wagen.
Durch das Sausen klangen schwache, zarte Töne: ta, ta, ta, – als klopfte ein Metronom ... Die Menschen sprangen von den Wagen. Ein zweirädriger Sanitätskarren bog in den Sumpf ein und stürzte hin ... Auf der Straße, hundert Schritte vor Bessonow leuchtete plötzlich ein blendender Lichtbusch auf, ein Wagen und ein Pferd flogen als schwarze Masse in die Luft, eine riesenhafte Rauchsäule stieg hinauf, und der ganze Sanitätstransport wurde wie von einem brausenden Sturm durcheinandergeworfen. Die Pferde sprengten mit den Vorderrädern in den Sumpf, die Menschen liefen ihnen nach. Der Wagen, in dem Bessonow lag, stürzte um, und Alexej Alexejewitsch rollte von der Straße in den Graben, – ein schwerer Sack fiel ihm auf den Rücken, und dann kam eine Ladung Stroh.
Das Luftschiff warf eine zweite Bombe, das Sausen der Motore klang immer ferner und erstarb. Bessonow arbeitete sich aus dem Stroh heraus, befreite sich mit großer Mühe von den auf ihn gestürzten Säcken, schüttelte sich und kletterte auf die Straße hinauf. Hier standen quer einige Wagen ohne Vorderteil; im Sumpfe lag ein Pferd in seinen Deichselstangen, es hielt den Kopf erhoben und zuckte mechanisch mit einem Hinterbein.
Bessonow betastete sein Gesicht und seinen Schädel, – am Ohre war es klebrig; er drückte sein Taschentuch an die Schramme und ging die Straße entlang auf den Wald zu. Vor Schreck und Erschütterung zitterten ihm so die Beine, daß er sich schon nach einigen Schritten auf einen Kieshaufen hinsetzen mußte. Er wollte etwas Kognak trinken, aber seine Feldflasche war mit dem Gepäck im Graben geblieben. Bessonow zog mit Mühe Pfeife und Zündhölzer aus der Tasche und begann zu rauchen, – der Tabak schmeckte bitter und widerlich. Jetzt erinnerte er sich seines Fiebers, – schlecht steht die Sache, er muß unbedingt den Wald erreichen, wo, wie er gehört hat, eine Batterie liegt.
Der Mond stand hoch am Himmel, die Straße wand sich im Nebel durch die öden Sümpfe und schien kein Ende nehmen zu wollen. Die Hände in die Hüften gestemmt, hin und her schwankend, die zentnerschweren Stiefel mit Mühe hebend und schleppend, sprach Bessonow mit sich selbst: ›Man hat mich einfach herausgeschmissen ... Schlepp dich, Hundesohn, schlepp dich, bis du überfahren wirst ... Hast Verse geschrieben und dumme Weiber verführt ... Das Leben war so langweilig ... Aber das war doch nur meine Privatsache ... Man hat mich herausgeschmissen, – siehst du dort den Punkt im Sumpfe: da wirst du verrecken ... Darfst wohl protestieren, bitte sehr ... Protestiere nur, heule ... Versuchs nur, Versuchs nur, schrei, so schrecklich du kannst, heule ... ‹
Bessonow wandte sich plötzlich um. Von der Landstraße glitt ein grauer Schatten hinunter. ... Es überlief ihn kalt. Er lächelte, sprach einige abgerissene, sinnlose Sätze und wankte weiter ... Dann sah er sich vorsichtig um: etwa fünfzig Schritt hinter ihm schleppte sich ein Hund mit großem Kopf und langen Beinen.
»Hol ihn der Teufel!« murmelte Bessonow. Er ging etwas schneller und sah sich wieder um. Es waren fünf Hunde, grau und mit abschüssigen Hintern; sie gingen im Gänsemarsch, die Schnauzen gesenkt. Bessonow warf nach ihnen mit einem kleinen Stein. »Ich werde euch! ... Marsch weg, Gesindel. ...« Die Tiere sprangen lautlos von der Straße in den Sumpf. Bessonow sammelte sich in den Mantelschoß Steine, blieb ab und zu stehen und warf nach den Hunden ... Dann ging er weiter, pfiff und schrie: He, he! ... Die Tiere kamen wieder auf die Landstraße und trabten einer hinter dem andern weiter ohne ihm näher zu kommen.
Zu beiden Seiten der Straße begann niederes Tannengebüsch. Da sah Bessonow an einer Straßenbiegung vor sich eine menschliche Gestalt. Sie blieb stehen, sah sich um und trat langsam in den Schatten der Tannen.
»Teufel!« flüsterte Bessonow und wich gleichfalls in den Schatten. Hier stand er lange, bemüht, sein Herzklopfen zu bemeistern. Auch die Tiere blieben nicht weit von ihm stehen. Das vorderste legte sich nieder, die Schnauze auf die Pfoten. Der Mensch vorne rührte sich nicht. Bessonow sah klar eine weiße lange Wolken über den Mond ziehen. Dann hörte er einen Laut, der wie eine Nadel in sein Hirn drang: das Krachen eines Ästchens, wahrscheinlich unter dem Fuße jenes Menschen. Bessonow trat schnell auf die Mitte der Landstraße und schritt, die Fäuste vor Wut geballt, vorwärts. Endlich erblickte er ihn zu seiner Rechten: es war ein großgewachsener Soldat mit gebeugtem Rücken, er trug den Mantel über die Schultern geworfen, und sein langes Gesicht ohne Brauen war wie leblos, grau, mit halbgeöffnetem, großem Mund.
»He du, von welchem Regiment?« rief Bessonow.
»Von der zweiten Batterie.«
»Komm, begleite mich zur Batterie.«
Der Soldat schwieg und rührte sich nicht; er sah Bessonow mit trüben Blicken an und wandte dann sein Gesicht nach links.
»Wer sind diese da?«
»Hunde,« antwortete Bessonow ungeduldig.
»Nein, Hunde sind es nicht.«
»Komm, rühr dich, begleite mich.«
»Nein, ich komm nicht mit,« sagte der Soldat leise.
»Hör mal, ich habe Fieber, begleite mich, bitte, ich will dir Geld geben.«
»Nein, ich geh nicht mit,« sagte der Soldat, seine Stimme erhebend. »Ich kehre nicht zurück, ich bin Deserteur.«
»Dummkopf, man wird dich ja erwischen.«
»Alles ist möglich.«
Bessonow schielte über die Schulter, – die Tiere waren verschwunden, sie hatten sich wohl in die Tannen zurückgezogen.
»Ist es weit bis zur Batterie?«
Der Soldat gab keine Antwort. Bessonow wandte sich, um weiterzugehen, der Soldat packte ihn aber sofort am Ellenbogen, so fest wie mit einer Zange.
»Nein, Sie werden nicht hingehen. ...«
»Laß meinen Arm los!«
»Ich lasse ihn nicht los!« Der Soldat blickte, ohne Bessonows Hand loszulassen, zur Seite, über die Tannen hinweg. »Ich habe schon seit drei Tagen nichts gegessen. ... Vorhin war ich im Graben eingeduselt und hörte: sie gehen. ... Ich denke mir, es seien Truppen. Ich liege. Sie gehen, eine große Menge, – sie gehen und gehen, im gleichen Schritt und Tritt, es hallt über die ganze Landstraße. ... Was ist das für eine Geschichte? Ich krieche aus dem Graben und sehe: sie gehen in Totenhemden über die ganze Landstraße, es ist kein Ende zu sehen. ... Sie schwanken wie Nebel, und die Erde zittert unter ihnen. ...«
»Was sprichst du da?« schrie Bessonow mit wilder Stimme und versuchte sich loszureißen.
»Ich spreche die Wahrheit, und du mußt mir glauben, Hund! ...«
Bessonow befreite seinen Arm und lief davon; der Soldat stampfte hinter ihm drein und packte ihn, schwer atmend, an der Schulter. Bessonow fiel hin und schützte Hals und Gesicht mit den Händen. Der Soldat stürzte keuchend über ihn her, umklammerte mit seinen harten Fingern Bessonows Hals und preßte ihn zusammen.
»So einer bist du also?« flüsterte der Soldat durch die Zähne. Durch den Körper des Liegenden lief ein langes Zucken, er streckte sich und lag plötzlich flach im Staube. Der Soldat ließ ihn los, stand auf, hob seine Mütze vom Boden und ging, ohne sich umzusehen, den Weg weiter. Er schwankte, schüttelte den Kopf, setzte sich und ließ die Beine in den Graben hängen.
»Ach, es ist mein Tod!« sagte der Soldat laut und gedehnt. »Herr, entlasse mich. ...«