Leo N.Tolstoi
Krieg und Frieden
Leo N.Tolstoi

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9

Als Peter mit seiner Frau in den Salon trat, befriedigte die Gräfin ihr Bedürfnis nach geistiger Arbeit durch eine grande patience und deshalb war ihr der Eintritt Peters jetzt störend.

»Es ist Zeit, mein Lieber, du hast dich lange erwarten lassen! Nun, Gott sei Dank, daß du da bist!« sagte sie. »Ich danke dir, daß du an mich gedacht hast.« Erst als sie ihre Patience beendigt hatte, wandte sie sich den Geschenken zu. Peter hatte ihr ein Kartenfutteral von sehr schöner Arbeit mitgebracht sowie eine hellblaue Porzellantasse von Sevres und eine goldene Tabaksdose mit dem Porträt des Grafen, das Peter in Petersburg bei einem Miniaturmaler bestellt hatte, weil die Gräfin es sich schon lange wünschte. Sie hatte jetzt nicht das Bedürfnis zu weinen, und deshalb betrachtete sie gleichgültig das Porträt.

»Ich danke dir, mein Lieber«, sagte sie in gewöhnlichem Tone, »aber das beste ist, daß du wieder da bist! Das war unerhört, als ob du deine Frau ausgescholten hättest! Wie eine Wahnsinnige war sie, nichts sah sie und nichts sprach sie! Sieh doch, Anna«, sagte sie zu der alten Bjelow, »was für ein Kartenfutteral mein Sohn mitgebracht hat!«

Die alte Bjelow lobte die Geschenke und war entzückt über ihren Kleiderstoff.

Dann versammelten sich alle erwachsenen Familienglieder beim Tee. Die Stimmen der Kinder und Gouvernanten waren aus dem Nebenzimmer hörbar. Nikolai setzte sich beim Ofen an ein kleines Tischchen, wo ihm Tee gereicht wurde. Denissow, mit schon halb ergrautem Haar und aufgeknöpfter Uniform, saß neben der Gräfin Marie, Peter saß zwischen seiner Frau und der alten Gräfin und suchte diese durch seine Erzählungen von ihren Altersgenossen und Bekannten zu unterhalten, die einst einen glänzenden Kreis bildeten, jetzt aber meist in alle Welt zerstreut waren und ernteten, was sie einst im Leben gesät hatten. An der Lebhaftigkeit Peters bemerkte Natalie, daß seine Reise sehr interessant gewesen war, daß er vieles erzählen wollte, von dem er in Gegenwart der alten Gräfin nicht zu sprechen wagte. Denissow, welcher diese Rücksicht Peters nicht begriff und in seiner Unzufriedenheit sich sehr für die Vorgänge in Petersburg interessierte, fragte ihn gierig nach Neuigkeiten. Peter verirrte sich zuweilen und begann zu erzählen, aber Nikolai und Natalie führten ihn immer wieder auf sein früheres Thema zurück, das nur für die alte Gräfin Interesse hatte.

»Fertig! Fertig!« rief die fröhliche Stimme der kleinen Natalie im Nebenzimmer.

»Das ist wundervolle Musik!« sagte Peter lächelnd.

»Wahrscheinlich hat Anna Makarowna wieder einen Strumpf beendet«, sagte Gräfin Marie.

»O, das muß ich sehen!« sagte Peter aufspringend. »Weißt du, warum ich diese Musik so besonders liebe? Sie gab mir zuerst Nachricht, daß alles wohl sei. Heute, als ich kam, wurde die Angst immer größer, je näher ich zum Hause kam. Als ich in den Vorflur eintrat, hörte ich Andruscha laut auflachen, und da wußte ich, daß alles wohl war.«

»Dieses Gefühl kenne ich auch«, erwiderte Nikolai. »Aber ich darf nicht hineingehen, denn die Strümpfe sind eine Überraschung für mich.«

Peter ging zu den Kindern hinein, und ihr Lachen wurde noch geräuschvoller.

»Nun, Anna Makarowna«, hörte man Peters Stimme, »kommen Sie hierher, in die Mitte, und dann auf Kommando . . . wenn ich ›drei‹ sage . . . du stellst dich hierher! Nun, eins, zwei . . .«, sagte Peter, und ein Schweigen trat ein. »Drei!« rief er, und die entzückten Kinderstimmen jubelten laut auf.

»Zwei! Zwei!« schrien sie.

Das waren zwei Strümpfe, welche die alte Bjelow nach einem, nur ihr bekannten Geheimnis zu gleicher Zeit strickte, und sie dann jedesmal feierlich in Gegenwart der Kinder auseinandernahm, wenn das Wunderwerk fertig war.


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