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Der Brief Sonjas an Nikolai war durch die Einwirkung der alten Gräfin hervorgerufen worden, die beständig an eine reiche Heirat für Nikolai dachte. Sie wußte, daß Sonja das hauptsächliche Hindernis dafür war und deshalb versäumte sie keine Gelegenheit, Sonja durch eine grausame Anspielung zu beleidigen. Aber einige Tage vor der Abreise aus Moskau hatte die Gräfin Sonja zu sich gerufen und sie unter Tränen gebeten, sich zu opfern und für alles das, was ihr erwiesen worden sei, sich erkenntlich zu zeigen durch einen Bruch mit Nikolai.
»Ich werde keine Ruhe haben«, sagte sie, »bis du mir dies versprichst.«
Sonja beteuerte unter hysterischem Weinen, sie sei zu allem bereit, gab aber noch kein bestimmtes Versprechen und konnte sich zu dem Opfer nicht entschließen. Die Sorge und die wilde Erregung der letzten Tage in Moskau halfen Sonja über die drückenden, düsteren Gedanken fort, und zuweilen erfüllte sie eine freudige, abergläubische Zuversicht, daß Gott sie nicht von Nikolai trennen werde. Sie hoffte, daß Natalie und Fürst Andree, nachdem sie unter so schrecklichen Umständen wieder zusammengeführt worden waren, von neuem einander liebten, und daß Nikolai die Fürstin Marie nicht werde heiraten können wegen der Verwandtschaft, welche eine Ehe zwischen Fürst Andree und Natalie für Nikolai und Marie zur Folge haben würde.
Im Troizkoikloster wurde zum erstenmal Rast gemacht. Die Familie nahm drei große Zimmer im Gasthause des Klosters ein, von denen das eine für Fürst Andree bestimmt wurde. Er befand sich an diesem Tage viel besser, Natalie war bei ihm, und Sonja wurde im Nebenzimmer von Neugierde gequält, was Andree und Natalie sprachen, deren Stimmen sie durch die Tür hörte. Natalie kam mit erregter Miene heraus und führte Sonja in ein leeres Zimmer.
»Sonja, wird es sein? Wird er am Leben bleiben?« fragte sie. »Ach, wie glücklich bin ich und wie unglücklich! Sonja, mein Täubchen – es ist alles wieder wie früher, wenn er nur am Leben bleibt!« Natalie brach in Tränen aus.
»Nun ja, ich wußte es ja, Gott sei Dank!« sagte Sonja. »Er wird am Leben bleiben!« Sonja war nicht weniger erregt als Natalie; küßte sie und suchte sie zu trösten. »Wenn er nur am Leben bleibt!« dachte sie beständig.
An diesem Tage bot sich eine Gelegenheit, Briefe an die Armee abzuschicken, und die Gräfin schrieb an ihren Sohn.
»Sonja«, sagte sie, als ihre Nichte vorüberging, »Sonja, du schreibst nicht an Nikolai?« Ihre Stimme zitterte und in dem Blick ihrer müden Augen las Sonja Flehen und Furcht vor einer Weigerung, aber auch Beschämung darüber, daß sie bitten mußte, und drohenden, unversöhnlichen Haß im Falle der Weigerung.
Sonja ging auf die Gräfin zu, ließ sich vor ihr auf die Knie nieder und küßte ihr die Hand.
»Ich werde schreiben!« sagte sie.
Sonja war weich gestimmt durch alles, was an diesem Tage vorging, und jetzt, wo sie wußte, daß im Falle einer Erneuerung der Beziehungen Natalies zum Fürsten Andree Nikolai die Fürstin Marie nicht heiraten konnte, empfand sie mit freudigem Gefühl wieder jene Bereitschaft zur Selbstaufopferung, an die sie seit langen Jahren gewöhnt war, und unter strömenden Tränen, im freudigen Bewußtsein, daß sie eine edle Tat vollbrachte, schrieb sie jenen rührenden Brief an Nikolai.