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Rostow hatte Dolochow seit einigen Tagen nicht gesehen, endlich erhielt er von ihm einen Brief.
»Da ich bald zur Armee abfahre, so gebe ich heute abend meinen Freunden ein Abschiedsfest, und da ich aus bekannten Gründen Euer Haus nicht mehr besuchen will, so bitte ich Dich, ins Hotel d'Angleterre zu kommen.«
Am bestimmten Tage um zehn Uhr abends nach dem Theater folgte Rostow dieser Einladung und wurde sogleich in den besten Saal des Hotels geführt, welchen Dolochow für diesen Abend gemietet hatte. Etwa zwanzig Herren drängten sich um einen Tisch, an welchem zwischen zwei Kerzen Dolochow saß. Auf dem Tische lagen Goldstücke und Banknoten; Dolochow hielt die Bank.
Der helle, kalte Blick Dolochows traf Rostow schon bei der Tür, als ob er ihn bereits lange erwartet hätte.
»Wir haben uns lange nicht gesehen!« rief er. »Schön, daß du gekommen bist, gleich wird Pluschka mit seinem Zigeunerchor kommen!«
»Ich war bei dir«, erwiderte Rostow errötend.
Dolochow gab darauf keine Antwort. »Du kannst auch setzen«, sagte er. Rostow erinnerte sich in diesem Augenblick an eine seltsame Bemerkung Dolochows: »Nur Dummköpfe vertrauen dem Glück im Spiel.«
»Oder fürchtest du dich, mit mir zu spielen?« sagte Dolochow lachend, als ob er Rostows Gedanken erraten hätte. An diesem Lächeln sah Rostow, daß Dolochow sich in derselben Stimmung befand wie damals bei dem Diner im Klub, und wie immer, wenn Dolochow, durch das alltägliche Leben gelangweilt, die Notwendigkeit empfand, durch irgendeine ungewöhnliche, meist grausame Handlung aus sich selbst herauszukommen.
Rostow fühlte sich unbehaglich, suchte aber vergebens nach einer scherzhaften Antwort auf Dolochows Worte.
Noch ehe er diese finden konnte, sah ihm Dolochow scharf ins Gesicht und sagte langsam, so daß es alle hören konnten: »Du erinnerst dich, ich sprach mit dir einmal über das Spiel und sagte, ein Dummkopf ist, wer beim Spiel dem Glück vertraut. Man muß ernsthaft spielen und das will ich versuchen. Nun, es ist besser, du spielst nicht!« Und mit einem Kartenspiel auf den Tisch klopfend, rief er: »Die Bank, meine Herren!« Dolochow legte Geld vor sich hin und traf Anstalten, die Bank zu halten. Rostow saß neben ihm und spielte anfangs nicht. Dolochow blickte ihn an. »Warum spielst du nicht?« fragte er.
Seltsamerweise fühlte sich nun Nikolai veranlaßt, eine Karte zu nehmen und einen kleinen Einsatz zu machen.
»Ich habe kein Geld bei mir«, sagte er.
»Ich gebe dir Kredit.«
Rostow setzte fünf Rubel auf eine Karte und verlor, dann setzte er wieder und verlor wieder und dies wiederholte sich zehnmal der Reihe nach.
»Meine Herren«, sagte Dolochow, »ich bitte Sie, Geld auf die Karten zu legen, sonst kann ich mich in meinen Berechnungen irren.«
Einer der Spieler sagte, er hoffe, man könne ihm trauen.
»Ja, man kann trauen, aber ich fürchte Irrtümer, und bitte daher, das Geld auf die Karten zu legen«, erwiderte Dolochow. »Du brauchst dich nicht zu genieren; wir werden uns später verrechnen«, sagte er zu Rostow.
Das Spiel dauerte fort. Die Diener brachten unaufhörlich Champagner. Alle Karten Rostows wurden geschlagen und bald war seine Schuld auf achthundert Rubel angewachsen. Er hätte gern auf eine Karte achthundert Rubel gesetzt, bedachte sich aber und schrieb nur seinen gewöhnlichen Einsatz, zwanzig Rubel, auf.
»Laß es stehen«, sagte Dolochow, obgleich er nicht nach Rostow zu sehen schien, »um so schneller bringst du den Verlust wieder ein. Oder fürchtest du dich?« wiederholte er.
Rostow entschuldigte sich, ließ die aufgeschriebene Zahl achthundert stehen und bedeckte eine Herzsieben mit einer abgezogenen Karokarte, die er vom Fußboden aufhob. Dessen erinnerte er sich später ganz genau. Er trank ein Glas Champagner, lächelte über Dolochows Bemerkung und blickte in angstvoller Erwartung auf die Hände Dolochows, die die Karten hielten. Gewinn oder Verlust bedeutete viel für Rostow. Am vergangenen Sonntag hatte er vom alten Grafen zweitausend Rubel erhalten, und da er niemals von Geldangelegenheiten zu sprechen liebte, nur bemerkt, das sei das letzte Geld vor Mai, und er müsse deshalb Nikolai ermahnen, dieses Mal sparsamer zu sein. Nikolai versicherte, das sei viel zu viel für ihn, und er gebe sein Ehrenwort, bis zum Herbst kein Geld mehr zu verlangen. Jetzt waren ihm von diesem Geld noch zwölfhundert Rubel übriggeblieben, demnach bedeutete die Herzsieben für ihn nicht nur einen Verlust von sechszehnhundert Rubel, sondern auch die Unmöglichkeit, sein Wort zu halten.
»Nun noch schnell eine Karte«, dachte er, »und ich nehme meine Mütze und fahre nach Hause, um mit Denissow, Natalie und Sonja zu Abend zu speisen, und werde nie wieder eine Karte in die Hand nehmen.«
Das Familienleben erschien ihm in diesem Augenblick so verführerisch und entzückend wie ein längst vergangenes, verlorenes Glück. Es schien ihm unerträglich, daß der einfältige Zufall, der die Sieben vorhin rechts, anstatt links legte, ihn dieses jetzt erst begriffenen Familienglücks berauben könne. Das durfte nicht sein, aber dennoch beobachtete er angstvoll die Bewegung der knöchernen, roten Hände, welche aus dem Hemd hervorsahen, die Karten hinlegten und dann ein dargereichtes Glas ergriffen.
»Du fürchtest dich also nicht, mit mir zu spielen?« wiederholte Dolochow und lehnte sich im Stuhl zurück, um gemächlich und lachend eine heitere Anekdote zu erzählen.
»Ja, meine Herren, man hat mir gesagt, in Moskau sei die Ansicht verbreitet, ich sei ein Falschspieler. Deshalb rate ich Ihnen, vorsichtig mit mir zu sein.«
»Ach, diese moskauischen Klatschbasen«, sagte Dolochow und ergriff lachend die Karten.
»Ach!« schrie Rostow auf und griff mit beiden Händen in die Haare. Die Sieben, die er nötig hatte, lag obenauf, die erste Karte im Stoß. Er hatte mehr verloren, als er bezahlen konnte.
»Nimm dich in acht, daß du dich nicht zu tief eingräbst«, sagte Dolochow mit einem Seitenblick nach Rostow und fuhr fort, Karten zu geben.