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Drei Tage später, am 15., standen beim Schloß im Kreml zahlreiche Equipagen.
Die Säle waren gedrängt voll, in dem ersten waren die Edelleute in Uniformen, in dem zweiten die Kaufleute in blauen Kaftanen, mit Medaillen und langen Bärten. Im Saal der Adelsversammlung herrschte eine geräuschvolle Aufregung. An einem großen Tisch, unter dem Porträt des Kaisers, saßen auf Stühlen mit hohen Lehnen die höchsten Würdenträger, die meisten Adligen aber gingen im Saal umher. Alle trugen Uniformen, einige aus der Zeit der Kaiserin Katharina, Kaiser Pauls oder Kaiser Alexanders. Die meisten waren Peter bekannt, aber der besondere Charakter der Uniform gab ihnen ein seltsames, phantastisches Aussehen. Viele halb blinde, zahnlose, kahlköpfige, gelbe oder hagere Greise saßen schweigend an der Wand.
Peter war schon am frühen Morgen gekommen und fühlte sich sehr unbehaglich in seiner engen Uniform. Er war in Aufregung. Die ungewöhnliche Versammlung, nicht nur des Adels, sondern auch der Kaufmannschaft, erweckte in ihm längst vergessene Ideen von einer Beratung des Kaisers mit seinem Volk, von einer Konstitution und der französischen Revolution. Das kaiserliche Manifest wurde vorgelesen und rief Begeisterung hervor, und dann gingen alle schweigend umher. Peter hörte, wie man darüber sprach, wo die Adelsmarschälle stehen sollen, wenn der Kaiser eintrete, wann man dem Kaiser einen Ball geben werde, ob man sich nach Kreisen oder nach Gouvernements aufstellen solle und so weiter. Sobald aber die Rede auf den Krieg kam, war alles unentschlossen und unklar.
Ein schöner Mann in der Uniform eines verabschiedeten Marineoffiziers sprach in einem der Säle, und man drängte sich um ihn. Peter hörte zu und überzeugte sich, daß er wirklich ein Liberaler war, aber in ganz anderem Sinn, als Peter geglaubt hatte. Es war die Rede von der Einberufung des Landsturms.
»Wenn die Adelsversammlung es nötig findet, so kann sie ihre Ergebenheit für den Kaiser auf andere Weise betätigen. Wir haben den Landsturm vom Jahre 1807 noch nicht vergessen. Hat er etwa dem Vaterlande Nutzen gebracht? Nicht im geringsten! Und was zu uns zurückkehrt, ist weder Soldat noch Bauer, sondern verworfenes Gesindel. Lieber eine Aushebung! Der Adel scheut keine Opfer, wir geben selbst alles und stellen noch Rekruten, und wenn der Kaiser ruft, sterben wir alle für ihn!« rief der Redner.
Der Graf Rostow hörte mit Begeisterung zu und stieß Peter an. Peter wollte auch reden, obgleich er nicht wußte, was. Er öffnete eben den Mund, als ein Senator mit klugem und boshaftem Gesicht, der neben ihm stand, Peter unterbrach.
»Ich vermute, meine Herren«, sagte er leise, »daß wir berufen sind, nicht um zu überlegen, was für das Reich am besten sei, Aushebung oder Landsturm, sondern um auf den Aufruf zu antworten, dessen uns der Kaiser gewürdigt hat. Was besser ist, Aushebung oder Landsturm, das überlassen wir der höchsten Gewalt zu beurteilen . . .«
Jetzt fand Peter plötzlich einen Ausweg für seine Aufregung, er war erzürnt auf den Senator, über seine Pedanterie und Engherzigkeit.
»Entschuldigen Sie mich, Exzellenz«, begann Peter, »wenn ich damit nicht übereinstimme.« Er kannte den Senator sehr wohl, hielt es aber für notwendig, einen offiziellen Ton zu beobachten. »Aber ich glaube, es ist die Pflicht der Adelsversammlung, nicht nur ihre Begeisterung auszudrücken, sondern auch jene Maßregeln zu überlegen, mit denen wir dem Vaterland helfen können. Ich vermute«, fuhr er noch lebhafter fort, »daß der Kaiser selbst unzufrieden wäre, wenn er in uns nur die Besitzer von Leibeigenen finden würde, die wir ihm als Kanonenfutter geben, und bei uns keinen Rat finden würde!«
Viele, welche ein verächtliches Lächeln des Senators bemerkten, verließen den Kreis. Nur Graf Rostow war zufrieden mit Peters Rede, wie er mit der des Marineoffiziers, des Senators und überhaupt immer mit der zuletzt gehaltenen Rede einverstanden war.
»Ich bin der Meinung, ehe wir diese Frage erörtern«, fuhr Peter fort, »sollten wir Seine Majestät ehrerbietig bitten, uns mitzuteilen, wieviel Truppen wir haben, und in welchem Zustand sie sich befinden, und dann . . .«
Kaum hatte Peter diese Worte gesprochen, als man von drei Seiten zugleich ihn anfiel. Am giftigsten war einer seiner alten Bekannten, der so oft freundschaftlich Boston mit ihm gespielt hatte, namens Adraxin. Er trug auch Uniform und erschien Peter darin ganz fremdartig. Mit boshaftem, verzerrtem Gesicht schrie er Peter an.
»Erstens muß ich Ihnen sagen, daß wir nicht das Recht haben, Seine Majestät danach zu fragen, und zweitens, wenn der russische Adel auch das Recht hätte, so könnte der Kaiser uns diese Frage nicht beantworten. Die Truppen bewegen sich je nach den Bewegungen des Feindes, manche fallen oder werden verwundet.«
»Es ist jetzt nicht Zeit zu überlegen«, schrie ein anderer, den Peter als schlechten Kartenspieler kannte, »man muß handeln! In Rußland herrscht Krieg, unser Feind ist gekommen, um Rußland zu vernichten und die Gräber unserer Väter zu beschimpfen, um Frauen und Kinder fortzuführen!« Dabei schlug sich der Mann auf die Brust. »Aber wir stehen alle wie ein Mann, alle für unser Väterchen, den Zar!« schrie er.
Einige beistimmende Zurufe kamen aus der Menge.
»Wir sind Russen und sparen nicht unser Blut für die Verteidigung des Glaubens, des Thrones und des Vaterlandes, aber unnütze Reden müssen wir unterlassen, wenn wir Söhne des Vaterlandes sind! Wir werden Europa zeigen, wie Rußland aufsteht für Rußland!« schrie er.
»Bravo! Bravo! So ist's!« schrien einige.
Peter wollte erwidern, er scheue keine Opfer, aber er kam nicht mehr zum Wort und wurde sogar grob unterbrochen. Man wandte sich von ihm ab wie von einem gemeinschaftlichen Feind. Dies geschah nicht, weil man mit seiner Rede unzufrieden war, welche nach den vielen anderen angehörten Reden bereits wieder vergessen war. Aber die Menge verlangte einen greifbaren Gegenstand der Liebe und einen greifbaren Gegenstand des Abscheus, und Peter wurde letzteres. Es folgten noch viele Redner, manche sprachen auch gut und originell.