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Als Peter wieder in die Powarstraße kam, erkannte er die Stelle nicht mehr, von welcher er ausgegangen war, um das Kind zu retten, so sehr war alles von Volksmassen und Habseligkeiten überfüllt. Peter suchte eilig die Familie des Beamten, um der Mutter ihr Kind wiederzugeben, und dann vielleicht noch jemand zu retten. Es war ihm zumute, als ob er noch viel Eiligeres zu tun hätte. Die Kleine war verstummt und blickte sich mit wilden Blicken um. An der Stelle fand Peter weder den Beamten noch seine Frau vor. Mit raschen Schritten drängte sich Peter durch das Volk und betrachtete die Gesichter. Bald sammelten sich einige Leute um die auffallende Gestalt Peters.
»Hast du etwas verloren? Wem gehört das Kind?« wurde er gefragt.
Peter antwortete, das Kind gehöre einer Frau mit einem schwarzen Mantel, welche an dieser Steile mit Kindern gesessen habe.
»Ach, das muß Anferow gewesen sein«, sagte ein alter Kirchensänger.
»Wieso Anferow?« fragte ein altes Weib. »Anferows sind schon am Morgen davongefahren. Das war entweder Maria Nikolaijewna oder Iwanows.«
»Er sagte, es sei ein Weib gewesen, aber Maria Nikolaijewna ist eine Dame«, bemerkte ein Leibeigener.
»Nun, ihr werdet sie kennen, sie hat solche langen Zähne und ist hager«, bemerkte Peter.
»Das ist Maria Nikolaijewna! Sie ist in den Garten gegangen, als diese Wölfe da gekommen sind«, sagte das Weib, auf die französischen Soldaten deutend. »Gehen Sie nur da hindurch, dort sind sie!«
Aber Peter hörte nicht auf das Weib. Schon seit einigen Augenblicken beobachtete er, was einige Schritte von ihm entfernt vorging. Dort saß eine grusinische oder armenische Familie, welche aus einem alten Mann, einem Typus orientalischer Schönheit, mit einem neuen Kaftan und neuen Stiefeln, sowie aus einer alten Frau desselben Typus und einer jungen Frau bestand. Letztere war sehr jung und erschien Peter als ein Muster orientalischer Schönheit mit ihren schwarzen, hochgewölbten Augenbrauen und einem langen, ungewöhnlich zartgeröteten Gesicht. Sie saß in ihrem reichen Atlaskleide inmitten der auf dem Platz umherliegenden Habseligkeiten. Den Kopf hatte sie mit einem dunkelblauen Tuch bedeckt.
Sie saß auf den Bündeln etwas hinter der Alten und blickte starr zur Erde, augenscheinlich kannte sie ihre Schönheit und fürchtete für sie. Jetzt sah Peter, wie zwei französische Soldaten auf diese Gruppe zugingen. Einer derselben, ein kleiner beweglicher Mensch, trug einen blauen Mantel, der mit einem Strick zusammengebunden war. Der andere, der Peter besonders auffiel, war ein langer, hagerer Mensch mit langsamen Bewegungen und idiotischer Miene. Dieser trug einen Friesmantel, blaue Beinkleider und große, zerrissene Reiterstiefel. Der kleine, barfüßige Franzose trat auf den Armenier zu, sprach einige Wort und griff nach den Füßen des Alten. Dieser zog hastig seine Stiefel ab. Der andere blieb mit den Händen in der Tasche vor der schönen Armenierin stehen und starrte sie schweigend an.
»Da! Da, nimm das Kind!« sagte Peter und reichte das Mädchen hastig und mit befehlender Gebärde der Alten. »Bringe es zu seinen Eltern!« rief er ihr zu, setzte das schreiende Mädchen auf die Erde und blickte sich nach den Franzosen und der armenischen Familie um. Der Alte saß schon barfüßig da, der kleine Franzose hatte ihm eben den letzten Stiefel abgenommen. Aber Peter blickte gespannt nach dem Franzosen im Friesmantel, welcher in diesem Augenblick sich langsam der jungen Frau näherte, die Hand aus der Tasche nahm und ihren Hals ergriff.
Die schöne Armenierin saß noch immer ebenso unbeweglich und schien nicht zu bemerken, was der Franzose tat. Als Peter die wenigen Schritte, die ihn von dem Franzosen trennten, zurückgelegt hatte, war es dem langen Marodeur im Friesmantel schon gelungen, ihr den Halsschmuck abzureißen. Die junge Frau griff mit den Händen nach ihrem Hals und schrie mit durchdringender Stimme auf.
»Lassen Sie diese Frau!« schrie Peter mit zorniger Stimme, ergriff den Soldaten an der Schulter und stieß ihn zur Seite. Der Soldat fiel nieder, erhob sich wieder und lief davon, aber sein Kamerad warf die Stiefel weg, griff nach seinem Säbel und ging drohend auf Peter zu.
»Nun, nun, mach keine Dummheiten!« schrie er. Peter befand sich jedoch in einer solchen Wut, daß er nichts begriff und seine Kräfte sich verzehnfachten. Er stürzte auf den barfüßigen Franzosen zu, und ehe dieser seinen Säbel herausnehmen konnte, hatte er ihn bereits niedergeworfen und bearbeitete ihn mit den Fäusten unter dem beifälligen Geschrei der Menge.
In diesem Augenblick erschien eine französische Ulanenpatrouille. Die Franzosen umringten Peter und den Soldaten. Peter wußte nicht mehr, was vorging, er konnte sich später nur erinnern, daß er jemand schlug, daß er geschlagen wurde und daß schließlich seine Hände gebunden wurden und einige französische Soldaten ihn umringten und seine Taschen durchsuchten.
»Herr Leutnant, er hat einen Dolch!« waren die ersten Worte, welche Peter verstand.
»Ah, eine Waffe!« sagte der Offizier und wandte sich an den barfüßigen Soldaten, der mit Peter ergriffen worden war.
»Gut, gut, vor Gericht kannst du alles sagen«, bemerkte der Offizier und wandte sich an Peter.
»Verstehst du Französisch?«
Peter wandte sich mit wütenden Blicken um und gab keine Antwort. Wahrscheinlich sah sein Gesicht schrecklich aus. Der Offizier flüsterte etwas, und vier Ulanen stellten sich zu beiden Seiten Peters auf.
»Sprichst du Französisch?« wiederholte der Offizier, der sich etwas entfernt von ihm hielt. »Ruft den Dolmetscher!«
Ein kleiner Mensch in russischer Kleidung erschien. An seinem Äußern und seiner Aussprache erkannte Peter sogleich einen Franzosen aus einem moskauischen Kaufladen.
»Er sieht nicht aus wie ein gewöhnlicher Mensch«, sagte der Dolmetscher.
»O, er gleicht sehr einem Brandstifter«, bemerkte der Offizier. »Fragen Sie ihn, wer er sei!«
»Wer bist du?« fragte der Dolmetscher. »Du mußt der Obrigkeit antworten.«
»Ich werde Ihnen nicht sagen, wer ich bin. Ich bin Ihr Gefangener, führen Sie mich fort!« sagte Peter plötzlich französisch.
»Ah! Ah!« rief der Offizier mit finsterer Miene. »Nun marsch!«
Um die Ulanen hatte sich eine Menschenmenge gesammelt. Ganz nahe bei Peter stand die Frau mit dem kleinen Mädchen. Als die Patrouille sich in Bewegung setzte, lief sie auf Peter zu.
»Wohin führen sie dich, mein Täubchen?« sagte sie. »Und wo soll ich das Mädchen lassen?«
»Was will sie?« fragte der Offizier.
Peter war wie betrunken. Beim Anblick des Mädchens, das er gerettet hatte, stieg seine Aufregung noch.
»Was sie will?« fragte er. »Sie bringt meine Tochter fort, die ich aus dem Feuer gerettet habe! Lebe wohl!« Und ohne zu wissen, wie er zu dieser zwecklosen Lüge gekommen war, schritt er mit entschlossenen, feierlichen Schritten inmitten der Franzosen weiter.
Die Patrouille war ausgesandt worden, um die Marodeure in den Straßen Moskaus und besonders die Brandstifter einzufangen, welche nach der bei den Franzosen herrschenden Ansicht das Feuer angesteckt haben mußten. Die Patrouille setzte ihren Weg noch durch einige Straßen fort und fing noch etwa fünf verdächtige Russen, einen Kaufmannsdiener, zwei Seminaristen und zwei Bauern, sowie verschiedene Marodeure. Von allen Verdächtigen aber war Peter der Verdächtigste. Als man sie alle in ein großes Haus am Subowschen Wall geführt hatte, in welchem die Hauptwache errichtet worden war, wurde Peter unter strenger Wache ein besonderes Zimmer angewiesen.