Leo N.Tolstoi
Krieg und Frieden
Leo N.Tolstoi

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64

Während der nächsten Zeit sah Peter selten seine Frau allein. Wie in Petersburg, so war auch in Moskau ihr Haus beständig von Gästen erfüllt. In der Nacht nach dem Duell betrat er, was häufig vorkam, nicht das Schlafzimmer und übernachtete in seinem großen Kabinett, demselben, in welchem Graf Besuchow gestorben war. Er legte sich auf einen Diwan und wollte einschlafen, um alles zu vergessen, aber vergebens. Er sah Helene vor sich, in der ersten Zeit nach der Hochzeit mit bloßen Schultern und leidenschaftlichen Blicken, und plötzlich erschien neben ihr das hübsche, freche, spöttische Gesicht Dolochows, wie er es beim Diner gesehen hatte, und dann wieder dasselbe Gesicht, bleich und schmerzverzerrt, wie damals, als es in den Schnee sank.

»Was ist geschehen?« fragte er sich. »Ich habe einen Liebhaber getötet! Ja, den Liebhaber meiner eigenen Frau! Ja, so war's! Warum? Wie bin ich dazu gekommen?« – »Weil du sie geheiratet hast,« erwiderte eine innere Stimme. »Aber wer ist schuld daran?« fragte er. »Du selbst, weil du sie geheiratet hast, ohne sie zu lieben, weil du sie und dich selbst betrogen hast!« Und er erinnerte sich, wie er beim Fürsten Wassil gesagt hatte: »Ich liebe Sie.« – »Davon kommt alles her.« Dann erinnerte er sich an den Honigmonat und errötete. Besonders lebhaft peinlich und beschämend war ihm die Erinnerung daran, wie er einmal, bald nach der Hochzeit, um Mittag im seidenen Schlafrock aus dem Schlafzimmer in das Kabinett trat, wo ihn sein Verwalter erwartete, welcher, sich höflich verbeugend, Peters Miene und seinen Schlafrock betrachtete und lächelte, als ob er seine Teilnahme für das Glück seines Herrn ehrerbietig ausdrücken wollte.

»Wie oft bin ich stolz gewesen auf ihre majestätische Schönheit, auf ihren feinen Takt«, dachte er, »und über ihre Unnahbarkeit. Das ist's, worauf ich stolz war! Anatol kam zu ihr, um Geld zu entlehnen, und küßte sie auf ihre nackten Schultern. Sie gab ihm kein Geld, ließ sich aber küssen. Ihr Vater suchte scherzend ihre Eifersucht zu erregen, aber sie sagte mit ruhigem Lächeln, sie sei nicht dumm genug, um eifersüchtig zu sein, er möge machen, was er wolle! Das sagte sie in meiner Gegenwart. Ich fragte sie einmal, ob sie sich nicht Mutter fühle, und sie antwortete mir mit geringschätzigem Lächeln, sie sei nicht so einfältig, um sich Kinder zu wünschen, und sie werde von mir keine Kinder haben.« Dann erinnerte er sich an ihre grobe Denkungsart, an ihre vulgären Ausdrücke. »Ja, ich habe sie nie geliebt!« wiederholte Peter. »Ich wußte, daß sie ein lasterhaftes Weib ist, wagte aber nicht, es mir einzugestehen.«

Peter war einer der Leute, welche ungeachtet ihrer inneren Charakterschwäche keinen Vertrauten für ihren Kummer suchen. Er bekämpfte allein seinen Kummer. In der Nacht rief er den Kammerdiener und befahl, einzupacken, um nach Petersburg zu reisen. Er konnte sich nicht vorstellen, wie er jetzt mit ihr sprechen sollte. Er beschloß, morgen abzufahren und ihr durch einen Brief seine Absicht mitzuteilen, sich auf immer von ihr zu trennen.

Als am Morgen der Kammerdiener ins Kabinett trat und Kaffee brachte, lag Peter mit einem aufgeschlagenen Buche in der Hand schlafend auf dem Diwan. Er erwachte und blickte sich lange erschrocken um, unfähig, zu begreifen, wo er sich befand.

»Die Gräfin läßt fragen, ob Eure Erlaucht zu Hause seien?« fragte der Kammerdiener.

Noch ehe Peter sich besann, welche Antwort er geben sollte, trat die Gräfin in einem Hauskleid von weißem Atlas, mit aufgelösten Haaren, ruhig und majestätisch ein. Auf ihrer Marmorstirn lag eine Falte des Zorns. Mit ihrer unerschütterlichen Ruhe wartete sie, bis der Kammerdiener das Zimmer verlassen hatte. Sie hatte von dem Duell gehört und war gekommen, darüber zu sprechen; mit verächtlichem Lächeln blickte sie ihn an.

»Was ist das wieder? Was sind das für Streiche, frage ich Sie?« begann sie in strengem Ton.

»Mich?« fragte Peter.

»Was wollten Sie mit diesem Duell beweisen, frage ich Sie?«

Peter wandte sich schwerfällig auf dem Diwan um, öffnete den Mund, konnte aber nicht antworten.

»Wenn Sie nicht antworten, so werde ich es Ihnen sagen«, fuhr Helene fort. »Sie glauben alles, was Ihnen die Leute sagen! Man hat Ihnen gesagt« – Helene lächelte – »Dolochow sei mein Liebhaber, und Sie haben es geglaubt! Was haben Sie damit bewiesen? Daß Sie ein Dummkopf sind, wie schon alle wissen. Was wird die Folge sein? Ich werde in ganz Moskau lächerlich erscheinen, jeder wird sagen, Sie haben in der Trunkenheit einen Menschen zum Duell herausgefordert, auf den Sie ohne Grund eifersüchtig waren« – Helene sprach immer lauter und wurde immer heftiger – »und welcher in jeder Beziehung besser ist als Sie!«

»Hm! Hm!« brummte Peter mit finsterer Miene, ohne sie anzusehen und ohne ein Glied zu rühren.

»Und warum glaubten Sie, daß er mein Liebhaber sei? Weil ich seine Gesellschaft liebe? Wenn Sie klüger und angenehmer wären, so hätte ich die Ihrige vorgezogen!«

»Sprechen Sie nicht mit mir, ich bitte Sie!« erwiderte Peter mit heiserer Stimme.

»Warum soll ich nicht sprechen? Ich sage es offen heraus, es wird selten eine Frau geben, welche mit einem solchen Mann wie Sie sich keinen Liebhaber nimmt, und das habe ich nicht getan«, sagte sie.

Peter wollte etwas erwidern, sah sie mit schrecklichen Augen an, deren Ausdruck sie nicht verstand, und legte sich wieder nieder. Er empfand physischen Schmerz in diesem Augenblick, er fühlte einen Druck auf der Brust und konnte nicht atmen.

»Es ist das beste, wir trennen uns!« sagte er kurz.

»Trennen? Meinetwegen, aber nur, wenn Sie mir ein Vermögen geben!« erwiderte Helene. »Trennen! Damit wollen Sie mich schrecken?«

Peter sprang auf und stürzte schwankend auf sie zu. »Ich erwürge dich!« rief er. Er nahm vom Tisch eine Marmorplatte, und mit einer ihm selbst unbekannten Kraft machte er einen Schritt auf sie zu und schwang sie über ihr.

Helene schrie entsetzt auf und suchte zu entfliehen. Peter empfand Entzücken in der Wut, er warf die Platte weg und zerschlug sie. »Hinaus!« schrie er mit so schrecklicher Stimme, daß man im ganzen Hause mit Schrecken diesen Schrei vernahm. Gott weiß, was Peter in diesem Augenblick getan hätte, wenn Helene nicht geflohen wäre.

Nach einer Woche stellte Peter seiner Frau eine Vollmacht aus, alle seine Güter in Großrußland zu verwalten, was mehr als die Hälfte seines Vermögens war. Dann fuhr er allein nach Petersburg.


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