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»Nun, ich stehe zu Diensten. Rauchst du? Gib aber acht, daß wir hier keine Unordnung machen!« sagte er und stellte einen Aschenbecher hin. »Also?«
»Ich habe zwei Anliegen an dich.«
»Bitte!«
Maslennikows Gesicht umwölkte und verdüsterte sich. Er hatte nun gar nichts mehr von jenem schweifwedelnden Hündchen an sich, dem sein Herr die Ohren gekraut hat. Aus dem Salon drangen Stimmen herein; eine weibliche Stimme rief: »Nie, nie, ich würde es nicht glauben!« – und eine männliche Stimme, die vom andern Ende des Salons herübertönte, wiederholte, irgend etwas erzählend, in einem fort: »La comtesse Voronzoff et Viktor Apraksine.« Aus einer dritten Richtung ließ sich nur ein Durcheinander von Stimmen und lautes Gelächter vernehmen. Maslennikow bemühte sich, die Vorgänge im Gastzimmer zu verfolgen, andrerseits aber auch auf das, was Nechljudow sagte, zu hören.
»Ich möchte wieder wegen jener Person mit dir reden,« sagte Nechljudow.
»Ganz recht, wegen der unschuldig Verurteilten – ich weiß, ich weiß.«
»Ich möchte bitten, daß sie als Wärterin ins Hospital geschickt wird. Man sagte mir, daß das möglich sei.«
Maslennikow preßte die Lippen aufeinander und begann nachzudenken.
»Ich glaube nicht, daß das geht,« sagte er. »Übrigens will ich mich erkundigen und dir morgen telegraphisch Bescheid geben.«
»Man sagte mir, es seien viele Kranke da, und man brauche notwendig Hilfskräfte.«
»Na ja, na ja. Jedenfalls lasse ich dir Nachricht zukommen.«
»Sehr freundlich von dir,« sagte Nechljudow.
Aus dem Salon vernahm man allgemeines Lachen, das sogar ziemlich natürlich klang.
»Das ist wieder dieser Viktor,« sagte Maslennikow lächelnd – »ein ungemein witziger Mensch, wenn er einmal im Zuge ist.«
»Dann ist da noch eine Sache,« sagte Nechljudow. »Im Gefängnis sitzen augenblicklich hundertunddreißig Menschen, einzig aus dem Grunde, weil sie nicht rechtzeitig ihre Pässe erneuert haben. Man hält sie dort schon über einen Monat fest.«
Er erzählte noch einiges Nähere über den Fall.
»Ja – wie hast du denn das alles in Erfahrung gebracht?« fragte Maslennikow, und auf seinem Gesichte malte sich plötzlich eine lebhafte Unruhe und Unzufriedenheit.
»Ich wollte einen Gefangenen besuchen, und da umringten mich plötzlich diese Leute im Korridor und baten mich ...«
»Welchen Gefangenen wolltest du denn besuchen?«
»Einen Bauern, der unschuldig angeklagt ist, und dem ich einen Verteidiger bestellt habe. Doch das nur nebenbei. Werden diese Leute, die nichts verbrochen haben, wirklich nur deshalb im Gefängnis festgehalten, weil sie ihre Pässe nicht rechtzeitig in Ordnung brachten? ...«
»Das ist Sache des Staatsanwalts,« fiel Maslennikow in unwilligem Tone ein. »Du sagst ja immer, das jetzige Gerichtsverfahren sei rascher und gerechter. Es ist Pflicht des Staatsanwaltsgehilfen, das Gefängnis zu besuchen und sich zu erkundigen, ob die Gefangenen auf einen gesetzlichen Grund hin inhaftiert sind oder nicht. Doch nein, die Herren tun nichts, sie sitzen lieber bei den Karten.«
»«Du kannst also nichts tun?« fragte Nechljudow düster – er erinnerte sich der Bemerkung des Advokaten, daß der Gouverneur alles dem Staatsanwalt in die Schuhe schieben werde.
»Doch, ich werde mich über die Angelegenheit informieren ...«
»Um so schlimmer für sie! Man hat sein Kreuz mit ihnen,« ließ sich aus dem Salon die Stimme einer Frau vernehmen, die offenbar gegen das, was sie sagte, völlig gleichgültig war.
»Gut, dann nehme ich auch diese,« ertönte aus einer andern Richtung die lustige Stimme eines Mannes, zugleich mit dem Lachen einer Dame, die dem Sprechenden anscheinend irgend etwas nicht geben wollte.
»Nein, nein, um keinen Preis,« sprach die weibliche Stimme.
»Ja, wie gesagt, ich will alles tun,« wiederholte Maslennikow, während er mit der türkisgeschmückten Hand seine Zigarette auslöschte. »Nun laß uns aber zu den Damen gehen!«
»Nur noch eins,« sagte Nechljudow, der noch immer nicht in den Salon hineinging, sondern zögernd an der Tür stand. »Man sagte mir, daß gestern bei einigen Gefangenen die Prügelstrafe angewandt wurde. Ist das wahr?«
Maslennikow errötete.
»Ach, auch das interessiert dich? Nein, mon cher, dich darf ich entschieden da nicht mehr hineinlassen, du kümmerst dich ja um alles! Komm, komm, Annette ruft uns,« sagte er und nahm seinen Arm, während sein Gesicht wieder die gleiche Aufregung zeigte wie vorhin, nach der ihm von dem vornehmen Gaste erwiesenen Aufmerksamkeit, nur daß seine Erregung jetzt mehr ängstlicher als freudiger Art war.
Nechljudow entriß ihm seinen Arm und durchschritt, ohne jemanden anzusprechen oder sich vor jemandem zu verbeugen, mit finsterer Miene den Salon und den großen Saal, betrat, an den herbeieilenden Lakaien vorübergehend, das Vorzimmer und gelangte auf die Straße.
»Was ist ihm denn? Was hast du ihm denn getan?« fragte Annette ihren Gatten.
»Das nennt man ›à la française‹,« sagte irgendjemand.
»Was heißt da ›à la française‹ – das ist schon mehr à la – Zulukaffer!«
»Er ist schon immer so gewesen.«
Man ging, man kam, und das Schnattern und Schwatzen nahm seinen Fortgang. Die Episode mit Nechljudow kam der Gesellschaft gerade gelegen, sie hatte nun einen willkommenen Gesprächsstoff für den heutigen Jour fix.
Am Tage nach seinem Besuche bei Maslennikow erhielt Nechljudow von diesem einen Brief, der auf dickem, mattglänzendem, mit Wappen und Stempeln versehenem Papier in einer pompösen, festen Handschrift geschrieben war und ihn benachrichtigte, daß er, Maslennikow, wegen der Versetzung der Maslowa ins Hospital an den Arzt geschrieben habe, und daß aller Wahrscheinlichkeit nach sein, Nechljudows, Wunsch in Erfüllung gehen werde. Die Unterschrift lautete »Dein Dich liebender älterer Kamerad,« und unter dem Namen Maslennikow zog sich ein erstaunlich kunstvoller, langer, fester Schnörkel hin.
»Dieser Narr!« murmelte Nechljudow unwillkürlich vor sich hin. Namentlich das Wort »Kamerad« hatte es ihm angetan: er fühlte, daß Maslennikow, indem er dieses Wort gebrauchte, sich gleichsam von seinem hohen Piedestal zu ihm herablassen wollte.