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Das Bureau bestand aus zwei Zimmern. Im ersten Zimmer befand sich ein großer, weit vorspringender Ofen, von dem der Bewurf abgefallen war. Es hatte zwei schmutzige Fenster; in der einen Ecke stand ein schwarzer Meßapparat, der zur Feststellung der Größe der Gefangenen diente, in der anderen Ecke hing ein großes Christusbild. In diesem ersten Zimmer standen einige Aufseher. Im zweiten Zimmer saßen an den Wänden entlang in einzelnen Gruppen oder paarweise etwa zwanzig Männer und Frauen und unterhielten sich leise miteinander. Am Fenster stand ein Schreibtisch. An diesem saß der Oberinspektor, der Nechljudow einen daneben stehenden Stuhl anbot. Nechljudow nahm Platz und begann die Insassen des Zimmers zu betrachten.
Vor allem erregte ein junger Mann in einem kurzen Jackett, mit sympathischem Gesichte, der vor einer nicht mehr jungen Frau mit schwarzen Augenbrauen stand, seine Aufmerksamkeit.
Er redete leidenschaftlich, unter lebhaften Gesten, auf sie ein. Daneben saß ein alter Mann mit blauer Brille und hörte, ohne sich zu rühren, einer jungen Frauensperson in Gefängniskleidung zu, die ihm irgendetwas erzählte, während er dabei ihre Hand in der seinigen hielt. Ein Knabe, der Kleidung nach ein Realschüler, blickte den Alten mit starrem, erschrockenem Gesichtsausdruck an, ohne auch nur einmal die Augen von ihm abzuwenden. Nicht weit von ihnen saß in einer Ecke ein Liebespärchen: sie war ein blondes, anmutiges, ganz junges Mädchen mit kurzem Haar und energischem Gesicht, ganz modisch gekleidet; er war ein hübscher junger Mann mit feinen Zügen und welligem Haar, in einer Guttaperchajacke. Sie saßen flüsternd in ihrer Ecke und vergingen augenscheinlich vor Liebe. Dem Tische am nächsten saß eine grauhaarige Frau in schwarzem Kleide, offenbar die Mutter eines jungen Mannes von schwindsüchtigem Aussehen, der vor ihr stand, und den sie unverwandt mit großen Augen ansah. Sie wollte ihm irgendetwas sagen, konnte jedoch vor Tränen nicht sprechen: kaum hatte sie begonnen, so blieb sie auch schon wieder stecken. Der junge Mann hielt ein Stückchen Papier in der Hand, das er mit grimmigem Gesichte zusammenfaltete und zerknitterte – offenbar wußte auch er nicht, was er ihr sagen sollte. Neben ihnen saß ein volles, rotwangiges, hübsches Mädchen mit auffallend großen Augen, in einem grauen Kleide und einem Umhang. Sie saß neben der weinenden Mutter und streichelte zärtlich ihre Schulter. Alles war hübsch an diesem Mädchen: die großen, weißen Hände, und das wellige, kurzgeschorene Haar, und die starke Nase samt den vollen Lippen; das Schönste aber waren an ihr die aufrichtigen, gutmütigen, sanften braunen Augen. Diese schönen Augen wandten sich in dem Augenblick, als Nechljudow eintrat, vom Gesicht der Mutter ab und begegneten seinem Blicke, doch sah sie sogleich wieder von ihm fort und sprach irgendetwas mit der Mutter des jungen Mannes. Nicht weit, von dem verliebten Pärchen saß ein schwarzer, struppiger Mensch mit finsterem Gesichte und sprach in rauhem Tone mit einem bartlosen Besucher, der der Sekte der Skopzen anzugehören schien. Nechljudow nahm neben dem Inspektor Platz und blickte mit gespannter Aufmerksamkeit um sich. Ein kleiner Knabe mit kurzgeschorenem Kopfe trat an ihn heran und fragte ihn mit seinem feinen Stimmchen:
»Wen erwarten Sie denn?«
Die Frage des Kleinen, der Nechljudow anfangs belustigt hatte, setzte ihn in Erstaunen, und als er nun das ernste, bedächtige Gesicht des Kindes mit den lebhaften, scharf beobachtenden Augen sah, antwortete er ihm ernsthaft, daß er eine ihm bekannte Frau erwarte.
»Ist es Ihre Schwester?« fragte der Kleine.
»Nein, es ist nicht meine Schwester,« entgegnete Nechljudow verwundert. »Und mit wem bist du denn hier?« fragte er den Kleinen.
»Ich bin mit Mama hier. Sie ist eine Politische,« sagte der Knabe.
»Maria Pawlowna, rufen Sie doch den Kolja weg,« sagte der Inspektor, der anscheinend die Unterhaltung Nechljudows mit dem Kleinen gesetzwidrig fand.
Maria Pawlowna war das hübsche Mädchen mit den schönen Augen, das Nechljudows Aufmerksamkeit erregt hatte. Sie richtete sich in ihrem ganzen stattlichen Wuchse auf und ging mit kräftigem, fast männlichem Schritt zu Nechljudow und dem Kleinen hin.
»Was fragt er Sie denn – wohl, wer Sie sind?« wandte sie sich lächelnd an Nechljudow und sah ihm dabei so schlicht vertrauend in die Augen, als könne gar kein Zweifel darüber herrschen, daß sie zu allen Menschen in einfachen, freundlichen, brüderlichen Beziehungen stehe und stehen wolle. »Er muß alles wissen,« sagte sie, und über ihr ganzes Gesicht erstrahlte ein so gutes, liebevolles Lächeln, daß nicht nur der Kleine, den sie ansah, sondern auch Nechljudow unwillkürlich mitlächeln mußten.
»Er fragte mich, wen ich hier erwarte.«
»Maria Pawlowna, Sie dürfen mit Leuten, die Sie nicht kennen, keine Unterhaltung anknüpfen – das wissen Sie doch!« sagte der Inspektor.
»Gut, gut,« sagte sie, faßte mit ihrer großen weißen Hand das kleine Händchen Koljas, der keinen Blick von ihr verwandte, und kehrte zu der Mutter des Schwindsüchtigen zurück.
»Wem gehört denn der Kleine?« wandte sich Nechljudow an den Inspektor.
»Einer Politischen, er ist im Gefängnis geboren.«
»In der Tat?«
»Ja, und jetzt fährt er mit der Mutter nach Sibirien.«
»Und dieses junge Mädchen?«
»Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben,« sagte der Inspektor achselzuckend. »Da ist auch schon die Bogoduchowskaja.«