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Nein, das war gar nicht Fritz, das war Herbert, der plötzlich zur Tür hereintrat.
Und nun wurde ihr allgemach klar: sie lag in dem Bett, das man vorne auf der Chaiselongue für sie zurechtgemacht hatte, und die miese Novembersonne kleckerte graugelb ins Zimmer.
Wie sie nach Hause gekommen war, davon hatte sie nicht die mindeste Ahnung.
»Hör mal, Kindchen,« sagte Herbert, sich neben sie auf die Kante setzend, »der Mann mit den Verträgen wird nächstens dasein. Es ist Zeit, daß du ins menschliche Leben zurückkehrst.«
Sie sah nach der Uhr und schämte sich sehr, denn es war nahe an zehn.
Wie eine glutheiße Woge ergoß sich die Erinnerung an das, was sich in dieser Nacht noch ereignet hatte, mit einmal über sie.
Und Herbert fuhr fort: »Vorerst hab' ich mit dir zu reden … Wie mit einer Erwachsenen will ich mit dir reden. Und schließlich bist du's ja auch. Denn als ich heut früh nach Hause kam, kuckt' ich bei dir herein, und da warst du noch immer nicht da. Ein Glück, daß Papa dich nicht getroffen hat, aber der war lange schon unten.«
Purzelchen wagte nichts abzustreiten und barg nur das Gesicht in den Kissen.
»Spiel nicht die G'scham'ge,« sagte er weiter, »hör mir lieber hübsch zu. Du bist mir wie eine richtige Schwester – bist es immer gewesen – weit mehr als Gudrun, die stets ihre eigenen Wege ging.«
O Gott, Gudrun!
Das Klavier stand da, – unbenutzt, obgleich es längst Übenszeit war.
»Sie ist weggegangen,« sagte er, Purzelchens Blick gewahrend, »und schien dabei ganz verstört. Weiß der Teufel, was die wieder vorhat! – Aber um fortzufahren: Der Vertrag wird nicht unterzeichnet werden – weder von mir noch von dir – oder vielmehr für dich – denn wir werden nie wieder auftreten.«
›Gott sei Dank,‹ dachte sie, denn seit sie sich vollends als Fritzens Eigentum fühlte, waren Erfolg und Genietum ihr keinen Heller mehr wert.
Aber zugleich fiel Herr Schischkin ihr ein und der verhungerte Konservatorist, der außer einem kleinen Vorschuß auch noch nichts hatte.
»Was machen wir bloß mit den beiden?« fragte sie ratlos.
Herbert lächelte mitleidsvoll zu ihr nieder.
»Für die ist ausgesorgt,« sagte er, »und für uns beide auch. Denn jetzt mache ich die große Partie. Ich avanciere zum Prinzgemahl. Anstatt deines Fritz werde ich Fräulein Ellinor heiraten.«
Purzelchen stieß einen Schrei aus. Viel fehlte nicht, so wäre sie unter dem Deckbett hervorgesprungen.
»Jawohl,« fuhr Herbert fort, »das hat sich diese Nacht so gemacht. Und manches andere noch sonst. Sie hat eingesehen, daß unter den Mitgiftjägern, denen sie vor die Flinte gekommen ist, ich wohl das Mondänste und Dekorativste bin, das so 'rumläuft … Deinem Fritz alle Ehren, aber was das Gehabe und das Getue betrifft, da kann er nicht mit mir konkurrieren. Und dann ist er in letzter Zeit auch so bockbeinig gewesen, sagt sie – ich nehme an, deinetwegen –, daß sie schließlich recht froh war, als die Geschichte zu einem friedlichen Ende kam … Aber fürs erste red' ich von mir – und zwar zu dir als meiner einz'gen Vertrauten. Du weißt, was das heißt? Maulhalten heißt das. Und auch Fritz gegenüber, denn dieses geht ihn nischt an.«
Purzelchen nickte nur, aber das war ihr so ernst wie ein Eid.
»Daß sie mir schon einmal den Laufpaß gegeben hat,« fuhr Herbert fort, »das hab' ich dir ja erzählt … Weiß Gott, was das Auskunftsbüro sonst noch ausgebaldowert hatte! Kurz, zu was Besserem schien ich ihr nicht mehr zu brauchen … Das rieb ich ihr heute nacht unter die Nase und ließ mir die nötigen Sicherungen geben, damit mir der Reinfall nicht wieder passiert. Jawoll, Kleines. Dein Fritz mit seinen Ehrbegriffen war ein Wickelkind gegen sie, aber ich bin ihr gewachsen, und wenn sie glaubt, mit mir spielen zu können, dann spiel' ich mit ihr … Als ich diese Nacht merkte, wie sehr ich sie in der Hand hatte, da stellte ich noch andere Bedingungen … Sie ist doch mit den Ihren verkracht, nicht wahr? ›Nee, Engelchen,‹ sagt' ich, ›so was is Luxus, denn das weißt du ja, irgendwie wirst du sicher beschummelt.‹ Und da ich mich erinnerte, daß nach dem Familienstatut ihr künftiger Mann das Recht hat, als Teilhaber in die Firma zu treten, so erklärte ich ihr: ›Anders tu' ich es nicht.‹ Und sie merkte sofort, daß sie ein gutes Geschäft dabei macht … Nun wär' es ja eine kapitale Dummheit, wenn ich nach Soest fahren und dort auftrumpfen wollte … Im Gegenteil! Als ein bescheidener junger Mann, der kein Wässerchen trübt, werd' ich mich in die Höhe dienen. Was sie inzwischen mit ihrem Leben macht, soll mich nicht allzuviel kümmern. › S'il vous plaît, Madame, bedienen Sie sich. Ich habe zu arbeiten.‹ … Denn arbeiten will ich, mein Kind. Danach hab' ich gejiepert seit dem neunten November. Aber natürlich – verlohnen muß sich die Chose … Zweihundertfünfzig Mark Monatsgehalt – da jeh' ick lieber und tanze … Mach' nich so große Augen, mein Süßes. Ich bin einfach ein heutiger Mensch. Unzählige Male hab' ich den Tod gestreift und zweimal das Zuchthaus. Die neue Zeit hat mich mit Scheidewasser gewaschen. Wer das übersteht, der sieht die Moral als Kinderspott an, aber es kann immer noch mal ein tüchtiger Mensch aus ihm werden.«
Er zog sein goldenes Etui aus der Tasche, zündete sich eine Zigarette an und fuhr dann fort: »Das bin ich, mein Kleines. Jetzt kommst du an die Reihe. Du weißt doch, was wir vereinbart haben. Wer von uns beiden zuerst die große Partie macht, der hat dem andern auf die Beine zu helfen … Nun sprachen wir auch über dich – oder eigentlich über Fritz – denn beim Auseinandergehen hat er ihr alles gestanden … Sag mal ganz nebenbei: wie habt ihr euch euer künftiges Leben wohl so gedacht?«
Purzelchen überlegte, daß sie nichts Besseres tun konnte, als sich dem Bruder vollends anzuvertrauen.
»Er ist heute nacht zu einem großen Entschlusse gekommen,« sagte sie, »und weil wir das alles doch durchreden mußten, darum ist's auch so spät geworden.«
»Natürlich, so was braucht Zeit,« stimmte er zu, aber er schmunzelte so niederträchtig, daß sie sich wieder blutrot werden fühlte. Umso eifriger fuhr sie fort: »Daß er nun die Hoffnung, Nadolnien zurückzukaufen, aufgeben muß, das versteht sich leider von selbst. Aber ganz und gar davon lassen – das kann er nicht. Und darum wollten wir heute zusammen zu Herrn Samuel gehen –«
Doch der Bruder wußte ja nicht, wer Herr Samuel war. Und als sie es ihm erzählt hatte – auch von dem Wiederbegegnen dort und alles –, da nickte er zufriedengestellt, aber das Schmunzeln, das nicht von seinem Gesichte wich, beunruhigte sie.
»Was hast du bloß immer?« forschte sie ängstlich.
»Nur weiter!« ermunterte er.
»– und dann wollten wir ihn bitten, daß er Fritz zum Verwalter machen möchte, oder zum Oberinspektor oder dergleichen. Denn für den heimatlichen Boden zu arbeiten, meint Fritz, das wäre schon Glück genug, auch wenn die Früchte einem andern zufallen, meint Fritz.«
»Kuck mal an,« sagte der Bruder, »daß es solche Idealisten in Deutschland noch gibt, das hätt' ich gar nicht gedacht.«
»Und einen besseren Vertrauensmann«, fuhr sie fort, »würde Herr Samuel auch nirgends finden. Das muß er doch einsehen, nicht wahr? Und Fritz sagt: ›Je mehr ich es lieb', desto mehr werd' ich für ihn herauswirtschaften,‹ sagt Fritz.«
»Der Schluß ist einleuchtend,« entgegnete Herbert, »bloß ich würde an seiner Stelle noch einen kleinen Nachsatz hinzufügen: ›um es alsdann in die eigene Tasche zu stecken.‹ Das wäre so meine Art Idealismus, mein Süßes.«
»Pfui, ulk doch nicht immer,« schalt Purzelchen.
Herbert meckerte leis vor sich nieder. Dann aber wurde er ernst und sagte: »Was ihr da vorhabt, das ist an sich höchst klug und höchst richtig, und dein Herr Samuel wäre ein Esel, wenn er den Vorschlag nicht annähme. Doch nun kommt erst die Hauptsache.«
Purzelchen wurde sehr hellhörig, aber was das für eine Hauptsache war, konnte sie nicht mehr erfahren, denn in demselben Augenblick ertönte die Flurglocke.
»Das wird der Bote mit den Verträgen sein,« sagte Herbert, »ich werde ihn gleich an der Tür abfertigen.«
Damit ging er hinaus.
Purzelchen lauschte. Zwei Männerstimmen, von denen eine die des Stiefbruders war, redeten wirr durcheinander, und in ihr stieg die Angst, daß sie vielleicht doch nicht frei kommen würde.
Nach einer kurzen Weile kehrte Herbert zurück.
»Ganz so simpel liegt die Sache nun freilich nicht,« sagte er. »Dein Gönner, der Herr Rendant, ist höchstselber da. Er beruft sich auf rechtsgültige Abmachungen, auf entstehenden Schaden und dergleichen Witze mehr. Auch dich verlangt er zu sprechen.«
»Bloß nicht,« schrie Purzelchen auf und verkroch sich unter die Decke, als ob der ungebetene Gast im nächsten Augenblick bei ihr eindringen könnte.
Herbert beruhigte sie. »Zieh dich hübsch an,« sagte er. »Ich werd' ihn inzwischen nach seinem Büro begleiten und die Sache mit dem Direktor in Ordnung bringen. In einer Stunde bin ich wieder da, und dann reden wir weiter.«
Damit verschwand er von neuem, und die beiden Stimmen verhallten. – –
Rasch fuhr Purzelchen in ihre Pantoffeln und schlüpfte zum Badezimmer hin, um sich die Reste des Siamesentums, die gelbschimmernd noch überall klebten, vom Leibe zu waschen.
Den Hebel der Heizung streichelte sie, aber die zwanzig blauen Flammen züngeln zu sehen, dazu nahm sie sich nicht erst die Zeit.
Als sie fertig war, klingelte sie nach Lina, um die Betten wegräumen und sich das Frühstück bringen zu lassen.
Während sie noch am Eßtisch saß, klappte die Flurtür.
Ihr Herz machte einen Sprung. Sie wußte, was das bedeutete: Gudrun war nach Hause gekommen.
Was jetzt bevorstand, hätte selbst einer Löwenbändigerin den Atem zum Stocken gebracht.
Gudrun trat ein, sagte nicht »Guten Morgen« und nichts, und ehe Purzelchen den Mut aufgebracht hatte, sich nach ihr umzudrehen, sah sie ein weißes Paket auf dem Tische, das die Schwester neben sie hingelegt haben mußte. Es war so groß, wie ein Pfund Schokolade es braucht, und mit einer goldenen Litze umwickelt. Genau so sah es aus, als wäre es dem elterlichen Laden entnommen. Und wie sie sich gerade ein Herz fassen und fragen wollte: »Was heißt das?«, da war die Schwester verschwunden.
Sie knüpfte die Litze auf, und als sie das Papier auseinanderschlug, da fand sich richtig ein mit Papas Firma bedruckter Karton, wie er für die Pfundpackungen immer verwandt wurde. Und was noch merkwürdiger war: auch genau soviel wog er.
›Ist Gudrun verrückt geworden?‹ dachte sie, denn die Schwester mußte ja wissen, daß der Abscheu vor Süßigkeiten in ihnen allen gleich stark war.
Doch als sie nun den Deckel abhob, da fanden sich auch gar keine Pralinees, sondern statt ihrer drei, vier, fünf wunderschöne, blutrote Rosen mit umgebogenen Stengeln, wie sie jetzt im November zwei bis drei Mark das Stück kosten.
Woher aber kam die seltsame Schwere?
Und als sie die Rosen weggetan hatte, da entdeckte sie auf dem Grunde, in Papas schönstes Goldpapier eingehüllt, ein gewichtiges Päckchen, das beim Herausheben ein wenig klirrte. Darinnen lagen – – – – –
Ja, was?
Was sonst als Fritzens geliebte zwei Schlüssel.
»Gudrun! Gudrun! Liebe, liebe Gudrun!«
In Galoppsprüngen zum Schlafzimmer hin.
Da saß auf ihrem Bette die Schwester, hielt die Hände über der Brust gefaltet und blickte wie eine Seherin grell in die Leere, aber über dem zartwangigen Cherubgesicht lag schon wieder etwas von dem alten, verzwickten Lausbubenlächeln.
»Ach Gudrun! Dich hab' ich für eine Böse gehalten! Ach Gudrun!«
Und als sie ihr nun um den Hals fiel, da fühlte sie auf ihrem Scheitel die Hand, deren Streicheln jetzt wieder so wohl tat.
»Was heißt eine Böse?« sagte die Schwester. »Natürlich war ich böse. Ein richtiges Luder war ich, wie es nicht anders geht, wenn man einen durchaus für sich haben will. Dafür hast du ihn ja nun mit Gottes und meiner gnädigen Hilfe.«
»Wie hast du's nur erfahren?« fragte Purzelchen, das sich aus dem Geschehenen noch keinen Vers machen konnte.
»Als ich gestern zu ihm kam, fand ich auf seinem Tisch das Programm,« erwiderte Gudrun, »und schon, als er erklärte, er wolle hingehen, da dacht' ich mir manches. Schlafen konnte ich nicht in der Nacht, und als ich Herbert um fünfe heimkommen hörte und du nicht dabei warst, da stand ich auf und horchte nach vorne. Du kamst um halb sechs, und woher du kamst, daran konnt' ich nicht zweifeln. Der Sicherheit wegen aber ging ich vormittags noch zu ihm. Und da erfuhr ich das letzte … Ja, Liebling, ich habe mein Spiel verloren. Und mir geschieht auch ganz recht.«
›Natürlich geschieht ihr recht,‹ dachte Purzelchen, da aber die Schwester ihr eigentlich leid tat, so fragte sie: » Warum recht?«
»Weil ich bei alledem nichts als eine dämliche Gans war. Schon daß ich dich von deinem Herrn Gerberding loseiste, obwohl ich ihn durch dein Fortgehen doch für mich hätte bekommen können, war ein unverzeihlicher Fehler. Aber ich hatte dich eben lieb. Da war nischt zu machen. Und dies mein' ich auch eigentlich nicht … Aber wie ich mich ihm gegenüber verhielt! … Zum schmachtenden Jungfräulein wurd' ich, weil ich dachte, es würd' ihm gefallen … Ihn mir zu langen, riskiert' ich schon gar nicht. Saß ich bei ihm, dann dampft' ich vor lauter Tugend, und hinterher heult' ich im stillen den Mond an. Einfach scheußlich! Ganz wie im vorigen Jahrhundert … Aber ich will nicht schimpfen, denn ein Gutes hat die Geschichte doch gehabt. Früher dacht' ich, wer weiß wie flott vorwärtszukommen mit meinem Bummeln, aber ich sehe ein: richtig arbeiten hab' ich jetzt erst gelernt. Und was an Mannsvolk um einen 'rumläuft, davon wird mir keiner mehr nahe kommen. Bis ich mein Ziel erreicht hab' und eine wirkliche Künstlerin geworden bin. Dann kann ich die Kandare wieder etwas lockerer lassen … Also hab' ich deinem Fritz schließlich nur dankbar zu sein … Aber er mir auch. Denn daß er seine Ellinor Schmitz los wurde, das ist letzten Endes mein Werk.«
›Hab' ich's nicht geahnt?‹ dachte Purzelchen. Aber weil sie gerade dieses der Schwester neidete, so fragte sie: »Durftst du denn das? Er mußte doch sein Nadolnien wiederbekommen. Dafür opferte er sich ja, und darum hielt er so an ihr fest. Hat er dir davon niemals gesprochen?«
Die Schwester nickte. »Aber da saß noch was andres dahinter, worüber er hartnäckig schwieg. Nur von einer unentrinnbaren Pflicht orakelte er. Es ließ sich nicht schwer erraten, was er wohl damit meinte.«
»Was kann das gewesen sein?« fragte Purzelchen ratlos.
»Kleines Schaf!« lachte die Schwester. »Womit fassen wir Mädels die Männer am besten? … Wenigstens die anständige Sorte – die andere lacht uns bloß aus … Indem wir ihnen einreden, dadurch, daß wir uns eines Tages von ihnen haben hinnehmen lassen, seien sie uns wunderwas schuldig geworden: ewige Treue, Sorge für unsere Zukunft, gemeinsames häusliches Leben und früher, als die Duelle noch in der Mode waren, sogar dieses Leben selber … Todsicher lag die Sache hier auch so … Und weil noch gar die Verlobung dazukam, glaubt' er erst recht, hier gäb' es nichts mehr zu retten.«
»Und womit hast du ihn gerettet vor jener Person?« rief Purzelchen, gänzlich vergessend, daß »jene Person« demnächst ihrer aller nahe Verwandte sein würde.
Die Schwester hob mit einem schlauen Lächeln die Schultern.
»Das sind so kleine, unbemerkbare Sachen,« erwiderte sie, »in denen der Fraueninstinkt immer das Richtige findet, um – je nachdem – zweie zu binden oder auseinander zu hetzen. Und dann war ja als Rückhalt auch noch mein Herr Samuel da, mit dem ich noch immer gut Freund bin, denn das ist Prinzip bei mir: ich verzank' mich mit niemand, auch wenn ich ihn hab' abblitzen lassen. Ich konnte natürlich jenes Nadolnien nicht als Geschenk von ihm verlangen, doch das eine kannst du mir glauben: es wäre mir sicher geglückt, es in irgend einer Form Fritz in die Hände zu spielen … Aber nun sag mal, mein Liebes, was hast du deinem Fritz statt dessen zu bieten?«
Purzelchen schwieg bestürzt. Ein Gefühl überkam sie, als wäre sie noch nie im Leben so klein und so arm und so kläglich gewesen. Ganz und gar mit leeren Händen mußte sie vor ihn hintreten, und nichts Besseres würde ihrer beider gemeinsames Los sein, als im Schergendienste für einen Fremden hoffnungslos hinzualtern.
Nur ein Gedanke tröstete sie in ihrer Verzagtheit: Wenn Herbert nicht etwas Gutes für sie in petto hatte, würde er sie dann an das alte Abkommen erinnert haben, daß, wer von ihnen beiden zuerst – –?
Und da war Herbert.
»Das gab eine schwere Sitzung,« sagte er eintretend. »Einen richtigen Raubzug unternahmen die Schufte, aber so feste hat den Herrn Direktor wohl noch keiner seiner Tänzer auf die Füße getreten … Willst du mich, süße Freundin« – damit wandte er sich an Gudrun – »ein wenig mit unserm Kleinchen allein lassen? Meine Bude ist noch nicht aufgeräumt, aber ich bin's desto mehr – du wirst bald erfahren haben, weshalb.«
Gudrun nickte herablassend und ging nach vorne, von woher man sie alsbald auf den Tasten herumrasen hörte.
»Wo waren wir doch gleich stehengeblieben, mein Liebling?« begann er. »Ja richtig! Für den Fall, daß ihr, dein Fritz und du, mit Herrn Samuel einig werdet, wollte ich mir nur einen kleinen Rat erlauben: Beim Vertragmachen vergeßt nicht, einen Paragraphen hineinzufügen, der von dem Vorkaufsrecht handelt. ›Vorkaufsrecht‹, merk' dir das Wort. Oder noch besser: ihr legt den Preis gleich fest, zu dem ihr es kaufen könnt. Denn je mehr dein Fritz das Gut in die Höhe bringt, desto mehr müßt ihr später auch blechen.«
»Ach Gott,« sagte Purzelchen mutlos, »zu kaufen, dazu würden wir doch nie imstande sein.«
»Wer kann wissen?« meinte Herbert und schmunzelte geradeso wie vorhin. » Man hat die nicht zu unterdrückende Neigung gehabt, deinem Fritz eine höchst respektable Abstandssumme überweisen zu lassen, und hat es sich nur verkniffen, weil man fürchtete, bei diesem Unternehmen einen Teller oder sonst was an den Kopf zu bekommen. Dabei hat er trotz seiner Armut monatelang sämtliche Ausgehspesen getragen. Und wenn ich entsprechend betone, wie viele Koteletts und wie viele Kocktails und wie viele Flaschen Röderer er im Laufe der Zeit –«
»All sein Familiensilber hat er verkauft,« rief Purzelchen eifrig dazwischen. Wenn dies auch nicht der Wahrheit entsprach, so diente es doch einem wichtigen Zwecke.
»– so könnte es sich ereignen,« fuhr Herbert fort, »daß sie sehr bald die Verpflichtung fühlt, ihm dies durch – ein gewisses – zinsloses – Darlehen – ausgiebig – zu ver–gü–ten.«
Purzelchen verstand nicht, oder vielmehr: sie wagte nicht, zu verstehen. Das Glück war zu groß, um es fassen zu können. Und noch ein anderes kam hinzu, das vielleicht ebenso groß war: Gudrun, die durch ihre Klugheit Herrn Samuel glaubte gefügig machen zu können, hatte nun nichts mehr vor ihr voraus. Im Gegenteil: Sie wurde Siegerin in diesem Wettstreit des Helfens.
Und da sie nicht wußte, wie ihre Dankbarkeit am besten bezeigen, so griff sie nach Herberts Händen und drückte sie sich inbrünstig gegen die Augen.
Er ließ es lachend geschehen und fuhr dann fort: »Nun besteht allerdings die Gefahr, daß dein Fritz in seiner Vorsintflutlichkeit auch hiermit nicht einverstanden sein würde, und darum müßte dies kleine Geschäftchen vielmehr durch unsere Hände gehen. Ellinor gibt das Geld mir, und ich geb' es dir, und was du damit machst, ist deine Sache.«
Da konnte Purzelchen sich nicht länger halten, sie warf sich über das Bett, drehte den Rücken nach oben und schluchzte besinnungslos in die Kisten hinein.
»Nu heul dich hübsch aus,« sagte der Bruder aufstehend. »Ich werde mich inzwischen heitreren Gefilden zuwenden. Soll ich meine wiedererstandene Braut von dir grüßen?«
Erschrocken fuhr Purzelchen in die Höhe.
»Ach nein,« rief sie ganz unwillkürlich. Da sie sich aber sofort besann, wieviel Dank sie der künftigen Schwägerin schuldete, so fügte sie flehend hinzu: »Ach ja! Ach, bitte, bitte, ja!«
»Nur keine übermäßige Gefühlsverschwendung!« beruhigte sie der Bruder. »Für derlei Strapazen ist Fräulein Ellinor Schmitz aus Soest nicht das richtige Objekt. Hier gibt es höchst einfache Rechnung: Sie hat das Geld, und ich knöpf' es ihr ab, bis ich's ihr wieder verdiene. Selbst die strengste Moral fühlt sich dadurch gekitzelt! … Hab' ich dir nicht immer gesagt, Kleine: ich mache schließlich das Rennen?«