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66

»Bleiben Sie noch auf dem Diwan liegen, gnädige Frau, bis Sie sich ganz erholt haben! Muten Sie Ihren Nerven nicht zuviel zu!«

»Ich brauche jetzt meine Nerven, Herr Professor!«

»Ja – das fürchte ich auch, gnädige Frau!«

Ilselott richtete sich auf dem aufgestützten Ellbogen empor. Sie saß aufrecht dem Arzt gegenüber. Sie warf einen Blick in den Wandspiegel.

»Ich sehe aus wie ein Geist ...« Sie strich sich über die Stirn. »Und dabei weiß ich noch gar nicht, was Sie mir sagen werden!«

Eine Stille ... Dann langsam von den weltkundigen glattrasierten Lippen drüben:

»Um Ihretwillen würde ich gern mit dem noch warten, was ich Ihnen zu sagen habe, gnädige Frau!«

»Kümmern Sie sich jetzt nicht um mich, sondern nur um meinen Mann!«

»Aber eben wegen Ihres Herrn Gemahls muß ich als Arzt sofort reden! Es ist Gefahr im Verzug ...«

»Er ist krank ...?«

»Ich habe ihn beobachtet, während er mir seine Sammlungen zeigte – krankhaft fanatisiert – mit einer pathologischen Hingabe an seinen Besitz ...«

»... von dem er nie genug bekommt ...«

»Darüber habe ich mich mit ihm lange unterhalten! Ich habe ihn zum Schluß unseres Gesprächs mit äußerster Vorsicht gefragt, ob er nicht lieber einmal seinen Nerven ein wenig Ruhe gönnen und eine Zeitlang mit dem Sammeln aufhören wolle ...«

»Um Gottes willen – das meinem Mann ...?«

»Ich mußte es tun, um auf diese Art seinen Gemütszustand zu sondieren! Und wie notwendig diese Untersuchung war ... gnädige Frau – Sie sehen – meine Krawatte ist zerrissen ... der Kragenknopf gesprungen.«

»Großer Gott ...«

»Ich sah an seinem verzerrten Gesicht die Krise kommen! Plötzlich packte er mich am Halse und würgte mich und heulte: ›Verrat! Jetzt durchschaue ich Sie! Sie sind ein Spion meiner verrückten Frau!‹ ...«

»Gebhard – und gegen einen Menschen tätlich ... Dann war er nicht bei sich!«

»Nein, gnädige Frau! Es war das klinische Bild eines jäh ausgebrochenen Tobsuchtsanfalls. Ich machte mich mit ein paar Griffen frei ...«

»Und er ...?«

»Er stand und starrte mich unsicher an. Ich kenne diese wolkig getrübten Augen. In diesem Augenblick kam Ihr Mädchen laut schreiend die Treppe heruntergestürzt, um mich zu Ihnen zu holen, und er an ihr vorbei, drei Stufen auf einmal, in den Oberstock hinauf. Ich konnte ihm nicht so rasch folgen. Ich mußte ja auch zu Ihnen. Ich hörte nur, wie er sich da oben in einem Zimmer einschloß.«

Ein schweres Schweigen. Ilselott hob den Kopf.

»Sagen Sie mir die volle Wahrheit, Herr Professor!«

»Fühlen Sie sich stark genug, sie zu hören?«

»Ja.«

»Gnädige Frau: das menschliche Gehirn kann scheinbar normal funktionieren und doch in einem Teil seiner Windungen erkrankt sein ... Man nennt das die fixe Idee. In diesem Fall die Sammelwut!«

»Mein Mann ist ...«

»Gnädige Frau: Sie leben, ohne zu wissen, an der Seite eines Geistesgestörten.«

Ilselott Hüsgen erhob sich langsam. Der Professor stand neben ihr, bereit sie zu stützen. Aber sie hielt sich aufrecht.

»... und zwar schon seit geraumer Zeit, gnädige Frau!«

»Und jetzt ...«

»Gnädige Frau – wir müssen den Patienten sofort in eine geschlossene Anstalt überführen. Derartige Gemütskranke sind, im Zwang ihrer fixen Idee, zu direkten Verstößen gegen die Gesetze fähig!«

Der Nervenarzt drückte auf den Klingelknopf. Er frug das eintretende Mädchen:

»Wo ist Herr Doktor Hüsgen jetzt?«

»Er hat sich in seinem Schlafzimmer eingeschlossen! Aber wie eben Herr Rösing gekommen ist und geklopft hat, hat er ihm aufgemacht.«

»Na – seit wann verschanzen Sie sich denn in Ihren eigenen vier Wänden, Verehrtester?« sprach der rotbärtige Kunsthändler Rösing, behaglich in seinem Sessel, zu dem Dr.. Gebhard Hüsgen, der mit unsteten, kleinen Schritten in seinem Schlafzimmer auf und ab lief. »Tja – weswegen ich hier in Erscheinung trete, können Sie sich ja lebhaft vorstellen! Nu singen wir die Berappigungsarie! Vorher ziert der Andrea del Sarto nicht dies Haus!«

»Er muß zu mir ins Haus!«

»Herrgott – schreien Sie doch nicht so!«

»Heute noch!«

»Lassen Sie doch meinen armen Rockknopf in Ruhe! Man könnte sich ja vor Ihnen fürchten!«

»Heute mittag hängt er unten an der Wand!«

»Wenn Sie so rasch die Moneten vorweisen können ...«

»Kleinigkeit für mich!« Gebhard Hüsgen faßte sich geheimnisvoll lächelnd an die dick geschwellt unter dem Rock sich abzeichnende Brusttasche.

»Haben Sie womöglich das Geld bar darin?«

»Nicht bar ... aber ich hol's!«

»Famos! Mann, kommen Sie! Mein Wagen streikt heute! Ich hab' 'nen Taxameter unten! Wie?« Der rote Rösing blickte über die Schulter nach dem auf der Schwelle erschienenen Hausmädchen. »Die gnädige Frau möchte mich dringend sprechen? Na – dann entschuldigen Sie mich 'nen Moment, verehrter Freund und Gönner!«

»Herr Rösing!« Ilselott stürzte in ihrem Zimmer dem Kunsthändler entgegen.

»Mein Gott ... gnädige Frau – wie sehen Sie aus?«

»Mein Mann ist krank ...«

»... 'bißchen aufgeregt – geb' ich zu!«

»Hier – der Herr Professor wird Ihnen erklären ... Gebhard darf keinen Schritt aus dem Haus ...«

»Da draußen läuft er ja ohne mich durch den Garten ...«

Der rote Rösing faltete betroffen die Hände vor dem Bauch. »Mir nichts, dir nichts auf meine Droschke zu ...«

»Kutscher! Der Herr, mit dem Sie gekommen sind, braucht Sie nicht mehr!« Gebhard Hüsgen hatte in Sätzen quer über die Blumenbeete das Einfahrtstor erreicht und flüchtete hastig in das Innere des draußen auf dem Fahrdamm haltenden Taxameters. »Ich nehm' Sie! Fahren Sie mich nach Berlin hinein! Schnell!«

Unterwegs rief er mit heller Fistelstimme durch die Scheibe:

»Halten Sie mal an irgendeinem Geschäft, wo ich das Telephonbuch nachsehen kann!«

Und im Herauskommen aus dem Laden atemlos geschäftig, heiter:

»So – nun weiter – nicht wahr? ... Zum Doktor Josef Schraubt ... nicht wahr?«

»Wo soll denn das sein, Herr?«

»Ach so! Da hab' ich es aufgeschrieben. Oben im Norden. Da nehmen Sie den Zettel ... Sie verstehen – nicht wahr?« Ein neues Kichern. »Also zu Doktor Schraudt!«


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