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Die Hilde Lüders war, während der Schupo Peschke am Untergrundbahnschalter stand, so schnell sie konnte, vom Bahnhof Zoo nach dem Tiergarten zurückgelaufen. Gott sei Dank: Bis zur Güntherstraße an dessen Rand war es ganz nahe. Immer den Lattenzaun des Zoologischen Gartens entlang, über den hinweg krummnasige Adler und Geier von ihren hohen Horsten mißtrauisch auf das eilige Obstfräulein herabschielten.
Sie stürmte durch den Strom der Sonntagsfamilien, der Pärchen, der Kinderwagen und Hunde. Sie stand atemlos vor der Villa Wiebeking. Still lag das mächtige Haus in parkartigem Garten. Kein Mensch zu sehen. Das Gittertor der Einfahrt offen. Aber das war der Eingang für Herrschaften. Die Hilde Lüders ging, scheu spähend, daran vorbei.
Da, seitlich, die Garage. Auch mit gähnenden Torflügeln. Man konnte auf der Seitenstraße, außen längs der Mauer, nahe herangehen. Man sah von da hinten in den Hof.
Dort saß im Sonnenschein auf einem Stuhl ein junges Mädchen, den dunkeln Wuschelkopf mit dem zierlichen Näschen über einen Strumpf auf ihrem Schoß gebeugt. Sie stopfte emsig. Sie sah nicht auf. Dann schien sie fertig. Sie ließ die Hände ruhen und starrte geistesabwesend vor sich hin. Geraume Zeit. Schließlich packte sie ihren Kram zusammen und ging langsam in das Haus.
Nun webte nur noch die sonntägliche Stille um die weißen Mauern, die herbstbunten Bäume. Das Obstfräulein stand unschlüssig. Sie trat unruhig von einem Fuß auf den andern. Sie schritt hinüber nach der entgegengesetzten Seite der Villa Wiebeking. Da sperrte die grüne Glasveranda des Gewächshauses jeden Einblick.
Von der Straße tönte ein Tuten. Eine Limousine schoß heran, durch die Einfahrt, schwenkte seitlings, war weg. Die Hilde Lüders hatte es eben noch gesehen. Sie eilte, schmal und schmächtig, mit langen Beinen und nervösen Augen um das Haus herum zurück.
Sie kam gerade zurecht. Aus der Garage trat ein frischer, junger Mann in elegantem grauem Herbstanzug und schüttelte, als er ihrer ansichtig wurde, gottergeben den blauäugigen, rotblonden Kopf. Sie winkte ihm leidenschaftlich zu. Sie sah jetzt sehr hübsch aus, wie sie, aufgeregt lächelnd, die kleinen, dichten, weißen Zähne in dem regelmäßigen Gesicht zeigte.
Er näherte sich und reichte ihr über das Gitter die Hand.
»Das müssen Sie aber nicht machen, Hildchen!« sagte er freundlich. »Mich hier überfallen! Ich hab Ihnen doch versprochen, Sie zu besuchen!«
»Ja.« Sie legte außer Atem die Hand auf die Brust. »Sie sind hier in Stellung! Ich kann mir ja denken, daß es die Herrschaft vielleicht nicht gern sieht ...«
»Die Herrschaft ist über Land. Die kommt erst abends zurück!«
»Na – dann ist es ja gut!« Das Obstfräulein musterte ihn bewundernd, träumerische Phantastik in den dunkelbraunen Augen. »Aber fein schauen Sie aus! Wie ein Kavalier!«
»Ach – mich wundert's nicht!« Sie beugte geheimnisvoll den blassen Kopf vor. »Wie? ... Na – im Film natürlich!«
»Ach so ...«
»Da geht ihr doch auch immer mal so fein angezogen, damit euch keiner kennt ...«
»Aha ...«
»Und dann wieder bei den Apachen – mit einem Schal um den Hals – So möchte ich Sie einmal sehen, wie Sie da ausschauen!«
Gläubige Hingebung in den dunkeln Augensternen der Hilde Lüders. Der junge Mann lachte.
»Tja – ich setze ein halbes Dutzend Detektivs täglich leicht in Nahrung! Das bringt das Metier so mit sich! Und nun meiden Sie meine Nähe, Kind! Sonst werden Sie noch eines Tages mitgeköpft!«
»Herr Werner!« Das Obstfräulein hob sich bang auf die Fußspitzen. »Sie sind einer von den ganz Großen von Berlin ...«
»Hilde! Nun ist's genug!«
»Sie bereiten 'ne ganz wilde Sache vor!«
»Nun bremsen Sie mal Ihre Romantik!«
»Ach – ich freu' mich ja so wahnsinnig darauf! Wenn das dann in den Zeitungen steht und alle zerbrechen sich die Köpfe und ich weiß es. Ich bin dann stolz auf Sie!«
»Adieu, Hilde!«
»Natürlich sind Sie tollkühn!« Das blasse Obstfräulein nahm die dargebotene Hand nicht. »Sonst würden ja die andern nicht gerade Sie zum Führer ... Aber ich fleh' Sie an: Denken Sie an sich! Spielen Sie nicht unnötig mit der Gefahr! Sie haben einen Feind ...«
»Wer hat den nicht, Kind?«
»Einen unscheinbaren, aber eben deswegen furchtbar gefährlichen Feind!«
»Schön!«
»Lachen Sie nicht! Ich kenn' ihn! Es ist ein Schupo! Er heißt Peschke!«
»Na – grüßen Sie Herrn Peschke von mir!«
»Er hat sich in den Kopf gesetzt, Sie zur Strecke zu bringen ...«
»Ja. So gehen heutzutage die Besten hin!«
»Ich bitt' Sie um Gottes willen: Hüten Sie sich vor ihm!«
»Hütet euch vor Peschke! Ich werd' mir einen Knoten ins Schnupftuch machen!«
»Ich zittere so für Sie!« Das Antlitz der Hilde Lüders verklärte sich. Es wurde weich. Sie hob flehend die gefalteten Hände. »Herr Werner: Kann ich denn nicht ein bißchen helfen?«
»Nanu?«
»Kann ich mich denn nicht ein bißchen nützlich machen?«
»Sie meinen doch nicht ...«?
»Sie brauchen doch Menschen, denen Sie vertrauen können – die für Sie durchs Feuer gehen – bei dem, was Sie vorhaben ... Kann ich nicht irgendwo stehen und ein geheimes Zeichen geben – oder eine geheime Botschaft überbringen?«
»Nun wird's aber zu bunt, Hilde! Fahren Sie jetzt heim und schmeißen Sie Ihre Schmöker ins Küchenfeuer ...«
»Herr Werner ...«
»Sonst kommen Sie noch in des Deubels Küche! Glauben Sie nur nicht, daß wir hier nicht beobachtet werden! Sehen Sie: dort drüben steht ein Mensch den ganzen Tag und bietet den Vorübergehenden Schuhsenkel an. Der ist von der Kriminalpolizei!«
»Huch!« Die Augen der Hilde Lüders glänzten.
»Geschenk des Herrn Kriminalkommissar Dürisch, wie es an den Käfigen im Zoo drüben heißt! ... Ich hab' mir heute vormittag bei dieser armen Kreatur zum Spaß ein paar Schuhsenkel gekauft ... Gar nicht schlecht übrigens ...«
»Ach – Sie sind groß!«
»Nun aber wirklich Schluß, Räuberbraut! Auf Wiedersehen!« Werner Wiebeking drückte dem Obstfräulein die Hand, winkte ihr noch einmal freundlich zu und ging in das Haus.