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»Ja – wie gesagt – leider ist das Ergebnis des gestrigen Abends gleich Null plus minus Null!« Der Dr.-Ing. Wiebeking beugte sich im Sattel vor und entzündete sich zwischen den langen Zügeln eine Zigarette. Er ritt neben Ilselott Hüsgen im Schritt durch den Grunewald. Stille zwischen den fuchsbraunen Föhren. Blaßblau über ihren struppigen Köpfen der Herbsthimmel der Mark. Fern irgendwo Berlin und seine Sorgen ...
»Aber Lüttchen hat wieder verloren ...?«
»... so als wollte eine so gerissene Jeuratte wie er die Bank mit Gewalt loswerden! Wer kauft denn um Gottes willen auf sechs? Es war, als suchte er nur eine Gelegenheit, sich zu empfehlen, weil er etwas anderes vorhatte!«
Werner Wiebeking nahm auf dem glitschigen Wurzelgeschlängel seinen Braunen zusammen.
»Bald nach ihm habe ich mich auf französisch empfohlen!« sagte er. »Ich wollte ebenso wie Ihre brüderliche Liebe wiederkommen und vorher noch schnell daheim aus einem bestimmten Grund nach meinem dortigen Schützling sehen. Wie ich erscheine, hat das unselige Kind das ganze Haus auf den Kopf gestellt! Das Mädel ist eben hysterisch! Sie kennen sie ja von vorgestern abend ...«
»... wo sie vor meinem Haus Gespenster gesehen hat ...«
»... und jetzt bei uns angebliche Einbrecher! Hinter denen ist sie in der Nacht her! In Wirklichkeit einfach ausgerückt! Vielleicht mit einem Freund, der draußen auf sie wartete. Jedenfalls auf Nimmerwiedersehen!«
»Sie meinen es immer zu gut mit den Menschen!« sagte die kleine, blonde Frau im schwarzen Reitrock, die langsam links von ihm auf ihrem Schimmel ritt. Er zuckte die Achseln.
»Die Ente fliegt wieder nach dem Sumpf. In diesem Fall nach der Oberspree. Offenbar in ihre angestammte Kaschemme in der Schlünzigstraße zurück. Von dort hat die Polizei sie wahrscheinlich inzwischen schon hinter Schloß und Riegel gebracht ... Es tut einem leid. Aber ich lasse die Dinge jetzt laufen!«
»Ich hab' jetzt anderes im Kopf!« setzte er nach einer Weile träumerisch hinzu.
Die kleine Frau antwortete nicht. Sie verkürzte den rechten Zügel. Der Gaul fühlte leise das Reitstöckchen auf dem rechten Schenkel. Galopp durch den Grunewald. Tausendfach im weißen Streusand verwitternd die Stullenpapiere. Konservenblech. Orangenpellen. Eierschalen. Flaschenscherben. Massenhaft ringsum weiß die Verbottafeln. Tiefblau rückte die Havel zwischen dem Kieferngewimmel näher, mit ihrem grünen Schilf, den roten Ziegelkähnen, den am andern Ufer leuchtenden, weißen Häusern.
Kein Laut als das immer raschere Prusten des Braunen und des Schimmels, der gleichmäßige Dreischlag der Hufe. Eine Schwenkung. Auf die Chaussee. In der Richtung nach Berlin zurück. Schritt.
»Nicht wahr – so reiten mir jetzt öfters?« frug Werner Wiebeking lächelnd und leise.
Das zarte Profil unter der steifen Krempe des schwarzen Rundhuts wandte sich ihm nicht zu. Es war gesenkt und ernst.
»Ich glaube – es war heute das erste und letzte Mal!« sagte Ilselott endlich.
»Ja – warum denn – um Gottes willen?«
»Weil ich aus Berlin weg möchte – auf einige Zeit ...«
Er riß erschrocken die blauen Augen auf.
»Weg?«
»Ja!«
»Bald?«
»Wenn's geht, schon in den nächsten Tagen!«
»Wo's jetzt im Herbst noch ein bißchen warm und sonnig ist – vielleicht Südtirol ...«
»Mit Ihrem Mann?«
»Nein. Der bleibt jedenfalls hier – bei seinen Kunstschätzen! Der hat jetzt bald seine große Auktion. Den Andrea del Sarto – endlich kann ich mir den Namen merken –, ohne den er scheint's künftig nicht mehr leben kann!«
»Aber er wird mich schon reisen lassen, wenn ich ihn darum bitte!« Ilselott seufzte leise. »Er hat mich ja lieb. Auf seine Art. Er läßt es mir an nichts fehlen!«
Sie ritten eine Weile stumm im Schritt dahin.
»Was wollen Sie denn in Südtirol machen, Ilselott?«
»Über mich nachdenken ... und so alles ...«
Nach einer Pause:
»Das muß man mal ... Man lebt doch so hin ...«
Und wieder nach einem Schweigen:
»Oder man hat so hingelebt ... Bisher ...«
Die Hufe der Pferde klapperten.
»Also Meran, Ilselott ...?«
»Ja – oder Bozen ... Da sind bequeme Zugverbindungen mit Berlin!«
»Nicht wahr?« Der junge Mann strahlte. »Da können Sie dann in Meran sein und ich in Bozen!«
Die kleine Frau hob den weichen Kopf und sah ihn still aus ihren blauen Kinderaugen an. Aber doch nicht überrascht – schien es ihm.
»Da können wir uns dann so nett – rein durch Zufall – treffen. Mit dem Wagen ist's ja nur ein Katzensprung bis Bozen!«
»Was wollen denn Sie in Bozen?«
»Auch mal ausspannen! Drei Monate habe ich im Osten in der Reparaturwerkstatt als Schlosser geschuftet! Meine Nerven sind angegriffen, Ilselott!«
»Das sieht man Ihnen wirklich nicht an!« Ein schwaches, schwermütiges Lächeln drüben.
»Das muß ich doch wissen, wie ich mich fühle! Ohne Sie fühle ich mich in Berlin todunglücklich und fliehe!«
»Das sollten Sie nicht tun!«
»Das tu' ich ganz gewiß! Wenn Sie nach Meran gehen, gehe ich nach Bozen! Wenn Sie abreisen, ist das für mich ein Zeichen!«
Berlin kam langsam näher. Die ersten Villen des Grunewalds. Menschen, Autos.
»Machen Sie es mir doch nicht so schwer!« Ilselott hielt den Blick über die Pferdeohren auf die Landstraße gerichtet.
»Schwer?«
»Wenn ich mich einmal finden und sammeln möchte ...«
»Wollen Sie denn wirklich allein sein?«
Es kam keine Antwort.
»Ilselott ...« Es sprach eindringlich, halblaut zu ihrer Rechten. »Sie brauchen einen Freund! Es ist besser für eine Frau geführt zu werden, als daß man es ihr nur an nichts fehlen läßt. Dann ist man für den Betreffenden nur eine Nebensache. Und das ist für eine Frau wie Sie ...«
»Seien Sie jetzt still ...«
In der Seitenstraße drüben schimmerte weiß im Rasengrün die Villa Hüsgen. Ilselott hielt vor dem Tor. Der Pförtner rannte um zu öffnen.
»Ilselott – erlauben Sie mir, Ihr Freund zu sein?«
Sehr blaß geworden war vor ihm das sanfte Gesicht. Stumm.
»Lassen Sie mich wissen, wenn Sie sich entschlossen haben, zu fahren! Ja?«
»Ja.«