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12

Die kleine Frau sagte das so knapp und sachlich, als sei sie selber ein Hauptstück in dem Museum ihres Gatten. Rund um sie war die Weite, die Kühle, die Stille der hohen, gotischen Halle. Die Rembrandts und Tizians an den Wänden, die marmornen Götter und holzgeschnitzten Madonnen schwiegen. Nichts regte sich zwischen den Drachenvasen und Renaissancetruhen.

Draußen stand blau und sonnenheiß der Herbsthimmel über dem Rotbraun der Föhrenstämme und dem fern durchblinkenden Silberspiegel der Havel. Die kleine Frau unterdrückte ein Gähnen. Vor der Villa hupte es. Sie fuhr zusammen.

»Gott – ich hab' ja heute 'ne Masse Leute zum Frühstück!« murmelte sie. »Also – sagen Sie bitte: Wie heißen Sie denn – damit ich Sie nötigenfalls heute in der Werkstatt anrufen kann!«

»Monteur Karl Werner, gnädige Frau!«

»Mahlzeit, Ilselott!« Ein Kleeblatt junger Gents verdunkelte die Butzenscheiben des Eingangs – glattrasiert alle drei, herbstfroh die bunten Krawatten, schlotternd weit die Bügelhosen. Der Schlosser Werner ging in respektvollem Bogen um die Jünglinge herum. Frau Hüsgen winkte ihm freundlich nach.

»Also auf morgen, Herr Werner!«

»Patenter Kerl – dein neuer Chauffeur, Ilselott!«

»Wie ein Gentleman ...«

»In diesem Hause geht alles nach der Schönheit!«

»Seit wann haste denn die Perle, Ilselottchen?«

»Das ist ganz einfach der Mann, der mir meinen Wagen wiedergebracht hat!« Frau Hüsgen sah mißbilligend ihrem Bruder in das glattrasierte, großohrige, spitznasig-vergnügliche Lebemännchen-Gesicht. »Das ist ein nützlicherer Mensch als du, Lüttchen! Dazu gehört allerdings nicht viel! Gut, daß du kommst und ich dir den Kopf wasche. Papa ist grimmiger Laune gegen dich!«

»Papa ist Erster Staatsanwalt! Mach du's mal einem Staatsanwalt recht! Ich habe Mitleid mit dem alten Herrn!«

»Auf der Bank hat man dich seit drei Tagen nicht mehr gesehen!«

»Gott – ob da ein Volontär mehr 'rumwimmelt! Ich kann die allgemeine Pleite auch nicht aufhalten!«

»Und wo schwiemelst du denn so eigentlich herum?« Die Schwester wandte sich zu den beiden andern Gents. »Und Sie unterstützen ihn noch in seinem Lebenswandel!«

»Oh – ich studiere Berliner Sitten und Gebräuche!« sprach langsam der eine, fad blond, farblos, dürftig gewachsen, in schlechtem Englisch-Deutsch. Und der andere, der hornbebrillte, weichliche Antinouskopf mit der lächelnden Schwermut um den üppigen Frauenmund, versöhnlich und weich:

»Der Kurfürstendamm ruft, gnädige Frau! Er ruft Tag und Nacht!«

»Gott sei Dank: da kommt mein Mann! Gebhard – lies mal dem Lüttchen die Leviten!«

Ein schmächtiger Herr mit versonnenem, glattrasiertem Gelehrtenkopf lief vom Eingang her durch das Museum. Zwei andere rechts und links von ihm. Er bewegte sich bei aller Eile vorsichtig, fast auf den Fußspitzen, als fürchtete er, bei jedem Schritt an einen seiner Kunstschätze zu stoßen.

»Verdreifachen wir lieber gleich die Einbruchversicherung!« sagte er schnell, ohne auf seine Frau zu hören, zu seinem Begleiter rechts, und blickte auf den rotwolligen, dickbäuchigen, weltkundigen Silen zu seiner Linken. »Herr Rösing steht uns bei der Schätzung als Experte zur Seite!«

»Na – na – gleich verdreifachen, Herr Doktor Hüsgen?« Der feuerbärtige Kunsthändler zwinkerte zweifelnd durch die goldene Brille.

»Doch! Doch!« Der magere, blauäugige Mann blieb stehen und stampfte nervös mit dem Fuß. Seine Stimme hatte einen weinerlichen, geängstigten Klang. »Ich muß mich gegen diesen Nachtmenschen schützen! ... Er kommt sicher auch einmal zu mir! ... Er kommt sicher mal ...«

»Zu holen ist für den schwarzen Mann hier freilich genug!«

»Ich schlafe schon nachts nicht mehr wegen diesem Nachtdoktor! Und wenn ich schlafe, dann träume ich von dem Geschöpf! ... Nein! Da muß ... Was willst du denn, Ilselott? Ich bin jetzt ...«

»Gebhard! ... Der Lüttchen bummelt in letzter Zeit doller wie je! Meine Eltern haben gar keinen Einfluß mehr auf die Rübe! Nimm du ihn dir mal vor!«

»Brauchst du Geld?« Gebhard Hüsgen schaute zerstreut aus seinen milden, blauen Augen auf den Schwager. Der kleine Asphalttreter lächelte nur ironisch und überlegen und lupfte nachlässig eine Faustvoll loser Tausendmarkscheine aus der Hosentasche.

»Lüttchen – woher hast du das Sündengeld?« rief die Schwester.

»Liegt in Berlin ja auf der Straße!« Der junge Mann entzündete sich kühl eine Zigarette. »Man braucht nur ein ausgeruhtes Köpfchen!«

»Nun – dann ist ja gut!« Dr. Hüsgen huschte erleichtert mit den beiden Herren in die Hinterräume seiner Sammlung. Dort schritt er aufgeregt hin und her. Er liebkoste träumerisch mit dünnen, langnägeligen Fingerspitzen die kobaltblaue Wölbung einer halb mannshohen Meißner Vase, als sei sie ein lebendes Wesen. Er rückte geschäftig den Serpentinsockel eines Dionysostorsos zurecht. Seine Sprache schwang jetzt, unter seinen Kunstschätzen, in einem leidenschaftlichen, schreienden, begehrenden Ton.

»Ehe wir mit der Versicherung beginnen«, er blätterte fiebrig in einem dicken, bilderreichen Katalog, »notieren Sie doch schnell, lieber Rösing, meine Aufträge für die große Auktion Ende dieses Monats! ... 117: der Teller aus der Tsing-Dynastie! Spätestens aus der Zeit des Kaisers Khang-Hi! Das Nien-Hao ist noch nicht in Siegelschrift!«

»Nummer 117! Ich verrate nicht, daß ich in Ihrem Namen steigere! Sonst klettern die Preise gleich wie im Fieberthermometer!«

»Sie verderben mit Ihrer unbeschränkten Kapitalsstärke die Preise, Herr Doktor Hüsgen!« sagte der andere. Der Sammler wehrte ungeduldig ab.

»Nummer 228. Die Gravierung der Ruinen von Hancock! Weiter nichts! Ich muß alle meine Kräfte für den Andrea del Sarto zusammenhalten!«

»Sie mit Ihren ungemessenen Mitteln!«

»Trotzdem ...«

»Ihre Hüsgenwerke verteilen sogar dieses Jahr noch fünfzehn Prozent Dividende!«

»Gott sei Dank, daß ich den Andrea del Sarto kaufen kann! Es ist eine nie wiederkehrende Gelegenheit!«

»Herr Doktor Hüsgen hat ganz recht, daß er sich für die Auktion dick wattiert!« sagte der Kunsthändler. »Es sind eigens Museumsdirektoren aus Amerika gekommen. Der Andrea del Sarto wird fabelhaft hoch getrieben werden!«

»Ich muß ihn haben! Ich muß!« Der Sammler lief nervös auf und nieder. »Und ich werde es schaffen! Aber jetzt wollen wir uns gegen diese Bestie in Menschengestalt – diesen Nachtkönig – sichern ... Er soll mir nichts stehlen ...« Er stützte sich, halb schützend, halb Schutz suchend, an einen lebensgroßen, altbayerischen Heiligen. »Die Sachen gehören mir!«

»Ich habe Waffen!« Der schmale, schwächliche Mann zog ungeschickt eine Pistole aus der Schublade eines Rokoko-Putztischchens. »Ich hab' in jedem Raum welche versteckt! Ich verteidige mich rücksichtslos! Ich schieße jeden nieder!«

»Na – so weit sind wir ja noch nicht!« versetzte der dicke, rotbärtige Rösing phlegmatisch. »Sie haben doch schon Schutzvorrichtungen genug!«

»An jedem Fenster ein elektrisches Läutewerk, wenn einer einsteigt!« Der Hausherr lächelte matt und triumphierend. »Bitte – überzeugen Sie sich ...«

Er öffnete zwei Scheiben. Er fuhr mit einem Gurgeln des Schreckens zurück. Der Versicherungsvertreter sprang hinzu.

»Was ist? ... Um Gottes willen: die Leitungsdrähte sind ja durchschnitten ...«

»... und sauber wieder aneinandergelegt, damit man es nicht merkt ...«

»... die Schnittfläche noch ganz frisch ...«

»Das ist ein Zeichen, daß Ihrem Haus wirklich Gefahr droht!« sagte der Kunsthändler, jetzt auch sehr ernst.

»Ich würde die Villa von heute nacht ab von ein paar ganz zuverlässigen Männern bewachen lassen, Herr Doktor Hüsgen! Auf die Kosten kommt es Ihnen ja nicht an!«

»Er hört Sie ja gar nicht! Er wird ja ohnmächtig!« schrie der rote Rösing. »Da – lassen Sie ihn in den Renaissancefauteuil fallen! So! Klingeln Sie nach Wasser! ... Jesus! ... Jesus ... der Mann hat schwache Nerven!«

»Sagen Sie meiner Frau nichts!« stöhnte Gebhard Hüsgen.

»Nein – nein – Herr Doktor ...«

»Sie ängstigen sich ganz unnütz ...«

»Die gnädige Frau merkt ja nichts! Sie hat ja drüben Gäste!«


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