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»Sehen Sie, Hildchen – blaue Blume der Romantik – nun tue ich Ihnen wirklich den Gefallen und flüchte vor meinen zahllosen Verfolgern ...«
Der Schlosser Werner betrat um die vierte Nachmittagsstunde das Stückchen Süden in der fahlen, eintönig lärmenden Färberstraße – goldener Orangenglast drinnen – üppiges Immergrün – Würzduft fremder Zonen.
»Ich verlege von heute ab meinen Schwerpunkt nach dem Westen! Da mögen mich die Häscher suchen!«
Das Obstfräulein hob den leidenschaftlichen, regelmäßigen Kopf von ihrem Schmöker. Sie schüttelte sich die dunkelbraunen Kringel aus der krausen Stirne. Eine stille Begeisterung spielte verräterisch um ihre blassen Lippen.
»Das war ja gestern bei Ihnen auf der Stube gar keine Polizei!« Sie reichte dem frischen, sportschlanken, blauäugigen, jungen Mann mit einem geheimnisvollen Freimaurerdruck die fieberheiße Hand. Sie sah auf einmal sehr hübsch aus in dem Schein heller Verliebtheit, der ihre schmalen Wangen rötete. »Das waren ja richtiggehende Verbrecher ...«
»Meine Leibgarde, Hilde!«
»... die Ihnen zu Leibe wollte ...«
»Mißverständnis!«
»Wenn der gräßliche dicke Kerl nicht im letzten Augenblick dazwischengetreten wäre ... ...«
»Und dabei hab' ich keine Ahnung, warum ...«
Ein langer, trauriger Blick des Obstfräuleins.
»Mir verraten Sie natürlich nichts!« sagte sie schmerzlich. »Aber das hab' ich doch aus den Worten des Dicken gemerkt: Sie sind ein viel Größerer, als die andern geahnt haben!«
»Hilde – Sie überschätzen mich ...«
»Einer von den heimlichen, ganz Großen in Berlin! Ach – es ist ja eigentlich herrlich!« ... Die phantastischen Augen der Hilde Lüders überflogen aufgeregt die Straße. »... wie die alle sich vor Ihnen geduckt haben wie vor dem Tierbändiger im Zirkus ...«
»... aber nun schauen Sie um Gottes willen, daß nicht von der andern Seite die Blauen Sie fassen! Vorhin bummelte schon einer vorbei – den kenn' ich – der war schon ein paarmal bei mir im Laden! ... 'n Schupo in Zivil! Da!« Sie zog in ihrem langen Leinenkittel schreckhaft die Schultern hoch »... der Kleine, Stämmige mit dem vergnügten Vollmond als Visage ... Da steuert er direktemang aufs Lokal zu ...«
»Der ist nämlich noch außerdem in mich verknallt!« Sie lachte plötzlich und wurde jünger, mädchenhaft übermütig.
»Und Sie?«
Ein stiller, seelenvoller Augenaufschlag nur als Antwort ... ...
»Na – dann wimmeln Sie ihn sich doch ab, Hilde!«
»I wo werd' ich denn, Herr Werner!« Das schlanke Obstfräulein wurde auf einmal ganz praktisch und nüchtern, in der Leidenschaft der Liebe. Sie zwinkerte vertraulich und gerissen mit den braunen Pupillen. »Im Gegenteil: dem Freier komm' ich entgegen – natürlich nur mit dem kleinen Finger ... heißt das ...«
»Und warum diese Selbstverleugnung?«
»Na – wegen Ihnen, Herr Werner! Damit ich von dem erfahr', was er gegen Sie im Schilde führt! Ich warne Sie dann!« Sie drängte den Schlosser Werner nach dem Hintergrund des Lädchens. »Sie müssen mir Ihre Adresse im Berliner Westen geben!«
»Ich besuche Sie dieser Tage mal, Hilde!«
»Ach – wie schön! ... Aber seien Sie nur vorsichtig! ... Treten Sie da hinten in den Verschlag! Von da können Sie alles hören! Wenn's not tut, ist da auch durch den Hof ein Ausgang auf die kleine Gasse! ... Ja bitte, Herr ...« Die Hilde Lüders warf die Verbindungstüre ins Schloß und lief, im Schrillen der Ladenschelle, nach vorn. »... Herr ...«
»Peschke ...« Der Schupo im Bürgerkleid stand, kaum mittelgroß, breitschulterig, braungebrannt von Sonne und Wind seiner Verkehrsinsel. Er nickte humoristisch. Er trat etwas verlegen und feierlich von der einen derben Stiefelsohle auf die andere. »Friedrich Peschke – merken Sie sich doch meinen Namen, Fräulein Lüders ... Mir ist der Name Lüders heilig ...«
»Quatsch!«
»Ich bin nämlich heute auf meine Bitte beurlaubt ...«
»Na – und nu?« Das Obstfräulein kehrte ihm ihren dünnen, langen Rücken zu und wirtschaftete heftig mit einem Stapel Meraner Traubenkörbe.
»Ja – da bin ich eben mal wieder hier 'ran ...«
»Das seh' ich!« Eine Ananas kullerte über den Boden. Friedrich Peschke hob sie auf und stäubte sie liebevoll mit seinem Schnupftuch ab.
»Mir geschieht bitter Unrecht, Fräulein Lüders!«
»Ich denke, die Polizei hat immer recht ...«
»Ich bin doch der Vater von's Ganze! Zu mir ist doch auf dem Ottoplatz das Mädchen gekommen und hat mir den Nachtdoktor gezeigt, den sie seit Monaten wie 'ne Stecknadel suchen!«
»Wenn ihr bloß hinter den Leuten herschnuppern könnt und sie einlochen!« Die Traubenkörbe flogen. »Wissen Sie, woran Sie mich erinnern? An so 'nen Polizeihund an der Strippe – mit der Nase auf'm Pflaster ...«
Der Schupo Peschke schwieg gekränkt. Es war eine Pause. Er räusperte sich.
»Um von was anderem zu reden, Fräulein Lüders! ... Meine Eltern lassen Sie schön grüßen!«
»Danke! Ich habe nicht das Vergnügen!«
»Aber meinen Eltern wäre es ein Vergnügen gewesen, Ihnen mal ihre Laube draußen in der Kolonie bei der Siemensstadt zu zeigen. Morgen, am Sonntagnachmittag, ginge das so gut. Mutter kocht Kaffee. Und wenn mir da 'ne Schnecke einstippen, könnten mir über so vieles gemütlich miteinander reden ... Aber wenn Sie so eklig sind, dann hat es ja gar keinen Zweck, daß ich erst davon anfange ...«
»Ach – ich schnappe ganz gern einmal ein paar Happen frische Luft ...«
»Sie wollen kommen?«
»Na – in Gottes Namen! Weil Sie's sind, Herr Peschte!«
Der Schupo strahlte.
»Nu wird mir wieder leichter ins Jemüt!« sprach er dankbar. »Und daß ich auf die Übeljesonnenen scharf bin, Fräulein Lüders, das dürfen Sie 'nem ehrgeizigen, jungen Mann vom polizeilichen Gewerbe nicht krummnehmen. Dazu bin ich mal auf der Welt!«
»Ich lass' nicht locker!« setzte er hinzu. »Und wenn mich der Kommissar Dürisch und seine Kriminellen zehnmal nicht an den Zucker 'ranlassen! Die finden ja doch nischt! Ich – der bescheidene Schupo Peschke – werde mich eines schönen Tages mit Ruhm bedecken!«
»Ich vigiliere für mich im Stillen 'rum, Fräulein Lüders ... In der Gegend zwischen hier und dem Krüger seinem Lokal in der Schlünzigstraße – da scheint's mir zu brennen mit dem Nachtdoktor. Ich hab' vorhin so'n bißchen bei dem Krüger 'reingeschaut ...«
»Senge werden Sie da noch mal besehen!«
»... und wer sitzt da? Ich denke, der Affe laust mich! Das Mädel sitzt da – die Fränze Häselich, die mir auf dem Ottoplatz die ganze Gesellschaft gesteckt hat! Und um sie 'rum 'ne Bande – na – ich sage Ihnen: Feine Nummern – von dem Ringklub dort! ... Mit denen hat sie den Kopf zusammengesteckt ... Leise beraten haben sie miteinander! Was – das kann sich 'n Waisenknabe denken ... Was war denn das für ein Gepolter da nebenan?«
»Gott ... die Katzen ...«
»Ja ... Na – nun muß ich weiter! ... Ich bin ja so froh, Fräulein Luders! Ich freu' mich wie ein Kind auf morgen! Darf ich Sie so um Uhre drei abholen? ... Fein!«
Ein Händedruck. Klingelnd schloß sich die Ladentüre hinter dem Schupo Peschke. Kaum war er draußen, so stürzte die Hilde Lüders nach rückwärts. Stand mit einem tiefen Seufzer der Enttäuschung auf der Schwelle zu dem kleinen Hinterraum voll leerer Fruchtkisten und Körbe. Höhnisch flimmerten die farbigen Frachtzettel des Südens. Zu spät! Die Kammer war leer. Der Schlosser Werner durch den Hof davon.
Das Obstfräulein setzte sich auf einen leeren Lattenverschlag für Preßdatteln aus der Sahara und brach in Tränen aus. Und der Schlosser Werner, um dessen Flucht ohne Abschied sie meinte, lief inzwischen mit langen Beinen durch Berlin O hinüber in Krügers Restaurant in der Schlünzigstraße.