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62

Aus der Hörmuschel des Telephons die leise, weiche, ferne Stimme.

»Werner – bist du's?«

»Ich, Ilselott ... ich ...«

»Ach ... Werner ... Werner – – – mir ist so bang ...«

»Um deinen Mann?«

»Nun ist es doch schon Abend! Ich dachte, er würde sich im Lauf des Nachmittags beruhigen. Aber er konnte nicht schlafen. Er läuft seit Stunden wieder unten in der Halle auf und ab!«

»Kannst du ihm nicht gut zureden?«

»Er hört gar nicht hin! Er ist ganz in sich versunken! Und ich bin selbst so auseinander! Ich habe mich heute so aufgeregt über diese Person, die du da mitgebracht hast ...«

»Die ist ja unzurechnungsfähig, Ilselott!«

»Natürlich ist sie verrückt! Aber es ist so unheimlich hier im Haus! ... Auf einmal ist mein Schmuck weg!«

»Hast du's denn deinem Mann schon gesagt?«

»Ich mag's ja gar nicht ... in seiner jetzigen Verfassung ... Er schnappt mir ja ganz über! ... Werner ... ich weiß gar nicht, was ich tun soll ...«

»Warte mit dem Schmuck bis morgen! ... Bis dahin hat er vielleicht seine Nerven wieder! Schließlich: Ihr seid ja reich! Du kannst es verschmerzen ...«

»Aber die Angst, daß irgend jemand im Hause war – man weiß nicht wer ... ach ... Werner ... ich wollte, du wärest bei mir ...«

»... und ich erst ...«

»Du bist doch daheim? Den Abend? Gott sei Dank! Ich ruf' dich bald wieder an!«

Ilselott Hüsgen stieg scheu und zögernd hinab in die hellerleuchtete Halle. Aus dem feierlichen Schweigen von leuchtender Leinwand und weißem Marmor, buntem Porzellan, farbigem Geknüpfe und Gewebe hastete es in eindringlichen, atemlosen Fisteltönen.

»Da! – Sehen Sie, Rösing – sehen Sie – sehen Sie – da an der Wand rechts – Es wird ein Wallfahrtsort für Berlin ... MacLean aus dem Felde geschlagen ... die Amerikaner besiegt ... Ganz Europa ist morgen in Jubel ...«

»Ich dachte, der Andrea del Sarto sollte in die Mitte der Wand kommen!«

»Nein!« Der Kunstsammler legte schalkhaft, mit einer geheimnisvollen Bewegung, die schmalen Finger vor den feingeschnittenen Mund und schaute sich vorsichtig nach allen Seiten um. Er flüsterte: »Da kommt der Tiepolo hin ...«

»... der nächsten Monat in Amsterdam versteigert wird?«

»Ja ... ja ... ja.« Die zarten, an das Gestreichel kostbarer Kunstwerke gewöhnten Hände rieben sich fieberhaft aneinander. »Herrlich – nicht?«

»Aber, Herr Doktor Hüsgen – das ist doch selbst für einen Mann von Ihren Mitteln ...«

Der schmächtige Sammler neben ihm hörte gar nicht zu. Seine großen, blauen Augen glühten in träumerischer Andacht auf der leeren Fläche vor ihm.

»Da hängt er morgen!« murmelte er verzückt. Dann plötzlich verbissen leise: »Mir gehört er ... mir ...«

»Sie hatten heute noch große Auslagen – die Sicherheitsstellung bei der Auktion! Warten Sie! Ich bring' Ihnen das Geld!« Gebhard Hüsgen wurde plötzlich geschäftlich nüchtern. Er glitt lautlos, gewandt, zwischen seinen Kunstschätzen davon. Der dickbäuchige Rösing wandte seinen roten Vollbart zu Ilselott.

»Gnädige Frau! – Ich muß mal ernst mit Ihnen reden! So geht das mit Ihrem Gatten nicht weiter ...«

»Nicht wahr?«

»... oder es gibt ein Unglück. Das sage ich gerade als Freund und Kunstberater Ihres Mannes. Er ruiniert sich. Die Summen, die er heute gezahlt hat und weiter zahlen will, hält auf die Dauer selbst das dickste Portemonnaie in Deutschland nicht aus. Sie müssen ihm das klarmachen ...«

»Ich versteh' doch gar nichts von Geschäften ...«

»Sie müssen Einspruch erheben!«

»Es ist doch sein Geld und nicht meines! Es kommt doch aus den Hüsgenwerken ...«

»Dann muß von dort ein vernünftiger Mann des Wirtschaftslebens ... Es sind doch alles seine Verwandten ...«

»Ja. Johannes Hüsgen ...«

»Der große Hüsgen ...?«

»Der Leiter vom Ganzen – das ist sein richtiger Onkel!«

»Bitten Sie ihn, daß er so bald wie möglich hier nach dem Rechten sieht! Glauben Sie mir: es tut not ...«

»Ich werde ihm nachher gleich telegraphieren! Mir schwankt der Boden unter den Füßen. Ich komme immer mehr in eine Todesangst ...«

»So!« Gebhard Hüsgen lief geschäftig zurück, dicke Bündel von Banknoten in den Händen, unter dem Arm. »Zählen Sie es bei sich zu Hause nach. Dieser Krempel ist mir langweilig! Gute Nacht ...« Er stampfte ungeduldig mit dem Fuß. »Gute Nacht! Gute Nacht!«

Er gähnte nervös, als der Kunsthändler kopfschüttelnd aus der Türe war. Sein feines Gelehrtengesicht verfiel.

»Ach, Ilselott! – Du hast recht! Ich lege mich jetzt am besten hin. Ich brauche Ruhe! Sieh, daß mich bis morgen früh keiner stört!«

Eine Stunde später flüsterte wieder Ilselotts Stimme durch den Draht hinüber zu der fernen Tiergartenvilla an Werner Wiebekings Ohr:

»Du – jetzt schläft er! ... Endlich! ... Ich bin ganz erlöst! ... Aber ich kenn' mich gar nicht wieder! Denk' dir: Ich fürchte mich hier in dem stillen Haus wie ein kleines Kind!«

»Ach – wenn ich nur bei dir sitzen könnte und dir sagen, wie lieb ich dich hab'!«

»Mir ist zumut, als würde ich hier von Gespenstern gefangengehalten! Wenn ich durch die Halle geh', dann ist mir, als bewegten die Bilder die Augen! Hu – nicht? Und die Gobelins werfen so komische Falten, als stände heimlich einer dahinter! Und die Mumie in der Ecke grinst so frech! Ach – ich hasse all das Zeug – ich hass' es! Es wird noch einmal mein Unglück!«

»Morgen scheint wieder die Sonne, süße, kleine Frau!«

»Ach – ich hoff' auf morgen und auf dich! Wenn ich dich nur erst wiederseh' ...«

Verklungen die weiche Stimme aus der Weite. Dunkel draußen der Herbstabend. Der Dr.-Ing. Wiebeking stand am Fenster. Er sah einen schnurrbärtigen Herrn in Lodenmantel und Schlapphut durch den Garten auf die Villa zuschreiten. Er erkannte den Kriminalkommissar Dürisch. Er dachte sich: ›Wenn er nur mich ungeschoren läßt‹ ... und als es an seiner Tür still blieb: ›Na – Gott sei Dank! Er sitzt unten bei meinem Vater ...‹

Es dauerte eine halbe Stunde, bis sich dort der Besucher von dem Hausherrn verabschiedete.

»Also – wie gesagt, Herr Geheimrat: Unverbrüchliches Schweigen gegen jedermann, wenn der Schlag heut' nacht glücken soll!«

»Na, selbstverständlich ...«

»Wir betreten zunächst die Bank mit keinem Fuß, um nicht das geringste Aufsehen zu erregen! Erst wenn es so weit ist, wird es sich als notwendig erweisen, auch vorne einzudringen. Damit dabei kein unnötiger Aufenthalt entsteht, brauchen wir dazu die Gegenwart eines ortskundigen Bevollmächtigten der Bank!«

»Ich werde Ihnen zwei langjährige, mit allen Einzelheiten der Gewölbe vertraute Beamte samt den nötigen Schlüsseln und Vollmachten zur Verfügung stellen ...«

»Sehr schön ...«

»... und wenn Sie gestatten, mich hinterher persönlich vom Stand der Dinge überzeugen!«

»Ich beabsichtige Punkt Mitternacht loszuschlagen, Herr Geheimrat! Eine Viertelstunde später finden Sie uns hoffentlich erfolgreich in der größten Sache, die seit Jahren ... Also Hals- und Beinbruch ... Auf Wiedersehen heute nacht!«

Von seinem Fenster oben, an dem er versonnen lehnte, sah Werner Wiebeking den Kommissar rasch und straff in die Berliner Nacht hinausgehen. Dann wandte er sich hastig in das Zimmer zurück. Das Telephon klingelte.

»Werner – um Gottes willen ... Werner ...«

»Ilselott ...«

»Werner ... es ist schrecklich ... Denk' dir ...«

»Ja?«

»Eben will ich noch mal außen an der Türe horchen, ob mein Mann auch wirklich schläft! Drinnen alles still! Um ganz sicher zu sein, mache ich leise auf – geh' auf den Fußspitzen hinein ... fahr' zurück: das Bett ist leer ... das Zimmer leer ...«

»Und er ...?«

»Er muß heimlich aufgestanden sein. Er ist nirgends im Haus zu finden. Er muß sich unbemerkt hinausgeschlichen haben! Wohin denn nur – um Gottes willen?«

»Ja – das wissen die Götter!«

»... ohne mir ein Wort zu sagen! ... Aber morgen früh schick' ich zum Arzt!«

»Tu das ja!«

»Ach – wenn nur diese Nacht vorbei wäre ...«


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