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18

Draußen, auf der dunklen Güntherstraße, im Nachtschatten des Tiergartengeästs, stand immer noch der Kommissar Dürisch mit seinem Begleiter und schaute nach den hell verhangenen Fenstern der Villa Wiebeking hinüber.

»Das ist eines der reichsten Häuser von Berlin«, sagte er langsam. »Und da drinnen sitzt nun glücklich die Braut von dem Nachtdoktor ...«

»Braut, Herr Kommissar? ... Wo den das Mädel doch gestern selber der Polizei anzeigen wollte ...?«

»Am Nachmittag. Bis zum Abend ... Sie wissen doch, wie rasch solche Geschöpfe in ihre Hörigkeit zurückfallen – Jedenfalls: der Sohn des Hauses hat diesen Vorposten aus der Kaschemme bei seinem Vater installiert ...«

»Daran ist nicht zu tippen!«

»... in dessen einer Bankfiliale erst vorgestern nacht der Ale seine Visitenkarte: ›Nawerbinichdenn?‹ an die Wand geschmiert hat!«

»Und darunter: ›Spezialist für Vermögens-Transaktionen‹ ...«

»Gezeichnet: ›Der fremde Herr aus Kottbus‹! Das sind doch keine Hirngespinste, Krause – das sind doch Tatsachen!«

»Das soll wohl sein, Herr Kommissar!«

»Und diese Tatsachen ergeben, aneinandergehalten, lückenlos die bewußte und freiwillige enge Verbindung des Doktor Wiebeking mit einem Frauenzimmer aus der Verbrecherwelt!«

»Vielleicht will er nur aus Humanität die kleine Bolle ...«

»Das ist ja eben das Schreckliche von unserem Metier, Krause: Wir glauben nicht an die edlen Regungen in der Menschenbrust – wie der Dichter so schön sagt –, weil uns die edlen Menschen nicht unter die Finger geraten, sondern immer das Gegenteil. Je älter ich werde, je mehr werde ich das verkörperte Mißtrauen – auch in diesem Falle ...«

»Herr Kommissar glauben doch nicht um Gottes willen ...«

»Na – was denn?«

»... daß der Doktor Wiebeking und der Ale ...«

»Ich glaube nichts!« sagte der Kriminalkommissar Dürisch schnell. »Ich werde mich hüten.« Er versank in ein brütendes Gemurmel. »Ohne Beweise? ... Ohne Motive ...? Geld ...? Spekulationen ...? Spiel? Weiber? ... So viel kann einer ja in einer Nacht gar nicht rauben, als das Bankhaus Wiebeking am hellen Tag reell und bar einbringt! Hemmungslosigkeit durch Kokain oder Morphium ...?«

»Ich wollt', ich säh' so kerngesund aus wie der Doktor Wiebeking, Herr Kommissar!«

»Bleibt nur Spleen eines viel zu reichen, verbrecherisch veranlagten, jungen Menschen, der rein aus Spaß an der Sache mit der Gefahr und mit der Polizei und mit seinen Mitmenschen Schindluder treibt ...«

»Den Eindruck macht er nun gar nicht, Herr Kommissar!«

»Na – jedenfalls: die Häselich ist nun hier besorgt und aufgehoben!«

»Werden Herr Kommissar sie jetzt gleich verhaften lassen?«

»Krause – Sie träumen wohl ...?« Der andere erschrak. »Wenn ich 'nen Kunden im Scheunenviertel einstecke, danach kräht kein Hahn! Aber hier – die Polizei nachts in diesem Hause – das Gerede morgen in Berlin – auf der Börse – Schlagzeile in allen Blättern auf der ersten Seite – und dann womöglich ein Irrtum – ein Mißgriff ...? Nee: So setze ich nach zwanzigjähriger Dienstzeit mein Renommee nicht aufs Spiel! Da ist vorläufig gar nichts zu machen, als die Villa samt Inhalt Tag und Nacht liebevoll zu beobachten!«

»Da kommt der Doktor Wiebeking eben allein heraus!«

»Folgen Sie ihm unauffällig. Krause, und stellen Sie fest, wo er da draußen im Osten wohnt! Dann gehe ich gar nicht erst in die Villa hinein, sondern melde dem Geheimrat, die Sache sei erledigt! Ich brauchte nicht mehr zu stören!«

Der Dr. Wiebeking kümmerte sich nicht, in Gedanken an die kleine, süße Frau im Grunewald versunken, um den schnurrbärtigen Schatten im dunkeln Schlapphut und Überzieher zwanzig Schritt hinter ihm. Er ging quer durch das Schwarz des Tiergartens und fuhr dann mit der Stadtbahn nach Osten.

In den fernen, den großen Osten. Anders als am hellen Tag. Sie kleben mit dem Kleistertopf an den Litfaßsäulen – die Menschen der Nacht. Sie stehen vermummt Wache vor den Haustoren. Sie gehen, eine Tasche in der Hand, zum nächsten Bahndienst. Sie hämmern, in roter Flackerglut, grell gegen das Schwarz der Nacht, an Straßenbahnschienen. Kellner laufen mit hochgeklapptem Rockkragen heim. Männer mit dem Geigenkasten unterm Arm.

Zigarrenstummel sammeln sie mit dem Greifer am Stock – die Menschen der Nacht. Zigaretten tragen sie vor sich in dem Bauchladen. Warme Würste. Abseits stehen sie – scheinbar müßig – in Gruppen und lungern – die Menschen der Nacht ...

Licht noch im Flur von Feuerstakes Hotel. Herr Lungwitz, der nervöse Geschäftsführer, mit Hornzwicker und schütterem Spitzbart, saß im Kontor über seinen Büchern.

»'n Abend, Herr Werner! Das Fräulein aus dem Obstladen drüben hat zweimal nach Ihnen gefragt! Sie hat Ihnen da was aufgeschrieben!«

Der Schlosser Werner öffnete den dünnen Briefumschlag. Er las das Bleistiftgekritzel auf der Rückseite eines Rechnungsformulars.

»Seien Sie so früh wie möglich morgen in der Zentralmarkthalle – da, wo die Apfelsinen abgeladen werden. Ich sehe Sie schon.«

»Liebesbrief?« scherzte Herr Lungmitz. »Ich glaube, das Fräulein ist nicht schlecht für Sie entflammt!«

»Na ja ...« Der Schlosser Werner gähnte, steckte das Zettelchen ein und stieg hinauf in seine Stube.


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