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Werner Wiebeking schloß, allein geblieben, eine Sekunde die Augen. Immer noch ein bißchen Schwindelgefühl von neulich. Oben, in seinem Bücherzimmer, streifte er Stehkragen und Binde ab, vertauschte den Rock mit einem grauen Wollschlüpfer und warf sich auf den Diwan. Er fuhr wieder auf und klingelte.
»Was ist denn das vor dem Haus für ein Spektakel, Leopold? Man kann ja gar nicht schlafen!«
»Der Meinecke schafft schon Ruhe, Herr Doktor!«
»Sie sind wohl als Kind zu heiß gebadet worden, Fräulein – wat?« Es zuckte unten, im Fensterchen der Portiersloge, nervös über das Gesicht des kriegsversehrten Pförtners. »Bimmelt sie doch schon wieder mir nichts, dir nichts vorn am Eingang für Herrschaften Sturm!«
»... weil sie mir hinten gesagt haben, hier im Hause gäb' es keinen Chauffeur Werner!«
»Das hab' ich Ihnen in dieser Woche schon zweimal gesagt, wie Sie gekommen sind und mir molestiert haben! Werner is nich!«
»Wo ich ihn doch kenne ... Wo er es mir doch erzählt hat ...«
»Kann ick für die ungesunde Phantasie von Ihrem Bräutigam?«
»Wo ich selber schon mit ihm hierhergefahren bin – in einer riesigen, roten Kutsche ...«
»Rot haben wir nich! Rot is unfein! Bloß, daß ick Sie endlich loswerd' ... kommen Sie mal mit!«
Der Portier Meinecke ging mit der langen, schlanken, aufgeregten, jungen Frauensperson hinüber nach den Garagen. Dort standen die Chauffeure des Hauses.
»Heißt du Werner oder heißt du Wietrich? Und du Klappert oder nich? Und du Markwart? Wat? Stimmt? Wißt ihr wat hier von 'nem Kollegen Werner? Unbekannte Jröße!«
»Ach – ihr macht mir ja nur ein Theater vor!«
»Fräulein – machen Sie lieber nich so milde Augen und halten Sie nich Ihren Sprechapparat vor Schrecken offen, sondern verziehen Sie sich mal geräuschlos an die frische Luft – da ums Haus 'rum und hinten am Jewächshaus vorbei auf die Seitenstraße, wenn ick jebieterisch bitten darf!«
Der Portier kletterte mit grimmigem Gesichtszucken in seine Loge hinunter. Das junge Frauenzimmer ging trotzig – schmal und lang – den angewiesenen Weg. Sie ließ sich absichtlich Zeit. Ihre rebellischen, braunen Augen suchten mißtrauisch umher. Widerspenstige Falten furchten sich unter den krausen Stirnlöckchen. Zwei eigensinnige Grübchen umspielten die Mundwinkel.
Auf einmal prallte sie mit einem leisen Aufschrei zurück und preßte die Hände auf die Brust. Ein junger Mann war aus der Villa getreten, ohne Kragen und Krawatte, in einfachem, grauen Wollwams und Pumphosen. Er stand vor ihr. Er drohte, halb ärgerlich lachend, halb strafend, mit dem erhobenen Zeigefinger.
»Hildchen ... Hildchen – abenteuerliche Seele – was ist mich das?«
»Da sind Sie ja ...« Ein ersticktes Aufatmen des Glücks.
»Ich hab' Sie aus dem Fenster gesehen! Da bin ich heraus ...«
»Und drüben behaupten die Schofföre mit eiserner Stirn, Sie wären hier nicht in Stellung!«
»Ich genieße sogar eine Vertrauensstellung im Hause!« sagte der junge Mann.
»Warum lügen einem dann die Brüder die Hucke voll?«
»Das ist der Neid, Hilde! Da muß sich unsereins daran gewöhnen!« Werner Wiebeking musterte sehr ernst das vor Seligkeit zitternde Obstfräulein. »Heißt denn das nun brav sein – was? Sie sollten doch hübsch warten, bis ich zu Ihnen komme!«
»Sie sind aber nicht gekommen – heute vor acht Tagen – den ganzen Abend hab' ich gewartet – die ganze Woche – ich war ja in Verzweiflung ... Ich hab' schon gedacht, die Polizei hat Sie gekriegt ...«
»Ach so ...«
»Da mußt' ich mir Gewißheit verschaffen ...«
»Sie sehen: ich bin noch in Freiheit! Es kam nur damals etwas dazwischen ...«
»Und das Fräulein, das Sie bringen wollten, ist auch nicht gekommen!«
»Wenn der Mensch Pech haben soll, Hilde: Wie ich die aus der Schlünzigstraße abholen wollte, bin ich dort, gerade vor Krügers Restaurant, verunglückt.«
»Verung... « Die Hilde Lüders trat näher und faltete die Hände. »Sie sehen ja elend aus ...«
»Es geht mir schon wieder gut!«
»Sind Sie überfallen worden? Haben Ihre Leute Ihnen denn nicht gegen die andern geholfen? Ach – ich weiß doch – es sind doch immer so furchtbare Kämpfe in der Unterwelt! Neulich im Film ...«
»Bezähmen Sie Ihre Romantik, Räuberbraut! Es war nur eine Bananenschale, über die ich ausglitt!«
»Die Bananenschalen kennt man!« Die Augen des Obstfräuleins leuchteten leidenschaftlich. »Hätt' ich nur was helfen können!«
»Da war nichts zu machen, Hilde! Acht Tage saß ich nun dank der glitschigen Obstpelle hier fest!«
»Aber das hätte mir doch Ihre ... Ihre gute Freundin, die Sie mir aufladen wollten, sagen können! Die hätte mir doch melden können, warum sie nicht kommen konnt' – die Pute!«
»Das arme Ding ist doch verschleppt worden, Hilde! Unbekannt, wohin!« sagte der junge Mann ernst. »Von wem? Da tritt nun wirklich die Unterwelt in Erscheinung! Ja – da gruselt's Ihnen angenehm ...«
»Ich weiß doch, wer Sie sind ...« Es flüsterte geheimnisvoll, mit einem blinden Lächeln.
»Unsinn! ... Ja – das arme Mädel ist von Berlin verschluckt! Bei ihrem Stiefvater, dem Kaschemmenwirt, dem Krüger in der Schlünzigstraße, ist sie nicht mehr. Das habe ich jetzt eben durch die Polizei erfahren!«
»Und es liegt Ihnen viel daran, sie in Berlin aufzutreiben!«
»Sehr viel, Hilde! Ich habe eine Pflicht übernommen.«
»Ich verstehe! Sie brauchen sie für das, was Sie hier im Hause vorhaben!«
»Lassen Sie endlich diese Dummheiten, Hilde! Ich habe gar nichts mit Verbrechern zu tun!«
»Natürlich nicht!« Es lief ein still belustigter, bewundernder Schein über die blassen Züge der Hilde Lüders.
»Unbelehrbar ...«
Drüben ein unterwürfiges, ein eifriges Lächeln der Dienstbereitschaft.
»Wie heißt sie denn, Herr Werner?«
»Fränze Häselich – wenn Ihnen das was sagt – bisher Altpapiersortiererin bei Jakob Grünspan. Und nun ist sie weg!« Der junge Mann blickte ungeduldig in den herbstbunten Tiergarten hinaus, in der Richtung nach dem fern brausenden Berlin und seinem grauen Osten an der Spree, »Und ich muß hier krummliegen und vertrödele die Zeit, in der ich die Fränze vielleicht noch retten könnte! Es ist, um die Wände hochzugehen!«
»Und nun husch, husch nach Hause, Hildchen!« Er drückte die vor Erregung froschkalte schlanke Hand des Obstfrauleins und schaute ihr streng in die verliebt glänzenden braunen Augen. »Das war Ihr letzter Husarenritt hierher! Das bitt' ich mir aus! Nun Schluß mit der Romantik! Ein für allemal! ... Schütteln Sie nicht so verbissen den Kopf. Sie wissen ja gar nicht, wer ich bin!«
»Nein, Herr Werner!« Die Hilde Lüders unterdrückte ein begeistertes Lachen. »Aber wenn ich alles so genau wüßte, als daß Sie nicht der Chauffeur Werner sind ...«
»Was kein Verstand der Verständigen sieht ...« sagte der junge Mann. »Sowie ich wieder ganz auf dem Damm bin – in den nächsten Tagen – komm' ich bei Ihnen 'ran und erzähle Ihnen, wie ich wirklich heiße!«
»Ach – wenn Sie mir soviel Vertrauen schenken – was würde mich das beglücken!«
»Aber jetzt ...« Er geleitete das Obstfräulein bis zum Hinterausgang, »marschieren Sie artig da durch die Gartentür ab und auf die Straße! So!«