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Ilselott Hüsgen saß starr, die Hände im Schoß. Sie hielt geistesabwesend eine Besuchskarte in der Hand. Die hatte sie mechanisch vom Tablett der eingetretenen Jungfer genommen. Sie las mit leeren Augen den einfachen Namen auf dem großen, weißen Karton: ›Johannes Hüsgen‹. Sonst nichts. Sie nickte verloren.
Die Zofe öffnete die Tür. Aus der Halle unten klang einen Augenblick die leidenschaftliche, sich überstürzende Fistelkehle des Hausherrn: »Und hier, Herr Professor, sehen Sie eine Früharbeit des unbekannten Tiroler Meisters aus dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts ...« Die Stimme verstummte. Die Tür schloß sich. Der Seniorchef der Hüsgenwerke stand im Zimmer, Ilselott gegenüber, weißköpfig, lang und hager, Energielinien um die dünnen, bartlosen Lippen, stahlblau der Blick hinter dem Zwicker.
»Da bin ich, Ilselott! ... Wir haben uns lange nicht gesehen! Ich befinde mich zufällig gerade zu einer Aufsichtsratssitzung in Berlin. Deine Depesche wurde mir nachtelephoniert!«
»Danke!« Johannes Hüsgen setzte sich. »Ich bin jetzt eben unten an deinem Mann vorbei. Er war so vertieft darin, einem Herrn seine Kunstschätze zu erläutern, daß er mich gar nicht bemerkt hat. Ich wollte ihn nicht erst anreden, sondern zuerst mit dir sprechen. Denn es handelt sich doch um Gebhard?«
Und nach einer Pause:
»Ilselott ... komm doch zu dir ... Du sitzst ja da wie eine Salzsäule!«
»Onkel ... wie ist das möglich ... Herrgott ... Onkel ... wie ist das möglich ...?«
»Rede nicht so traumverloren, Ilselott ... Was ist möglich ...?«
»... daß mein Mann mir heimlich meinen Schmuck stiehlt und verpfändet!«
»Es gibt keinen Diebstahl zwischen Ehegatten! Strafgesetzbuch so um Paragraph zweihundertfünfzig 'rum ...«
»Aber warum tut er's? Er hat's doch nicht nötig! Du weißt doch selber am besten, wie reich wir sind!«
»Das weiß ich nicht!«
»Gebhard ist doch dein Neffe!«
»Wieviel Geld ich und meine Söhne haben, das ist mir bekannt! Was mein Neffe mit seinem Vermögen gemacht hat, da fragst du mich zuviel!«
»Aber es steckt doch bei euch in der Firma. Und die Firma geht doch sogar heutzutage gut! Das sagen doch alle!«
»Hat dein Mann nie mit dir über seine Finanzen gesprochen?«
»Nein. Ich hätt' es doch nicht kapiert!«
»Das hättest du schon begriffen, daß er, nach eurer Heirat, sich seinen Anteil an den Hüsgenwerken hat bar auszahlen lassen!«
»Davon war doch nie bei euch die Rede ...«
»Die Hüsgenwerke, Ilselott, sind eine der wenigen noch vorhandenen großen Firmen in reinem Familienbesitz. Wir sind nicht verpflichtet, unsere Bilanz zu veröffentlichen. Und unnötig gibt, bei der heutigen Geldknappheit, kein Unternehmen, im Interesse seines Kredits, gern zu, daß es sich durch die Abfindung an deinen Mann eines immerhin beträchtlichen Bruchteils seines Betriebskapitals hat entäußern müssen! Es handelte sich schließlich doch um Millionen. Wo die seitdem geblieben sind ...«
»Eingefroren in den Sammlungen deines Mannes!«
Johannes Hüsgen schüttelte den weißen Kopf. »Es ging uns nichts an, und wir hatten kein Recht, dareinzureden. Aber wir konnten die Summen doch ungefähr nachrechnen! Wir frugen uns oft, wie lange das so weitergehen sollte! Er mußte, im Vertrauen gesagt, nach unsern Aufstellungen schon seit etwa einem halben Jahr völlig am Ende seiner Mittel sein!«
»Ach Gott ...«
»Ich wohne in dem Hotel, in dem gestern die Kunstversteigerung war. Es gibt auch unter uns Wirtschaftsmenschen Sammler. Und die sagten mir, daß der Preis, den dein Mann gestern für die paar Quadratfuß Leinwand anlegte, der helle Wahnsinn war!«
»Aber was bedeutet demgegenüber das bißchen Geld, für das er meinen Schmuck verpfändet hat?«
»Er besaß offenbar gar kein Geld mehr, weil er sich wahrscheinlich um keinen Preis von einem seiner Museumsstücke trennen und es verkaufen will, und brauchte doch den für die Versteigerung vorgeschriebenen Kautionsbetrag!«
»Aber wovon zahlt Gebhard denn dann heute die fällige ungeheure Summe für das Bild?«
»Ja – woher nehmen und nicht stehlen?«
»Stehlen ... ...«
»Spaßeshalber gesagt ... da der fanatische Kunstsammler doch schon heimlich Zwangsanleihen bei seiner eigenen Frau macht! Aber im Ernst: Wenn ihm der liebe Gott nicht heute nacht ein Vermögen im Schlaf beschert hat ...«
»Heute nacht ...«
»Ilselott ... was ist dir?« Der Oheim sprang auf. Er drückte auf den Klingelknopf. Er wandte sich zu der Jungfer. »Schnell ... ein Glas Wasser ...«
»Um Jesu willen ... die gnädige Frau wird ja ohnmächtig ...«
»Wohnt ein Arzt in der Nähe?«
»Es ist ja einer im Hause ... Ein richtiger Professor ...«
»Der Herr unten? Holen Sie ihn gleich herauf!« Johannes Hüsgen wandte den weißen Kopf zur Tür. »Herr Professor! Ich bin jetzt hier das fünfte Rad am Wagen! Ich überlasse meine Nichte Ihren Händen!«