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Der Dr.-Ing. Wiebeking winkte vor dem Obstladen einem Taxameter. Er fuhr heim und stieg in sein Arbeitszimmer im ersten Stock des Elternhauses hinauf. Eine Weile ging er dort versonnen zwischen den hohen Bücherschränken auf und ab. Dann entbot er den einen Chauffeur.
»Wietrich!« Es klang aufgeregt. »Halten Sie sich von morgen früh ab mit dem kleinen Reisemagen bereit. Es kann jeden Augenblick sein, daß ich nach Südtirol fahren muß! ... Bremsen nachsehen! Vier neue Reifen! Route – Kesselbach-Straße – Zirler Berg – Brenner – Bozen! Wir haussieren abwechselnd, damit wir vorwärtskommen! ... Danke! ... Was wollen Sie wissen, Elise?«
»... was mit den hiergebliebenen Sachen der Häselich geschehen soll?«
»... die Häselich ...« Werner Wiebeking sammelte seine Gedanken aus dem Süden. »Das wird sich in wenigen Stunden klären! Da wird das Mädchen wieder zum Vorschein kommen ...«
»Doch nicht hierher, Herr Doktor?«
»Keine Angst! In einem Obstladen im Osten! Dahin muß man der Häselich dann noch heute abend ihren Kram bringen!«
Die bebrillte Jungfer ging. Werner Wiebeking begann unruhig, Schubladen in seinem Zimmer aufzuziehen, Bücher zu schichten, seinen Paß herauszukramen. Mitten in den Reisevorbereitungen klingelte das Telephon. Er hörte am Ohr eine Frauenstimme. Er zuckte leidenschaftlich zusammen. Nein: es war am Telephon eine ältere Dame.
»Hier Fürsorgestelle! Das Mädchen, das heute früh nach Ostpreußen fahren sollte, ist nicht erschienen!«
»Es kam leider etwas dazwischen, gnädige Frau! Entschuldigen Sie! Ich bring' sie morgen um die gleiche Zeit persönlich an den Zug!«
Er zündete sich eine Zigarette an, warf sie ungeduldig weg, griff wieder nach dem Sprachrohr.
»Dort Hauptkasse? Bitte gleich durch Boten nach Privatwohnung auf Konto Eigen ein Akkreditiv über zweitausend Dollar für Bozen! Es eilt!«
»Herr Doktor Schraubt möchte den Herrn Doktor sprechen!« meldete in der Türe der stille, sorgenvolle Diener Leopold.
Werner Wiebeking ging hinunter. Aus dem Salon seiner Mutter hörte er das Grollen einer dunkeln, starken Männerstimme. Die über den tiefliegenden Augen fest zusammenstoßenden, buschigen Brauen gaben dem Dr. Josef Schraubt immer etwas Finsteres. Jetzt waren seine bartlosen, groben und klugen Züge noch mehr von dumpfem Mißvergnügen umwölkt.
»Herr Doktor Schraubt ist mit Recht ungehalten, Werner!« sagte die Heine Geheimrätin. »Erst bemühen wir ihn wegen dieses Mädchens ...«
Der Sonderling drüben hatte seine plumpe Gestalt eines guten Dreißigers schwerfällig aus dem Sessel gelüftet und dem Sohn des Hauses die Hand gedrückt.
»Die Häselich ist, wie ich höre, aus Ihrem Hause geflüchtet ...?« Er setzte sich wieder.
»Das eigentlich nicht ...«
»Wieso?« Es klang rasch.
»Na – lassen mir diese Geheimnisse von Berlin!« Der junge Mann lachte im Stehen. »Suchet – so werdet ihr finden!«
»Sie wissen, wo sie ist?« Ein stechender Blick von unten.
»In ein paar Stunden habe ich die Häselich im Osten in einem ordentlichen Quartier untergebracht! Ich gebe Ihnen dann sofort Nachricht, Herr Doktor, und morgen früh kann das gute Kind zu allgemeiner Erleichterung abdampfen!«
»Das wäre ja sehr erfreulich!« Der Privatgelehrte küßte der Dame des Hauses ungelenk die Hand. Er verbeugte sich förmlich gegen Werner Wiebeking. Er ging. Die Geheimrätin hob gespannt den silbernen Scheitel.
»Wo hast du denn die Häselich aufgetrieben, Werner?«
»Lasse mich jetzt bloß mit dem unseligen Balg in Ruhe, Mama! Ich ordne das alles heute noch im Lauf des Abends. Aber ich habe jetzt wirklich anderes im Kopf!«
Werner Wiebeking lief in seine Räume hinauf. Ging da untätig, unstet, auf und nieder. Sah zuweilen unruhig auf die Uhr. Stunden verstrichen. Es fing ganz leise an zu dämmern. Da – das Telephon! Er eilte an den Apparat. Lauschte. Ein halblauter Ausruf des Entzückens.
»Ilselott – sind Sie's?«
»Ja ... ich ...« Fern die leise Stimme durch den Draht.
»Gott sei Dank!«
»Sie wollten wissen, ob ich nach Meran fahre ...« Ein Zögern.
»Ja – ja ...«
»Ich fahre mit dem Fern-D-Zug morgen früh ...«
»Und ich mit dem Wagen vormittags nach Bozen ... Ich hab' nur noch vorher etwas hier zu erledigen!« Die Worte überstürzten sich auf Werner Wiebekings Lippen. »Ich fahre Tag und Nacht durch! Übermorgen abend werde ich in Bozen aus ... Ilselott ... sind Sie noch da?«
Keine Antwort mehr ... Aber auch gut ... Genug ... Er lachte, während er abhängte. Er ging stürmisch atmend durch das Zimmer. Er stand verklärt am Fenster und schaute lange hinaus in das Abendgrauen des Tiergartens. Dann gab er sich einen Ruck in die Wirklichkeit zurück. Er kleidete sich in ein Räuberzivil. Er beorderte wieder den Chauffeur:
»Sie halten an einer Stelle an der Spree, wo ich es Ihnen sage, und warten da!«
»Jawohl, Herr Doktor!«
»Ich gehe dann noch ein paar hundert Schritte zu Fuß weiter«, Werner Wiebeking steckte eine Repetierpistole in die Hosentasche, »und komme dann nach einiger Zeit mit einer Frauensperson zurück – na – die Häselich ... Sie kennen sie ja! Die liefern wir auf der andern Seite vom Fluß in der Färberstraße ab! Los!«