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Die Torflügel der Garage an der Villa Hüsgen im Grunewald waren offen. Drinnen stand, wie ein himbeerfarbener Elefant, der Lambert Zwölf. Der Monteur Werner davor. Er sah niemanden, bei dem er sich melden konnte. Hinter dem Hause hörte er Stimmen. Er bog um die Ecke in einen Gemüsegarten hinein.
»Hände hoch oder ich schieße!« An der feuerroten Bohnenwildnis der Pfadkrümmung sprang ihm ein bloßköpfiger, schmächtiger Herr in den Weg, das schwarze Glotzauge eines Revolvers in der unsicher erhobenen Rechten.
»Wieviel wollen Sie mir denn vorschießen?« Der Fahrer blieb stehen und steckte die Hände in die Hosentaschen.
»Was haben Sie sich hier herumzutreiben? Sie haben sich am Hauseingang zu melden!«
»... wo ich doch in die Garage bestellt bin!«
»Wer sind Sie denn?« Der nervöse Herr senkte die ungeschickt gehandhabte Waffe. Er blinzelte mit den kurzsichtigen, blauen Augen. Sein versonnenes, feinsinniges Gelehrtengesicht wurde milder. Durch den Garten kam rasch eine helle Frauenstimme näher.
»Gebhard – bist du denn bei Trost? Das ist doch der Berliner Monteur!« und dann, außer Atem, zu dem Mann aus dem Volk: »Seien Sie nicht böse! Er hat eine so furchtbare Angst vor Einbrechern.«
Der Kunstsammler warf bei dem Worte ›Einbrecher‹ einen sorgenvollen Blick nach den Fenstergittern des Hinterhauses, an denen ein halbes Dutzend Handwerker mit elektrischen Drähten und Signalglöckchen bastelten. Er bot dem Schlosser zerstreut die Hand.
»Entschuldigen Sie!« versetzte er leise und höflich und ging in das Haus. Die zwei andern schauten ihm nach. Es zwinkerte von verhaltener Heiterkeit in den frischen, blauen Augen des Monteurs Werner. Und ebenso zuckte es um die Mundwinkel in dem weichen Kindergesicht der zarten, kleinen, blonden Frau in Weiß. Dann schien ihr einzufallen, daß sie beide über ihren Mann lachten, und sie wurde plötzlich sehr ernst – eine Dame, die mit einem Chauffeur sprach.
»Kommen Sie, bitte, Herr Werner!« sagte sie, und, als sie beide in der Garage sachlich vor dem Zwölfzylinder standen, wieder in vertrauensvollem, etwas klagendem Ton eines verwöhnten Kindes:
»Gestern hab' ich ihn gefahren ...«
»Er ist nu mal für gnädige Frau zu schwer!«
»Und da hat er auf einmal gequietscht – aber so gequietscht ...«
»Muß er auch!« Der Fahrer duckte sich prüfend in dem ölfleckigen Leinenmantel. »Gnädige Frau haben jedenfalls zu scharf gebremst!«
»Ja – sollte ich den Radler überfahren?«
»... und beim Bremsen muß sich der Belag streng in die Trommel legen. Sonst taugt der Reibungskoeffizient nichts!«
Er merkte an dem Gesichtsausdruck der kleinen Frau, daß sie nur noch – von der Prüfung in Charlottenburg her – einen schwachen Schimmer von diesen Dingen hatte.
»Berühmt ging's überhaupt nicht!« Sie hob kummervoll die langen, blonden Wimpern zu ihm auf. »Da hinten bin ich mit dem Wagen auch an eine Ecke gebumst! Das sind immer noch die Nerven – von neulich! Und nun der Chauffeur in der Charité!«
»Und ich muß doch jetzt zum Tennisturnier hinaus.« Frau Ilselott fuhr wie schuldbewußt mit dem rosig gefärbten Nagel über den abgeschilferten Lack des Duplex-Halters. »Wenn ich da heute, bei den Amerikanerinnen, fehle – das verzeiht man mir ja nie!«
Der Monteur Werner stand ehrerbietig, die Mütze in der Hand.
»Ich kann gnädige Frau ja rausfahren!« sprach er knapp.
Plötzlich wurde sie ein wenig rot. Sie sah dadurch noch viel hübscher aus.
»Geht das?«
»Es kommt gnädige Frau nur teuer! Das kostet Stundenlohn nach Tarif!«
»... und was extra für Sie! ... Warten Sie! ... Ich bin gleich zurück!«
Der Schlosser Werner warf den Motor an und hob bei dessen erstem dumpfen Donner die Augen dankbar zu seinem Schöpfer im Himmel. Dann sprang er und öffnete den hinteren Kutschenschlag. Ilselott Hüsgen kam fahrtbereit, sich die Handschuhe zuknöpfend, das Handtäschchen zwischen den kleinen weißen Zähnen, aus dem Haus. Sie stieg leichtfüßig an ihm vorbei in den Wagen. Das windgerötete, freundliche und fröhliche Gesicht des Fahrers übersonnte sich noch mehr: die kleine Frau setzte sich nicht, wie es sich gehörte, hinten in die Limousine, hinter die trennende Glasscheibe, sondern vorn auf den Platz neben seinem Führersitz.
»... damit ich unterwegs was von Ihnen profitiere ...« sagte sie. Und, wie sie in rasender Fahrt lossausten, voll stiller Bewunderung:
»Herrgott ja – Sie können was!«
Eine jähe Kurve warf sie nach links, gegen den Fahrer Werner.
»Verzeihung, gnädige Frau! Unsereins ist gar nicht gewohnt, daß eine Dame neben einem sitzt!«
»Ach – das macht nichts!«
Die beiden saßen kameradschaftlich eng beieinander. Er konnte den Kopf nicht wenden. Er antwortete, den Blick geradeaus, der hellen Stimme zu seiner Rechten.
»Wie lange sind Sie denn schon in der Garage?«
»Erst ein paar Monate, gnädige Frau!«
»Und wo waren Sie vorher?«
»In Magdeburg in Stellung!«
»Sagen Sie mal: was ist nun Ihr Vater?«
»Lokomotivführer, gnädige Frau!«
»Und wo stammt Ihre Mutter her?«
»Vom Land. Aus der Altmark. Die Großeltern haben acht Kühe!«
»Aha ...«
Lange Reihen von Privatwagen und Taxen parkten draußen vor den sonnenhellen Tennisgeländen des Blau-Grün-Klubs. Der Monteur Werner stoppte an der Vorfahrt, schwang sich vom Sitz, lief um den Kühler herum und half mit abgezogener Kappe Frau Ilselott Hüsgen beim Aussteigen. Er sah sofort, daß sie ein Stern der Berliner schönen Welt hier draußen war. Rechts und links, im Gewühl herbstlich modischer Damen und Herren um die Kassenschalter, ihre Bekannten. Ein blühender, dickbäuchiger Silen, taubengrau bis zu den weißen Gamaschen, zog ihre Hand, ohne sich selber zu beugen, zu seinem rotwollenen Vollbart hinauf und küßte andächtig die schmalen Fingerspitzen.
»Schöne Frau ...«
»'Tag, Herr Rösing! Ohne Sie geht's natürlich nicht!«
»Wo bin ich nicht? Wen kenn' ich nicht? Berufssache! Mein Berlin ist Gott sei Dank nur 'ne Kleinstadt! Die paar Leute, die heutzutage noch Bilder kaufen ...« Die schlauen Augen des Kunsthändlers liebkosten hinter der goldenen Brille die zarte Gestalt der eleganten kleinen Frau. »Natürlich wieder Strohwitwe! Nichts hier – der Betrieb für den Gatten!«
»Sie kennen ihn doch, als sein Kunstberater, besser als ich! Ich fahre ja immer allein!«
»Oder vielmehr: Sie ziehen um! Denn eigentlich sind Sie ja hier in einem Möbelwagen gekommen!« Der rotbärtige Rösing musterte die mächtige Limousine. Dann, plötzlich betroffen, den Mann am Steuer. Zu dem wandte sich vertraulich Ilselott:
»Es dauert natürlich ein paar Stunden, Herr Werner! Sie können ruhig, wenn Sie wollen, in der Kantine essen!«
»Danke sehr, gnädige Frau!«
»Aber ziehen Sie um Gottes willen den Zündschlüssel vorher ab!«
»Sehr wohl, gnädige Frau!«
»Na schön!« Ilselott nickte ihm freundschaftlich zu und trat neben dem dicken Rösing, die Kinokarte vorweisend, auf den Kiesweg des Innern. »Wenn ich nicht wegen der Amerikanerinnen hätte kommen müssen«, sagte sie eifrig zu dem Kunsthändler, »dann wegen der Herbsttoiletten ...«
»Liebe Frau Ilselott ...« Der rote Rösing spähte nach der seitwärtsfahrenden Limousine zurück und räusperte sich bedeutungsvoll.
»Es ist höchste Zeit, daß man sich umschaut, was eigentlich diesen Winter Mode wird! Sehen Sie mal diesen Traum in Silbergrau und Weißfuchs!«
»Hm ... Wie sag' ich's nur meiner schönen Freundin?«
»Wissen Sie: Ich glaub' nun mal nicht an die langen Röcke vor acht Uhr abends ...«
»Liebste ... Verehrteste ... Gnädigste ...« Der Kunsthändler blieb mit gefalteten Händen stehen. »Zürnen Sie mir nicht! Aber die Chose ist ein bißchen brenzlig. Es könnte da wirklich mal Mißverständnisse geben! Jetzt eben habe ich ja zum Glück allein den jungen Wiebeking, wie er mit Ihnen vorfuhr, erkannt ...«
»Wen haben Sie erkannt?« Die blauen Kinderaugen vor ihm weiteten sich verständnislos.
»Na – Ihren hohen Herrn Chauffeur!«
»Das ist nicht mein Chauffeur, sondern nur ein ausgeborgter Berliner Schlosser. Er heißt auch nicht Wiebeking, sondern Werner!«
»Na, Spaß! ... Ich kenn' doch den ollen Wiebeking. Ich kenn' doch den Filius! Schon, wie er noch kurze Hosen getragen hat, hab' ich ihn gekannt! Und wenn er auch jetzt jahrelang in Amerika drüben war – wenn es das Pech will, steht doch irgend jemand hier, wenn er mit Ihnen wieder wegfährt, wer er ist! ... Das gibt doch unnütz Gerede, gnädige Frau! Ohne allen Grund natürlich! Ich meine ja nur, weil es sich da wirklich nicht um den ersten besten handelt!«
»Ja – wer soll der Mann draußen nach Ihrer Meinung sein?«
»Gnädigste: der Name Wiebeking ist Ihnen doch hoffentlich nicht fremd? Eine der größten Privatbanken, die es in Berlin noch gibt!«
»Ja ... mir ist so ...«
»Davon ist er der einzige Sohn und Erbe! Erbe von Millionen! Und sitzt friedlich draußen als Ihr Chauffeur am Steuer! Sieht dem jungen Mann ähnlich! Aber so war er immer!«