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25

Dort im Osten stand, vor Feuerstakes Hotel, die Hilde Lüders. Bloßköpfig, wie sie aus dem Obstladen drüben gelaufen war, in ihrem leinenen Verkaufskittel ein langer, weißer Strich unter der Laternenhelle, an dem undeutlich, eilig, wie Treibholz in trübem Strom, die Menschen der Färberstraße vorbeifluteten.

Angstvoll schweiften ihre dunkelbraunen Augen. Halboffen stand ihr in banger Erwartung der blasse, widerspruchsvolle, in den Winkeln herabgezogene Mund. Ein heller Schein über das verträumte, regelmäßige Gesicht. Ein paar hastige Sätze zwischen den Leuten durch, einem schmal und sehnig gewachsenen, rotblonden, blauäugigen, jungen Mann entgegen. Ein Lachen über sein frisches, bartloses Antlitz.

»Na, Hildchen? Schon wieder phantastisch?«

»Ich steh' mir schon die Beine nach Ihnen in den Leib, Herr Werner!« Atemlos: »Es ist Gefahr ...«

»Romantik ...« sagte der Schlosser Werner. »... Unter den Dächern von Berlin ... ... Sehnsucht hat jeder ... nach irgendwas! Ich auch! Haben Sie wieder 'ne Räubergeschichte gelesen?«

»Sie haben nichts zu lachen! ... Wo Ihnen das Revier auf den Hacken ist ...«

»Richtig! Ich bin ja ein Verbrecher!«

»Ich warte hier, um Sie zu warnen! Vorhin sind schon zwei in Zivil von der Polizei ins Hotel und zu Ihnen auf die Stube hinauf!«

»Na – dann werd' ich die Herren mal begrüßen! Hildchen – lassen Sie mich los! Machen Sie hier kein Theater! ... Ich schreib' Ihnen noch 'ne Postkarte vor meiner Hinrichtung!«

Der Schlosser Werner ließ das verstörte Obstfräulein stehen und stieg zum zweiten Stock empor. Richtig: bei ihm, auf Nummer 19, zwei Männer in dunklen Röcken, stehend, die Hüte auf dem Kopf. Seine heitere Stimme:

»Aber, Herr Oberwachtmeister! Was ist ...?« Ein Stocken. Nanu ... Das war ja gar nicht die Polizei. Den kleinen, säbelbeinigen Kerl, mit aufgedrehtem Graubärtchen unter den wässerigen Zwinkeraugen – den kannte er doch – die heisere Berliner Sprache ...

»Ick bin der Krüger – von's Restorang drüben in der Schlünzigstraße! Wo haben Sie meine Stieftochter jelassen? – Die Fränze?«

Und der neben ihm – bleich, hohläugig, hager, Stoppeln um das Vogelkinn, aus halb erloschener Schwindsuchtskehle:

»Ick hab' sie noch mit Ihnen zusammensitzen gesehen – bei Krügern!«

»Amtmann! Laß mir reden!« Der schmuddelige Glatzkopf des andern drängte sich heran. »Hand uffs Brusthaar: Wo is det Mächen verstochen?«

»Daß die Fränze nich verschütt jeht – Mensch!« flüsterte es daneben. »Sonst kannste wat besehen!«

»Die Fränze ist gut aufgehoben!«

»Det kann jeder sagen! Der Grünspan, der Jeneraldirektor in Altpapier, hat ooch schon nach der Fränze jefragt!« Scharfer Gilkadunst witterte zwischen den schadhaften, gelben Zähnen des Gastwirts Krüger. »Ich brauche det Mächen! Ick weiß, wat ick mir als Stiefvater schuldig bin!«

»Da kiekt ja so wat in die Stube ...« Der Schwindsüchtige hustete. »Nee – det is se nich!«

»Herrgott – Hilde! Sie haben hier gerade noch gefehlt!« sagte der junge Mann. Das Obstfräulein im weißen Kittel stellte sich vor ihn, als wollte sie ihn mit ihrem Leibe schützen.

»Lassen Sie Ihre Pistolen stecken!« keuchte sie.

»Ich hab' gar keine, Kind!«

»Verteidigen Sie sich nicht erst! Die Polizei ist in der Überzahl!«

»Das halten Sie für die Polizei, Hildchen?«

»Es kommen noch drei die Treppe 'rauf! Ich bin an ihnen vorbeigerannt! Da sind sie!«

»Stell' du dich mal links neben den Herrn, Blaumüller!« raunte der Tonlose zu einem übernächtigen Elegant mit einer falschen Riesenperle im blutroten Schlips, verharschte Messerschnitte auf den Backen, eine furchtbare rote Narbe um den halben Hals.

»Und du rechts, Goldhäschen!« Das war ein koketter Riese, Messingringe in den Ohren des schwarzen Krauskopfs, eben noch sichtbar der Spitzensaum eines Damennachthemds auf dem muskelstrotzenden Unterarm.

»Und der Butterkopf hinter ihn!«

Ein behäbiger Mann mit Zwicker, einem kleinen Magistratsbeamten ähnlich, bezog seine Stellung.

»Und wir pflanzen uns nu mal zwanglos vor den Herrn hin!« Die Flüsterstimme erlosch fast. »... und klappen unsere Messer uff ...«

»... und fragen den Achtgroschenjungen in aller Jüte ...« Der Säbelbeinige hielt sich vorsichtig hinter dem Rücken des Amtmanns.

»Hilfe!« schrie die Hilde Lüders.

»... wo er die Fränze ...«

»Hilfe! Hilfe!«

»Biste still!« Das riesige Goldhäschen preßte ihr seine reichberingte Preisringertatze auf den Mund. Das Obstfräulein rang mit ihm und hieb ihm wie eine Katze die spitzen Nägel ins Gesicht.

»Lassen Sie das Fräulein los!« Der Schlosser Werner warf sich dazwischen. Fäuste griffen nach ihm. Messerblinken zuckte auf.

»Paß uff, Junge! Dir werden wir gleich selber ...«

»Na wat denn – wat denn – wat denn?« donnerte es von der Türe.

Der plumpe, breitnüstrige Mensch auf der Schwelle schüttelte mißbilligend den steingrauen, brutalen Stoppelschädel. Ein Grollen zwischen den aufgeworfenen, bartlosen Lippen. Plötzliche Stille. Eine Stimme:

»Der Dicke ...«

»Wißt ihr nich ...« das Knurren einer Bulldogge, ... »daß ihr nischt ohne den Ale und mich machen sollt? Wo ihr doch zu dämlich dazu seid ...«

»Jerade wegen dem Ale ...« flüsterte die Schwindsuchtstimme. »Wenn den die Fränze wieder verpfeift – da, wo sie jetzt is ...«

»Wo sie jetzt is ...« Ganz leise der Baß des Dicken, daß die beiden drüben – der Schlosser Werner und die Hilde Lüders – es nicht hören konnten – »det is dem Ale jrade recht, wo der Herr, der da steht, sie hinjebracht hat ...« Und noch gedämpfter, nur mehr ein Raunen: »Wat wißt denn ihr Dussel, wen der Ale alles zur Hand hat? Da wird in nächster Zeit det jrößte Ding jedreht, wat je in Berlin da war – sag' ich euch!«

»Also det jeht richtig!« Noch ein Blick der stechenden, kleinen Augen auf das Paar. Auf einmal viel lauter: »Wir sind doch friedliche Leute! Wir tun doch niemand nischt! Schämt euch wat! Und nu kommt!« Und auf der Treppe zu den andern, die hinter ihm hinuntertappten: »Laßt mir den Kunden auf Nummer 19 unjeschoren!«


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