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»Du – det is er – der bei Wiebeking'n im Haus als Schofför 'n jroßes Ding dreht!«
Der Dr.-Ing. Werner Wiebeking hörte hinter sich, im Begriff, in die Krügersche Destille einzutreten, die halberloschene Stimme. Der hagere Mensch, der draußen zwischen den Baracken und Ruinen herumlungerte, blinzelte ihm mit entzündeten Lidern bedeutungsvoll nach. Ein kehlkopfschwindsüchtiges Gelispel zu seinem Gefährten:
»Wir haben nich jewußt, Mensch, det der zu uns jehört! Wußte nur der Dicke! Der hat uns im letzten Momang uffjeklärt, wie wir den Kunden am Freitagabend bei Feuerstaken verhauen wollten ...«
»Warum det wir ihm verhauen wollten?« Der hohläugige Vogelkopf hustete ... »weil er die Fränze ooch zu Wiebeking'n verschleppt jehabt hat! ... Jehörte doch hin – die Fränze – vastehste – wejen der jroßen Sache – um zu helfen! Sahen wir nu erst ein!«
»Und was tut det Luder, die Fränze, dort? Will uns heute nacht wieder verpfeifen!« Die geröteten Fieberaugen über dem Stoppelkopf glühten. »Na – die is besorgt und uffjehoben!«
»Wo denn?«
»Mußte den Herr Schofför von Wiebeking'n drinnen fragen – wenn er's dir uff die Nase bindet!«
»Amtmann – wer is denn der Schofför?«
»Kennen wir nich!«
»Kommt er aus'm Kittchen?«
»Oder der Dicke hat ihn sich aus Hamburg bezogen!«
Der rauchige Raum innen schwelte heiß von Menschendunst. Männer, die Hüte auf dem Kopf, stehend an der Theke. Frauenzimmer an den Tischen. Scherbelnde Schuhe in der Ecke – schon am Mittag. Wehmütig das Grammophon: ›An meiner Mutter Grab ...‹
Achtungsvolle Blicke auf Werner Wiebekings bartlosen, frischen, rotblonden Stoppelkopf. Der Schlag einer mächtigen, schneeweißen und blautätowierten, reichberingten Ringerhand auf seine Schulter. Die Stimme eines schwarzgelöckelten Riesen, kokette Ringe im Ohr, die Spitzenkante eines Damenhemds unter dem Adamsapfel sichtbar.
»Det haste jut jemacht, det du de Fränze noch jerade abjeklappt hast!«
Dann die trockene Kehle eines danebensitzenden behäbigen Mannes mit Zwicker und Aktenmappe, der wie ein kleinbürgerlicher Beamter aussah.
»Geschieht dem Aas recht!«
»Det du die Luft anhältst, Butterkopf!« schrie hinter dem Zapfhahn der Budiker Krüger. Die heiseren Worte sprudelten dem Glatzkopf unter dem flott aufgedrehten, grauen Schnurrbärtchen wie das Bier in das Glas. »Verjreife dir nich an den Jefühlen eines Vaters!«
»Stiefvater – meenste?«
»Jerade weiß ick dann, wat meine elterliche Pflicht is!« Der erboste, kleine Kerl trocknete sich die roten Wurstfinger an der schmuddeligen weißen Schürze. »Leben wir mang die Wilden oder genießen wir die Segnungen der Jesittung? Die Fränze muß wieder bei! Det sage ick! Sonst mach' ick Klamauk!«
»Die Fränze – die stoppen sie einfach nach Hamburg!« sprach hinten die Ulanen-Guste zur Simili-Berta.
»Und dann?« Auf dem strohblond gefärbten, zarten Kinderkopf des Äppelröschens brannte noch die Atemlosigkeit des Tanzes über den Schmink- und Schwindsuchtsflecken der Backenknochen.
»Na – denn jeht's mit Mutter Dömich nach Argentinien! Bei Mutter Dömich jibt's nich lang Menkenke!«
»Ach – das arme Ding!«
»Die soll dir woll noch leid tun – wat?«
Der Elegant mit der feuerroten Narbe rund um den halben Hals hob die Hand. Das spitze Gesichtchen des Äppelröschens wurde weinerlich vor Angst. Sie duckte sich in sich zusammen, wie ein geängstigter, kleiner Vogel und schwieg. Von der Küche schrie ein krötenplumpes Weib in schlampiger Nachtjacke, ein schwarzes Schnurrbärtchen auf der Herdröte der bösen Züge.
»Von dem Dicken – da wird die Fränze noch wat besehen!«
»Wo habt ihr die denn – he?« Ihr Mann, der kleine Kerl mit den pfiffigen Zwinkeraugen, schwappte zornig einen Kümmel in einen großen gläsernen Weißbiernapf. Das Appelröschen sprang empor und auf Werner Wiebeking zu. Sie war im Äußern noch ein halbes Kind. Schmächtig. Flachbrüstig. Schmalschulterig. Sie legte bittend die durchsichtig dünnen Hände zusammen.
»Ach – tut doch bloß der Fränze nischt! Bringt sie bloß nich um! Bitte! Bitte! Die Fränze tut mir so leid. Dat's so ein propperes Mächen! Die hält auf sich! Nich wie unsereine!«
»Was kann ich dabei tun?«
»Sie sind doch einer von die janz Schweren! Sie haben det mit der Fränze in der Hand! Sie können ...«
»Na – ich werde sehen!« Werner Wiebeking trat ganz nahe an den Wirt heran. Er dämpfte, die Hand mit der Zigarette vor dem Mund, die Stimme: »Wie ist das nun eigentlich mit der Fränze!«
»Allens in Ordnung!« Die wässerigen Schnapsäugelein drüben plinkerten vertraulich.
»Sie haben auf die telephonische Anfrage aus der Güntherstraße geantwortet, Ihnen sei nichts von der Fränze bekannt ...«
»Wissen Sie ooch schon?« Es grunzte pfiffig aus dem Kehlkopf, um den sich ein rotes Sacktuch knotete. »Komm mal mit, Mensch! Hier vor den Kunden kann ich dir das doch nicht auseinanderpolken!« Daniel Krüger watschelte geschäftig auf seinen kurzen, in alten, grünen Schlappen steckenden Säbelbeinen vor dem andern her in den Zwiebel- und Fettdunst der Küche.
»Hier murkst nur meine Olle 'rum!« Er blieb stehen. »Det Scheusal is natürlich injeweiht! Also, Mensch: det Ding hat geklappt! Jestern nacht haben die Zwei die Fränze sauber im Wagen hier abgeliefert! Wer die Brüder sind, weiß ich nicht! Du kennst sie natürlich!«
»Klar!«
»Is jut! Also die Zwee nu wieder weg ...«
»Und die Fränze?«
»Na – wie ihr vorgeschrieben habt!« Der Glatzkopf zwinkerte zu der fliegenschwarzen Küchendecke. »Oben in ihrer Stube haben mir die injesperrt! Da sitzt sie nu!«
»So – da ist sie!«
»Es war schon vorhin eener vom Revier da und hat angefragt, ob wir nichts von der Fränze wüßten! Ick habe gesagt: Vergrößern Sie den Kummer von 'nem Vater nich! Det's 'n ungeratenes Kind – die Fränze! Die hat sich 'nem Lebenswandel ergeben! Gott weiß, wo! Aber ich nicht!«
»Da ist er wieder weg?«
»Na ja! Det die Bolle da ob injespunnen is, det hab' ick dem Herrn Wachtmeister schamhaft verschwiegen!«
»Kann sie da nicht 'raus?«
»Det Aas wird was Saures besehen, wennse nur piept!« Die schwammige, schnurrbärtige Hexe am Herd lärmte mit den Kasserollen.
»... oder um Hilfe schreien?«
»Det Fenster jetzt nach dem Hof! Den Hof hab' ick unter Uffsicht! ... Nee – det jibt's nich! ... Dem Mächen is jetzt bange! ... Die liegt uff'm Bett und steckt den Kopf unter die Decke, vor Angst, wenn man nur 'rinkiekt!«
»Na – ich halt' sie auf Abruf bereit!« Der schmierige, kleine Mensch geleitete seinen Gast durch das Lokal bis zum Ausgang. »Ick hätt' ja lieber 'ne lebendige Klapperschlange hier in't Haus, als jetzt det Mächen. Mir juckt ejal der kleene Finger, als ob die Blauen heut' wiederkommen und alles nach der Fränze durchsuchen!«
»Bringt sie doch vorher fort!« schrie das Weib vom Herd.
»Wohin denn, Mutter, wo sie uns nicht wieder verpfeift, unter fremden Leuten? Hier is sie wenigstens unter Uffsicht ... Nee – nee – det's Sache von dem Dicken ... hoffentlich kommt er bald! Na ...« er schloß die Türe hinter dem jungen Mann: »Jutes Jeschäft!«
Draußen auf dem holperigen Pflaster der Schlünzigstraße stand, als der Dr.-Ing. Wiebeking hinaustrat, ein junger, wettergebräunter Spreeschiffer in hohen Wasserstiefeln, trotzig und drohend über dem blauen Wollwams das freundliche, offenherzige Gesicht. Er versperrte mit einem Schritt dem andern den Weg.
»Bitte – machen Sie mir Platz!«
»Erst sagen Sie mir, wo ihr die Fränze habt?«
»Wer sind Sie denn?«
»Mich könnten Sie ja woll wiedererkennen! Als ob ich Sie nicht mit der Fränze vor bald 'ner Woche über die Spree gerudert hätte!«
»Richtig ...«
»Ich bin der Schiffer Paul Räder. Ich bin der Fränze ihr Freund. Ich bin ein anständiger Mensch. Nu is die Fränze weg! ... Davon reden sie drinnen im ganzen Lokal. Ich habe da still gesessen und mein Bier getrunken. Und wie Sie nu gekommen sind, haben sich die da alle zugenickt: Das is er! Der mit der Fränze ...«
»Ich habe ihr kein Leid zugefügt! Im Gegenteil!«
»Also lebt sie noch! Wo? ... Mann ... Nu geben Sie mir Antwort ...«
»Haben Sie nur ein wenig Geduld!«
»Geben Sie mir Antwort ... hier auf der Stelle ...«
»Ich verspreche Ihnen: Sie werden bald hören, daß es der Fränze gut geht!«
»Tat lügen Sie! ... Ich will mir dat Mädchen holen! ... Wo ist sie?«
»Rücken Sie mir nicht so auf den Leib, ja?«
»Ich werd' Ihnen noch ganz anders kommen, wenn Sie nicht ...«
»Mann – wenn Sie mich anrühren, box' ich ...«
»Na – denn man tau! Kennste den Schifferhaken – ja?«
Der Fausthieb von drüben streifte nur den Hut von Werner Wiebekings Kopf. Er hatte sich gewandt geduckt. Sein Handgriff fing die Rechte des Schiffers auf. Ihre Arme umschlangen einander. Sie torkelten ringend gegen die schiefe Hausmand des Restaurants Krüger. Dessen Türe flog auf.
»Wart' mal. Junge! Nu spuckste Zähne!«
Sechs gegen einen. Ein halb Dutzend von drinnen wider den Schiffer Paule Räder. Der Butterkopf. Der Blaumüller. Der Blitz-Ede. Der Feldprediger. Goldhäschen, der riesige Ringer. Der greise Palisaden-Karl.
»Laßt man die Messer im Sack! Immer mit die Sachte!«
Die Hiebe hagelten. Der junge Spreeschiffer lag am Boden. Rotes Getröpfel auf die Pflastersteine, vom Blut aus Mund und Nase. Er keuchte. Er war halb betäubt. Er erhob sich langsam.
»Nu sammel' deine Knochen und verzieh' dir!«
»Sonst wird's hier ungemütlich!« flüsterte mit erloschener Stimme der kehlkopfschwindsüchtige Amtmann.
»Det et in Berlin so ungebildete Menschen jibt!« Daniel Krüger, der Wirt, schüttelte den gemütlichen, grauschnurrbärtigen Glatzkopf hinter dem Schiffer Räder her, der, ein Sacktuch vor der Nase, mit einem düsteren Rückblick seiner ehrlichen, feuchten Augen zur Spree hinabhinkte. Die andern drängten sich um Werner Wiebeking. Sie hoben ihm den Hut auf und rückten ihm den Mantelkragen zurecht.
»Danke!« sagte er trocken.
»Is jern jeschehen!«
»Na ... Mahlzeit!«
»Mahlzeit!«