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In den ersten Generationen der Kaiserzeit löst sich der antike Polytheismus, ohne daß in vielen Fällen an der äußeren, kultischen oder mythischen Form etwas geändert worden wäre, in den magischen Monotheismus auf.Vgl. Bd. II, S. 799 ff. Eine neue Seele war erschienen und sie erlebte die verjährten Formen anders. Die Namen bestanden fort, aber sie deckten andre numina.
Alle »spätantiken« Kulte, der Isis und Kybele, des Mithras, Sol, Sarapis, gelten nicht mehr ortsgebundenen, plastisch empfundenen Wesen. Auf der Akropolis wurde einst Hermes Propylaios am Eingang verehrt. Wenige Schritte davon befand sich der Kultort des Hermes, des Gatten der Aglauros, ein Punkt, über dem später das Erechtheion errichtet wurde. Auf der Südspitze des Kapitols lag dicht neben dem Heiligtum des Jupiter Feretrius, in dem sich statt der Statue ein heiliger Stein ( silex) befand, das des Jupiter Optimus Maximus, und Augustus mußte, als er für diesen den Riesentempel erbaute, den Ort sorgfältig schonen, an welchem das numen des ersten haftete. Aber in frühchristlicher Zeit konnten Jupiter Dolichenus und Sol Invictus überall da verehrt werden, wo »zwei oder drei versammelt waren in ihrem Namen«, und alle diese Gottheiten wurden mehr und mehr als ein einziges numen empfunden, nur daß jeder Anhänger eines einzelnen Kultes überzeugt war, es in seiner wahren Gestalt zu kennen. In diesem Sinne sprach man von der »millionennamigen Isis«. Bis dahin waren die Namen Bezeichnungen ebensovieler körperhaft und örtlich verschiedener Götter gewesen, jetzt sind sie Titel des einen, den jeder meint.
Dieser magische Monotheismus offenbart sich in allen religiösen Schöpfungen, die vom Osten aus das Imperium erfüllen, der alexandrinischen Isis, des von Aurelian bevorzugten Sonnengottes (des Baal von Palmyra), des von Diokletian beschützten Mithras, dessen persische Gestalt in Syrien völlig umgeprägt worden war, der von Septimius Severus verehrten Baalath von Karthago (Tanith, Dea caelestis), die sämtlich nicht mehr in antiker Weise die Zahl der konkreten Götter vermehren, sondern sie im Gegenteil in einer der bildhaften Darstellung sich mehr und mehr entziehenden Weise in sich aufnehmen. Das ist Alchymie an Stelle der Statik. Dem entspricht es, daß an Stelle des Bildes gewisse Symbole, der Stier, das Lamm, der Fisch, das Dreieck, das Kreuz in den Vordergrund treten. » In hoc signo vinces« – das klingt nicht mehr antik. Hier bereitet sich die Abkehr von der menschendarstellenden Kunst vor, die später im Islam und in Byzanz zum Bilderverbot führte.
Bis auf Trajan herab, als auf griechischem Boden längst der letzte Hauch apollinischen Weltgefühls verschwunden war, besaß der römische Staatskult die Kraft, die euklidische Tendenz einer fortgesetzten Vermehrung der Götterwelt zu wahren. Die Gottheiten der unterworfenen Länder und Völker erhalten in Rom eine anerkannte Kultstätte, Priesterschaft und Ritual, während sie selbst als genau abgegrenzte Individuen neben die Götter der Vergangenheit treten. Von da an siegt auch an dieser Stelle, trotz eines ehrwürdigen Widerstandes, der seinen Sitz in einer kleinen Zahl uralter Patrizierfamilien hat,Wissowa, Religion u. Kult. d. Römer (1912), S. 98 ff. der magische Geist; die Göttergestalten schwinden als solche, als Körper, aus dem Bewußtsein, um einem transzendenten Gottgefühl Platz zu machen, das nicht mehr auf dem unmittelbaren Zeugnis der Sinne beruht, und die Bräuche, Feste und Legenden verfließen ineinander. Als Caracalla 217 den sakralrechtlichen Unterschied zwischen römischen und fremden Gottheiten aufhob, womit tatsächlich Isis die erste, alle älteren weiblichen numina umfassende Gottheit RomsEbenda, S. 355. und damit die gefährlichste Feindin des Christentums wurde, die sich den Todhaß der Kirchenväter zuzog, war Rom ein Stück Orient, eine religiöse Provinz Syriens geworden. Damals beginnen die Baale von Doliche, Petra, Palmyra, Emesa zum Monotheismus des Sol zu verschmelzen, der später als Gott des Reiches in seinem Vertreter Licinius von Konstantin besiegt wurde. Es handelt sich nicht mehr um antik oder magisch – das Christentum konnte den hellenischen Göttern sogar eine Art ungefährlicher Sympathie entgegenbringen –, sondern darum, welche der magischen Religionen der Welt des antiken Imperiums die religiöse Form geben sollte. Man findet diese Abnahme des plastischen Empfindens sehr deutlich in den Entwicklungsstufen des Kaiserkultes, wo zuerst der verstorbene Kaiser als Divus durch Senatsbeschluß in den Kreis der Staatsgötter aufgenommen wird – als erster der Divus Julius 42 v. Chr. – und eine eigne Priesterschaft erhält, so daß von nun an sein Bild bei Familienfesten nicht mehr unter den Ahnenbildern vorangetragen wird; wo dann von Marc Aurel an keine neue Priesterschaft mehr für den Dienst vergöttlichter Kaiser entsteht, bald darauf auch kein neuer Tempel mehr geweiht wird, weil ein allgemeines templum divorum dem religiösen Gefühl hinreichend erscheint, und die Bezeichnung Divus endlich sich in einen Titel der Mitglieder des Kaiserhauses verwandelt. Dieser Ausgang bezeichnet den Sieg des magischen Gefühls. Man wird finden, daß die Häufung von Namen in Weihinschriften, wie Isis – Magna Mater – Juno – Astarte – Bellona oder Mithras – Sol Invictus – Helios schon längst die Bedeutung des Titels einer alleinexistierenden Gottheit angenommen hat.Die symbolische Bedeutung des Titels und seine Beziehung zu Begriff und Idee der Person kann hier nicht gegeben werden. Es sei nur darauf aufmerksam gemacht, daß die antike Kultur als einzige von allen niemals einen Titel gekannt hat. Das würde dem streng Somatischen ihrer Bezeichnungen widersprochen haben. Außer Eigen- und Beinamen besaß sie nur die technischen Namen tatsächlich ausgeübter Ämter. »Augustus« wird sofort Eigenname, Cäsar sehr bald Amtsbezeichnung. Man kann das Vordringen des magischen Gefühls daran verfolgen, wie in der spätrömischen Beamtenschaft höfliche Wendungen wie vir clarissimus feststehende Titulaturen werden, die verliehen und entzogen werden können. Genau so sind die Namen fremder und älterer Götter jetzt zu Titeln der anerkannten Gottheit geworden. »Heiland« (Asklepios) und »Guter Hirte« (Orpheus) sind Titel Christi. In antiker Zeit aber waren sogar die Beinamen römischer Gottheiten allmählich zu selbständigen Göttern geworden.