Oswald Spengler
Der Untergang des Abendlandes – Erster Band
Oswald Spengler

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Ein Wort, das erst zur Zeit Manets in Aufnahme kam – zuerst ein Spottname wie Barock und Rokoko – faßt die Eigenart des faustischen Kunstvortrags, wie er sich aus den Voraussetzungen der Ölmalerei allmählich entwickelt hat, sehr glücklich zusammen. Man spricht von Impressionismus, ohne Umfang und tieferen Sinn des Begriffes, wie er hätte gefaßt werden sollen, zu ahnen, man leitet ihn aus der letzten Nachblüte einer Kunst ab, die ganz und gar zu ihm gehört. Was ist Nachahmung des »Eindrucks«? Etwas rein Abendländisches ohne Zweifel, etwas, das mit der Idee des Barock, selbst schon den unbewußten Zielen der gotischen Architektur verwandt und den Absichten der Renaissance streng entgegengesetzt ist. Bedeutet es nicht die Tendenz eines Wachseins, den reinen unendlichen Raum als die unbedingte Wirklichkeit höchster Ordnung und alle sinnlichen Gebilde »in ihm« als zweiten Ranges und bedingt zu empfinden, und zwar mit innerster Notwendigkeit? Eine Tendenz, die in künstlerischen Schöpfungen hervortreten kann, die aber tausend andre Möglichkeiten kennt, um sich zu offenbaren? » Der Raum ist die Form a priori der Anschauung«, die Formel Kants – klingt das nicht wie ein Programm dieser Bewegung, die mit Lionardo anhebt? Der Impressionismus ist die Umkehrung des euklidischen Weltgefühls. Er sucht sich von der Sprache des Plastischen so weit als möglich zu entfernen und der des Musikalischen zu nähern. Man läßt die belichteten, das Licht zurückstrahlenden Dinge nicht auf sich wirken, weil sie da sind, sondern als ob sie »an sich« nicht da wären. Sie sind auch nicht Körper, sondern Lichtwiderstände im Raum, deren trügerische Dichte durch den Pinselstrich entlarvt wird. Man empfängt und gibt lediglich den Eindruck von solchen Widerständen, die man im stillen als bloße Funktionen einer »jenseitigen« (transzendenten) Ausgedehntheit wertet. Man durchdringt die Körper mit dem innern Auge, man löst den Zauber ihrer stofflichen Grenzen, man opfert sie der Majestät des Raumes. Und man fühlt mit und unter diesem Eindruck eine unendliche Bewegtheit des sinnlichen Elementes, die zu der statuenhaften Ataraxia des Fresko den stärksten Gegensatz bildet. Deshalb gibt es keinen hellenischen Impressionismus. Deshalb ist die antike Skulptur die Kunst, welche ihn von vornherein ausschließt.

Der Impressionismus ist der umfassende Ausdruck eines Weltgefühls, und es versteht sich, daß er die gesamte Physiognomie unsrer späten Kultur durchdringt. Es gibt eine impressionistische, die optischen Grenzen mit Absicht und Nachdruck überschreitende Mathematik. Es ist die Analysis seit Newton und Leibniz. Zu ihr gehören die visionären Gebilde der Zahlkörper, Mengen, Transformationsgruppen, mehrdimensionalen Geometrien. Es gibt eine impressionistische Physik, die an Stelle von Körpern Systeme von Massenpunkten »sieht«, Einheiten, die lediglich als das konstante Verhältnis variabler Wirksamkeiten erscheinen. Es gibt eine impressionistische Ethik, Tragik, Logik. Es gibt im Pietismus auch ein impressionistisches Christentum.

Malerisch und musikalisch handelt es sich um die Kunst, mit ein paar Strichen, Flecken oder Tönen ein in seinem Gehalte unerschöpfliches Bild, einen Mikrokosmos für Auge und Ohr eines faustischen Menschen zu schaffen, das heißt die Wirklichkeit des unendlichen Raumes durch die flüchtigste, fast körperlose Andeutung von etwas Gegenständlichem, das ihn gewissermaßen zwingt in Erscheinung zu treten, künstlerisch zu bannen. Es ist eine nie wieder gewagte Kunst der Bewegung des Unbeweglichen. Von Tizians Alterswerken bis herab auf Corot und Menzel zittert und fließt die duftige Materie unter der geheimnisvollen Wirkung des Pinselstrichs und der gebrochenen Farben und Lichter. Dasselbe erstrebt, im Unterschied von der eigentlichen Melodie, das »Thema« der Barockmusik, ein Tongebilde unter Mitwirkung aller Reize von Harmonie, instrumentaler Farbe, Takt und Tempo, das sich von der motivischen Arbeit des durchimitierenden Satzes der Zeit Tizians bis zum Leitmotiv Wagners entwickelt und eine ganze Welt von Gefühl und Erlebnis einschließt. Auf der Höhe der deutschen Musik dringt diese Kunst in die Lyrik deutscher Sprache ein – in der französischen ist sie unmöglich –, wo sie seit Goethes Urfaust und den letzten Gedichten Hölderlins eine Reihe von kleinen Meisterstücken gezeitigt hat, Stellen vom Umfang weniger Zeilen, die noch nicht bemerkt, geschweige denn gesammelt worden sind. Der Impressionismus ist die Methode subtilster künstlerischer Entdeckungen. Er wiederholt im Kleinen und Kleinsten fortwährend die Taten des Kolumbus und Kopernikus. Es gibt in keiner zweiten Kultur eine ornamentale Sprache von solcher Dynamik des Eindrucks bei einem so geringen Aufwand an Mitteln. Jeder farbige Punkt oder Strich, jeder kaum hörbare kurze Ton deckt überraschende Reize auf und führt der Einbildung immer neue Elemente von raumschaffender Energie zu. Bei Masaccio und Piero della Francesca sind wirkliche Körper von Luft umflossen. Erst Lionardo entdeckt die Übergänge von atmosphärischem Hell und Dunkel, die weichen Ränder, die mit der Tiefe verschwimmenden Umrisse, die Bereiche von Licht und Schatten, aus denen sich einzelne Gestalten nicht mehr lösen lassen. Endlich, bei Rembrandt, verfließen die Gegenstände zu bloßen farbigen Eindrücken; die Gestalten verlieren das spezifisch Menschliche; sie wirken als Strich und Farbenfleck in einem leidenschaftlichen Tiefenrhythmus. Und diese Ferne bedeutet nun auch Zukunft. Der Impressionismus fesselt den kurzen Augenblick, der einmal ist und nie wiederkehrt. Die Landschaft ist kein Sein und Verharren, sondern ein flüchtiger Moment ihrer Geschichte. Wie ein Bildnis Rembrandts nicht das anatomische Relief des Kopfes, sondern das zweite Gesicht in ihm anerkennt, wie es nicht das Auge, sondern den Blick, nicht die Stirn, sondern das Erlebnis, nicht die Lippen, sondern die Sinnlichkeit durch das Ornament der Pinselstriche bannt, so zeigt das impressionistische Gemälde überhaupt nicht die Natur des Vordergrundes, sondern auch da ein zweites Antlitz, den Blick, die Seele der Landschaft. Mag es sich um die katholisch-heroische Landschaft Lorrains, den paysage intime Corots, um das Meer, die Flußränder und Dörfer Cuyps und Van Goyens handeln, es entsteht immer ein Porträt im physiognomischen Sinne, etwas Einmaliges, Unvorhergesehenes und zum ersten und letzten Mal ans Licht Gezogenes. Gerade die Vorliebe für die Landschaft – die physiognomische, die Charakterlandschaft –, für das Motiv also, das im Freskostil gar nicht denkbar ist und der Antike vollkommen unzugänglich blieb, erweitert die Porträtkunst vom unmittelbar Menschlichen zum mittelbaren: zur Darstellung der Welt als eines Teils des Ich, der Welt, in welcher der Künstler sich gibt und der Betrachter sich wiederfindet. Denn in dieser sich in die Ferne dehnenden Natur spiegelt sich ein Schicksal. Es gibt in dieser Kunst tragische, dämonische, lachende, klagende Landschaften, etwas, wovon der Mensch andrer Kulturen keine Vorstellung und wofür er kein Organ hat. Wer dieser Formenwelt gegenüber die Illusionsmalerei des Hellenismus nennt, der weiß keinen Unterschied zwischen einer Ornamentik vom höchsten Range und einer seelenlosen Imitation, einer Nachäffung des Augenscheins. Wenn Lysipp nach Plinius gesagt hat, er stelle die Menschen dar, wie sie ihm erscheinen, so trifft das einen Ehrgeiz von Kindern, Laien und Wilden, aber nicht von Künstlern. Es fehlt der große Stil, die Bedeutung, die tiefe Notwendigkeit. So malten die Bewohner der steinzeitlichen Höhlen auch. Aber die hellenistischen Maler konnten in Wirklichkeit mehr, als sie wollten. Selbst noch die Wandgemälde in Pompeji und die Odysseelandschaften in Rom enthalten ein Symbol: sie stellen je eine Gruppe von Körpern dar, darunter Felsen, Bäume und sogar, als Körper unter Körpern! – »das Meer«. Es entsteht keine Tiefe, sondern eine Aufreihung. Irgend etwas muß den Platz erhalten, der am wenigsten nah ist, aber diese technische Notwendigkeit hat mit der faustischen Verklärung des Fernen nichts zu tun.


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