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14

Das kleine lichte Landhaus in seinem baumbestandenen Garten ist für Francisco mehr noch als zuvor die Dachkammer zur grauen Felsburg der Einsamkeit geworden.

Was draußen in der Stadt, im Reich, in der Welt vorgeht, will er sich fernhalten – und wird doch immer enger verflochten in die Geschicke des spanischen Volkes, die jede einzelne Existenz unentrinnbar zu sich heranziehen und von sich abhängig machen. Er will sich beschränken auf seinen eigenen Gespenstertanz und kann sich dem dunklen Wirbel nicht entziehen, der ganz Spanien, ganz Europa in sich hineinsaugt...

König José war nach Abzug seines kaiserlichen Bruders, der selbst den Oberbefehl gegen die in Spanien stehenden englischen Regimenter übernommen hatte, wieder in Madrid erschienen. Um das Volk für sich zu gewinnen, spielte er auf den Rat seines Ministerpräsidenten Don Luis Urquijo, des einst von Godoy verbannten, eine große Karte aus: er eröffnete die seit vier Jahren geschlossenen Stierzirkusse. Das Volk kam auch, nahm aber seine Sitze als sein selbstverständliches Recht wieder ein, als habe es diese Pause nie gegeben, und bereitete dem König, der zu der ersten Madrider Corrida selbst erschien, einen kühlen Empfang.

Erst als die Cortes, von Carlos dem Vierten sehr selten und nur zu Scheinzwecken einberufen, ihre Arbeit begannen: Kirchengüter als Nationaleigentum einzogen und dem reichen Adel wie den bürgerlichen Großgrundbesitzern empfindliche Steuern auferlegten, fiel ein Teil des die Erleichterung spürenden Mittelstands dem neuen König zu. Die große Masse aber schimpfte ihn auf irgendein Gerücht hin Pepe Botillas, Flaschensepp, und seine Parteigänger Französlinge und stemmte sich mit ihrer ganzen Gesinnung gegen ihn. Hinter dieser Gesinnung stand hetzend und schürend der Klerus: König José lehnte es ab, an jenen Edikten Napoleons, die die Inquisition aufhoben, Kirchenfürsten verbannten, zweitausend Klöster schlossen, auch nur einen Strich zu ändern.

In der oberen Gesellschaftsschicht aber, soweit sie nicht von jenen volksfreundlichen Steuern getroffen war, bildete sich die Partei derer, die teils um ihres eigenen Aufstiegs und Gewinns willen, teils mit Überzeugung Don José anhingen. Der Adel fand ihn gut aussehend, sah ihn im Hofzeremoniell mit Sicherheit sich bewegen, wie wenn er als König, als spanischer König sogar geboren wäre, und die bösen Stimmen, die über den Emporkömmling, den korsischen Advokatensohn spotteten, kamen mehr und mehr zur Ruhe. Den Gebildeten gefielen seine aufgeklärten Ansichten und vorurteilslosen Anordnungen, wer von ihnen zu Hof kam, freute sich der freien Form seines Verkehrs mit Menschen, die ihn interessierten: abendliche Geselligkeit wurde gepflegt, die bisher den spanischen Königsschlössern fremd gewesen war, und der König selbst belebte die Unterhaltung durch zugespitzte Bemerkungen, die freilich oft etwas gesucht ausfielen. Ein enger Kreis kannte sogar seine Verse: schwache – von den schon üppig emporschießenden Schmeichlern hochgepriesene – Nachahmungen anakreontischer Lieder. Künstler – unter ihnen der am Bourbonenhof wenig beachtete Leandro de Moratín – sahen sich nicht mit der gewohnten gnädigen Herablassung, sondern mit ernsthafter Hochschätzung aufgenommen und geehrt.

Francisco empfing keine ausdrückliche Bestätigung, wurde vielmehr einfach durch Weiterzahlung der Bezüge in seinem Amt anerkannt. So brauchte er sich für König José gar nicht von sich aus zu entscheiden – wenn er auch wußte, daß ihm die Möglichkeit offenstand, das Gehalt zurückzuweisen und die Stellung niederzulegen.

»Der neue König kann sich nicht besser ehren«, bemerkte er zu Javier, »als indem er mich weiterbesoldet. Er mag schlechte Eigenschaften haben – diese hier ist gut, und ich darf ihn nicht hindern, sie zu entfalten. Ich will arbeiten und lasse mir mein Arbeitsfeld nicht beschneiden. Ich kann mich nicht darum kümmern, welcher Dynastie die Könige angehören, die von mir gemalt sein wollen, mich dünkt auch, eine sei so gut oder so schlecht wie die andere. Auch woher sie die Macht haben, dafür kann ein Kammermaler nicht die Verantwortung tragen.«

Er suchte beim König um eine Audienz nach, um ihm seinen Dank abzustatten, und wurde mit großer Zuvorkommenheit empfangen, auch aufs höflichste gebeten, zu einer ihm angenehmen Zeit Don José zu porträtieren.

So wurde er der Partei der Josefinos und Französlinge zugerechnet. Bei Hof aber, wo man dem tauben Sonderling jede Freiheit zubilligte und wo die Goicoecheas, Gumersindas nächste Verwandte, mehrere Ämter innehatten, gehörte es zum guten Ton, sich von ihm porträtieren zu lassen.

 

Draußen im Reich tobten die blutigen Stürme weiter, und der aus immer anderen Bergschluchten hervorbrechende Kleinkrieg der Freischaren kam nicht zur Ruhe. Die, die in der Hauptstadt noch auf einen Umschwung rechneten, wurden tief getroffen von der Nachricht, Zaragoza, zum zweitenmal angegriffen, sei gefallen. Allmählich erfuhr man, daß die belagerten Truppen und die Bevölkerung grauenhaft zusammengeschmolzen, im Lauf zweier Monate innerhalb der Mauern der Stadt zwischen fünfzig- und sechzigtausend Menschen umgekommen waren.

Francisco sah das melancholische Bild vor Augen, das Zaragoza trotz dem militärischen Sieg nach der ersten Belagerung geboten hatte, und baute sich daraus den jetzigen Zustand auf. Wie viele seiner Jugendbekannten mußten sich unter den Toten befinden! Kein Haus konnte vom Jammer, vom zehn- und hundertfachen Jammer verschont geblieben sein.

Da wurde der Französling von neuem dazu entflammt, seine Anklagen gegen Unrecht und Gewalt zu erheben. Er radierte abermals Szenen des Grauens: Menschen, die sich durch ein Flammenmeer retten wollten, gepfählte Leichen, niederträchtige Erschießungen. Dafür seid ihr geboren! schrieb er unter eine der Zeichnungen. Von einem Dämon gewollt, der sie in das Buch des Schicksals einschreibt, vorschreibt – so stellte er sich die Kriegsgreuel vor, der Dämon nahm Form unter seiner Hand an: auf einer düsteren Anhöhe, einem halbwirklichen Sessel hockend, mumienhaften, gefühllosen Angesichts, Krallen an Händen und Füßen, ist er mit unheimlichem Eifer an der Arbeit, aus dem widerlichen Kopf ragen zwei große Fledermausflügel in die Luft, verzweifelte Menschen umdrängen den Sockel seines Hochsitzes.

So konnte es geschehen, daß Francisco am selben Tag die von jenem Dämon ausgeheckten Scheußlichkeiten aufzeichnete und am Bildnis eines josefinischen Höflings oder gar eines französischen Offiziers arbeitete. Die schöpferischen Ströme rauschten und rauschten in ihm und drängten zur Gestaltung der Kriegsgreuel ebensosehr wie der Köpfe, die sich seinem Pinsel darboten und ihn aus irgendeinem Winkel ihres Menschentums, ja selbst ihrer menschlichen Leere heraus fesselten.

 

Die Jahre rollten an Franciscos Burg vorüber. Zusammengepreßt wie Monate lagen sie dann hinter ihm, der kaum mehr ein Zeitgefühl besaß, aber mitunter durchlebte er auch wieder Wochen in so langsamem Fluß, als seien sie Jahre.

Die Freunde schwanden hin: der Rabe war nicht mehr, Bermúdez lag todkrank, innerhalb weniger Tage starben Agustín Esteve und Pepa, beide plötzlich von heute auf morgen.

Als er zu Pepa gerufen wurde, die sein Landhaus nie betreten hatte, ruhte sie schon im Sarg – schmalen, spitzen Gesichts, ihrem verstorbenen Bruder ähnlicher denn je. Erinnerungen wirbelten auf, ein neuer Gespenstertanz. Ein Leben ist wie das andere, rief er, um sie zu verjagen – daß jeder sein Teil Unglück trägt, dafür ist gesorgt. Ihr erging es wie allen, mir ergeht es wie allen, hier ist nichts Besonderes geschehen, weder im Leben noch im Sterben. Daß uns beiden die Lebenskameradschaft mißglückt ist, wußten wir seit langem. Nur ein einziges Mal hab' ich sie gemalt in all den Jahren... Ohne zu wollen, stieg er nun doch zurück in die erste Zeit der Gemeinschaft mit Pepa – die Erinnerungen wurden heller, und er ließ sie ein ...

Aber das Persönliche trat zurück. Das Rätsel des Todes rührte an ihn.

Sooft er in seiner geheimen Kriegschronik Verurteilte, Sterbende, Tote darstellte – immer waren das Sterbenmüssen, der Todesschmerz, der Leichnam, die körperlichen Vorgänge also und ihr Grauen sein Gegenstand. Den Fragen: Was ist es in Wahrheit, das mit diesen Menschen geschieht oder geschehen ist? werden sie aus dem Bestand der Welt gestrichen? oder, falls es anders sich verhält, wo sind ihre unkörperlichen Überreste, und wie sind sie? – diesen Fragen wichen solche Gestaltungen aus.

Als er einstmals die Leiche Carlos' des Dritten erblickt hatte, glaubte er einen Strahl aus einer anderen Welt zu spüren. Dieser Strahl blieb nicht in ihm lebendig: wenn er später vor Toten stand, den eigenen Kindern, Pepas Kindern, die nach der Geburt oder im frühesten Alter auslöschten, dann erschien ihm das Sterben als eine einfache Naturtatsache, über die nachzudenken wenig Sinn habe – soweit nicht noch, das eine Mal mehr, das andere Mal weniger, ein Rest des Kirchenglaubens in ihm festsaß, in der Weise etwa: Vielleicht ist doch etwas an dem, was die Priester sagen.

Aber nun öffnete ihm sichtbarer als bisher das große Geheimnis seinen Abgrund. Franciscos Auge durchdrang das Dunkel nicht und meinte darum ins Leere zu blicken.

Seine Gedanken glitten zu Cayetana: Ich habe ihren toten Körper nicht gesehen, sie war mir wie eine Auswandernde, die ohne Abschied in einen fremden Erdteil gereist ist, aus dem sie nicht wiederkehrt und in den ich ihr nicht folgen kann. Ich habe auf sie verzichtet. Aber jetzt, da ich mir klar darüber werde, daß sie nicht und nirgends mehr ist, stirbt sie mir zum zweitenmal. Alle meine Toten sterben mir heute zum zweitenmal.

Als er von Pepas Bestattung ins Landhaus zurückkehrte, zeichnete er einen Toten, der aus dem Grab aufsteht und ein einziges Wort auf eine Tafel schreibt (so wie man ihm, Francisco, die Worte aufschrieb): »Nichts!« Skelette und Gespenster sind die Zuschauer des Schreibenden.

Der Kanonikus Llorente, der ihn nach langer Pause einmal wieder besuchte, bekam das Blatt in die Hand. »Geistvoll«, sagte er, »eine Allegorie des Wortes: Eitelkeit aller Eitelkeiten!«

Francisco glaubte ihn verstanden zu haben. »Ausgezeichnet, Freund«, rief er, »so ist es wirklich. Er kommt zurück und erzählt uns, was er gefunden hat: nichts!«

»Hättest du das vor fünfzig Jahren gesagt, so wärest du heute nichts als ein interessanter Fall in meiner Geschichte der Inquisition. Wie die Dinge jetzt liegen, wirst du weder verfolgt noch werde ich es, der ich keinen Versuch mache, dich zu bekehren.«

»Aufschreiben! ich verstehe dich schlecht.«

»Solche Gespräche legt man noch immer besser nicht schriftlich fest«, lächelte das skeptische Gesicht.

 

Die Kriegsgreuel kamen über Madrid. Nicht die blutigen, sondern das dürre, ausmergelnde Sterben: der Hunger.

Die Stadt verfügte über keine Vorräte, selbst in den Klöstern sah man sich knapp daran. Gerade in Madrid waren viele geschlossen worden, und die Fratres der noch geduldeten riefen, während sie karge Mildtätigkeit übten, Tag für Tag den Hungernden zu: Wären wir noch so viele, wie wir waren, so müßtet ihr keine Not leiden. Draußen im Land aber stampften und brannten die Heere die Ernten nieder, und was die Schiffe, gleichfalls vom Krieg beunruhigt und gehemmt, in die Häfen brachten, zählte kaum. Das Vorhandene reichte für die Reichen, die Wucherpreise bezahlen konnten. Die Reichen hatten zu leben, die Armen hatten zu sterben.

In den Vierteln des gemeinen Volkes lagen Männer, Frauen, Kinder elend auf den Gassen und flehten jeden, der vorübergehen mußte oder vorüberzugehen wagte, um eine Handvoll Gemüse, eine Kartoffel, einen Teller der dünnsten Suppe an. Ihr Stöhnen und Wimmern mischte sich mit den giftigen Dünsten, die die Luft erfüllten. Es half ihnen nichts – sie mußten das furchtbarste aller Urteile, das die dunklen Mächte für Menschen ausgeheckt haben, an sich vollstrecken lassen: ungefragt sind sie in die Welt gesetzt worden mit einem Körper, der Nahrung braucht, und werden nun ganz einfach der Möglichkeit beraubt, diese Nahrung zu finden. Ohne Krankheit sehen sie den Tod auf sich zukommen, spüren ihn in den Eingeweiden – jeden Tag nimmt er ihnen ein Stück Kraft und gibt Schmerzen dafür... bis er sie endlich, endlich erwürgt.

Zweimal am Tag kamen die Karren der Friedhöfe und luden die Toten auf. Es war wahrhaftig ein Wunder, ein Geschenk des Himmels zu nennen, daß keine Seuche ausbrach.

Francisco gehörte zu denen, die zahlen und leben konnten. Kam das Elend vor seine Tür, Gestalten kaum mehr von Fleisch und Blut, doch greifbarer noch als Gespenster, so gab er, was irgend zu entbehren war.

In den Straßen von Madrid aber kreuzten Roheit und erbärmliche Gesinnung seinen Weg, was er sah, fraß er als neue Anklage in sich hinein und grub es dann mit einer Leidenschaft in seine Kupferplatten, als treffe er mit der Schärfe des Stichels die Schuldigen. Er zeichnete eine Gruppe Bettler, die von wohlgenährten französischen Soldaten abgewiesen werden, den höhnischen Satz »Sie sind von anderer Herkunft« schrieb er unter ein paar Stutzer, die sich mit kühler Gleichgültigkeit das Elend anschauen...

 

Was nützte es dem hungernden Volk, daß die Cortes nach langen Beratungen eine neue Verfassung in Kraft setzten, die ihm Gedankenfreiheit und politische Rechte einräumte?

Doch endlich, endlich, als die Opfer tausendweise gefallen waren, kam auch Brot. Die Engländer brachten es, die, von der Revolutionsjunta erneut zu Hilfe gerufen, nach langen Kämpfen sich der Hauptstadt näherten. König Josés Geschick begann sich zu erfüllen.

Zwar galt er im Kreise seiner Bewunderer als der vorausbestimmte Nachfolger seines Bruders Napoleon, da er selbst oft genug darauf anspielte, er müsse, solange sich der Kaiser der Gefahr des Schlachtentodes aussetze, stets gewärtig sein, in ein höheres Amt gerufen zu werden. In Wahrheit entkleidete ihn Napoleon um der Mißerfolge der französischen Waffen in Spanien willen Stück für Stück seiner Machtbefugnisse und übertrug sie Generälen, José, als sei er ein eigensinniges Kind, lehnte es vor Ärger wochenlang ab, sein – freilich nicht einsames – Bett zu verlassen, und erpreßte mit der dem Kaiser vorläufig unbequemen Drohung seiner Abdankung hohe Geldsummen. Jetzt sah er keine Möglichkeit des Widerstandes mehr und floh: General Wellington zog in Madrid ein. Es war wieder ein Festtag nach dem Herzen des Volkes, das, seiner Leiden nicht mehr achtend, den Sieger umjubelte, die Regierungsjunta ernannte ihn zum Herzog und Granden.

Französische Übermacht vertrieb den Herzog. José, den einen gepriesener Hort der Geistesfreiheit, den andern gehaßter Religionsfeind, den dritten lächerlicher Flaschensepp, kehrte im Triumph wieder und richtete seinen Hof von neuem ein ... Bis Engländer und Aufständische abermals siegten und Napoleon, durch den russischen Feldzug geschwächt und darum des spanischen Abenteuers müde, den Bruder abberief...

So wogten Sturm und Gewitter hin und her über das arme Land, zerzausten es von Nord und Süd, von Ost und West und peitschten das Volk blutig. Den großen Herren, den Fürsten, Oberfeldherrn, Kardinälen, geschah nichts, ob ihre Pläne glückten oder scheiterten, ob ihre Prunksessel in Madrid oder Burgos, in Paris oder London oder Rom standen – sie hatten gut und angenehm zu leben, hatten Paläste und Ehren, beflissene Dienerschaft und wohlduftende Tänzerinnen, Geflügel und Edelfrüchte auf dem Teller, prickelnde Weine im Kristall, weiche Kleider sommers und winters. Und den vielen Halbgroßen in ihrer Nähe geschah gleichfalls nicht viel Leids, den Prälaten und Mönchen schon gar nicht, die als Vertriebene gute Unterkünfte fanden und gelassen auf den Umschwung warteten, der ihre Rückkehr bedeuten würde.

In einer besonderen Lage freilich befanden sich die spanischen Anhänger des freien Geistes und des freigeistigen Königs: als Don José unwiderruflich abzog, fühlten sie den Boden unter ihren Füßen schwanken. Für die wenigen, die in der Umgebung des Abgesetzten noch etwas für sich erhoffen konnten, war es selbstverständlich, daß sie ihm nach Frankreich folgten. Aber auch wer von allen andern es irgend wagen konnte, ohne die äußerste Armut befürchten zu müssen, raffte zusammen, was er hatte, und überschritt die Grenze, denn keiner von ihnen traute Fernando, mit dessen Rückkehr man rechnen mußte, etwas anderes als Rachsucht zu.

So kam es, daß die politischen Stürme wieder an Franciscos Existenz rüttelten.

Leandro de Moratín suchte ihn in Hast und Unruhe auf, eröffnete ihm seinen Entschluß auszuwandern und drang in ihn, alle verfügbaren Geldmittel flüssig zu machen und sich der großen Gruppe der Madrider Flüchtlinge anzuschließen. »Du gehörst zu uns«, schrieb er ihm auf die Tafel, »wenn du hier bleibst, setzest du alles aufs Spiel.«

»Du bist jünger als ich«, antwortete Francisco, »ich habe die Mitte der Sechzig überschritten und kann nicht mehr von vorn anfangen.«

»Als freier Mann in Frankreich hast du wenigstens die Möglichkeit, neu anzufangen – in den Madrider Gefängnissen kannst du nichts als enden.«

»Meine Porträts sind unpolitisch.«

»Auch meine Verse waren unpolitisch, und doch gibt es für mich nichts anderes als zu gehen. Ich tauge nicht zum Märtyrer – und du auch nicht.«

Beide blieben hartnäckig – bis Francisco schließlich versprach, seine Entscheidung um vierundzwanzig Stunden zu verschieben.

Inzwischen kam Javier, berichtete, daß auch Gumersindas Vater mit anderen Verwandten in wenigen Tagen Spanien verlassen werde, und beschwor ihn, dasselbe zu tun: »Sie haben alle große Angst vor dem, was jetzt geschehen wird. Der Gedanke, du könntest in einen Staats- oder Inquisitionsprozeß verwickelt werden, ist furchtbar.«

»Ich bin angewachsen«, sagte er wieder wie damals, als ihn Javier bat, mit ihm die Welt zu sehen.

Doch auch der Sohn bedrängte ihn mit aller Kraft, versprach, um das letzte Hindernis zu beseitigen, er selbst und Gumersinda würden mitkommen, und verkündigte ihm schließlich kurzerhand, Vater Goicoechea habe in seinem Reisewagen einen Platz für ihn vorbehalten und erwarte ihn übermorgen zur gemeinsamen Abfahrt. Damit gab sich dann auch Moratín zufrieden, der ohne weiteres Zögern Madrid verließ.

Aber Francisco tat nichts, die überstürzte Reise vorzubereiten, sondern verkroch sich nur tiefer in seine graue Burg. Goicoechea mußte ohne ihn abfahren, und so blieben auch Javier und Gumersinda zurück.


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