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Krank und darum von den letzten Reisetagen aufs äußerste abgespannt kam Francisco in dem auf den Hügeln oberhalb von San Lúcar de Barrameda gelegenen Landschloß an. Der Krankheitsherd lag im Ohr; Schmerzen, zu Bohren und Stechen gesteigert, peinigten den vom Fieber Geschwächten, dem sich in schlimmen Stunden selbst das Bewußtsein trübte. Ein eitriger Ausfluß ängstigte ihn.
Die Herzogin ließ aus Cádiz einen geachteten Arzt kommen und hielt ihn einen halben Monat im Haus, später kam er nochmals für einige Tage. Sie wachte in der schlimmen Zeit selbst am Bett des Leidenden und beaufsichtigte, als der Arzt abgereist war, die Pflege in allen Einzelheiten.
Sie hatte noch nie eine so schwere Krankheit aus der Nähe miterlebt und litt sehr am Anblick des Gequälten. Wenn sie gar mit ansehen mußte, wie alle Linderungsmittel so gut wie gar nichts halfen, wurde sie zornig, und der Arzt, ein etwas wichtigtuerisch auftretender, sich gerne in den Rauch gelehrter Worte hüllender älterer Herr, hätte sich unter dem Eindruck solcher Auftritte wohl schneller wieder entfernt, wären sein Honorar und der Stand seiner Auftraggeberin niedriger gewesen.
Francisco konnte wochenlang das Bett nicht verlassen. Als sich seine Kräfte langsam wiederherzustellen begannen, die Krankheitserscheinungen sich verringerten und verschwanden, blieb doch das Gehör noch geschwächt; so wurde er zwischen Ungeduld und Niedergeschlagenheit hin und her getrieben. Dies also war nun der Anfang von San Lúcar. Mit welchen Hoffnungen, mit welchem Aufschwung der Liebe und des Schöpferwillens hatte er Madrid verlassen! Körper und Seele hatten im Liebesfeuer geflammt, der Geist hatte geflammt für das künftige Werk – so sehr, daß auch diese Glut die Adern erhitzte bis in die Hände hinein. Nun lag der Körper schwach und siech in den Kissen, die Seele war weich und traurig gestimmt, der Wille gelähmt, der Geist, wenn er die Schwingen überhaupt auszubreiten vermochte, schleifte doch nur über den Boden hin. Auch die Liebe war krank: da sie das ganze Lebensbewußtsein durchtränkte, mußten nun Erfülltsein, Begehren, Verzicht, Leiden durcheinanderwogen und immer von neuem abebben in ein müdes, hilfloses Sichanschmiegen an die Pflegerin.
Es war zuviel Feuer auf einmal, sagte er sich bitter in einer der vielen Stunden des Zurückdenkens, ich habe die Herrschaft darüber verloren – da hat es als böses Fieber von mir Besitz ergriffen und mich angesengt und ausgeglüht. Welch seltsames Symbol: oben im Gebirge kam der Umschwung, seitdem geht's nach unten, und nun bin ich bald in der Ebene. Vielleicht muß ich wirklich noch einen Schritt abwärts machen.
»In ein paar Jahren«, rief er Cayetana zu, »wenn nicht in ein paar Monaten schon werdet ihr alle mich als tauben Narren auf den Schutthaufen werfen.«
Sie lachte ihn aus. Seit das Schlimmste vorüber war, fand sie leicht in ihre Heiterkeit zurück und tat alles, um seine trüben Stimmungen zu verscheuchen. Sie brachte ihm die beiden Negerkinder ins Zimmer und spielte mit ihnen wie mit Harlekinpuppen, erfand groteske Kleidungsstücke für sie, versuchte ihnen akrobatische Kunststücke beizubringen, lehrte sie tanzen und, als seien sie Papageien, komische laute Sätze sprechen, deren Sinn sie nicht begriffen. Sie sorgte für erlesene leichte Speisen, die ihm zusammen mit dem feurigen Jerez aus den herzoglichen Weingärten von San Lúcar die Freude am sorglosen Genießen der Gegenwart und an der bewußten Steigerung des körperlichen Kraftgefühls wiedergeben sollten. Sie ließ Gewächshäuser plündern, um ganze Büsche von Blumen in seinem Zimmer aufbauen zu können, legte sich in Felle gehüllt auf einen Diwan dicht neben sein Bett, wenn er darüber klagte, daß er es noch nicht verlassen könne, erzählte ihm von den Amouren des Monsignore Escoiquiz und daß die Oberhofmeisterin niemals die Wäsche wechsle, weil das Zeremoniell darüber keine Vorschriften enthalte, zerstreute ihn durch Dutzende anderer Einfälle – und erreichte wirklich, daß er in ihrer Gegenwart sein Leiden vergaß.
Mitunter freilich, wenn er, müde und schwach, sehr wohl wußte, daß sie für ihn die Stimme anstrenge, und er gar das laut Gesprochene nicht recht verstand und um Wiederholungen bitten mußte – dann beobachtete er sie mißtrauisch, ob ihr diese Unterhaltungen nicht lästig würden. Und glaubte schließlich, Anzeichen ihrer Ungeduld zu entdecken – Grund genug, sich erneut in Trübsinn zu stürzen.
Doch es kamen Tage, an denen er sich einigermaßen gesund fühlte.
Als er sein Gesuch an den König abfaßte, in dem er mit Rücksicht auf eine noch nicht ausgeheilte schwere Erkrankung um Verlängerung seines Urlaubs bat, war das neue Jahr kaum eine Woche alt. Aber man spürte außer in sehr klaren Nächten und früh am Morgen noch wenig vom Winter, obwohl auf dieser Hügelstufe nicht ganz das milde Treibhauswetter herrschte wie drunten in der Ebene, auf deren fruchtbares Gartenland Francisco im Schreiben herabblickte.
Er saß mit Papier, Tinte, Feder auf einer mit einem Dutzend Palmen bepflanzten Terrasse, deren Mauerabstürze mit unzähligen Rosen überblüht waren. Im Rücken hatte er das Haus, es grenzte mit seinen drei anderen Seiten an einen gepflegten reichhaltigen Garten, der Garten aber an einen Hain von immergrünen Korkeichen, die mit den hier neu ansetzenden Hügeln emporstiegen. Drunten das Land war von dem breiten Silberband des Guadalquivir durchschnitten, man sah im Dunst der Ferne, wie seine weit ausgebreiteten Ufer den Ozean umarmten, der schimmernd, zerfließend das Bild begrenzte.
Jenes Haus, das Herrschaftshaus dieses höher gelegenen Teils der riesigen Besitzungen, war in maurischem Stil gehalten. Seine vier Flügel umhegten die Marmorfliesen und großblättrigen Pflanzen eines geräumigen Hofs mit der sanften Berührung luftiger Galerien. Nach der Terrasse zu lehnte sich an die Front eine Vorhalle, deren Dach über Hufeisenbogen von Säulen getragen wurde, Sterne, Blumen, Stäbchen, Muscheln verschlangen sich tapetenartig zu den Stuckornamenten der Wände, bauten die bunten Schnitzereien der Decke und kehrten in allerlei Gitterwerk wieder. Vor dem Eingang der Vorhalle erhob sich aus kreisrundem Becken der Strahl eines Springbrunnens.
Der Brief war beendet. Francisco stand auf und gab sich der melancholischen Beschäftigung hin, das Spiel des Springbrunnens mit dem Gehör zu erfassen.
O ja – wenn er nicht zu weit wegging, konnte er das Plätschern gut vernehmen. Ziemlich gut. Da waren allerdings gewisse Löcher in dieser leisen Melodie des Wassers – er prüfte immer wieder mit dem Auge, ob der Strahl wirklich für Momente in seinem Niederfallen aussetze. Gewiß setzte er aus. Aber doch nur, darüber ließ alles Schauen und Horchen keinen Zweifel, für Momente, die kürzer dauerten als jene beunruhigenden Löcher. Das waren also die schwächeren Töne. Vielleicht die sehr schwachen. Dann bedeutete es nichts, sie zu überhören. Es würde vollkommen genügen, alle nicht ganz schwachen Töne in sich aufzunehmen, es gibt wenig Situationen im alltäglichen Leben, dem eines Malers besonders, die ein feines Gehör erfordern. Darüber würde man hinwegkommen können.
Dann brauste er gegen sich selber auf: Diese hypochondrischen Prüfungen sind lächerlich – mein Zustand wird nicht bleiben, sowenig wie er vor etlichen dreißig Jahren geblieben ist. Das sagt auch der Arzt – dieser Dummkopf von Arzt, der mit der Geschichte in ein paar Wochen hätte fertig werden müssen, wenn er etwas verstünde.
»Ist der Brief geglückt?« hörte er Cayetanas Stimme hinter sich rufen – er verstand die Worte deutlich. Sie kam in einen blauen Samtmantel gehüllt aus der Halle, das krause schwarze Haar war offen wie meist, von den Ohren hingen große goldene Ringe herab, und wenn die Fußknöchel frei wurden, blitzten auch von dort goldene Spangen, die um die bloße Haut lagen, denn die Füße staken ohne Strümpfe in Sandalen aus blauem Leder. Das Kostüm paßte besser als ein modisches Kleid in dieses maurische Haus, so frei es erfunden war: der Mantel bestand ganz einfach aus einem großen, unzugeschnittenen Stück Tuch, das auch die Arme verdeckte.
Die hübsche junge Zofe Carmencita, genau nach Art ihrer Herrin gekleidet, doch in weiße Wolle, trug Kissen hinter ihr her, legte sie auf den steinernen Rand des Springbrunnens, an eine von den Palmen nicht beschattete Stelle, und zog sich zurück.
»Ich will gleichfalls an den König schreiben«, sagte Cayetana, während sie sich setzten, »und ihm klarmachen, daß die Ablehnung deines Urlaubs nichts anderes bedeuten würde als die Verwandlung meiner Verbannung in ein Todesurteil.« Sie sah ihm mit ungezügelter Leidenschaft in die Augen und gewahrte hinter seiner aufquellenden Freude den Schatten eines Zweifels. »Ja«, bekräftigte sie ihr Wort, »wenn du jetzt abreistest, ich ginge vor Elend zugrund.«
»Solange mein Ohr noch fähig ist, solche Bekenntnisse zu hören, mag es sich ruhig gegen andere Geräusche verschließen! Musik, Musik! Ein Hosianna der Liebe – aus deinem Mund gesprochen, ist es ein Donner, der alle Wolken zerreißt ... Wir sitzen hier wie auf offener Bühne, Schauspieler der Liebe und wahrhaftig nun des Todesschmerzes – hinter jedem Fenstervorhang und Strauch hervor sind wir zu begaffen, darum kann ich dir auch nur mit der Sprache antworten: ich will einen neuen Brief an den König schreiben, daß ich so lange krank sein werde, wie du verbannt, und ihn anflehen, deine zweijährige Verbannung zu wandeln – in lebenslängliche.«
»Verglichen mit deiner Tyrannengeste ist Don Carlos ein milder Richter.«
»Mild? ... da er doch unser Zusammenleben auf zwei Jahre begrenzt!«
»Ist das nicht lange?« Ihr Lächeln hatte plötzlich einen Anflug von Beherrschtheit.
»Jeder Gedanke an ein Ende ist eine Lästerung.«
»Aber zur Vermeidung des Endes bedürfte es keiner Verbannung.«
»In Madrid könnte ich nur heimlich mit dir leben.«
Sie warf stolz den Kopf zurück. »Wenn ich will, auch öffentlich. Ich könnte täglich in der offenen Kutsche mit dir durch Madrid fahren. Könnte dem König erzählen, du seiest mein Geliebter. Wenn es sein müßte, würden meine Beziehungen genügen, den Papst zur Auflösung meiner Ehe zu bestimmen. Ich bin die unabhängigste Frau von Spanien.«
»Was für ein Wirbel von Aussichten!«
»Wenn ich will ... aber wer weiß denn, was ich in zwanzig Monaten wollen werde?« Sie sah ihn, als liege darin nicht der geringste Gegensatz, mit halbgeöffnetem Mund sehr verlangend an.
»Eines weiß ich: daß du immer so sprichst, daß du selbst in der heißesten Umarmung so sprichst. Es ist, als hättest du dir einen unverrückbaren Lebensgrundsatz eingehämmert, diesen einen, wahrhaftig nur diesen einen: Zweifel kundzugeben, sobald in der Liebe von Beständigkeit die Rede ist. Du täuschest dich über dich selbst – fürchtest vor Sehnsucht zu sterben, wenn ich von dir gehe, und zweifelst, ob du mich in zwei Jahren noch liebst ... das kann nicht beides die Wahrheit sein – eines ist falsch.«
Sie lachte übermütig: »Ich habe nicht gesagt, daß ich sterbe, wenn du von mir gehst, sondern daß ich sterbe, wenn du jetzt – hörst du: jetzt – von mir gehst ...«
»Trotzdem kann nicht beides die Wahrheit sein.«
»Warum? weshalb? – überzeuge mich, daß die Hälfte meiner Zunge lügt!«
»Hör auf dein Herz und sieh in den Spiegel! Ich bin kein Advokat der Liebe, der dich vor deinem eigenen Gericht verteidigt, als gälte es zu beweisen, du habest nicht gestohlen ... Für mich bist du die einzige Frau der Welt, die schönste, reinste, gefallsüchtigste, berechnendste, glühendste, klügste, freieste, kühnste, weiseste, tollste, hast mehr Stolz als jede und hängst mehr der Lust an als jede – wie soll ich auch nur die entfernteste Möglichkeit zulassen, ich könnte eines Tages anders fühlen? Die Welt ist mir nur noch da durch dich, weil du sie siehst, und die Arbeit wird mir nur noch durch dich da sein. So ist es heute, so wird es, so muß es morgen sein, in zwei Jahren, in fünf, in zehn, in hundert ... Und da du um mich zu leiden vermagst und da alle Zeichen deiner Liebe, mit denen du mich überschüttest, Wahrheit sind und nicht Lüge, so werde auch ich der einzige für dich bleiben – morgen, in zwei und in hundert Jahren ... du kannst nichts anderes sein als eine Priesterin der Beständigkeit!«
»Wie wirst du mich noch lieben können, wenn ich alt bin?«
Er lachte. »Wenn du alt bist, werde ich viel älter sein. Als zwei erfahrene Greise werden wir das Leben anlächeln – als zwei Freunde, die nicht aufhören, sich zu lieben.«
»Du bist deiner so sicher, Francho, und es wäre schön, wenn ich mich deiner würdig zeigen könnte. Wahrhaftig« – sie wickelte sich enger in den Mantel –, »ich habe mit dieser scheußlichen Krankheit, die dich mir wegnehmen wollte, nicht aus Laune gekämpft, habe dich nicht Schritt für Schritt ins Leben zurückgezogen, um dich nach drei Tagen wieder loszulassen. Vielleicht war wirklich der Tod mein heimlicher Gegner, und nun ich heute gesiegt habe, verschleudere ich den Preis nicht morgen ... Es ist nur ein Wort, um das wir noch auseinander sind. Räumen wir es weg! Nennen wir auch meinen Willen, um dich zu kämpfen: Beständigkeit, meine Angst um dich, mein Verlangen, dich festzuhalten: Beständigkeit ... Ein neuer Gast, dieses Wort – ich heiße es willkommen, ich küsse es, drücke es an die Brust, als sei deine Seele darin verschlossen. Als sei es dein Leib.«
»Der Glaube verleiht Dauer, meine Freundin, und da wir ihn nun beide besitzen, so ist nichts mehr da, was schwankt.«
»Es ist schön, so zu glauben – ich habe niemals geglaubt. Wie beglückt mich der neue Gast – es ist, als wechselten meine Empfindungen die Farbe. Sie werden dunkler, glühend dunkel ...«
»Ein tiefer, tiefer Grund von Zukunft verbirgt sich nun hinter diesen Empfindungen. Wir sind auf sie gespannt wie auf Abenteuer. Was immer kommen wird: es kommt für uns beide.«
»Wir sind ein wenig wie Kinder jetzt ... findest du nicht? wie Kinder, die ihre erste Liebe haben. Fast könnten wir übereinander lächeln und jeder über sich selbst ... Ist es nicht so? Wir schauen in die Welt, als sei sie nur um unsertwillen da. Wir sind sehr mächtige Herrscher ... Weißt du, wer meine wirkliche erste Liebe war? Ein junger Hauslehrer. Übrigens habe ich den armen unschuldigen Burschen gleich verführt – woher ich nur gewußt habe, wie man das macht?«
»Ist es nicht so, daß die Kunst der Liebe, die wir gelehrt bekommen als eine Tradition, etwas Abgestandenes und Unaufrichtiges an sich hat? Sie muß, um wahr zu sein, immer wieder neu geboren werden, jungfräulich geboren – wie Aphrodite selbst aus dem Schaum des Meeres. Wer wie du aller Tradition ins Gesicht lacht, war das würdigste Gefäß, die Liebeskunst neu zu gebären.«
Der Satz gefiel ihr sehr.
»Übrigens meine ich«, fuhr er fort, »daß wir beide nicht mehr allzuviel von Kindern an uns haben – dafür wissen wir beide über unsere Gefühle zu gut Bescheid.«
»Wenigstens du über die meinen!« Ihr Ton wurde immer heiterer, ihre Fußspitzen zeichneten Figuren in die Luft. »Ich lasse mir nicht vorwerfen, ich habe Grundsätze. Damit hast du mich überzeugt, Advokat ... Aber nun soll auch ganz Madrid meine Beständigkeit bewundern, wie einen neuen Einfall! Wir werden sechsspännig unseren Einzug halten – zusammen mit den beiden Mohrenkindern, und werden die Nachricht ausstreuen, wir haben sie erzeugt und geboren ... solche Teufel seien wir, daß wir schwarze Nachkommen zur Welt bringen!«
Er blickte sie lachend und hingerissen an und breitete ein klein wenig die Arme – nur so viel, daß ein heimlicher Zuschauer die Gebärde gerade nicht mehr hätte bemerken können.
»Es ist wahr«, sagte sie, »wir haben uns noch nicht ein einziges Mal geküßt aus der veränderten Farbe der Gefühle heraus. Das läßt sich nicht länger aufschieben. Lassen wir den Vorhang fallen!« Sie stand auf und wandte sich dem Haus zu. »Es wird etwas ganz Neues sein.«
»Nun sind wir wirklich wie Kinder.« Er ging lächelnd neben ihr her. »Wir suchen eine dunkle Ecke, um uns zu küssen.«
Als sie ins Zimmer traten, in dem die eindringenden Sonnenstrahlen durch zarte blaugrüne Vorhänge gedämpft wurden, als schienen sie unter Wasser, hieß sie ihn stehen und sich nicht rühren. »Zuallererst mußt du ein Rätsel lösen. Du mußt erraten, ob Carmencita unter ihrem Mantel ein Kleid von gleichem Schnitt getragen hat wie das meine.«
Langsam schlug sie die schweren Falten des blauen Samts auseinander.
Und war nackt.
Eine Zeitung brachte die Nachricht, Ludwig der Sechzehnte und Marie Antoinette hätten ihr Blut unter dem Fallbeil verströmt.
Cayetana fröstelte, aber sie konnte ihre Spottlust nicht unterdrücken. »Jetzt müßte man in Madrid sein – ich möchte sehen, wie diese Bourbonen angesichts des Schicksals ihrer französischen Vettern bleich geworden sind.«
Sie sah sich vorläufig von der Möglichkeit abgeschnitten, ihre Toiletten aus Paris zu beziehen, war aber gar nicht unzufrieden darüber, da sie wußte, Maria Luisa werde vom selben Mißgeschick betroffen. »Mir selbst«, stellte sie fest, »bleibt es durchaus offen, bei meiner Rückkehr an den Madrider Hof die neueste Pariser Modeschöpfung zu tragen: die Jakobinermütze. Ich würde es als Ehre betrachten.«
In San Lúcar aber, in Jerez, Cádiz – man erzählte es oben – und sicher ebenso in anderen spanischen Städten erbitterte sich das Volk in seiner eigenen blinden Königstreue gegen die französischen Revolutionäre ...
Es war in diesen Tagen, daß die Herzogin in dem Palast, den sie drunten in San Lúcar besaß, ein paar Zimmer instand setzen ließ. Sie erzählte, er sei von einer unwohnlichen, zeremoniellen Feierlichkeit, ganz für die Menschen in steifen Halskrausen gebaut, die jetzt als Ahnenbilder sich an den Wänden langweilten, und rieche nach Moder und Gespenstern. Doch sie wollte mit Francisco eine Zeit am Meer verbringen und beorderte einen Teil der Dienerschaft zu den Ahnen.
Der zur Genesung nötige weitere Urlaub wurde Francisco großzügig, vorläufig ohne Begrenzung, zugestanden, und so fuhren sie denn, als der März sich frühlingshaft erwärmte, in die Stadt.
Je tiefer die Straße sich senkte, desto üppiger bot sich das Wiesen- und Gartenland dar. Das Gras sproßte frisch, die immergrünen Oliven waren von einem Regenguß abgewaschen, die Mandeln und Pfirsiche blühten, Zitronen und Orangen hingen reif im dichten Blätterwerk, das hohe Schilfrohrgebüsch trieb junge Blätter, die Dattelpalmen standen sehr schlank und schütteten hoch oben ihre biegsamen Wedel aus. Die Weingärten freilich standen noch kahl, und auch die Äste der Feigen ragten wie erstarrte braune Schlangen. Eselreiter kamen des Wegs, Bauern arbeiteten auf den Feldern.
Von dem Städtchen San Lúcar erblickten sie zuerst den Hügel mit seinem Kastell und die Kuppel der Kollegiatkirche, jenseits der Häuser schimmerte der breite Streifen der See.
Gaffendes Volk sammelte sich am Eingang des schon ein wenig verwitterten Palastes, als sie dem Wagen entstiegen.
Noch vor Sonnenuntergang ließen sie sich, wie es hohen Herrschaften geziemte, in Sänften zum Hafen tragen durch Gassen, in denen Einheimische, Zigeuner und fremde Seeleute gingen, standen, schwatzten, lärmten. Neben Fischerbarken lagen größere Schiffe, der Weinfracht gewärtig: zwischen den Spaniern flatterte die Flagge des venezianischen Löwen und das rote Genueserkreuz auf weißem Grund.
Sie stiegen aus und folgten der Straße ein gutes Stück dem offenen Meer entlang, bis sie aus dem Bereich des vom Guadalquivir mitgeführten Schlammes kamen. Ein warmer afrikanischer Wind trieb hohe dunkle Wellen vor sich her, von denen schon weit draußen Kämme abschäumten, wo das Wasser nahe dem Ufer seicht war, überschlugen sie sich und hatten doch Kraft genug, ihre Form nochmals zusammenzudrängen und sich am Steindamm aufzurichten wie weiße Sturmgespenster. Hier sanken sie zurück und wurden wieder eingeschlürft; war der sich nachschiebende Wasserberg schwach, so fühlte er den Gegendruck dieses Schlürfens und bäumte sich wie ohne Rückgrat, und der nächste hatte wieder freie Bahn.
An einem Felskap brach sich die Brandung mit Zischen und Brüllen, ließ Türme hochschäumen und Pyramiden einstürzen. Erst hier, wo keine Untiefen die Wogen zum Verebben brachten, wurde sichtbar, mit welcher Gewalt sie geladen waren.
Cayetana und Francisco saßen auf Steinbrocken. Der Sonnenball berührte schon fast die See und sandte sein Spiegelbild in flüchtigen Blitzen über die unruhigen Wogen hin. Von einem dünnen Schleier eingehüllt, der ihre Strahlen rötete und dämpfte, glitt sie hinter die Wassermauer, die sich rasch noch tiefer verdunkelte, hoch oben entbrannten die Wolkenketten und ergossen bis in die Himmelsräume des Ostens hinüber einen rötlichen durchsichtigen Abglanz.
Die Dämmerung, eine Atempause der Welt selbst über diesem Meer, wurde von der Nacht verschlungen. Das Gewölk vermehrte sich plötzlich und kam ins Jagen. In seinen Öffnungen schwamm der zunehmende Mond, gebar aus den Wellen eine Schlange von Silberfunken und ließ den Gischt wie in eigenem Phosphorlicht erschimmern.
Erst als sie froren, brachen sie auf.
Das Meer wurde ihnen vertraut.
In Francisco vermengte sich Naturerlebnis und Liebe zu einem gigantischen Erfülltsein. Aber es gewann keine Form, und als er das erkannte und vergebens um ein Neues rang, verfiel er in hitzige Ungeduld. Da drückte ihn auch sein Ohrenübel mit einem frischen Ansturm nieder, sie reisten nach Cadiz, um medizinische Autoritäten zu befragen.
Die erste Untersuchung enttäuschte ihn, machte ihn still. Als der zweite, wie sein Kollege hinter lateinischen Zaubersprüchen sich verschanzende Arzt statt feuchter Umschläge trockene, statt der Einträufelung warmen Öls kühlen Kamillenabsud verordnete, ließ Francisco seiner Wut freien Lauf, warf ein Geldstück auf den Tisch und rannte hinaus.
Im Gasthaus entwickelte ihm Cayetana den Plan, nach der Rückkehr im Ahnenpalast von San Lúcar ein kleines Fest zu geben. Er verbarg bei der Frage, welche Gäste sie vorgesehen habe, seine schlechte Laune nicht. Sie nannte einen Herzog und einige Grafen und Marquesen, die in der Stadt wohnten oder in der Nähe ihre Besitzungen hatten, natürlich sei das eine jämmerliche Gesellschaft, aber man müsse doch eine Folie haben, von der man sich abheben könne, und außerdem wäre es schön, wenn man wieder einmal etwas recht Lächerliches erlebte.
Seine Antwort kam ihr unerwartet:
»Gerade heute wollte ich dich bitten, daß wir uns in San Lúcar gar nicht mehr aufhalten, sondern sogleich wieder aufs Land ziehen. Ich kann selbst dieses kleine Maß von Unruhe und Ablenkung nicht mehr ertragen. Oben in der Stille werde ich arbeiten. Wenn nicht in der ersten Woche, dann in der zweiten oder dritten. Es geht nicht mehr anders: ich muß und muß wieder an die Staffelei.« Er sagte die letzten Worte heftig und fügte fast erschrocken bei: »Wenn hier ein Vorwurf zu hören war, so ging er natürlich gegen mich selbst.«
»Nun, mein Freund, Kleinstadtfreuden waren nie meine Passion, und das Fest lasse ich gerne in Rauch aufgehen. Auf so dumme Gedanken kommt man nur im Exil, als Sträfling ... Mitunter träumt man eben doch von Madrid: von Bewegung, Wechsel, Festen, Tanz, Schauspiel, Musik, Stierkampf, Neuigkeiten, Freundschaften und Feindschaften.« Sie sah seinen traurigen Blick und strich ihm übers Haar. »Mit dir, Francho, möchte ich diese Dinge wiederhaben, nur zusammen mit dir.«
»Ich habe ein Schuldgefühl, als hänge es von meinem Willen ab, dir Madrid zu öffnen – als verurteile ich dich mit meiner Bitte von neuem zur Verbannung.« Sie küßte ihn. »Ich bin glücklich, wenn du arbeiten kannst. Dahinter muß alles andere zurückstehen – das will ich ... Was rede ich? Es gibt ja nichts anderes. Wir fahren hinauf, weil wir einmal müssen und zehnmal wollen.«
Ihr Gesicht strahlte eine schöne Wärme wider, aber wenn er in diesem Augenblick solche Schattierungen aufzunehmen fähig war, mußte ihn ihr Stimmklang an die Zeit erinnern, da er krank lag und sie ihn pflegte.