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Si sabrá mas el discipulo?
Radierung. Aus den Caprichos

7

Wenn Javier mit seinem Vater die philosophischen Gedankengänge besprach, die ihm die Professoren vermittelten, pflegte der nach dem Wesentlichen, dem Kern der Dinge, den weltbewegenden Kräften zu fragen; und das hatte, da dem Adepten der Stoff zur Antwort fehlte, keine andere Wirkung, als seinen sowieso schwachen Glauben an die Schulweisheit noch weiter zu erschüttern.

So konnte Francisco nicht erstaunt sein, als ihm Javier eines Tages bekannte, das philosophische Studium vermöge ihn nicht auszufüllen. Wohl schwebe ihm eine höhere Methode vor, die Welt, ihre Erscheinungen und Hintergründe zu betrachten, doch ohne das Vorbild eines großen Lehrers fühle er sich zu schwach, sich einer solchen Methode zu nähern oder sie gar zu schaffen. Der schlanke, blasse Junge, dessen frühzeitig elegante, gemessene Bewegungen der im Grund seines Herzens bäurisch gebliebene Vater, ohne es recht zu wissen, bewunderte, hatte eine scharmante Art, so etwas auszudrücken. Francisco konnte und wollte nicht widerstehen. Er soll einen ebenen, schönen Weg haben – das war der Gedanke, der in ihm lebte und auch jetzt wieder an die Oberfläche kam. Darum äußerte er, selbst als Javier auf einen künstlerischen Beruf und schließlich geradewegs auf das Gebiet der Malerei anspielte, auf dem ihm Francisco bisher wenig zugetraut hatte, weder Bedenken noch gar Widerspruch.

»Laß dir Zeit«, sagte er, »sieh dich gründlich um.«

Da kam die Frage, auf die er gefaßt sein mußte und von der er doch hoffte, sie werde wenigstens in diesem Augenblick nicht gestellt: »Willst du mich als Schüler annehmen, Vater?«

Ausweichen mochte er nicht. Die Entscheidung, zu der er sich entschließen mußte, stand mit intuitiver Plötzlichkeit vor ihm, und als er sich anschickte, sie auszusprechen, wußte er kaum noch, wie er sie begründen würde. »Ich bin«, sagte er fast heftig und mit gesenktem Blick, »kein Mensch, der die Fähigkeit hat, Schüler auszubilden. Ich würde sie gewaltsam in das hineinreißen, was ich selbst mache. Das ist nichts für junge Menschen, die vorsichtig angefaßt werden müssen. Dein Talent ist von anderer Art als das meine, mir fehlt die Unbefangenheit, es zu erkennen und zu pflegen.«

»Ich ließe mich gern in deine Arbeit hineinreißen.«

»Du würdest mich nachahmen. Die Nachahmung ist die schlimmste Gefahr für einen werdenden Künstler.«

Als er Javiers traurige Augen sah, fügte er rasch hinzu: »Du mußt die Welt sehen, mußt reisen, die Lehrer immer wieder wechseln. Ich habe viel zuwenig von der Welt gesehen. Deine Studien sollen dich nach Rom, Wien, Paris führen; du wirst viel Gewinn daraus ziehen, der mir versagt geblieben ist. Du würdest sogar, denke ich mir, Gelegenheit finden, dich nebenbei in der Philosophie weiter umzusehen – das könnte den Künstler nur bereichern.«

Und Javiers Augen begannen wieder froh zu werden. Er küßte dem Vater die Hand.

Jetzt erst, unter dem Gefühl dieser Liebkosung, wurde Francisco sich klar darüber, daß er ihn ohne Besinnung aus seiner Nähe entlassen, ja weggewiesen hatte. Jetzt erst gab er der Empfindung Gehör, die eine andere Entscheidung wollte: welches Glück, einem Sohn in der eigenen Kunst den Weg zu zeigen, die eigenen Ideen in ihn einzupflanzen – sich ihm zu öffnen, ihn vor all den Irrtümern zu bewahren, durch die man selbst mühsam hindurchgegangen ist, ihm Zeit und Kraft zu sparen...

Nein, nein, nein! Ich darf ihn in meine Kreise jetzt nicht hineinziehen – was er bei mir lernte, wäre keine Musik für die Ohren eines jungen Menschen, der anfangen will, sich mit dem Leben auseinanderzusetzen: er möchte wohl die Lust an diesem Leben verlieren... Und die Entscheidung, ob er Maler ist, Maler sein kann, sollen andere verantworten. Selbst wenn sie ja sagen, um ihm Geld abzunehmen, wird bald an den Tag kommen, wie die Dinge liegen...

»Du hast ein paar schöne Jahre vor dir«, sagte er zu Javier und schlug ihm heftig auf die Schulter, »ich beneide dich darum.«

»Komm mit, Vater!« Es klang viel Liebe aus diesen Worten.

Francisco schüttelte langsam den Kopf. »Ich kann nicht. Es ist zu spät. Ich bin angewachsen.«

 

Er begab sich zum Hausmeister des Palastes der Herzogin von Alba, um Erkundigungen über Cayetana einzuholen. Vor einer Stunde war durch einen Zufall das Gerücht zu ihm gedrungen, sie sei erkrankt.

Ein hitziges Fieber, sagte der Hausmeister – mehr sei ihm nicht bekannt.

Die Auskunft des nächsten Tages lautete ähnlich, doch um eine Spur besorgter. Beunruhigt ließ sich Francisco beim Marqués melden. Der Herr Marqués beauftragte einen Kammerdiener mit dem Ausdruck seines Bedauerns, keine Besuche empfangen zu können, und mit der Mitteilung an den illustren Señor de Goya, Ihre Exzellenz die Duquesa bereite den Ihrigen durch eine ernsthafte Erkrankung Sorge.

Vergebens zerquälte sich Francisco den Kopf um eine Möglichkeit, mit Cayetana unmittelbar in Verbindung zu treten. Sicherlich hatte sie anfänglich ihrer Unpäßlichkeit zu wenig Bedeutung beigemessen, als daß sie ihn zu verständigen für nötig befunden hätte, und war jetzt zu schwach für solche Anordnungen. Die Etikette schloß einen Krankenbesuch völlig aus. Mauern standen plötzlich zwischen ihnen ...

Um sich abzulenken, überdachte er die nicht allzu eilige Frage, wie die Reisen Javiers zu finanzieren seien. Wollte er ihm reichlich Geld zur Verfügung stellen, so mochte es sich wohl empfehlen, eine neue Einnahmequelle zu schaffen. Und so kam er im Gespräch mit Bermúdez auf einen schlauen Gedanken, der ihm in seine Besorgnis und Unruhe hinein Vergnügen machte: die Kupferplatten der Caprichos lagen seit Jahren ungenützt, ein totes Kapital – sie mußten zinsbar gemacht werden!

Er richtete an den Finanzminister, einen liebenswürdigen, völlig von Godoy abhängigen älteren Herrn, ein Schreiben, in dem er die großen, in diesen Kupferplatten liegenden Möglichkeiten darlegte. Nur wenige Tage, bemerkte er, seien die Abzüge dem Publikum verkauft und nur in geringer Zahl abgesetzt worden, während sich die Vervielfältigung ohne weiteres auf fünf- bis sechstausend Stück steigern ließe. Im Ausland bemühe man sich sehr um den Erwerb der Platten, und er besorge ernsthaft, sie könnten nach seinem Tod wirklich dorthin verkauft werden.

Es war ein guter Schachzug: die Abzüge, im Inland als harmlos bestätigt, konnten draußen in Massen verbreitet und, frei gedeutet, Spanien kompromittieren. Nach seinem Tod erst – immerhin...

»Und so habe ich den Wunsch, sie dem König, meinem Herrn, für seine Druckerei zu schenken.«

Eine großartige Geste.

Die einzige kleine Gegengabe, die er sich ausbat, war eine Jahresrente von zwölftausend Realen – nicht für sich, durchaus nicht: für Javier, ausdrücklich zu verwenden für Reisen, die dem Studium der Malerei dienen sollen.

Gleich nach der Absendung des Schreibens suchte er um eine Audienz bei Godoy nach, der gnädig urteilte, es handle sich wirklich um eine Kleinigkeit, die sich sofort erledigen lasse.

 

Am selben Tag, an dem ihm die Annahme des Geschenks durch den König und die Bewilligung der Rente amtlich mitgeteilt wurde, brachte er in Erfahrung, daß die ärztliche Sorge für Cayetana in den Händen jenes Don Gaspar liege, um dessentwillen er den andulischen Landsitz verlassen hatte... Vom ersten Augenblick an war es ihm selbstverständlich, daß er sich mit dem Arzt in Verbindung setzen werde. Stundenlang ging er vor dem Albapalast auf und ab, um ihn zu treffen und auszufragen. Schließlich teilte ihm der Hausmeister mit, Don Gaspar habe seit einigen Tagen neben dem Schlafzimmer der Kranken Wohnung genommen und das Haus seitdem nicht mehr verlassen.

Nach mehreren Versuchen glückte mit Hilfe einiger an Diener verteilter Trinkgelder ein Zusammentreffen im Vestibül des Palastes. Sie hatten sich seit San Lúcar nicht wiedergesehen und begrüßten sich nun ernst und unbefangen, im stillschweigenden Einverständnis darüber, daß die Verbundenheit durch die Sorge um Cayetana jede Erinnerung an eine Rivalität ausschließe.

»Es sind Masern«, sagte Gaspar, »ein schwerer Fall. Der Ausschlag selbst ist vorüber, aber das Fieber hat sich auf die Lunge geworfen und bleibt dauernd sehr hoch.«

Während sie durch den Garten gingen, verbreitete er sich noch weiter über den Charakter der Krankheit und berichtete, daß zwei andere Ärzte beigezogen worden seien und seine Diagnose bestätigt haben. Da bedrängte ihn Francisco um sein wahrhaftiges Urteil – bis ihm das Bekenntnis wirklich entgegenstarrte: es bestehe nicht mehr viel Hoffnung, das Leben der Kranken zu retten.

Er stand ganz unter der Empfindung, daß er den schlimmen Ausgang von Anfang an vorausgeahnt habe, und das erleichterte ihm wenigstens, die Fassung zu bewahren. »Sagen Sie bitte der Duquesa, daß ich nach ihr gefragt habe«, war seine leise Antwort.

Aber Gaspar erklärte, das einzige, was überhaupt noch für sie geschehen könne, sei dies: jede Spur von Aufregung von ihr fernzuhalten. Übrigens werde auch die Verständigung mehr und mehr erschwert: das Bewußtsein der Kranken scheine mitunter getrübt.

Nicht einmal so viel – einfach abgeschnitten, ausgeschlossen, als sei sie schon tot. Der Gedanke quälte ihn furchtbar. Sie weiß nichts mehr von mir. Sie lebt, und kein Zeichen kann mehr zu ihr dringen ...

Gaspar versprach, Francisco von dem Fortgang der Krankheit persönlich zu verständigen.

Tags darauf gab er noch weniger Hoffnung. Da wagte sich Francisco mit der Bitte hervor, die Herzogin sehen zu dürfen – in einer Weise, daß sein Besuch ihr und anderen verborgen bleibe. Gaspar schlug ihm nach kurzem Besinnen vor, zwei Stunden später wiederzukommen. »Ich werde Anweisung geben, daß Sie in mein Zimmer geführt werden. Vielleicht läßt sich Ihr Wunsch dann erfüllen.«

Francisco rannte die zwei Stunden in der Stadt umher, ohne einen Menschen zu grüßen. Die Zeit kam ihm vor wie ein zäher Brei.

Schließlich stieg er, von einem Diener geführt, eine Seitentreppe des Palastes empor. Ein Mantel verhüllte ihn. Er hatte Angst, dem Marqués zu begegnen, kam sich vor wie ein Bettler, der jeden Augenblick gewärtig sein muß, weggewiesen zu werden.

Ohne Zwischenfall gelangte er in das Zimmer Don Gaspars.

»Die Herzogin schläft«, sagte der Arzt, »es ist nur eine Pflegerin bei ihr.«

Sie traten sogleich durch einen unbewohnten Raum an die Tür des Krankenzimmers. Der Arzt öffnete leise. Francisco sah durch den breiten Spalt auf das Bett, dessen Vorhänge weit zurückgeschlagen waren. Er glaubte, sein Herzschlag setze aus, als er Cayetanas bleiches Gesicht erblickte. Es war abgemagert, und die Haut schien straffer gespannt. Die Augen waren geschlossen. Sie atmete sehr rasch: eine Tote, die noch atmete.

Das schmerzliche Bild grub sich tief in ihn ein.

Zitternd trat er zurück. Der Arzt geleitete ihn zum Ausgang des Palastes.

 

Ein herzoglicher Kurier brachte Francisco – wie allen Freunden des Hauses Alba – die Todesnachricht. Er fügte bei, der Leichnam der hohen Entschlafenen werde in der Palastkapelle aufgebahrt; die Kapelle sei diesen Nachmittag für diejenigen Herrschaften geöffnet, die von der Frau Herzogin Abschied zu nehmen wünschen. Auch überbrachte er eine Einladung zur Teilnahme an der Beisetzungsfeierlichkeit.

Francisco aber mied den Palast, ja das Stadtviertel, in dem der Palast stand.

Zur Stunde der Beisetzung mischte er sich in unauffälliger Kleidung unter das Volk, das dichtgedrängt den Trauerzug erwartete.

Ein Kaufmann erkannte ihn und flüsterte ihm aus dichter Nähe ins Ohr: »Sie ist von der Königin vergiftet worden, alle sagen es.«

Er schüttelte heftig den Kopf und ging weiter.

Als er hinter psalmodierenden Geistlichen und Mönchen von ferne den schwarzverhangenen Wagen, der den Sarg trug, um eine Ecke biegen sah, wandte er sich jäh ab und floh zur Stadt hinaus.


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