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13

Und weiter fegte der Sturm über das spanische Land.

Napoleons Bruder Joseph, bisher König von Neapel, dort von Murat abgelöst, schickte sich an, in Spanien als König einzuziehen. Er ließ sich von starken Truppenabteilungen begleiten, brachte aber ein Geschenk mit, das ihn fürstlich dünkte: eine Verfassung, die in Bayonne in aller Eile von fünfzig Männern der geistlichen und hundert der weltlichen Aristokratie des Königreichs festgelegt worden war.

Doch was kümmerten das spanische Volk Verfassungen? Es kannte Napoleons furchtbare Soldaten. Er selbst, das verkündeten Priester und Mönche täglich und stündlich, war der Antichrist und Joseph der Sendbote des Antichrists. Fernando aber, der vielgeliebte, der Schirmherr der heiligen Religion, saß als Gefangener im Land der Gottlosen. Wohl kam von ihm, dem Unterwürfigen, der sich schon wieder um des Kaisers Wohlwollen bemühte, eine Botschaft, die Joseph zur Thronbesteigung beglückwünschte, aber niemand hielt sie für echt. Die Bauern verbrannten die Räder ihrer Wagen, um diese für jeglichen Dienst untauglich zu machen; an mehreren Orten züngelte schon, von der Geistlichkeit geschürt, die Flamme des bewaffneten Widerstands empor, die zweitausend Angestellten des königlichen Marstalls von El Escorial, der letzten wichtigen Station vor Madrid, verweigerten die Arbeit.

Auf französischen Befehl läuteten trotzdem die Glocken und donnerten die Geschütze, als José der Erste in der Hauptstadt erschien. Jene hundertfünfzig Granden und Prälaten bildeten sein Gefolge, hohe Beamte und Höflinge, die ihre Ämter nicht verlieren wollten, empfingen ihn, das Volk lehnte ihn ab. Draußen im Land aber erhoben sich mehrere Provinzen, in Sevilla trat eine revolutionäre Regierungsjunta zusammen, die im Namen Fernandos die Geschäfte führte. Haupt der Junta war der Kardinal Don Luis Maria de Borbón y Villabriga, Bruder der verstorbenen Gattin Manuel Godoys.

Das aufständische Volksheer gewann rasch so viel Boden, daß José zehn Tage nach seiner Ankunft von Madrid nach Burgos floh.

Francisco hatte die beiden großen Franzosenbilder unter Gerümpel verborgen und holte sie sogleich hervor. Er bot dem Alkalden ihre öffentliche Ausstellung im Rathaus an, aber der hatte nicht den Mut dazu. Javier war in dieser Zeit in großer Unruhe. Er hatte sich vor kurzem mit Gumersinda de Goicoechea verlobt, einem schönen und klugen Mädchen aus reicher aragonischer Familie. Sie befand sich in Zaragoza, während die Franzosen die Stadt zu belagern begannen.

Als nach einigen Wochen die Nachricht kam, das Belagerungsheer habe unverrichteterdinge abziehen müssen, beschloß Javier trotz der Fortdauer des Krieges, nach Zaragoza zu reisen, um die Hochzeit zu beschleunigen und die Gattin der größeren Sicherheit der Hauptstadt zuzuführen. Francisco stimmte dem Plan lebhaft bei, denn diese Heirat erleichterte ihn von der Sorge um des Sohnes Zukunft, der, übrigens auch noch immer im Genuß der von König Carlos ausgesetzten Studienrente, sich nun nicht mehr um Broterwerb würde zu bemühen haben.

Den in solcher Weise mit den Ereignissen in Aragon Beschäftigten erreichte ein Schreiben des Magistrats von Zaragoza, das ihn ersuchte, für das Rathaus ein Porträt des siegreichen Verteidigers der Stadt, des Generals Palafox, zu schaffen. Das Schreiben nannte Francisco den großen und berühmten Sohn der aragonischen Heimat und lud ihn in aller Form zu Gast.

»Ein verrückter Einfall, mir wegen eines einzigen Bildes die Reise zuzumuten«, sagte er zu Javier. »In dieser Stadt war man mir früher wenig gewogen, und darum paßt es mir trotz allem nicht übel, daß sie mich jetzt braucht. Ich werde mich ehren lassen – an der Seite des Generals, den man durch mich ehren will. Also: wir reiten zusammen!«

Javier suchte ihn abzuhalten, indem er ihm die Gefahren des Weges vor Augen stellte, aber Francisco erklärte, er habe beschlossen, sehr alt zu werden, und das sei ein Panzer gegen Franzosenkugeln. Und so war Javier denn die Begleitung des Vaters, dem er mehr Mut und Geistesgegenwart als sich selber zutraute, willkommen. Nur daß dieser Vater reiten wollte, paßte ihm nicht recht, er wäre gern in vier- oder sechsspänniger Extrapost vor dem Hause Goicoechea angefahren gekommen. Doch er mußte einsehen, daß sie als zwei einfache Maultierreiter leichter durch das Kriegsgebiet kommen würden.

Dieser mit Frische und Selbstvertrauen begonnene Ritt über Guadalajara, über den hochgelegenen Paß der Sierra Ministra, die um wuchtige Felsklötze gebaute Stadt Calatayud, durch das schmale Tal des Jalón in das breite des Ebro, führte, je weiter nördlich sie kamen, desto tiefer in die Bezirke höllischen Grauens. Zwar gerieten die Reisenden selbst kaum in Gefahr, um so mehr, als sie über Ausweispapiere verfügten, die auch von den französischen Kommandos anerkannt wurden. Aber sie sahen den Krieg. Nicht den Krieg zwischen zwei Heeren, sondern den Krieg versprengter, auf eigene Faust sich verpflegender Haufen wild gewordener Soldateska gegen ein so gut wie wehrloses Bauernvolk, das, zur äußersten Verzweiflung getrieben, auch der eigenen wie ein Tier in der Tiefe lauernden Grausamkeit die Fesseln löste.

Und was die beiden nicht selbst sahen, das erzählte man ihnen in allen Dörfern und Gehöften.

Gesenkten Hauptes ritten sie in Zaragoza ein.

Javier feierte ohne viel Aufsehen seine Vermählung. Francisco ging äußeren Ehren aus dem Weg, weil ihm die Lust dazu vergangen war, malte den General und nahm nur eine bescheidene Summe für das Bild. Er sah ein paar Verwandte und Jugendbekannte, besuchte Fuendetodos, das Dorf seiner Kindheit.

»Es hat wenig Sinn«, sagte er zu Javier, »wenn man sich gewandelt hat, die Stätten wieder aufzusuchen, an denen man als ein anderer gelebt hat. Ich weiß nicht, ob ich zum Besseren oder Schlechteren fortgeschritten bin – daß ich mich verändert habe und mich hier nicht mehr wohl fühle, steht fest. Es ist nicht der Krieg, der das macht.«

Auf etlichen von den Kämpfen weniger berührten Umwegen, die man ihnen empfohlen hatte, reisten sie, teils zu Wagen, teils zu Maultier, mit der braunlockigen, dunkeläugigen Gumersinda nach Madrid zurück.

In Francisco wogten die Bilder der Kriegsschrecken, die mit eigenen Augen aufgenommenen und die von der Phantasie geschauten, bei Tag und Nacht als ein Gespenstertanz.

Er schaffte Kupferplatten, Nadeln, Säuren, die Presse und was sonst nötig war, aus jener versteckten Dachkammer, in der einst die Caprichos entstanden waren, hinaus in das unter Dach gebrachte Landhaus. Und begann zu zeichnen.

Zuerst eine Platte, die keiner Wirklichkeit Gestalt gab, sondern einem Symbol: dem des fluchbeladenen Menschenschicksals. Viele, viele Menschen, durch eine Kette aneinandergezwungen, wandern einer hinter dem andern, trostlos, hoffnungslos, müden Schrittes, fast zusammenbrechend, durch eine tote, leere Gegend. Sie wissen nicht, wohin es geht, schrieb er darunter.

Leichenhaufen zeichnete er, vor denen ein Überlebender steht, stumpf oder wahnsinnig oder von der Übelkeit des letzten Grauens gepackt, Leichen, an denen ein Vampir saugt, wieder eines jener Wesen mit Fledermausflügeln, erhängte Bauern, an deren Anblick sich Soldaten weiden, Frauenschändungen, denen Mann und Kind zusehen müssen.

Er arbeitete in einem fieberhaften Zustand. Der Ankläger gebar den Stoff, der Künstler formte ihn, formte jede einzelne Zeichnung, als sei sie sein wichtigstes, heiligstes Werk, und vergaß, nichts mehr als Reife und strömende Kraft in Kopf, Adern und Händen fühlend, die Anklage über dem Schaffen. Beim Suchen nach der Unterschrift kamen dann Wut, Grauen, Mitleid zurück. Hier faßte ihn die Erinnerung am stärksten, zweimal zeichnete er den unerbittlichen Satz ein: Ich hab's gesehen! Lag aber der erste Probedruck auf dem Tisch, so wallten Freude und Stolz des Schaffenden neu empor und vermischten sich mit der Kennerschaft des Betrachters wie vor einem fremden Werk.

Unterdessen fluteten neue Heere über das gequälte Land herein. Kaiser Napoleon selbst kam als ihr Feldherr über die Pyrenäen gezogen und erzwang sich in einer großen Schlacht den Übergang über die Sierra de Guadarrama, deren herrlich geschwungene, jetzt im Spätherbst schon von Schnee glänzende Höhenzüge Francisco vor Augen hatte, wenn er am Fenster arbeitete. Die Qualen der Verwundeten und Sterbenden gruben kein Zeichen in die Schönheit der Landschaft. Auch das furchtbarste Leiden sinkt aus großer Ferne in nichts zusammen.

Eines Tages, als viele französische Truppen in der Nähe des Landhauses vorbeimarschierten, brachte Leandro de Moratín die Nachricht, der Kaiser halte seinen Einzug in Madrid. »Die Monarchen«, sagte er, »gehen und kommen wie die Zugvögel.«

Obwohl die Worte dicht an Franciscos Ohr gesprochen wurden, verstand er sie nicht. Leandro schrieb sie ihm auf ein Blatt Papier. Francisco schlug eine Lache auf. »Schade«, sagte er, »daß der Satz so lange gebraucht hat, um mich zu erreichen. Es ist heute genau das fünftemal, daß man mir schreiben muß, was ich verstehen soll. Morgen wird es die Regel sein.«

»Es wechselt«, schrieb Leandro, »morgen besser.«

»Nein – es wechselt nicht. Aber es kommt darauf nicht mehr an.«

 

Es war nur zwei Tage später, daß ein französischer Offizier bei Francisco erschien und ihm Napoleons Einladung überbrachte, sich mit Leinwand und Farben im Königsschloß einzufinden.

 

Der Kaiser saß an einem großen Tisch; etwas zur Seite standen die Generäle Soult, Ney, St. Cyr und ein Kammerherr.

»Wer ist das?« fragte er, als Francisco von einem Adjutanten hereingeführt wurde.

»Monsieur de Goya, Sire, der Maler.«

»Ein kaltes Land, dieses Spanien«, bemerkte Napoleon, »ich hatte mir das anders vorgestellt. Man ist halb in Afrika und kann nicht genug Scheite in den Kamin werfen.« Er sah Francisco aufmerksam an, der im korrekten, mit zwei Orden geschmückten Staatskleid, doch mit ungebärdig zurückgekämmtem Haarschopf und mißtrauisch-gespanntem Gesicht vor ihm stand.

»Falls Seine Majestät soeben die Gnade gehabt haben sollte, das Wort an mich zu richten«, wandte sich Francisco an den Adjutanten, »darf ich untertänigst daran erinnern, daß ich mein Gehör nahezu verloren habe.« Der Adjutant übersetzte.

»Sprechen Sie Französisch?« fragte der Kaiser.

Der Adjutant gab die Frage nahe und laut weiter, doch mußte sie wiederholt werden, ehe Francisco antworten konnte, er verstehe Französisch mangelhaft und spreche es noch schlechter.

»Schade. Im Spanischen habe ich mich nie geübt. Unserer Unterhaltung stellen sich einige Hindernisse entgegen. Da es mich interessiert, mit Ihnen zu sprechen, werden wir dieser Hindernisse Herr werden.«

Von jetzt ab diktierte der Kaiser dem Adjutanten seine Fragen und Bemerkungen in Stichworten, die dieser auf spanisch für Francisco niederschrieb. Mehrfach war Napoleon zu ungeduldig, die Antwort abzuwarten, und unterhielt sich dazwischen mit den Generälen. Francisco mußte dann mit der Fortsetzung des Gesprächs warten, bis Napoleon sich wieder an ihn wandte.

»Ich habe Sie kommen lassen«, sagte der Kaiser, »weil ich will, daß in diesem Schloß ein Bild von mir aufgehängt wird. Man hat Sie mir dafür empfohlen. Sie gelten als eine Berühmtheit in Ihrem Fach. Ich habe selbst hier im Schloß Porträts von Ihnen gesehen, die mich wünschen lassen, Sie möchten in Paris arbeiten. Nur muß man sich hüten«, er lächelte ein wenig, »sich vor Ihnen eine Blöße zu geben.«

»Ich warte auf den Befehl zum Beginn der Arbeit, Sire, mein Handwerkszeug liegt im Nebenraum.«

»Dieses Zimmer ist hell. Etablieren Sie sich hier nach Belieben und solange Sie wollen. Ich werde in meinen Geschäften fortfahren. Aber ehe Sie beginnen, wollte ich Ihnen dies hier zeigen.« Der Kaiser griff nach einer Mappe: es war ein Exemplar der Caprichos. »Das kommt aus der Staatsdruckerei. Was ist das für ein seltsamer Staat, der solche Dinge drucken und verbreiten läßt! Ihr früherer König hat mir erzählt, daß er sein Leben der Jagd gewidmet hat, dabei ist ihm vermutlich entgangen, daß hier gewisse unter seinem Schutz stehende Einrichtungen und Persönlichkeiten angegriffen werden.«

Er blickte Francisco gespannt an, weil er vergessen hatte, daß seine Worte eines Umwegs bedurften, um anzukommen. Als er die Stockung bemerkte, sagte er zu St. Cyr: »Es ist unmöglich, diesen Mann zu verblüffen. Noch ehe er liest, was ich sage, hat er mit irgendeinem Sinn, der intelligenten Tauben eigen ist, schon halb erraten, um was es sich handelt.«

»Es sind harmlose Spielereien«, antwortete Francisco, »sie haben den Beifall Seiner Majestät des Königs, meines Herrn, gefunden.«

»Den Beifall? Unmöglich. Ein Souverän, der Ihren Zeichnungen zustimmt, kann nicht zugleich der Inquisition zustimmen.«

»Don Carlos hat meine Zeichnungen gegen die Inquisition in Schutz genommen.« Er wunderte sich selbst, daß er sich vor Carlos stellte. Des Kaisers Bemerkungen reizten ihn zum Widerspruch.

Napoleon hörte darüber hinweg und sprach mit den Generälen über die englischen Truppen, die die spanische Revolutionsjunta zu Hilfe gerufen hatte.

Dann wandte er sich wieder an Francisco, der ihn in der Zwischenzeit scharf ins Auge gefaßt hatte: »Ich habe mir einige von diesen Blättern genau angesehen, Monsieur de Goya. Künstlerisch scheint mir nicht alles eines Mannes von Ihrem Talent würdig zu sein. Ihre barocken Linien überschreiten die Grenzen dessen, was Gegenstand der bildenden Kunst sein kann. Ich möchte wohl die Zeit haben, mit Ihnen im einzelnen darüber zu sprechen. Aber Ihre politischen Anspielungen sind mir wichtiger. Sie wissen, woran dieser Staat gekrankt hat, und so müssen Sie und Ihre Gesinnungsgenossen erkennen, daß wir gekommen sind, um ihn zu heilen. Wir nehmen den Alpdruck des Mittelalters von Spanien und bringen eine liberale Verfassung, die auf die Rechte des Volkes Rücksicht nimmt.« Er machte eine kleine Pause, fuhr dann aber hastig, ohne die Tätigkeit des Dolmetschers abzuwarten, fort: »Ihre Bauern brauchen nicht mehr unter der Last der Esel zusammenzubrechen, die ihnen auf den Schultern hocken. Aber anstatt uns Triumphbogen zu bauen, legen sie sich mit der Flinte in den Hinterhalt. Man muß ihnen ihr Glück mit Gewalt aufdrängen.«

Der Adjutant kürzte und milderte die Rede.

Francisco preßte beim Lesen den Mund zusammen, um Herr seines Gesichtsausdrucks zu bleiben. »Wir erkennen die hohen Absichten Eurer Majestät mit Ehrerbietung«, sagte er dann höflich. »Und was eine gewisse Kühnheit meiner Figuren anlangt, so habe ich mich stets in Gegensatz zu denen gestellt, die sich an nichts als überkommene Gesetze und eine sklavische Nachahmung der Natur halten.«

»Über Politik kann man offenbar nicht mit Ihnen reden«, stellte Napoleon etwas mißmutig fest. »Ich glaube, es ist gut, wenn ich Sie jetzt arbeiten lasse.« Damit zog er eine der strategischen Karten näher zu sich heran.

Ein Lakai brachte Staffelei, Leinwand, Farben, Pinsel. Francisco ließ nach Verständigung mit dem Adjutanten einen Fenstervorhang schließen, einen anderen öffnen und setzte seine Brille auf.

Er hat eine schöne Stirn, überlegte er, schade, daß er die Haare so weit hereinstreicht. Die Augen sind klar, fast knabenhaft, haben keine Hinterhalte. Es ist kaum begreiflich, wie schnell ihr träumerischer Ausdruck in Härte übergehen kann. In die Härte dessen, der Spanien wie ein Räuber überfallen hat. Der die Schuld trägt an dem, was ich gesehen habe. An dem, was ich in die Kupferplatten grabe. Meine Kriegsradierungen sollte ich ihm unter die Augen halten, eine um die andere. Ob er da auch sagen würde, künstlerisch sei nicht alles meines Talents würdig? Ihr Werk, Majestät, müßte ich ihm entgegenrufen, Ihr Werk, nicht das meine...

Er wählte eine Kopfhaltung, die der Kaiser am häufigsten einnahm, wenn er sich nicht über Karten beugte.

Die Generäle gingen, und andere Offiziere kamen, ohne von dem Maler Notiz zu nehmen.

Am seltsamsten sind Kinn und Mund, dachte er, mit ihrem weichen Schwung, ihrer weichen Spannung. Mischung aus Tatkraft und Genuß – viel Genuß. Wenn der die Frauen nicht liebt... Hier sitzt die eigentliche Schönheit des Gesichts. Javier sagt, es gleiche dem eines Künstlers, und es hat wirklich etwas davon.

Einmal wurde der Kaiser sehr erregt, stand auf und schritt im Zimmer auf und ab. Dabei kam ihm die Anwesenheit Franciscos wieder zum Bewußtsein, er trat neben ihn und schrie ihm ins Ohr: »Sie machen hinter Ihrer Brille ein Gesicht wie ein Bauer, der hinter einem Felsblock hervorschießt... Erstaunlich, wieviel Sie schon gemalt haben.«

Er ging weiter, und Francisco, der nur halb verstanden hatte, brauchte nicht zu antworten.

Ein neuer Besucher wurde hereingeführt, es war Escoiquiz, und Napoleon setzte sich wieder.

»Wir kennen uns von Bayonne«, bemerkte er nicht unfreundlich, doch ohne einen Stuhl anzubieten.

»Wenn ich auch damals ein allzu ungenügendes Werkzeug war, gebe ich mich doch der Hoffnung hin. Eure Majestät möchten den guten Willen Ihres Dieners nicht allzu gering achten und mir auch jetzt ein gnädiges Ohr leihen.« Er sprach fließend französisch.

»In wessen Auftrag kommen Sie?« fragte der Kaiser sehr kurz.

»Im Auftrag unserer heiligen Kirche.«

»Drücken Sie sich präziser aus. Ich will wissen, wer Sie schickt.«

»Mich schickt Seine Eminenz der Kardinal Olivarez, der in dieser Stunde auf Wunsch Eurer Majestät Spanien verläßt.«

»Der Großinquisitor?«

»Es ist sein Titel, Sire.«

»Ein Titel des Entsetzens. Begibt sich der Kardinal nach Rom?«

»Es ist der einzige Weg, Sire, der Seiner Eminenz offensteht.«

»Dort ist sein Platz. Ich lehne es durchaus ab, über die Frage seiner Rückkehr zu verhandeln.«

»Nicht deshalb bin ich gekommen.« Er sah sich ein wenig unsicher nach den Generälen und nach Francisco um.

»Reden Sie, aber fassen Sie sich kurz! Vor diesen Offizieren habe ich kein Geheimnis, und Monsieur de Goya ist taub.«

»Ich habe Eurer Majestät die Bitte zu unterbreiten, das gegen die Inquisition gerichtete Edikt zu mildern. Ihre Zuständigkeit ist schon in den verflossenen Jahrzehnten aufs äußerste eingeschränkt worden. Mag sie sich weiterhin vermindern – die Einrichtung als solche ist für den Instanzenzug der kirchlichen Gerichtsbarkeit unerläßlich. Wir bitten um nichts als die gnädige Erlaubnis, die Inquisitionsgerichte für rein dogmatische Fragen aufrechterhalten zu dürfen. Ich habe hier« – er zog ein Papier aus der Tasche – »diejenigen Fälle juristisch umschreiben lassen, auf die das Heilige Kollegium seine Arbeit zu beschränken hätte.«

»Ich finde, Monsignore, an Gesinnungsschnüffelei und Folterwerkzeugen nichts Heiliges.«

»Die Folterwerkzeuge« – Escoiquiz strich mit der linken Hand seinen breiten rotvioletten Gürtel zurecht – »sind praktisch so gut wie außer Gebrauch. Eurer Majestät sind von Feinden unserer Kirche tendenziöse Berichte zugegangen. Da ich mit dieser Möglichkeit rechnen mußte, habe ich mir die Freiheit genommen, den besten Kenner der Geschichte der Inquisition, den Kanonikus Llorente, mitzubringen, er wartet im Vorzimmer und kann jede ins einzelne gehende Auskunft geben, falls Eure Majestät geruhen wollten, sich zu unterrichten.«

»Das ist wirklich eine ausgezeichnete Idee, mir einen Spezialisten für Inquisition ins Haus zu bringen«, sagte der Kaiser mit schneidender Kühle. »Ich fürchte, ich könnte seinen Geruch nicht ertragen... Aber wir reden schon zu lange. Ich pflege von meinen Befehlen nichts zurückzunehmen. Pflegte der König, dessen Minister Sie waren, seine Befehle zu widerrufen?«

»Meine Bitte betrifft im Grunde nur eine Formalität, Sire, aber das vollkommene Verschwinden einer jahrhundertealten kirchlichen Einrichtung würde die gläubige Bevölkerung tief verwunden.«

»Pfäffische Heuchelei ist mir zuwider, Monsignore. Sie wissen so gut wie ich, daß ich mich gegen mittelalterliche Anmaßung der Priester wende, nicht gegen das Volk.«

»Ich bitte Eure Majestät, eine Zeitlang in dieser Kopfhaltung zu verharren.« Die Worte kamen hinter der Staffelei hervor, aus der Arbeitsbesessenheit, die, vom Verschwinden eines Sinnes begünstigt, nicht wußte, was um sie vorging. Ein Pinsel deutete zur Bekräftigung auf des Kaisers Gesicht.

Napoleon lächelte für eine Sekunde und hielt wirklich still. »Monsieur de Goya sticht dem Rad der Weltgeschichte mit dem Pinsel zwischen die Speichen. Das hindert mich nicht, Monsignore, Ihnen zu sagen, daß ich nach Spanien gekommen bin, um Europa hierherzubringen. Seine Gesittung, seine Gesinnung, seine Freiheit, seine frische Luft. Ich gleiche die Staaten einander an. Jeder Europäer hat das Recht, zu denken, was er will. Inquisition in einem dieser Staaten – diesen Schönheitsfehler können Sie mir nicht zumuten... Aber ich fürchte, Sie verstehen von meinen Worten sowenig wie dieser taube Maler.«

Escoiquiz biß sich auf die Lippen. Die Etikette zwang ihn zu bleiben.

»Übrigens«, fuhr der Kaiser fort, »brauche ich doch noch einen Sachverständigen. In meinen Händen ist eine Aufstellung, wonach in Spanien über dreitausend Klöster existieren. Davon werde ich mindestens zweitausend aufheben und ihr Vermögen dem Staat überweisen, der das sehr nötig hat. Wollen Sie mir behilflich sein, die reichsten auszusuchen?«

Der Prälat drückte sein schweres Kinn gegen die Brust und blickte zu Boden.

»Unser Gespräch ist beendet, Monsignore. Jeder weitere Versuch, die Inquisition aufrechtzuerhalten, hätte die Verbannung der beteiligten Personen zur Folge.«

Escoiquiz verbeugte sich stumm und ging.

Wie despotisch die Augen wieder geblickt haben, dachte Francisco. Und jetzt schon wieder das Träumerische... es ist, als könne er ohne Wärme nicht leben. Ich will fast alles Herrische in diesem Gesicht zudecken...

»Sie haben von der Frage der Nachahmung der Natur gesprochen, Monsieur de Goya«, bemerkte der Kaiser. »Auch ich bin der Meinung, daß der bildende Künstler keineswegs diese Aufgabe hat, sondern die Natur in idealisierter Form darstellen muß. Dazu wäre das Schöne und Allgemeingültige zu verstärken, das Häßliche und Zufällige aber zu übersehen. Es ist ein Gesetz, das übrigens auch für die Dichtkunst gilt. Sie jedoch schrecken nicht davor zurück, das Häßliche zu verstärken.«

Der Adjutant reichte die Übersetzung Francisco, der sich ungern in der Arbeit stören ließ. Er bemühte sich, die Diskussion abzuschneiden: »Ich bitte Eure Majestät, meine Caprichos wirklich nur als gelegentliche Spielereien und Karikaturen zu nehmen, die einer so strengen Betrachtungsweise nicht standhalten wollen.«

»Ich habe Sie aber im Verdacht, daß Sie sich nicht einmal im Porträt zur klassischen Anschauungsweise bekennen.«

»Das Porträt erscheint mir als ein Sonderfall. Hier ist in der Tat die Nachbildung der Natur das Wesentliche, wenn auch in einem höheren Sinn, dem der Erfassung der Persönlichkeit.«

»Wie weit sind Sie mit der Erfassung der meinigen?«

»In einer Viertelstunde, Sire, ist die Arbeit beendet.«

 

»Ich habe während des Malens geglaubt, ihn zu begreifen«, sagte Francisco zu den Freunden, die ihn um Mitteilungen über den Kaiser bestürmten, »jetzt weiß ich, daß er mir entwischt ist. Der Teufel soll klug aus einem Menschen werden, der einen Krieg um den andern führt, über Tod und Elend von Hunderttausenden nicht mit der Wimper zuckt und dabei aussieht, als verabscheue das alles niemand mehr als er selbst, und ehrlich aussieht.«

»Vielleicht verabscheut er es wirklich«, meinte Moratín, »und glaubt in diese blutige Bahn hineingezwungen zu werden, glaubt, daß es kein anderes Mittel gebe, seine Zwecke zu erreichen. Und will man gerecht sein, so muß man diese Zwecke als groß anerkennen: Freiheit, Vernunft, Verbindung der Völker untereinander durch diese Ideale ... Ein furchtbarer, wahrhaft tragischer Irrtum, durch höllische Schrecken die Vernunft zum Sieg führen zu wollen.«

»Wie kann man sich durch solche Heuchelei täuschen lassen«, rief Moratín. »Es ist die nackte Herrschsucht. Die Gelüste eines römischen Cäsaren sind es, nichts anderes.«

Francisco schüttelte den Kopf, als man ihn verständigt hatte. »So einfach liegt die Frage nicht. Ich habe seine Augen gesehen. Er ist vielleicht ein Bildhauer, der die Welt neu zu meißeln sich unterfängt und das Lebendige, das absplittert, wie toten Stein ansieht. Ein Künstler von furchtbarer Erbarmungslosigkeit, gepanzert vielmehr, daß die Splitter ihn nicht am Herzen verwunden – aber ein Künstler.«

»Du sprichst oft von Schicksal und Dämonen«, antwortete Bermúdez, der allmählich körperlich recht schwerfällig geworden war. »Diesen könnte man als einen Schicksalsgott ansehen.«

»Dafür ist zuviel Wärme in ihm«, sagte Francisco.

»Als einen Kriegsgott«, bemerkte Maíquez mit schönem, dunklem Tonfall, »der, über Berge von Leichen schreitend, immer nur den Ölbaum in der Ferne winken sieht, von dem er sich den Siegespreis brechen will.«

»Ich bleibe dabei«, brummte Francisco, »daß ich für meine Person ihn nicht verstehe. Die Wahrheit schwankt, die Wahrheit verbirgt sich.«

»Die Wahrheit schwankt, die Wahrheit verbirgt sich«, wiederholte Bermúdez lachend, »es klingt wie der Titel unter einem Capricho.«

»Ich sage euch, daß er aufrichtige Augen hat. Aber seine innerste Wahrheit spricht er nicht aus. Nicht bloß vor mir nicht. Er darf sie nicht aussprechen. Und ich darf ihm auch nicht die Wahrheit sagen, die ich denke. Dafür bin ich Hofbeamter. Die Könige verschweigen die Wahrheit, und die Höflinge sind ihr Echo. Die Pfaffen entstellen die Wahrheit. Das Volk will sie nicht hören. Wahrhaftig – ich werde eine Platte zeichnen, die heißt: Die Wahrheit ist gestorben. Ein Mädchen, mit geschlossenen Augen am Boden liegend, nach allen Seiten Licht ausstrahlend... einen Bischof und einen König, die schöne Worte über ihr machen... Gaffer aus allen Ständen... einige mit Steinen und Prügeln, bereit, sie niederzuschlagen, wenn sie sich nochmals rühren sollte...«

Er griff nach einem Blatt Papier und skizzierte die Gruppe in fliegender Eile.


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