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»Ich war ein wenig an den Vorbereitungen des Festes beteiligt«, sagte Francisco zu den in seinem Atelier versammelten Freunden und öffnete ein zweites Fenster in die laue Frühherbstnacht. Die Kerzen flackerten im Luftzug und beruhigten sich wieder. »In doppelter Weise: einmal durch gewisse inzwischen vernichtete Kostümzeichnungen, die vor jemand anderem als vor euch zu erwähnen sehr unvorsichtig wäre, und dann durch ein Porträt. Die Herzogin legte aus irgendeinem Grunde Wert darauf, daß ein repräsentatives Bildnis ihres Gatten rechtzeitig fertig werde, um von der beherrschenden Wand des Empfangsraums die Gäste anzublicken.«
»Eine sinnige Ehrung«, spottete der behäbige Jose Ceán Bermúdez.
»Die Königin, Primadonna der Komödie, kam zu dem Fest in einem Kleid aus türkisblauer Seide, besetzt mit schmalen Borten aus Brüsseler Spitzen. Ich weiß, daß es zwei Tage vorher aus Paris eingetroffen war, man hatte ihr mitgeteilt, die verschiedenen Abstufungen von Türkisblau gelten bei den wenigen Zusammenkünften, die sich der französische Adel noch zu geben wage, als die vornehme Farbe.«
»Ein rotes hätten sie ihr schicken sollen«, warf Bermúdez wieder dazwischen, »ein blutrotes – allerletzte Mode von Paris!«
»Nun war es also türkisblau – haltet die Farbe fest. Um sie recht leuchten zu lassen, legte Doña Maria Luisa sogar ein Pfund weniger Schmuck an als sonst. Sich pfauend, rauschte sie in die Gesellschaft ein. Ihre Eitelkeit betrank sich geradezu an den Blicken der sich Verneigenden.« Francisco verdeutlichte seinen Bericht mit Gesten.
»Ein beneidenswerter Auftritt!« rief Isidro Maíquez begeistert.
»Der Glückszustand Ihrer Majestät dauerte nicht lange. Die Herzogin erbat von ihr höchst zeremoniell die Erlaubnis, eine Erfrischung auftragen zu lassen, und gab dann dem Haushofmeister das Zeichen. Für mich war die Lage ein wenig gespannt, denn ich kannte die kleine Überraschung, die wohlvorbereitet schon hinter den Türen wartete. Ich glaube, in den letzten Sekunden zitterte sogar mein Gewissen. Aber die Türen sprangen trotzdem auf, und leuchtendes Türkisblau glitt aus allen Öffnungen: die gesamte weibliche Dienerschaft erschien in derselben Seide, aus der die Robe der Königin bestand. Im Schnitt war auf den Unterschied zwischen dem Kleid einer Kammerzofe und einer Gesellschaftstoilette ein klein wenig Rücksicht genommen, raffinierte Rücksicht – doch stimmten auch die Brüsseler Spitzen des Kleidbesatzes genau mit denen der Königin überein.«
»Was für eine Idee! Eine anbetungswürdige Kühnheit!« riefen Bermúdez und Moratín.
»Weiße Schürzen hatten die Zofen an, ganz schmale, um die Pracht nicht zu verdecken ... damit war noch so besonders eindeutig zum Ausdruck gebracht: Bei mir trägt dergleichen das Personal! – Hübsch sahen sie übrigens aus und sehr verlegen über die Wirkung, denn sie waren natürlich ahnungslos ... Mit der Königin konnte man wirklich eine Minute lang Mitleid haben: sie saß bleich und bewegungslos. Hilfe war keine zur Stelle, denn der König und Godoy ließen sich im Nebenzimmer von einem aus Mexiko zurückgekehrten Offizier über die dortigen Jagden erzählen. Die im Saal anwesenden Gäste erstarrten, schlichen sich nervenschwach beiseite, verbissen das Lachen, je nach Amt und Temperament, oder schauten bewundernd die Gastgeberin an, die sich stellte, als bemerke sie nichts Ungewöhnliches. Die Königin verlor nach dem ersten Schrecken die Fassung, sprang von ihrem Sessel auf und schrie der Herzogin mit zornrotem Kopf die Frage ins Gesicht, ob sie verrückt geworden sei.«
Bermúdez goß vor Vergnügen ein ganzes Glas Rotwein hinunter.
»Die Duquesa sank in einen tiefen Hofknicks und fragte im Ton eines Engelkindes, womit sie die Ungnade der Majestät hervorgerufen habe. Dieses Unschuldsspiel und die dadurch gesteigerte Wut der Königin waren der Höhepunkt der ganzen Szene, die Niederlage Maria Luisas aber besiegelt, als sie sich wirklich herbeiließ, der Herzogin den Anlaß ihres Zorns zu erklären. ›Wie kommen Sie dazu, Ihre Zofen so anzuziehen?‹ fragte sie und faßte bei diesem ›so‹ ihre eigene Robe am Busenausschnitt. Aber dann ärgerte sie sich über die Zuschauer und befahl die Herzogin, die aufmerksam die angefaßte Stelle betrachtet hatte, in ein Nebengemach.«
»Schade!« bemerkte Maíquez.
»Wenn ihr euch mit der Schilderung der Generalprobe begnügt, kann ich trotzdem weitererzählen. Für diese durchaus erwartete Wendung der Dinge war nämlich eine kleine Rede vorgesehen, deren Wortlaut ich euch genau mitteilen kann, weil ich bei der Probe die Rolle der Königin gespielt habe.« Er sprach jetzt mit Cayetanas Tonfall: »›In der Tat‹, sagte also hinter jener Tür die Herzogin in kühler Besorgtheit, ›in der Tat‹ – hier bestehen gewisse Ähnlichkeiten ... Es ist ja allzu offensichtlich, daß Don José und ich die von Eurer Majestät heute zum erstenmal getragene Robe vor einer Stunde nicht gekannt haben. Andernfalls könnte ich vorschützen, daß wir Eurer Majestät durch Übernahme Ihrer Farbe in die Ausstattung des Festes eine Huldigung bereiten wollten – eine Huldigung, die sich freilich als bedauerlicher Mißgriff herausgestellt hätte. Aber nichts dergleichen trifft zu. Ein Zufall, nichts als ein unglücklicher Zufall – dem Eure Majestät jede Bedeutung nehmen würden, wenn Sie geruhen wollten, ihn nicht weiter zu beachten. Ich werde Sorge tragen, daß die Zofen sofort das Kleid wechseln!«
Die Zuhörer klatschten Beifall.
»Natürlich muß gleich hinzugefügt werden, daß Doña Maria Luisa sich keineswegs zufrieden gab und daß dieser mangelhafte Erfolg der Festrede im Programm vorgesehen war. Die Königin verließ das Fest zornesschwanger, und die meisten Gäste waren abhängig genug, zu folgen. In den kleinen Kreis, der zurückblieb, gelangte dann noch in derselben Nacht das Dekret mit dem Gegenschlag, den heute ganz Madrid kennt: Verbannung nach Andalusien für zwei Jahre mit dreitägiger Frist für die Abreise. Um die Chronik ehrlich zu beenden: eine Strafe von solcher Schärfe war nicht erwartet.«
»Es gibt schlimmere Strafen«, meinte Moratín.
»Wie verhielt sich der König?« fragte Maíquez.
»Als er informiert wurde, zuckte sein Bauch verdächtig vor Lachlust, aber er trottete wie ein folgsamer großer Hund hinter seiner Gemahlin aus dem Saal.«
»Und der Marqués? Befand er sich im Komplott?« Es war Moratín, der sich für ihn interessierte.
»Er hatte sowenig Ahnung wie sein Ebenbild an der Wand, begriff nur langsam und war dem Weinen nahe. Natürlich kennt man bei Hof seine Unschuld.«
»Er soll nervös und gallig sein.«
Francisco zuckte die Achseln.
Aber Bermúdez spann das Thema weiter: »Er ist von schwächlichem Körper – eine weiche und reizbare Natur, leidet unter seiner eigentümlichen gesellschaftlichen Stellung und hat sich melancholisch in die Musik geflüchtet.«
Die andern lachten über die prompte Formulierung. Francisco stimmte mit ein, bemerkte aber mit einer ritterlichen Handbewegung, der Marqués sei ein guter Dilettant auf dem Spinett. »An diesem Instrument habe ich ihn übrigens auch gemalt.«
»Sicher ein ganz interessantes Objekt«, meinte Bermúdez wieder, nicht ohne Spott.
»Zitronengelbe Hautfarbe, schwarzes Haar, große, doch feingeschnittene Nase«, berichtete Francisco. »Leicht zu charakterisieren.«
»Wie sind seine Kompositionen?« fragte Bermúdez.
»Schlecht«, kam die bündige Antwort aus dem Mund Agustín Esteves. Dieser schüchterne, menschenscheue Maler, noch wie einst in Rom Franciscos Bewunderer und allmählich sein Gehilfe und Vertrauensmann, steuerte selten etwas zu den Gesprächen bei, wenn aber von Musik die Rede war, legte er Wert auf die Bekundung seiner für ihn selbst unantastbaren Sachverständigkeit. Über seine mageren zerrissenen Züge huschte ein befriedigtes Lächeln, während er sich mit der Rechten etwas verlegen übers Haar strich, das als buschiger Nackenkranz den kahlen Schädel umschloß.
»Und nun, Freunde«, sagte Francisco langsam und vergnügt, die Wirkung seiner Worte schon im voraus auskostend, »kommt auch unter uns noch ein bescheidener Schlußeffekt: die Herzogin hat mich eingeladen, sie zu begleiten und einige Monate auf ihren südlichen Besitzungen zu verbringen. Die Genehmigung meines Erholungsurlaubs ist heute abend schon eingetroffen. Morgen früh verlasse ich Madrid.«
Als sich der kleine Tumult des Erstaunens und Bedauerns, der Glückwünsche und des Gläserklingens beruhigt hatte, legte Isidro Maíquez die Stirn in Falten: »Verzeiht mir, wenn ich in diesem Augenblick mit meiner Besorgnis nicht zurückhalten kann: besteht nicht die Gefahr, daß, wer der vom Hof Verbannten folgt, selbst als Verbannter betrachtet wird? Und seine Ämter als vakant?«
Esteve sprang ein wie ein Schildknappe: »Der König und die Königin schätzen Francisco viel zu hoch, um ihn so rasch fallen zu lassen. Er hat Urlaub erhalten!«
»Immerhin ist bei Hof noch nicht bekannt, daß ich den Urlaub mit der Herzogin verbringe«, gab Francisco zu. »Es wird schätzungsweise eine Woche dauern, bis man in Madrid davon spricht. Die Wirkung bleibt abzuwarten.«
»Weiß Gott«, rief Bermúdez mit Lebhaftigkeit, »du könntest es dir leisten, auf die ganzen Teppichkartons und Hofporträts zu verzichten und als freier Mann zu leben! Laß sie denken, was sie wollen, und tu, was dich gut dünkt!«
»Du bist deiner Natur nach kein Fürstendiener«, bekräftigte Maíquez.
Francisco antwortete mit einem undurchsichtigen Lächeln, das er in seinem rasch erhobenen Weinglas ertrinken ließ.
»Die Dinge scheinen mir nicht so einfach zu liegen«, bemerkte Moratín. »Denkt an einen Mann wie Voltaire, den spottenden Feind jeder gesellschaftlichen Konvention. In seiner privaten Existenz konnte oder wollte er nicht ohne Hof und Fürsten sein. Als Verbannter war er sein eigener Herr, und doch ist er am Ende wieder einem König in die Arme gesunken.«
Francisco schwieg noch immer. Er dachte einen Augenblick, es wäre doch besser gewesen, diesen letzten Abend vor der entscheidenden Abreise allein zu verbringen.
Die andern fuhren fort, die Dinge auf den Begriff zu bringen, denn sie glaubten, um der Entgegennahme eines Bekenntnisses willen herbeigerufen, das Recht und die Pflicht dazu zu haben. »Du machst dich zum Märtyrer für eine Frau«, bemerkte Bermúdez rundweg.
»Die Frau, von der du redest, braucht meine Opfer wahrhaftig nicht«, antwortete Francisco nervös.
»Man opfert sich für eine Frau wie für eine Idee«, nahm Moratín den Gedanken auf. »Es ist im Grund dasselbe. Aber du mußt mir erlauben, daß ich mich persönlich gegen jedes derartige Märtyrertum des schaffenden Künstlers ausspreche.«
Die andern schauten ihn fragend an, und so redete der Dichter denn von sich selbst:
»Ich muß ein wenig ausholen: Ist es nicht unerhört erregend, die Dinge in Frankreich zu beobachten? Nur wenige Generationen haben in einer so interessanten Zeit gelebt wie wir. Man hat das Gefühl, daß in dieser Ecke die Welt von vorne beginnt ... Nun behaupte ich, daß wir Künstler, nachdem wir die Größe der Stunde erkannt haben, vor allen anderen dazu berufen wären, die in Paris entzündete Flamme auch durch die Gassen von Madrid zu tragen – durch diese Stadt, in der das Volk künstlich dumm gehalten wird, durch das Land, in dem Prälaten und Granden die Wahrheit für eine französische Hure erklären und sie über die Grenze peitschen ...«
»Und warum trägst du die Flamme nicht?« unterbrach Bermúdez etwas boshaft den Vortrag.
»Man würde mich als Ketzer verbrennen, als Staatsfeind hängen und noch meinen zweimaltoten Leichnam außer Landes weisen. Ich sage euch, der Stoff für sechs Komödien, die die Ungerechtigkeit und Kläglichkeit unserer Gesellschaftsordnung anprangern, geht mir durch den Kopf. Nicht eine einzige kann ich ausführen. Es ist heillos. Denn welchen Zweck hätte es, sie für mich allein zu schreiben? Nicht einmal zwanzig Menschen könnte ich sie vorlesen: es ist immer einer dabei, der nicht schweigen kann. Natürlich – es wäre ein ruhmvoller Weg, Märtyrer der guten Sache zu werden. Aber wem würde damit geholfen? Mein Stück würde ausgetilgt, ehe es fünfzig Menschen kennen, und ich selbst – ich habe es ja schon gesagt. Ich gestehe, daß ich eine tiefe Abneigung gegen feuchte Gefängnislöcher, Schafotte und die damit in Verbindung stehenden Amtspersonen habe.« Er schaute bei diesen Worten auf seine gepflegten Hände nieder.
»Ich gebe dir vollkommen recht, Leandro, das Märtyrertum ist ein nutzloser Beruf. Wer Einfluß auf die Menschen ausüben will, muß zunächst einmal das Gehirn und die Hände, die das bewerkstelligen sollen, am Leben erhalten. Eigentlich eine Kinderwahrheit.« Francisco sagte es ziemlich obenhin.
»Ich finde, der Dichter, der seine wichtigsten, persönlichsten Werke nicht schreiben kann, um nicht als Verbrecher behandelt zu werden, bringt genug Opfer. Muß mir nicht heute all das, was ich gemacht habe und noch mit gnädiger Erlaubnis Seiner Majestät des Königs von Spanien und Seiner Heiligkeit des Papstes machen kann, als Spielerei erscheinen? Weiß der Teufel, es wäre das beste, künftig überhaupt zu schweigen, sich aufs Zuschauen zu beschränken. Das kann einem niemand verbieten ... Man könnte daran denken, nach Frankreich auszuwandern.«
»Das schiene mir doch recht gefährlich, Leandro. Sie machen einem dort leichter den Prozeß als hier. Vergiß nicht, daß wir beide Männer von Adel sind.«
»Diesen Adel würde ich mit Vergnügen ablegen.«
»Ich fürchte, es ist eine Eigenschaft, die die Bürger der Pariser Nationalversammlung auch nach der Ablage noch riechen würden. Man ist von Adel durchtränkt wie von Knoblauch ... Aber Spaß beiseite – ich will deinen Glaubenssatz gegen das Märtyrertum noch erweitern, indem ich auf deinen Fürstendiener Voltaire zurückkomme: Ich kann mich in einen Menschen sehr gut hineindenken, der es nicht erträgt, von irgend jemand aus äußeren Gründen über die Achsel angesehen zu werden. Wo soll ein solcher Mensch anders Amt und Geltung suchen als an einem Hof? Er schafft sich dort auch die besten Voraussetzungen für seine Wirksamkeit. Der Künstler, der Einfluß auf die Menschen ausüben will, muß sein Gehirn und seine Hände nicht nur am Leben erhalten, sondern ihnen auch die allerbesten äußeren Bedingungen schaffen – ein möglichst hohes Postament.«
Bermúdez und Maíquez hielten ihm wie aus einem Mund entgegen, er sei ja im Begriff, seinen Platz auf dem Postament aufs Spiel zu setzen.
Francisco schenkte sich ein und stellte die Flasche hart auf den Tisch. »Ich habe von Voltaire gesprochen, nicht von mir ... In Frankreich, so sagst du, Leandro, beginnt jetzt vielleicht die Welt wieder von vorne. Und ich, Francisco de Goya, Kammermaler Seiner Majestät des Königs von Spanien, habe keinen anderen Wunsch als gerade diesen: nicht mehr so zu leben und zu arbeiten wie bisher. Das hat bei mir mit Politik nichts zu tun, obwohl ich genau wie du, Freund, in Gefahr bin, meine Arbeit, so wie ich sie jetzt betreibe, als Spielerei oder wenigstens als Handwerk anzusehen. Ich habe den heißen Wunsch, etwas anderes zu sagen als bisher. Mehr zu sagen, viel mehr ... Ich war ein elender Kopist der Natur. Zum Teufel, Freunde, ich kann mehr als die meisten, die heute in Madrid malen. Aber ich verwende mein Handgelenk und meine Augen für Nichtigkeiten.«
»Das hört sich besser an als meine Resignation ...«, sagte Moratín vor sich hin.
Francisco redete weiter – im Grunde nur für sich selbst. Besser, klarer noch als in den verflossenen zwei, drei Tagen ordneten sich ihm Einzelheiten der jüngstvergangenen, auch einer weiter zurückliegenden Zeit zur zusammenhängenden Reihe: Situationen, Konflikte, Überlegungen, die sein rasches, bis an den Rand gefülltes Dahinleben mit nicht mehr als einem Seufzer, einem Unbehagen, einem Fluch aufgehalten hatten:
»Meine Fähigkeit, ein Porträt in ein paar Stunden herunterzumalen, wenn es sein muß: in einer einzigen – sie hat mich zur Vielmalerei verführt. Auftrag über Auftrag kam; kaum einen, der genügend einbrachte, wies ich ab. Kein Zweifel: es gab auch Besteller, die wußten, daß ich nicht jede Arbeit gleich wichtig nahm: hätten sie sich sonst um eine besondere Empfehlung durch dich bemüht, José? Daß für andere, die Wiederholungen ihres Bildes verlangten, um sie verschenken zu können, in aller Heimlichkeit du, Agustín, da warst, dessen Kopien ich als die meinigen zeichne, ist in der Ordnung. Aber es gab daneben die Arbeiten für das Königshaus und für die Teppichfabrik. Hier, bei den Teppichen, entstanden ernsthafte Reibereien: ich habe zwar mein Gehalt eingesteckt, aber aus Zeitmangel nichts dafür geleistet. Der Finanzminister mußte mich durch Sperrung der Bezüge zur Lieferung von Entwürfen zwingen.
Aber wozu euch erzählen, was ihr wißt? Betriebsamkeit, das ist es, Betriebsamkeit und immer weniger künstlerische Leidenschaft! Wo ist da noch Raum für künstlerisches Wachstum? Ich habe zu neuen Gedanken keine Zeit und keinen Aufschwung. Sehe ich den Dingen auf den Grund, so weiß ich, daß ich, wechseln auch die Objekte, täglich dasselbe male. Und dagegen gibt es nur eine Rettung: heraus! Heraus aus der Tätigkeit und der ganzen Umgebung, in der sie sich abgespielt hat. Die Gelegenheit ist schön und groß.«
Sie schauten ihn ernst, ja ein wenig gedrückt an, und es war nicht klar, ob sie ihn alle begriffen.
Er endete mit Worten, die nun wirklich an die Freunde gerichtet waren: »Es war viel in mir und um mich unruhig, ehe ich es richtig wußte. Und ich kenne die Vögel, die mich umdrängen, noch immer nicht alle bei Namen, weiß auch nicht, wo sie ausgeflogen sind ... Aber warum soll ich euch nicht sagen, daß ich mir für meinen Neuanfang viel von der Frau erhoffe, von der ihr glaubt, ich opfere mich für sie? Aus ihrer Art, den Dingen und Menschen frei und ohne Vorurteil ins Gesicht zu schauen, gedenke ich allerlei Antrieb zu holen ... Ihr seht, daß es kein Besinnen gibt. Um so mehr, als ich mich« – er lachte – »so gut ich kann, bemühen werde, meine Ämter nicht in Gefahr zu bringen.«
»Wir nehmen schweigend den Hut ab«, bemerkte Bermúdez im Grabeston.
»Du bist streng mit dir selbst – sei es jeder von uns auch mit sich!« Maíquez wollte es ohne Pose sagen, und es klang trotzdem fast wie ein Satz aus einer Rolle.
Francisco hob sein Glas: »Ihr seid feierlich – ich aber sehe den Ereignissen mit großer Heiterkeit entgegen.«
Als sich die Gesellschaft auflöste, blieb Moratin, dessen Wohnung weit entfernt war, zurück, Francisco verfügte im Atelier über zwei Lagerstätten.
Sie stellten die Gläser beiseite und löschten einen Teil der Kerzen.
»Ich bin entschlossen«, sagte Francisco, »diesen Urlaub wesentlich zu verlängern, vielleicht auf die ganzen zwei Jahre. Sollten sich wirklich Schwierigkeiten mit dem Hof ergeben – Geld wäre vorläufig genug da. Agustin wird das Atelier beziehen, mich geschäftlich vertreten und die Auftraggeber vertrösten. Hohe Honorare stehen aus, vor allem von den Osunas. Pepa wird darüber verfügen können. Was Javier anlangt – der Junge braucht mich jetzt nicht, ist noch ein Kind, dem ich nichts geben kann. Später, wenn er erwachsen ist, wird es schön sein, mit ihm Freundschaft zu halten und ihm die Wege zu ebnen ...«
»Das Zusammenleben mit der Frau, die du liebst, ist eine wundervolle Voraussetzung für deine neue Arbeit. Was bisher Heimlichkeit war, von hundert Rücksichten eingeengt, wird sich in der Stille des ländlichen, gesammelten Lebens breit und offen entfalten können.«
Francisco legte ihm die Hände auf die Schultern: »Nun sage ich dir ein tiefes Geheimnis. Nur dir. Kannst du verstehen, Freund, trotz all diesem, wozu ich mich bekenne, daß ich noch heute minutenlang ruhig und kühl darüber nachgedacht habe, ob nicht auch die Frau, von der ich mich zur Wandlung gerufen fühle, eine Bindung meiner künstlerischen Entfaltung bedeutet? Ob es in diesem Augenblick des Entschlusses, alle Kräfte zu einer großen Steigerung, zum großen neuen Anfang zu sammeln, nicht richtig, kühn, klug wäre, jede, aber auch wirklich jede Bindung abzustreifen? Oh – es gibt Minuten, in denen die letzte, äußerste Freiheit mich mehr als nur lockt, mich zu sich zwingen will, mir ins Ohr schreit: Nimm mich, wähle mich!«
»Und du gehst doch zur Herzogin?«
»Ich weiß, daß ich nach weniger als einer Woche jener einsamen Freiheit auf dem schnellsten Pferd zu ihr ritte. Da ist es wohl besser, ich reise gleich mit ihr zusammen.«
»Mir scheint, wir schauen mitunter im Schicksalstheater schon hinter den Vorhang, der die nächste Szene verdeckt, und können doch nicht anders handeln, als hätten wir nur das gesehen, was sich im Vordergrund abspielt. Vielleicht hast du jetzt weiter rückwärts wirklich die Szenerie des einsamen Schaffens erblickt und dich mitten drin – und weißt doch, daß du zu der Frau mußt, die an der Rampe dir winkt. Ich glaube, keiner von uns hat die Kraft, die Biegungen des eigenen Weges zu überspringen.«
»Und es ist doch keine Biegung. Meine Heiterkeit sagt es mir.«