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Solange Francisco im Palast der Albas wohnte, meinte die Herzogin, den Schein, als handle es sich um nichts als eine ehrenvolle Berufung, besonders wirksam durch Ausdehnung ihrer Aufmerksamkeiten auf Doña Josefa wahren zu können.
Täglich ließ sie ihr erlesene Speisen aus der herzoglichen Küche ins Haus bringen – auf silbernem, mit den Initialen der Empfängerin geschmücktem Geschirr, das jedesmal ausdrücklich als Geschenk dargebracht wurde.
Josefa erschrak, als die Gabe zum erstenmal eintraf, und wußte nicht was tun. In einer raschen Aufwallung gab sie die Leckerbissen an die erstaunte Dienerschaft weiter.
Da sie aber der hohen Stellung Doña Cayetanas mit überkommener Hochachtung gegenüberstand, die durch Franciscos gesellschaftliches Emporstreben noch genährt worden war, fühlte sie sich trotz allem und allem geschmeichelt und geehrt. Die Herzogin hätte es ebensogut unterlassen können, sich um sie zu kümmern. Lächerlich, zu denken, es handle sich um einen Versuch, ihr, Pepa, den Gatten abzukaufen. Die Mühe brauchte die Herzogin von Alba nicht aufzuwenden... Nein, nein: diese Geschenke bedeuteten eine betonte Freundlichkeit – es wäre sehr unhöflich, sie zu ignorieren oder gar zurückzuweisen.
Am zweiten Tag also aß sie von den herzoglichen Speisen.
Und das Geschirr, das sich rasch zu einem Schatz anhäufte, stellte sie hinter der Vitrine ihres schönsten Schrankes zur Schau. Mochten die Damen ihrer Bekanntschaft sie ruhig beneiden! Mochten sie sich auch getrost erkundigen, woher das Silber stamme! Das könnte nur nützlich sein. Wenn ihnen die Geberin ohne Umschweif und Befangenheit genannt würde, von ihr, der Nächstbeteiligten, so sähen sie sich gewiß veranlaßt, dem vielleicht schon umgehenden Gerücht gewisser Beziehungen zwischen Don Francisco und der Herzogin den Glauben zu versagen. Denn sonst hätte doch sie, Pepa, von dort keine...
Die Wendung, die dieser Gedankengang nahm, befriedigte sie nicht ganz. Sie brach ihn ab. Jedenfalls aber könnte sie mit gutem Gewissen sagen, sie habe nicht den geringsten Beweis für jene Beziehung in Händen, sie hatte ihn ja nur – in einem jenem Gewissen sehr benachbarten Winkel des Herzens.
Außerdem wäre es im Interesse der Zukunft Javiers unklug, auf derartige Werte Verzicht zu leisten.
Francisco erfuhr von den Aufmerksamkeiten erst in den allerletzten Tagen vor Cayetanas Abreise nach Aranjuez – durch einen Zufall. Er bat sie, ohne Gründe anzugeben, sogleich damit ein Ende zu machen. »Wie es dir lieber ist«, sagte sie und verlor kein weiteres Wort darüber.
So kam es, daß der Silberschatz seine Begrenzung erfuhr, noch ehe Francisco in die Wohnung zurückkehrte. Und Pepa, der es vor der Fülle sowieso zu schwindeln begann, fand das Versiegen des Stromes durchaus in Ordnung.
Kaum war Cayetana in Aranjuez eingetroffen, als sich um die allerhöchsten Personen ein Skandal zu entwickeln begann, der, von den Akteuren als durchaus geheim gedacht, den ganzen Hof in sensationeller Spannung hielt und gerade für die Herzogin die fröhlichste Kurzweil bedeuten mußte.
Das Geschehnis, das die Dinge in Fluß brachte, stand unmittelbar bevor, als Graf Floridablanca, Präsident des Ministerrats, auf einer Jagdpartie neben dem König reitend, den Monarchen um die Gnade bat, sich mit ihm eine kurze Zeit abseits der übrigen Gesellschaft zu halten – zum Zweck gewissermaßen einer Privataudienz.
Dem Entschluß des Ministers waren Überlegungen vorangegangen, deren Anfänge Wochen und Monate zurücklagen, und eine ganze Reihe von Ausflüchten sich selbst gegenüber. Jetzt, nach der inneren Entscheidung, war er stolz auf sein Reinlichkeitsbedürfnis – lieber das Amt verlieren, als es mit dem Bewußtsein einer feigen Unterlassung weiterführen! – und ironisierte diese seine Einstellung sofort wieder, denn die reinliche Handlung hatte noch einen gewissen Nebenzweck, an den er nicht ohne schadenfrohe Genugtuung denken konnte: sie bedeutete, wenn sie irgend gelang, zugleich einen wuchtigen Schlag gegen jenen Hohlkopf, dessen tapsige Hände sich hinter den Kulissen in die Regierungsgeschäfte zu mischen begannen und dessen eiliger Aufstieg allmählich selbst ihm, dem Grafen, gefährlich werden konnte. Sein Vabanquespiel war ein notwendiger Akt der Selbstverteidigung und mußte gewagt werden im Vertrauen auf die unbezweifelbare Gunst des Königs.
»Gerne, Graf«, sagte Don Carlos gnädig und ließ sein Pferd im Schritt gehen, »aber reden Sie nicht zuviel von Geschäften! Haben Sie vielleicht Nachrichten aus Frankreich? Wenn Sie zum Krieg blasen wollen, kommen Sie noch immer vergebens. Mein Vetter Ludwig ist ein schlapper Mensch – soll sich selbst helfen! Läßt sich da einfach gefangensetzen, als ob er nichts mehr zu sagen hätte. Stellen Sie sich so was mal in Spanien vor! Würde ich vielleicht erlauben, daß man mich gefangensetzt? Ist mir vollkommen unvorstellbar, was dieser Ludwig für Geschichten macht. Er wird schon wieder freikommen. Wozu hat er denn Soldaten?«
Floridablanca griff zu, änderte seinen taktischen Plan: »Nachdem Eure Majestät die Nichteinmischung in die französischen Verhältnisse beschlossen haben, wäre es eine unziemliche Rechthaberei, in dieser Richtung weitere Vorschläge machen zu wollen. Aber vielleicht darf ich vortragen, daß nach meiner Meinung den abscheulichen Vorgängen in Paris auch der letzte Schimmer von Berechtigung genommen wäre, wenn am Hof Seiner Majestät des Königs Ludwig nicht gewisse herausfordernde Dinge geschehen wären...«
»Das sind revolutionäre Reden«, unterbrach ihn Carlos mit großem Lachen.
Das Lächeln des Ministers war wesentlich feiner: »Da ich den französischen Thron mit den spanischen Waffen schützen wollte, kann ich schwerlich in den Verdacht kommen, Revolutionär zu sein. Trotzdem meine ich, daß jedem Monarchen die Klugheit verbieten sollte, in gewissen Punkten, zu deren Beurteilung auch der Verstand des gemeinen Volkes ausreicht, öffentliches Ärgernis zu geben. Das Privatleben der Fürsten hat sicher seine eigenen Gesetze, die freiesten, wenn der Gesetzgeber es will, aber es muß dann auch wirklich privat bleiben, der Öffentlichkeit unsichtbar.«
Carlos schaute ihn verständnislos an.
Der Minister fuhr fort: »Eure Majestät haben geruht, unsere spanischen Verhältnisse zum Vergleich heranzuziehen. Darum darf ich aussprechen, daß der von mir soeben aufgestellte Grundsatz auch für Spanien seine Gültigkeit besitzt, seine Mißachtung aber leider zu gefährlichen Folgen führen könnte.«
Carlos schaute ihn noch immer verständnislos an.
»Ich wollte Eurer Majestät in aller Ehrfurcht die Bitte unterbreiten, sich dafür einzusetzen, daß das Privatleben gerade der allerhöchsten Personen dieses Hofes keine öffentlichen Erörterungen herausfordert.« Floridablanca war nicht ganz mit sich zufrieden. Er hatte sein Thema in viel leichterer Form behandeln wollen und hörte sich nun im Stil der hohen Politik reden.
Carlos wußte keineswegs, wovon die Rede war, aber er hatte das unbestimmte Gefühl, angegriffen worden zu sein, und polterte los: »Wollen Sie mir Vorschriften machen? Was fällt Ihnen ein?« Er ließ sein Pferd lostraben, besann sich aber und fiel wieder in die ruhige Gangart zurück.
»Ein Mißverständnis, Sire – ich spreche von Ihrer Majestät der Königin.«
Des Königs kleine wasserblaue Augen starrten aus gerötetem Gesicht in der Richtung auf den Grafen und hatten doch keine Kraft, ihn wirklich zu treffen. Seine Stimme stieß langsam in feindseligem Ton hervor: »Hüten Sie sich... Sie wären nicht der erste Minister, den ich ohrfeige...«
Floridablanca wurde bleich, aber er beherrschte sich. »Als ich Eure Majestät um diese Unterredung bat, war ich entschlossen, in der Erfüllung meiner Pflicht als erster Berater der Krone jede Folge auf mich zu nehmen.«
Carlos schwieg dumpf, weil er die Überlegenheit des Grafen fühlte. Und konnte im selben Augenblick, in dem dieser ohne weitere Umschweife zu sprechen entschlossen war, seine Neugier nicht mehr zügeln, kam ihm mit der barschen Frage zuvor, worauf er anspiele.
Floridablanca antwortete halblaut, wie um jede Möglichkeit, daß hinter den Bäumen ein Dritter zuhöre, auszuschließen: »Ich stehe über dem Verdacht, an der erlauchten Person Ihrer Majestät Kritik üben zu wollen. Ich erhebe meine Stimme nur als Warner im Interesse des Staates und der königlichen Regierung... Der ganze Hof, ja leider ganz Madrid spricht von den Beziehungen der Königin zum Marqués von Alvarez.«
Carlos riß Mund und Augen auf und hielt sein Pferd mit einem Ruck an. Auch Floridablanca mußte halten.
»Das ist eine ungeheure Frechheit«, schrie ihn der König an.
»Ich würde es niemals wagen, die Zeit Eurer Majestät in Anspruch zu nehmen, um Frechheiten zu sagen.«
»Das sind Spitzfindigkeiten!«
Der Graf war jetzt sehr sicher, weil er das brutale Aufbrausen verachtete, weil er sich unantastbar im Recht fühlte und weil ihn das stolze, von ihm in diesem Augenblick durchaus ernst genommene Gefühl überfloß, in einer reinlichen und mutigen Handlung begriffen zu sein. »Ich habe«, antwortete er ruhig, »lange genug dem König Carlos dem Dritten und Eurer Majestät selbst gedient, um den Anspruch erheben zu können, daß meine Worte, auch wenn sie kühn sein müssen, nicht als leichtfertig genommen werden. Ich habe zwingende Gründe zu dem, was ich vorbringe.«
Der König wurde kleinlaut. »So sagen Sie in Gottes Namen, was Sie zu wissen glauben.« Die Pferde hielten noch immer.
»Ich weiß absolut zuverlässig, daß der Marqués von der Königin sehr häufig allein empfangen wird.«
»Davon müßte ich doch auch etwas gemerkt haben.«
»Die Besuche geschehen mit Vorliebe während der Stunden, in denen Eure Majestät vom Palast abwesend sind.«
»Der Hof spricht davon, sagen Sie?«
»Die Besuche des Marqués sind von allzuvielen beobachtet worden.«
»Und die Madrilenen hängen ihr Maul hinein?«
»Leider scheint klatschsüchtige Dienerschaft unerhörte Indiskretionen begangen zu haben.«
»Die schmeiß ich raus!«
Damit war des Königs Weisheit zunächst zu Ende. Er brütete vor sich hin. »Graf«, sagte er dann in ganz verstörtem Ton, »ich befehle Ihnen, über die Sache zu schweigen. Wenn sie nicht stimmt, werden Sie gehängt. Wenn etwas daran ist, dann – geschieht Ihnen nichts.«
Damit setzte er sein Pferd in Galopp.
Floridablanca folgte ihm in gemessenem Abstand, bleich und hager. Das Galoppieren strengte ihn an.
Carlos war, noch ehe er, ins Schloß zurückgekehrt, die Gemächer seiner Frau erreichte, völlig von der Richtigkeit der Mitteilung des Grafen überzeugt. Er hatte gewisse intime Gründe dafür: bei ihrer unersättlichen Sinnlichkeit hätte sich dergleichen längst denken lassen... Er ist blind gewesen, man hat ihn zum Narren gehalten. Aber er ist kein Narr. Beherrschen soll sie sich, soll... Weiß der Teufel, was sie soll. Sie ist eine Königin. Und er ist der König und wird Ordnung schaffen. Gründe hin, Gründe her, so etwas ist eine Frechheit.
Er polterte hinein, ohne anzuklopfen. »Hast du Manuel im Schrank versteckt?« schrie er sie an. Und merkte erst dann, daß eine Hofdame anwesend war.
Die entfernte sich mit tiefer Verneigung.
Maria Luisa wußte sofort, um was es ging, und blickte ihn, während sie sich ihre Rolle zurechtlegte, lauernd an.
»In welchem Schrank steckt er? Oder liegt er im Bett?« Er stieß die Tür zum Schlafzimmer auf, schlug die Vorhänge und die Decke zurück.
»Darf ich fragen, Don Carlos, ob Sie getrunken haben? Oder wollen Sie mich zwingen, an Ihrem Verstand zu zweifeln?«
»Mach mir nichts vor! Ich bin weder betrunken noch verrückt. Das ganze Haus weiß es, die ganze Stadt weiß es. Der Skandal schreit zum Himmel!« Er war sehr laut.
»Wollen Sie mir gefälligst sagen, was Sie zu diesem seltsamen Benehmen veranlaßt?« Sie war ganz eisige Hoheit.
Das reizte seine hilflose Wut noch mehr. »Dumme Komödie! Ich verlange von dir Rechenschaft. Du betrügst mich mit diesem Lümmel Manuel.« Er stand dicht vor ihr und schrie es ihr ins Gesicht.
»Ich bitte Eure Majestät, zu bedenken, was Sie meiner Stellung schuldig sind – selbst Sie! Wenn Sie jemals eine Antwort auf diese dummen Vorwürfe von mir erwarten, so empfiehlt es sich, auf die einfachsten Gebote der Höflichkeit zu achten.«
»Du hast kein Recht mehr, dich auf deine Stellung zu berufen. Du hast sie beschmutzt.«
Sie kreischte wie unter einem Schlag.
Er überschüttete sie mit Schimpfworten.
Sie schrie schrill um Hilfe.
Er brüllte.
Gegen jede Etikette öffneten Kammerfrauen die Tür, nachdem sie vergeblich gepocht hatten.
Auf diesen Augenblick hatte die Königin gewartet. Sie spielte eine Ohnmacht, ließ sich der Länge nach auf den Boden fallen. Die Frauen stürzten herbei. Carlos stand daneben und wußte nicht, was tun.
Die Frauen, die ihn nicht anreden durften, flüsterten untereinander etwas von einem Arzt. Der König hörte es, war um den Ausweg froh, befahl hitzig, als hätten die andern ein Versäumnis begangen, den ersten Leibarzt zu rufen. Fühlte sich überflüssig, gab Anweisung, Ihre Majestät zu Bett zu bringen, und entfernte sich etwas verlegen.
Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, schlug Maria Luisa vorsichtig die Augen auf.
Der König fühlte sich erleichtert, nachdem er sich derart ausgetobt hatte, mußte sich aber klarmachen, daß eigentlich nichts erreicht war. Doch scheute er weitere Versuche, sich mit Maria Luisa persönlich auseinanderzusetzen, denn er hatte, wenn er ehrlich sein wollte, wenig Zutrauen, daß er diese schlaue und glatte Frau jemals zu einem Geständnis bringen werde.
Zeugen hören? Das würde den Skandal nur noch öffentlicher machen. Das geheime Hofgericht zusammenrufen? Oder den Rat von Kastilien? Um Himmels willen – das fehlte noch, daß diese verfluchten Federfuchser ihre Nase hineinsteckten!
Besser wäre es, einen gescheiten Menschen um Rat zu fragen. Floridablanca? Ein anmaßender, kaltschnäuziger Kerl, dieser Graf – hat die Königin des Ehebruchs geziehen, und man kann ihm nicht einmal etwas anhaben – doch man wird sich ihm nicht weiter ausliefern. Aber da sind doch die Beichtväter... ihnen kann man alles sagen, und sie müssen jedes Geheimnis wahren. Verdammt, ging es ihm durch den Kopf, diese Geschichte scheint ja gar kein Geheimnis mehr zu sein...
Er lehnte den Gedanken ab, den alten Kardinal-Patriarchen kommen zu lassen, und entschied sich für Monsignore Escoiquiz, einen Mann Mitte der Vierzig, dem er die Erziehung des Thronfolgers anvertraut hatte und der ihm Verständnis für weltliche Dinge zu haben schien.
Irgendeinen Zweifel an der Art der Beziehungen zwischen Maria Luisa und dem Marqués hegte er auch nach der ehelichen Szene nicht. Seltsamerweise dachte er aber auch keinen Augenblick daran, sich an dem Liebhaber zu rächen. Für den hatte er eine Schwäche und fand, wenn Don Manuel sich von der Königin bevorzugt gesehen habe, so wäre es von einem strebsamen jungen Mann eine Eselei gewesen, nein zu sagen.
Auch Escoiquiz, schmal, geschmeidig, undurchdringlich, sprach, andeutend mehr denn in nackten Worten, von Godoys Ehrgeiz als der treibenden Kraft selbst bei seiner Annäherung an Ihre Majestät, doch zugleich von der Möglichkeit, diesen Ehrgeiz zur Erfolglosigkeit zu verurteilen und damit auch seine unerwünschte Verbindung mit der hohen Frau in sich zusammenbrechen zu lassen. Falls Seine Majestät zur Vermeidung von Aufsehen von der Verbannung des Schuldigen Abstand zu nehmen wünsche...
Nein – die Verbannung kam nicht in Frage, aber auch der Vorschlag auf weite Sicht befriedigte Carlos' temperamentvolle Ungeduld keineswegs. Stolz auf seinen Einfall, fragte er den Prälaten, was er davon hielte, die Königin außerdem mit ihren eigenen Waffen zu bekämpfen, indem er ihre Eifersucht erwecke.
Escoiquiz sagte nicht nein – nur setzte er des Königs plumpem Zugreifen die grundsätzliche Forderung entgegen, bloß der Schein einer Eheverletzung dürfe erweckt werden – es sei denn, daß gewichtige Gründe der Staatsraison eine andere Entscheidung nötig machten.
Der König aber glaubte zu wissen, was er zu tun hatte: er reiste am nächsten Morgen mit kleinem Gefolge nach dem Jagdschloß San Ildefonso ab, eine der Kutschen war mit drei Damen des königlichen Balletts besetzt, die er durch den die Theaterdinge verwaltenden Kammerherrn in aller Eile hatte aussuchen lassen. Dafür, daß die Königin von dieser Damenbegleitung erfuhr, war gesorgt.
Carlos, durch die Jagd in jeder Hinsicht in Anspruch genommen, war nur in sehr bescheidenem Umfang Freund erotischer Abenteuer. Er verschaffte sie sich mitunter, doch eigentlich nur, weil sie ihm zu den Pflichten eines Kavaliers und Fürsten zu gehören schienen. Man mußte dann und wann in größerem Kreis seine Männlichkeit beweisen.
So fühlte er sich auch in San Ildefonso nicht so recht wohl als Besitzer jenes kleinen Harems – um so mehr, als die Situation ihre besonderen Schwierigkeiten mit sich brachte.
Er beging die Unvorsichtigkeit, die drei Mädchen, die, es ließ sich nicht leugnen, gut ausgewählt waren, mehrmals zur Tafel zu ziehen. Anfangs suchten sie sich etwas schüchtern und linkisch den steifen Hofsitten anzupassen, wenn aber der König und die andern Herrn unter dem Einfluß des Weins laut und ungeniert wurden, glaubten sie durch sehr freies Benehmen ihr Amt am besten auszufüllen. Das war für den Augenblick ganz amüsant, aber es führte notwendigerweise zu einer gewissen Vertraulichkeit zwischen den Tänzerinnen und einigen Kavalieren. Gewiß waren an die drei strenge, bedrohliche Verbote ergangen, aber er konnte ihnen doch keine Schildwachen vor die Zimmertüren stellen.
So kam es, daß der König keine vierzehn Tage in seinem galanten Retiro aushielt.
Als er wieder in Aranjuez auftauchte, war sein Eifer, die geeigneten Gegenzüge zu unternehmen, stark erlahmt. Er wollte seine Ruhe haben. Und so mußte er sich klarmachen, daß in dem Energieaufwand dieser knappen zwei Wochen eigentlich auch sein Ärger über Maria Luisas Untreue verraucht war.
Untreue? War er nicht doch allzu vorschnell in seinem Urteil gewesen? Ein Beweis, ein richtiger Beweis hatte sich ja gar nicht führen lassen. Klatsch ist kein Beweis. Und schließlich wäre es ja nicht einmal das Schlimmste, wenn sie sich einen Liebhaber hielte... Mein Gott, welche Frau tat das nicht? Der Hof war voll von solchen Geschichten – die Herren und Damen sollten gefälligst vor der eigenen Tür kehren. Außerdem stand er hoch genug, um sich über ihr Geschwätz völlig hinwegsetzen zu können. Wer zu frech wurde, der hatte den Verlust sämtlicher Gnadenbeweise zu riskieren. Er hatte die Bande doch in der Hand...
Am besten war, auf die Sache gar nicht zurückzukommen. Escoiquiz hatte doch einen Vorschlag gemacht, der darauf hinausging, daß Manuel Godoy sich unter gewissen Voraussetzungen schließlich selbst zurückziehen werde. Ein schlauer Mann, dieser Priester, er kennt das Leben. Eigentlich muß er den sehr unehrerbietigen Gedanken gehabt haben, daß Manuel an dieser Frau nichts finden werde, sobald er keinen Nebenzweck mehr verfolge... Klug, Juan Escoiquiz, aber ich bin dir doch noch über. Eine andere Rechnung stimmt besser: wenn man Manuel Godoy noch ein wenig steigen läßt, hat er sein Ziel erreicht... dann erst mit Sicherheit werden dem strammen Jungen, der nach den Weibern nur die Hand auszustrecken braucht, andere besser gefallen...
»Von mir aus könnte er das ganze Ballett mit auf seinen Ausflug nehmen«, äußerte die Königin zu Manuel, »wenn nicht die Gefahr bestünde, daß er sich vielleicht in ein solches Mädchen vergafft und sie zu seiner Maitresse macht. Diese Damen mischen sich mitunter in die Staatsgeschäfte. Und Spanien wollen doch wir beide regieren – nicht wahr, mein Liebling?«
Sie wußte es einzurichten, den König mit verweinten Augen zu empfangen.
»Ich bin entschlossen«, sagte sie zur Begrüßung, »mich nach Parma zurückzuziehen. Niemand kann mir zumuten, länger hierzubleiben, wo ich schutzlos den Schmähungen eines Ministers ausgesetzt bin.«
Eines Ministers? Carlos erschrak. So sehr er entschlossen war, Floridablanca vorläufig aus dem Weg zu gehen – den Namen des Grafen als den seines Gewährsmannes hätte er niemals preisgegeben. Er suchte diese heikle Einzelheit zu umgehen, indem er ohne Umschweife aufs Ganze lossteuerte und in gutmütig-tröstendem Ton vorbrachte, er wünsche über die Differenzen der letztvergangenen Zeit hinwegzusehen, wolle Frieden.
Maria Luisa aber wollte ihren weiteren Verbleib am spanischen Hof nur unter der Bedingung als möglich in Betracht ziehen, daß Floridablanca unverzüglich seines Amtes entsetzt und verhaftet werde. »Ich weiß sehr genau, wem ich diesen heillosen Überfall verdanke.«
Der König versuchte vergebens, sie mit unbestimmten Redensarten abzuspeisen, und mußte versprechen, sich nach einer kurzen Bedenkzeit zu entscheiden. »Eine Verhaftung dürfte keinesfalls in Frage kommen«, sagte er etwas verlegen zu seiner eigenen Beruhigung.
Da spielte sie ihren zweiten Trumpf aus: »Eine Verhaftung nicht in Frage kommen? Nicht nur meine Ehre steht auf dem Spiel, sondern die Sicherheit des Reiches. Der Graf ist ein Staatsverbrecher.« Sie entwickelte dem Verblüfften, ein ihr als zuverlässig bekannter Beamter, der um Geheimhaltung seines Namens bitte, habe sie auf finanzielle Verfehlungen des Ministerpräsidenten aufmerksam gemacht. Es handle sich um betrügerische Bereicherung aus königlichen Geldern, schnöden Amtsmißbrauch also.
Carlos, auf der ganzen Linie in die Verteidigung gedrängt, übersah die Lage noch so weit, daß ihm gegenüber dem merkwürdigen Zusammentreffen dieser Anschuldigung mit der Affäre der Königin ein unbehaglicher Verdacht aufstieg. An sich wäre ihm die Aussicht, den unbequem Gewordenen mit gutem Grund kaltstellen zu können, nicht so ganz ungelegen gekommen, aber er wehrte sich aus seinem Gerechtigkeitssinn heraus gegen ein überstürztes, die Rechte des Beschuldigten mißachtendes Verfahren. Ohne genaue Untersuchung könne man doch wohl nichts gegen den Grafen unternehmen, meinte er, ließ sich aber schließlich bereit finden, einen hohen Gerichtsbeamten mit dieser Untersuchung zu betrauen, die zunächst in größter Stille, ohne öffentliche Verdächtigung des Ministers geführt werden müsse. Er entschied sich für einen von der Königin genannten Namen. Sie wußte, daß der Mann ein Geschöpf Godoys war.
In diesem Punkt ging sie für den Augenblick nicht weiter. Aber sie ersparte dem um Frieden bittenden Gatten nichts. Wohl wissend, welche Macht sie über ihn besaß, sobald er nicht in einem seiner Zornanfälle begriffen war, nützte sie die Stunde und warf ihm die Beleidigung vor, die er ihr vor Augen des ganzen Hofes zugefügt habe. »Ich habe Nachricht, daß diese Weiber sogar an den Mahlzeiten teilgenommen haben. Damit hast du sie geradezu legitimiert.« Ihre Stimme und Haltung machten jetzt wieder einen gepreßten, gebeugten Eindruck, sie unterließ auch nicht, festzustellen, daß dieses sein Verhalten ihren Entschluß, nach Parma abzureisen, mitbestimmt habe.
Er konnte nicht verbergen, daß ihre Kenntnis einer Einzelheit seines Tuns und Lassens in San Ildefonso ihn unsicher machte. Sofort wartete sie mit einer zweiten, noch intimeren auf und machte ihn mit ein paar weiteren Argumenten so mürbe, daß er sich schließlich als der allein Angeklagte fühlte und um Verzeihung bat.
Zur Versöhnung zog sie ihn in ihre erfahrene Umarmung.
Als sie auseinandergingen, war Maria Luisas Sieg vollständig: Sie sah sich erstens im Besitz des königlichen Versprechens, daß dem begabten und tüchtigen Marqués von Alvarez bei nächster Gelegenheit ein neuer Gnadenbeweis zufallen werde, zur Rehabilitierung gewissermaßen. (In diesem Punkt glaubte Carlos die versöhnte Gattin schlau nach seinem Plan gelenkt zu haben, der ja Manuels Aufstieg vorsah.) Zweitens ließ sich der König überzeugen, daß Floridabianca, sobald er sich entdeckt sähe, die Flucht ergreifen oder zum mindesten die ihn belastenden Dokumente vernichten würde, daß man sich seiner also für alle Fälle versichern müsse. Das könne ja in schonender, vorläufig nicht entehrender Form geschehen ...
Noch um ein Uhr nachts mußte der fünfundsiebzigjährige General und ehemalige Minister Graf Aranda im Schloß erscheinen, um die Präsidentschaft des Kabinetts zu übernehmen. Auf diesem Rückhalt an einer erfahrenen Persönlichkeit bestand Carlos.
Zwei Stunden später drangen drei Offiziere der königlichen Leibwache in das Haus des Grafen Floridablanca ein, holten den völlig Ahnungslosen aus dem Bett und erklärten ihn ohne Angabe von Gründen für abgesetzt und verhaftet. Nach vergeblichen Protesten fügte er sich schweigend. Er war keinen Augenblick im Zweifel über die Drahtzieher dieser Verhaftung, wußte, daß er sein Spiel eindeutig verloren hatte. Und formte sich mit Hast und Zwang einen Panzer aus logischen Gedankenreihen – aus seiner skeptischen Bewertung aller Lebensgüter, die zum Fundament seiner inneren Haltung geworden war, bisher freilich noch kaum auf die eigene Wirklichkeit angewandt.
Die bereitstehende Kutsche nahm einen resignierten Philosophen auf. Als er zwischen den Offizieren Platz genommen hatte, wurde ihm eröffnet, die Gnade des Königs stelle ihm frei, sich im Norden oder Süden des Reiches eine Stadt zum Aufenthalt zu wählen; die Mauern der gewählten Stadt zu verlassen, sei ihm verboten, seine Korrespondenz werde überwacht. Er entschied sich für den Süden.
Am folgenden Morgen – der König befand sich auf der Jagd – gab Maria Luisa ihrem Günstling von der Ernennung des Grafen Aranda Kenntnis. Es sei, fügte sie bei, in diesem Augenblick nötig, weiteres Aufsehen zu vermeiden, länger als ein paar Monate brauche der jetzige Zustand aber nicht zu dauern ...