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6

Die Feste waren vorüber, die Straßen von Madrid zeigten wieder ihr gewohntes Gesicht, nur daß die ansehnlichsten von ihnen noch für einige Zeit jene Spuren der Verjüngung an sich trugen, die dazu bestimmt gewesen waren, die Augen des Herrscherpaares von der Wohlhabenheit der Hauptstadt zu überzeugen. Die Handel und Wandel der Bürger einengenden kleinlichen Vorschriften wurden nicht aufgehoben, doch spottete man ihrer oft genug, und wenn den Wäscherinnen am Manzanares die Unterhaltung mit den Vorübergehenden oder den Fischweibern der ein bestimmtes Maß übersteigende Wasserverbrauch beim Reinigen der Stockfische verboten war, so trafen solche Maßnahmen ja immer nur einen kleinen Kreis. Daß das Billardspiel auch unter der neuen Regierung königliches Reservat blieb, war gleichfalls keine Sache von Lebenswichtigkeit, doch immerhin ein bemerkenswertes Symbol. Die seit Jahren immer nachdrücklicher durchgeführte französische Kleidermode, die den weiten Mantel verpönte und den Schlapphut durch den Dreispitz ersetzte, stand fest und gab niemand mehr zu denken.

Wer sich mit Politik befaßte, mochte wohl merken, daß auf diesem Gebiet eine scharfe Luft wehte. Seit der König von Frankreich die von der Nationalversammlung beschlossene Verfassung hatte beschwören müssen, war im Reich Carlos' des Vierten alles, was nach revolutionärer Propaganda hätte aussehen können, ausdrücklich und peinlich verboten. Das lag völlig im Sinn der Kirche, die nun im besonderen die Freimaurer des Einverständnisses mit den französischen Aufwieglern verdächtigte, der Kardinalprimas versuchte sogar unter Erneuerung der Anklage auf Ritualmord beim König das Verbot der Logen durchzusetzen. Vergebens. Einflußreiche Würdenträger nämlich waren Mitglieder, der Finanzminister Graf Aranda saß der Großloge von Spanien vor.

Trotzdem fühlten sich Klerus und Mönchsorden mehr denn je als Mitbeherrscher des Volkes, außerhalb der Städte sogar als seine einzigen Beherrscher. Sie waren schon allein der Zahl nach imstande, das Reich mit einem wirksamen Netz zu überziehen und sich in den großen Zentren mächtig zu stauen. Die mehr als dreitausend Klöster, wohl in siebzig verschiedene Regeln gespalten, beherbergten sechzigtausend Mönche und Nonnen, dazu vierzigtausend Köpfe Dienerschaft und Handlanger. Außer ihnen ernährte das Land siebzigtausend Weltgeistliche.

Im Volksbild von Madrid waren Kutte und Soutane, von den ihre Träger umdrängenden Kindern am Saum geküßt, ein fast noch gewichtigerer Akzent als früher, jedermann gab ihnen ehrfürchtig Raum. Gerade in diesen Tagen sah man sie auch mehr als sonst im Stadthaus aus und ein gehen, es war die Zeit der Anmeldung des Weingeldes. Jeder Priester oder Mönch bezog nämlich vom Staat jährlich runde fünf Lasten Weins, und wer damit nicht auskam, erhielt seinen Mehrverbrauch bezahlt – es genügte, ihn dem Alcalden unter Eid anzugeben.

Bettelmönche zogen durch die Gassen und boten den Frauen Reliquien und besonders ehrwürdige Kruzifixe gegen Bezahlung von zwei Realen zum Kuß dar. Jünger des heiligen Franciscus, der Reinheit ihres großen Meisters wenig eingedenk, hielten Ordenskutten feil zu drei Dukaten das Stück, weil es Segen bringen sollte, sich darin begraben zu lassen. Laienbrüder zeigten sich an den Türen der Fleischerläden und Weinschenken, die sie zum Vorteil ihrer Klöster unterhielten.

Der König spendete willig und üppig. Auch hielt er darauf, daß sich bei Hof die Ausübung der geistlichen Funktionen so reich als möglich entfaltete. Allein im vergangenen Monat waren in der Kapelle des Madrider Schlosses zweihundertachtzig Messen gelesen worden.

Er selbst hörte die Messe jeden Morgen. Dann begab er sich zur Jagd, aß zu Mittag und jagte von neuem. Tag für Tag wurden für seine Jagden fünfhundert Pferde und siebenhundert Bediente bewegt, für die Treibjagden preßten seine Beamten bis zu zweitausend Bauern ...

Bei der heutigen Mittagstafel war Carlos sehr mürrisch, denn er hatte am Morgen einen Hirsch gefehlt. Er erklärte die Geflügelpastete für versalzen und warf seine Portion dem Bedienten, der sie ihm serviert hatte, mit der Hand ins Gesicht. Ein anderer Bedienter konnte das Grinsen nicht unterdrücken – dem schüttete er ein Glas Rotwein über den Kopf und schrie dazu: »Sei froh, daß ich dich nicht verprügeln lasse, du frecher Lümmel!« Ein Teil ergoß sich über den gelbseidenen Rock des Oberhofmarschalls, der dem König gegenüber saß und die Einbeziehung in den köstlichen Witz der Majestät mit etwas saurem Lächeln quittierte. »Man muß Ihnen doch auch ansehen, daß Sie so gern saufen«, lautete des Königs Entschuldigung.

Van Ypersele, der gleichfalls dem intimen Kreis der Geladenen angehörte, suchte von einem Buch über die Dressur von Jagdfalken zu berichten, das er soeben gelesen hatte, aber Carlos hörte nicht zu. Er aß rasch noch ein großes Stück Torte, leerte einen tüchtigen Becher Dessertwein, ordnete den Wiederaufbruch an und stampfte auch gleich darauf die Treppe hinab.

Dem Stallknecht, der ihm seinen Rappen vorführte, schenkte er einen Dukaten, weil er sich so das Jagdglück zu erkaufen hoffte, ehe er aufstieg, patschte er einem hochadligen Kammerherrn, der langsam und schwerfällig auf einen Pferderücken kletterte, zwei knallende Schläge aufs Gesäß und witzelte dazu etwas von einem Ritterschlag ...

Die Königin, um zu betonen, daß sie an die Anordnungen des Königs nicht gebunden sei, dehnte das Beisammensein beim Nachtisch noch eine Zeitlang aus. Dann ließ sie sich für einen Nachmittagsempfang zwei Stunden lang zurechtmachen.

Jetzt prangten aber auch ihre frühzeitig angewelkten Züge in jugendlichen Farben, und von der tiefentblößten Brust bis in den künstlichen Haaraufbau hinein funkelte alles von Diamanten, Smaragden, Rubinen: sie hatte eine vierfache Halskette angelegt, ein Ohrgehänge doppelt so groß wie die Muscheln, die es trugen, eine beträchtliche Haarspange und einen noch beträchtlicheren Pfeil, dazu den von ihr selbst gestifteten Orden für Tugend und Treue, den mit Brillanten besetzt zu tragen sie sich allein vorbehielt, üppig schoben sich die nackten Arme aus dem schimmernden Brokatkleid.

Von ihrer Raubvogelnase begünstigt, liebte sie Auftritte in Tyrannenpose und bemühte sich auch diesmal, in den Empfangsraum geradezu einzuschlagen, obschon soviel Pathos mit dem von der Königin selbst befohlenen künstlerischen Rahmen der Teegesellschaft einigermaßen in Widerspruch stand, nachdem die Kratzfüße verrauscht waren, während derer sie sich streng umblickte, als erwarte sie Niederwerfung auf den Fußboden, glätteten sich denn auch ihre Züge ins Mildere und Kunstverständige.

Die je eine neue Arbeit der drei Kammermaler umfassende Bilderschau begann freilich etwas ungnädig: Vor den trotz ihrer Nacktheit sichtlich im Kloster erzogenen Nymphen eines von Bayeu gearbeiteten Entwurfs zu einem Freskogemälde betonte sie ihre Vorliebe für antiken Faltenwurf, das Bild war nämlich für die von ihr bewohnten Räume eines königlichen Jagdschlosses vorgesehen, und sie schätzte die Möglichkeit eines Vergleichs schlanker Mädchenakte mit dem ihrigen durchaus nicht. Maellas Porträt eines ihrer Kinder betrachtete sie mit sentimentalem Entzücken, in das die Geladenen mit dem von der Etikette gestatteten Grad von Ergriffenheit einstimmten. Vor dem Teppichkarton Franciscos schließlich versuchte sie geistreich zu werden. Elegante Paare beschäftigten sich am Ufer eines Sees damit, Blindekuh zu spielen, die mit verbundenen Augen im Kreis stehende junge Dame tippte nach ihren Opfern sittsam mit einem Ballschläger.

»Warum greift das Mädchen nicht mit den Händen zu?« fragte die Königin.

»Es hätte doch keinen Zweck, Majestät«, antwortete Francisco, »sie ist überzählig.«

»Sie sind ein Intrigant, lieber Goya, fünf Mädchen und vier Männer, das kommt nie ins Gleichgewicht.«

Nach diesen Worten drehte sie sich nach der dicken Oberhofmeisterin um und fragte: »Nun, meine liebe Exzellenz, welchen Kavalier würden Sie wählen, wenn Sie unter dem Tuch hervorblinzeln könnten?«

»Den jüngsten, Eure Majestät«, katzbuckelte sie tief.

Die Königin gab das Zeichen zu taktlosem Gelächter.

Und nun war es endlich soweit, daß der Marqués von Alvarez, von einem Kammerherrn am Spinett begleitet, seine Arien singen konnte.

Don Manuel Godoy, Marqués von Alvarez, Staatsrat und General, vor einer bescheidenen Anzahl von Monaten noch einfacher Gardeleutnant, war ein großer muskelpraller Jüngling mit frischer Haut, gesunder Wangenfarbe und kleinen, verschleierten blauen Augen. Wer in seinem Gesicht zu lesen versucht hätte, würde außer Andeutungen von Genußsucht und Selbstgefälligkeit nichts entdeckt haben, die Züge waren glatt und gedankenlos. Aber er machte, zumal in dieser prächtigen Uniform, eine unbestreitbar ausgezeichnete Figur.

Mit dieser ausgezeichneten Figur beschäftigten sich die Augen nicht nur der Königin. Manuel überlegte während des Gesanges vergnügt, aus welchen dieser Blicke wohl praktische Folgerungen zu ziehen sich lohnte, und veränderte darum mehrmals die Richtung seines Tönestroms. Sein Tenor war von jener leicht vibrierenden, auch in der Höhe noch weichen Fülle, die sich trefflich dazu eignet, ein Opfer einzuwölken und wie in einem Netz festzuhalten.

Die Königin, selbst hingerissen, schien doch von jenem freigebigen Wechsel der Ton- und Blickrichtung etwas beunruhigt, dies war wohl auch der Grund, weshalb sie die nachfolgende Szene der Bewirtung stark abkürzte. Sie erhob sich, während gerade erst das zweite Gebäck serviert wurde.

Die Oberhofmeisterin aber mußte es sich zum soundsovielten Mal bieten lassen, daß Ihre Majestät den General Godoy zur sofortigen Audienz in ihr Arbeitszimmer befahl und jede weitere Begleitung ablehnte.

Seit ein christliches Spanien existierte, konnte keine Königin dergleichen gewagt haben. Bei jedem dieser unqualifizierbaren Verstöße gegen die auch für die königlichen Herrscher bindende Etikette, über die zu wachen der gewichtige Inhalt ihres Amtes war, kämpfte die alte Dame mit der Versuchung, um ihre Entlassung zu bitten. Doch stets sog sie Kraft aus der Vorstellung, die Zuchtlosigkeit in Person könnte ihre Nachfolgerin werden. Es wäre feig, die alte heilige Festung preiszugeben. Von Pflichtbewußtsein geradezu angefüllt, verbot sie sogar ihren eigenen Gedanken aufs strengste, den seltsamen Audienzen etwa über die Wege der Phantasie nachzuschleichen. Verbot es ihnen auch heute.

In Wirklichkeit trug sich dies zu:

Als sich die Tür hinter der Königin und ihrem bevorzugten Untertanen geschlossen hatte, lümmelte sich dieser mit einem Seufzer der Erleichterung in einen Sessel, indem er Degen und Generalshut auf den Boden warf.

Die Majestät aber, eine Melodie summend, begann sich vor ihm in Tanzschritten zu wiegen, andeutend erst, dann mit werbenden Bewegungen und Gebärden. Sie zog den Pfeil aus dem Haar, ließ ihn funkeln und zielte auf Manuel.

Der rührte sich nicht, lächelte nur.

Da riß sie ihm die Puderperücke herunter, daß die blonden Haare hervorquollen, fragte: »Nun, wie gefall ich dir heute?« und setzte sich ihm aufs Knie. Dabei steckte sie ihm den mit Diamanten besetzten Pfeil in die Tasche.

So ging drunten in der Stadt und oben im Schloß das Leben seinen gewohnten Gang.

 

Veranstaltungen des Hofs ohne die Herzogin von Alba waren für Francisco nichts als lästiger Zwang.

Als sei er kaum dem Knabenalter entwachsen, ließ er sich von einer Liebesbesessenheit überfallen, die nicht überlegte, zauderte, wog, die nur fühlte und ihre Gefühle aus allen Quellen speiste – nein, es war eine Liebe, wie sie ihn auch als jungen Menschen niemals besessen hatte. Wohl hatte er anderer Frauen Mund, Augen, Körper, Glieder, Hände geliebt, so, daß es nur den einen Mund und Körper, die einzigen Glieder, das eine Augenpaar, Händepaar für ihn auf der Welt gab. Doch niemals waren ihm, gleichsam getragen und eingehüllt von Schönheit, so viel Geist, Frische, Übermut, Unberechenbarkeit, Einfälle, verschwenderische Launen entgegengeströmt.

Seine Bemühungen um eine Frau, deren gesellschaftliche Stellung der einer Prinzessin des königlichen Hauses sehr nahe kam, hätten ihm selbst wahnwitzig vorkommen müssen, wenn er nicht einiger Zeichen der Aufmunterung sicher gewesen wäre und wenn nicht – ja wenn ihr nicht das Gerücht schon zwei, drei höchst unstandesgemäße illegitime Verbindungen zugeschrieben hätte. Dieses Gerücht machte ihn zugleich eifersüchtig und zuversichtlich.

Er suchte sich ganz den Manieren der Hofgesellschaft anzupassen, deren einigermaßen anerkanntes Mitglied er ja war – obwohl er wußte, daß gerade Doña Cayetana dies kaum als einen Vorzug empfinden werde, er wollte unter den Menschen, die die Herzogin umgaben, nicht auffallen. Dabei kam ihm der Bescheid Zapaters auf jenes Schreiben, das dem Freund genealogische Nachforschungen auferlegte, einigermaßen zustatten – da er ihn nämlich sehr weitherzig auslegte.

Martín teilte mit, daß sich für die Lucientes, die Familie der Mutter, adelige Abstammung nachweisen lasse, für die Goyas jedoch nicht. Francisco indes fand das ausreichend und nannte sich von nun an Francisco de Goya y Lucientes – eine Zusammenstellung, die die Tatsachen ein wenig korrigierte. Der Hof erkannte den Adelstitel stillschweigend an ...

Und es geschah, daß Francisco nach einem Stiergefecht von der Herzogin eingeladen wurde, mit ihr in ihrer Kutsche nach Hause zu fahren. Die Pferde hatten kaum angezogen, als er Doña Cayetana mit glühenden Worten zu überschütten begann. Er sank trotz der Enge des Wagens vor ihr nieder und umfing ihre Knie – man fuhr mit geschlossenen Vorhängen! sie hörte ihn lächelnd an und bat ihn wieder Platz zu nehmen. Als er im erregten und farbigen Ton seiner Rede beteuerte, es sei sein Wunsch, Nacht für Nacht unter ihrem Balkon zu musizieren, und lasse sie ihn dann nicht ein, wolle er das Tor zerschmettern – da meinte sie heiter und erwärmt, dergleichen könnte der Dienerschaft auffallen oder gar dem Marqués. Falls er aber diesen Abend bei ihr speisen wolle, werde er eine Gitarre vorfinden, ein Instrument edlen Fabrikats, auf dem ihn spielen zu hören ihr Vergnügen bereiten werde. Schön wäre es, wenn er ihr ein paar neue Seguidillas vorsingen könnte – aber keine Hofware, sondern lustige, ungeschminkte Sachen aus dem Volk.

Dieser kleine Wunsch ließ sich ausgezeichnet erfüllen. Jenem Brief Martíns hatten ein paar lockere Tanzliedchen beigelegen, und Francisco freute sich nun ein zweites Mal seiner eigenen übermütigen Antwort. »Ich werde kaum Gelegenheit haben«, hatte er geschrieben, »mir diese Seguidillas vorsingen zu lassen oder sie gar selbst zu singen, da ich mir künftig alles Unpassende streng vom Leib zu halten gedenke ...«


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