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7

Obschon Franciscos Werbung weniger leicht zum Ziel kam, als er sich bei seinem Kniefall in der herzoglichen Kutsche geträumt hatte, blieb ihm das häusliche Zusammensein mit Josefa schon nach wenigen Tagen keine gedankenlos hingenommene Selbstverständlichkeit mehr. Er sagte sich, diese Ehe sei immer ohne innere Notwendigkeit gewesen und beginne nun allzu unwahr zu werden.

Früher hatte er Pepa aus der Einstellung heraus umgangen, ein vielleicht etwas herrisches, aber allgemein anerkanntes Recht auszuüben, mit einer Art inneren Achselzuckens also. Jetzt war er nahe daran, eine Schuld zu fühlen. Nicht als ob er seine neue Liebe auch nur einen Augenblick lang als etwas anderes denn eine Naturgewalt angesehen hätte, der auszuweichen nicht im allermindesten in Frage komme – aber seine unwillkürlichen Empfindungen gegenüber der Zurückgesetzten verursachten ihm einiges Unbehagen. Er sah den Verlust ihrer Schönheit und wußte, daß die Kindbetten ihn beschleunigt hatten, er empfand ihre Trockenheit, Enge, Spießbürgerlichkeit fast wie einen dumpfen Geruch und erinnerte sich sehr wohl, ihr so gut wie nie ernsthaft die Hand geboten zu haben, aus der Enge des Lebens herauszutreten. Daß sie Brauch und Sitte ins Gesicht schlüge, was er an Cayetana nun so bewunderte, hatte er sich von ihr nie gewünscht.

So versuchte er sie denn zu entschädigen, so gut es ging – auf einem anderen Lebensgebiet, versuchte sich loszukaufen, indem er ihr Luxus gab: Kleider, Schmuck, Möbel, Kunstwerke, Dienerschaft. Sie nahm es hin, einfach weil es ihr Recht war, an seinen hohen Einkünften teilzuhaben, und blieb bei ihrer seit langem angenommenen Art, ihm keine unmittelbaren Vorwürfe zu machen. Vielmehr: sie wandelte dies in ein Sicheinkapseln, in kühle Reserviertheit, der dennoch – das Zusammenleben wäre ihr sonst noch qualvoller geworden – ein Unterton verzeihender Kameradschaftlichkeit eignete. Die wandte sie ihm um Javiers willen zu, des einzigen Kindes, das ihr geblieben war.

Ihr Bruder mischte sich nicht ein, da sie ihn nicht zu Hilfe rief.

 

Obwohl ziemlich allgemein bekannt war, daß Francisco selten an einem Bild länger als einen Tag arbeitete, wurde seine vorübergehende Übersiedlung in das herzogliche Palais mit einem Porträtauftrag begründet. Der Marqués von Villafranca befand sich bei Hof in Aranjuez.

»Sie ahnen noch kaum«, hörte die Duquesa an einem dieser Abende von ihrem Gast, »wie sehr Sie diesen ganzen Künstler verwandelt haben, der armselig und liebestoll in Ihren Strahlen sitzt ... Alles was ohne Sie war, wird brüchig und zerfällt ... Soll ich weiterhin nichts pinseln als diese gleichgültigen Gesichter, als diese lustigen Szenen, die mir jetzt als Maskeraden vorkommen, als diese Kirchenheiligen? Für den, der in Ihrer Nähe zu leben beginnt, wird die Welt weiter und tiefer. Sie wecken das Größere ... Sie male ich, vor allem Sie, doch aus Ihrer Erscheinung heraus gespiegelt will ich auch die Welt malen.« Er stockte.

»Sprechen Sie weiter, Francisco«, sagte sie in dieser Tonmischung aus Vertraulichkeit und Zurückhaltung, die ihn Tag um Tag verwirrte und seine Glut immer noch mehr anfachte. Es gab Stunden, in denen er sich in die Rolle eines Komödianten erniedrigt fühlte, der zu nichts anderem da ist, als durch das Schauspiel seiner Leidenschaft der Zuschauerin Genuß zu bereiten. Und Augenblicke, in denen er kämpfen mußte, diese Zuschauerin nicht mit körperlicher Gewalt zur Umarmung zu zwingen.

Aber ihr Wort genügte auch jetzt, ihn dort fortfahren zu lassen, wo er geendet hatte:

»Wenn ich vor Ihnen stehe, bekommt alles ein verändertes Gesicht: selbst das Vergangene wandelt sich in eine Form, wie ich sie heute erleben würde ... Vielleicht könnte ich jetzt das Meer malen – ich habe lange nicht an das Meer gedacht. Weil ich böse Seefahrten erlebt habe; Sie sind in der Erinnerung an die Stelle aller anderen Eindrücke getreten.«

»Ich habe das Meer niemals gesehen. Wollen wir nach meiner andalusischen Besitzung reisen? Mit wenig Dienerschaft, oder ganz allein ... Nicht einmal Benito dürfte mit.« Benito war ein halbidiotischer Zwerg, den sie verhätschelte wie einen Schoßhund.

»Laß uns wandern zu den tiefen
Wassern des Guadalquivir ...«

sang er zur Antwort und griff dazu ein paar Akkorde auf der Gitarre. Er fühlte sich nun doch ein wenig Herr der Situation: hätte er den Reisevorschlag für bare Münze genommen, so wäre sie ihm, er wußte es, in der gleichen Minute damit entwischt. Er sang das Lied weiter und zu Ende, mehrere Strophen. Seine kleinen scharfen Augen schauten dabei durch die Wand hindurch; ein leichtes Runzeln der Brauen verstärkte die greifende Kraft dieses Blicks, der sich andalusische Gefilde aufbaute.

»Ich werde höher steigen, über mich hinauswachsen durch Sie, Doña Cayetana«, sagte er dann nochmals feierlich.

»Das ist es, was eine Frau von Verstand sich wünschen muß: daß ihre Freunde an ihr wachsen.« Ihre Augen, die so klar und offen sein konnten, hielten mit einem fast grausamen Ausdruck seinen Blick fest. »Wie wird das werden zwischen uns? Wenn sich die Frau von Verstand als nichts denn ein leidlich schönes Tier entpuppt? Können Sie ein schönes Tier lieben, Francisco, können Sie an einem schönen Tier wachsen?« Sie warf ein wenig den Kopf zur Seite; das offene, negerhaft krause Haar streichelte ihre Schultern.

»Wenn das Tier Cayetana heißt ... Aber ich würde ihm sein Menschengesicht im Spiegel zeigen.«

»Verlieren Sie sich nicht an mich ... Vielleicht treibt mich zu Ihnen nichts als meine Flucht vor der Verlogenheit, der Langeweile, dem Marionettendasein dieser Gesellschaft, in der ich aufgewachsen bin, nichts als mein Hunger nach echtem Leben, nach Menschen, die aus sich selbst etwas sind statt durch Geburt ...«

»Was für revolutionäre Reden, Duquesa!«

»An mir ist wahrhaftig eine Revolutionärin verlorengegangen ... Was sage ich? noch nicht verloren ... Vielleicht kann man mich noch brauchen. Die Herzogin von Alba an der Spitze der Erhebung gegen die spanischen Bourbonen – was würden Sie dazu sagen, Herr Kammermaler? Eigentlich gehöre ich nach Paris ... Vorläufig beschränke ich mich freilich darauf, von dort meine Toiletten zu beziehen. Meine Lieferanten sind immer noch auf der Höhe – die Politik kann ihnen nichts anhaben. Auch der Wein ist gut, der von dort kommt.«

Sie schellte, bestellte Champagner. Fuhr fort, während sie sich über den Tisch näher zu ihm beugte und seine Hand faßte:

»Ich will Ihnen ein Geheimnis verraten, Francho. Behalten Sie es für sich. Auch die Königin läßt ihre Kleider aus Paris kommen. Aber ich habe die besseren Beziehungen, habe Agenten dort, denen Geld zur Verfügung steht und die auch das Geschäft der Bestechung verstehen. Zweimal schon ist es mir geglückt, dieselbe Toilette, die für die Königin angefertigt wurde, früher als sie durch Eilkurier nach Madrid zu bekommen. Ich zeigte mich darin bei Hof, und wenn gleich darauf die neueste Robe der Königin aus Paris eintraf, war sie nichts als eine haargenaue Kopie der meinen und konnte natürlich niemals getragen werden. Was sagen Sie dazu?«

»Ich bewundere Ihren Witz und Ihre Kühnheit!«

»Als wir wieder zusammentrafen, glaubte sie, sie lasse sich nichts anmerken ... Diese Frau haßt mich, wie ich sie hasse. Sie weiß, daß ich sie ordinär finde ... Und doch passiert es mir, daß ich mich freue, wie sie diesen hohlköpfigen Höflingen eine Nase um die andere dreht und tut, was sie mag. Sie wird nur zu gemein dabei.«

Man brachte eine Flasche Champagner, in Gebirgsschnee gebettet, der in einer Kellermulde vom Winter her unzerschmolzen bewahrt wurde, und mit dem Wein einen Brief des Marqués. Als der Diener gegangen war, stießen sie mit den Spitzgläsern an.

»Der Jakobinerin und Herzogin aller Herzoginnen!«

»Dem Bauern, dem Torero, dem Majo, dem Serenadensänger!«

Sie bemerkten erst jetzt, daß sich mit dem Diener der Zwerg Benito ins Zimmer geschlichen hatte. Er kam aus einer Ecke hervor; sein großer Kopf mit der in tiefe Falten gelegten Stirn strahlte der Herzogin eine wie aus schmerzhaften Krämpfen geborene Freude zu. Die drückte diesen Kopf an ihr enggeschnürtes Mieder, während sie das Schreiben öffnete und las.

»Herrliche Neuigkeiten! Der Marqués bittet mich um meine Gegenwart bei Hof, rät mir dringend, morgen nach Aranjuez zu reisen: die Königin habe mehrmals nach mir gefragt, der König sein Bedauern ausgesprochen. Natürlich – Maria Luisa gönnt mir meine Heimlichkeiten nicht, und Carlos spricht ihr nach, was sie ihm vorsagt. Vielleicht bezahlt sie einen Spion hier im Haus. Was machen wir?«

Benito strich mit den Händen über ihren Arm und sagte dazu: »Schöne Herrin, schöne Herrin!«

Cayetana wehrte ihm: »Du weißt, daß du das nicht darfst!«

Franscisco schlug vergebens vor, ihn wegzuschicken.

»Was machen wir?« fragte die Herzogin nochmals.

Francisco war glücklich über die Selbstverständlichkeit dieses »wir«. »Wir erfinden eine Ausrede«, bemerkte er zur Bekräftigung.

Sie lächelte: »Wenigstens ein paar Tage will ich noch bleiben.«

Ein paar Tage? Er füllte sie in Gedanken mit so viel Inhalt, daß sie sich wie Wochen ansahen.

»Ich werde mich des Arztes Don Gaspar bedienen«, stellte Cayetana in sachlichem Ton fest. »Er ist mit gewichtigen Empfehlungen von deutschen und italienischen Universitäten zurückgekehrt und genießt trotz seiner Jugend das Vertrauen des Marqués. Außerdem ist er in mich verliebt.«

Diesen Zusatz hörte Francisco nicht eben gern, aber er mußte zugestehen, daß Don Gaspar vermutlich ein gefügiges Werkzeug sei.

Nach einem weiteren Glas Champagner meinte Cayetana, man müsse, um sicher zu gehen, dem Arzt immerhin etwas zu sehen geben. Und tischte Francisco einen Plan von gewagter Lustigkeit auf. Als sie ihn besprochen und belacht hatten, gingen sie an die Ausführung.

Cayetana legte ihr rechtes Bein auf einen Sessel und entblößte das Knie. Francisco schaffte seine Palette herbei und bemalte es kunstvoll, so daß es auf einige Entfernung etwas angeschwollen erschien und vor allem einen reichlichen Kranz blauer und grüner Flecken trug.

Plötzlich aber stand der Zwerg, den sie nicht mehr beachtet hatten, vor dem Kunstwerk und befühlte es mit den Händen. Die Zerstörungen, die er dadurch anrichtete, bedurften gründlicher Ausbesserung. Benito wurde entfernt. Als alles in Ordnung war, löschten sie, um das Übel nicht allzu deutlich zu beleuchten, einen Teil der Kerzen.

Francisco verbarg sich im Nebenzimmer.

Dem inzwischen herbeigeholten Arzt, einem ungewöhnlich schönen jungen Menschen, rief die Herzogin gleich bei ihrem Eintritt zu, es gezieme sich für ihn nicht, nahe zu kommen. Eigentlich müßte es für solche Fälle weibliche Ärzte geben. Mit ergebener Miene, wenn auch leicht lächelnd, blieb er stehen. Der Ton ihrer Stimme machte ihn warm.

»Ich habe mir das Knie angeschlagen, Doktor – Sie erkennen ja auch von Ihrem Standort, wie schlimm es aussieht. Keine gefährliche Sache – glücklicherweise. Aber ich werde gute acht Tage gar nicht gehen können oder nur mit großer Vorsicht ... Nein, nein, bitte nicht näher kommen. Ich erlaube es Ihnen nicht.«

Dabei schoß sie ein Bündel Blicke auf ihn ab, die ihm das bunte Knie völlig nebensächlich machten.

»Ich bin auch in dieser Entfernung Ihr gehorsamer Diener, Herzogin. Was befehlen Sie?«

»Schauen Sie sich das Knie nochmals an! So, gut!« Sie bedeckte es nunmehr vorsichtig mit einem bereitgehaltenen Handtuch. »Es waren eigentlich weniger Medikamente, worum ich Sie bitten wollte, Doktor – ich habe für solche Fälle erprobte Hausmittel – als vielmehr etwas anderes: Ich hatte die Absicht, mich morgen zu Hof zu begeben, und bin nun daran verhindert, so furchtbar unangenehm mir das ist. Um bei den Majestäten auch nicht den leisesten Verdacht aufkommen zu lassen, ich gebrauche eine Ausflucht, liegt mir an der Bestätigung einer Autorität. Sie wissen, lieber Doktor, ich bin bei Hof ein klein wenig als launisch und unsicher verschrien. Und dagegen sollen Sie mir helfen. Niemand kann mir so gut helfen wie Sie.«

Blick und Ton nahmen ihn von neuem sehr gefangen. Dabei vermochte er sich über die wirklichen Zusammenhänge keineswegs klarzuwerden. Sein ärztliches Auge mißtraute dem Knie, sein Verstand der schamvollen Abwehr. Aber wieso kam das Knie zu diesem Aussehen? Auch ein Arzt braucht nicht immer alles zu wissen, dachte er. Weshalb in dieser koketten Komödie nicht eine kleine Rolle übernehmen? Namentlich wenn sie einem von einer wundervollen Frau zugewiesen wird, die man sich durch ergebene Dienste ein wenig verpflichten könnte ... »Schreiben Sie ein paar Worte an den Marqués«, beendete Doña Cayetana ihre Anweisung, »und schicken Sie mir diesen Brief morgen früh. Ich werde ihn meiner Absage beifügen, die ein Kurier befördert. Aber malen Sie nicht zu schwarz, Don Gaspar, damit der Herzog nicht auf den Gedanken kommt, deshalb nach Madrid zurückzureisen! Das wäre zu viel Sorge! Wie gesagt: acht bis zehn Tage Schonung, dachte ich.«

Don Gaspar versprach alles. Nach den letzten Worten der Herzogin glaubte er die Situation etwas deutlicher zu sehen. »Heute du – übermorgen ich«, sagte er in Gedanken zu dem unbekannten Glücklichen und verließ wahrhaftig das Krankenzimmer mit etlichen Hoffnungen.

Francisco aber kam fröhlich zurück und machte sich daran, die Farbe, die nicht schon am Handtuch hängengeblieben war, unter Zuhilfenahme eines wohlriechenden Öls mit aller Sorgfalt von Cayetanas Knie zu entfernen.

»Das Übel bessert sich zusehends«, sagte sie, »aber Sie dürfen die Kranke diese Nacht nicht allein lassen, Francho.«


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