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Es war ein sonniger Februarmorgen, als Cornelius heimkehrte, eine warme, blaue Luft lag über München. Amélie war an die Bahn gekommen. Sie trug ein neues hellbraunes Kostüm, in dem sie Cornelius etwas fremd, aber sehr reizvoll schien. An der Brust hatte sie einen Veilchenstrauß. Cornelius dachte: wie hübsch sie ist, als er sie auf sich zukommen sah mit ihrem frischen Gesicht, den lachenden Augen und dem blonden Haar. Sie hatte einen Hund bei sich, einen jungen weiß und gelben Collie, der Cornelius sofort umwedelte.
»Das ist meine neueste Aquisition,« sagte sie; »er heißt Hugin.«
Cornelius gefiel das Tier und er streichelte es. Beim Betreten der Wohnung fühlte er ein Unbehagen. Es schien ihm, als rieche es nach dem Hund.
Im Schlafzimmer waren die Betten anders gestellt als bisher. Früher hatten sie nebeneinander gestanden. Jetzt lag neben Amélies Bett am Boden ein Fell aus Cornelius' Arbeitszimmer und ein Kopfkissen mit weißem Ueberzug.
»Läßt du denn den Hund hier im Zimmer schlafen?« fragte Cornelius.
»Ich habe mich allein so gefürchtet.«
»Ach so, da kann er ja jetzt, wo ich wieder hier bin ...«
»Nie und nimmer trenne ich mich von dem Tier.«
Cornelius lächelte:
»Aber das sollst du ja gar nicht. Ich finde ihn selber sehr nett, aber im Schlafzimmer will ich ihn nicht haben.«
»Ja, wo soll denn das arme Tier sonst hin?«
»Na, zum Beispiel ins Badezimmer.«
»Das ist Tierquälerei, er kann das Rauschen des Wassers nicht vertragen.«
»Hör' mal, Amélie, ich bin nicht zurückgekommen, um mich gleich in der ersten Stunde mit dir zu streiten. Ich sage dir einfach: Der Hund übernachtet nicht mehr im Schlafzimmer. Richte es im übrigen so ein, wie du willst.«
»Dann nehme ich ihn und gehe auf und davon.«
»Das kannst du halten wie du willst,« sagte Cornelius, während er sich wusch, und er dachte im stillen: »Ein Glück, daß es nur der Hund und kein Kind ist.«
Amélie war durch Cornelius' Festigkeit überrascht. Er tat, als sei gar nichts vorgefallen, erzählte beim Frühstück von der Reise und gab ihr einige kleine Geschenke, die er mitgebracht hatte. Ihr war bei alledem etwas unheimlich zumute.
In der Dämmerung wollte Cornelius ein wenig ruhen. Er setzte sich in seinem Arbeitszimmer in einen Armsessel, aber er konnte nicht einschlummern. Ihr unverantwortlicher Brief nach Ospedaletti war der erste, ihr Verhalten mit dem Hund der zweite Akkord in jener »sinfonia domestica«, deren großer Darsteller Strindberg war. Alles frühere in seiner Ehe waren dagegen Kleinigkeiten, Kindereien gewesen. Jetzt begann die Niedertracht. Ertrug er das, so wurde er zum Sklaven und Spitzel der eigenen Frau, sie selbst aber würde sich zu der großen hysterischen Kanaille auswachsen. Nein, jetzt hieß es Schluß machen. Die Frage war nur noch: auf welche Weise?
Abends fuhren beide zusammen in das Künstlerhaus, wo das Fest stattfand. Es waren antike und orientalische Gewänder vorgeschrieben, Amélie hatte sich aus weißem Stoff ein griechisches Kleid zurechtgemacht, das sie gut kleidete. Cornelius, der keine Zeit zur Vorbereitung gehabt, trug seinen türkischen Schlafrock, wie auf jenem ersten Fest, das er mit Amélie besucht hatte. In dem Saal trafen sie viele Bekannte.
Oesterots waren von Rom zurückgekehrt, der Doktor war so fett geworden, daß er bei seiner Größe wie ein Koloß wirkte. Dennoch sprang er wie toll herum. Er stürzte sich sofort auf Cornelius, nahm ihn auf die Seite, ihn mit seinen Armen und dem weiten Gewand umhüllend, als wolle er ihn verschlingen. Er erzählte ihm von den ungeheuren Erlebnissen, die er in Rom gehabt hätte. Er müsse bald zu ihm kommen, um ernster darüber zu reden. Es war eine Mischung von echter Begeisterung und gekünstelter Geheimnistuerei in seinen fahrigen Gebärden. Trotz allem Erlebten habe er sich nicht nehmen lassen, wieder rechtzeitig zurück zu sein, um noch die letzten Tage des Münchener Faschings mitzuerleben, der doch ein einzigartiges Aufgluten des Lebens sei, die Götter hausten augenblicklich nördlich der Alpen. In diesem Augenblick jagte ein junges Paar vorbei. Das Mädchen rief, auf Oesterot deutend: »Schau, da is ja auch der Schwabinger Zeus wieder.«
Inzwischen war Amélie von Hermann und Lina fortgezogen worden. Cornelius und Oesterot fanden sie später an einem Tisch. Auch Ludwig Stehr und seine Frau saßen dort, er wie immer im Gehrock, sie dagegen hatte in anbetracht dessen, daß seit ihrem letzten Erscheinen im Babykostüm ein ganzes Jahr verflossen war, ein Backfischkostüm im Biedermeierstil gewählt, womit sie freilich aus dem antiken Rahmen des Festes herausfiel. Cornelius fühlte beim Anblick all dieser Menschen wieder eine ähnliche Bedrückung wie im vorigen Fasching, nur daß er ihrer heute Herr werden zu können glaubte. Ein wenig zerstreute ihn der »Schwabinger Zeus«, der ihn immer wieder auf die Seite nahm und begeistert von seinem neuen Lebensinhalt erzählte. Er sah in seinem weißen Burnus wie ein Beduinenscheich aus.
Während sie in dem Saal auf und ab gingen, griff Oesterot in einem fort nach Bekannten, für Cornelius lauter neue Gesichter, und zog sie dicht an sich, wie vorher diesen. Wenn er nach einigen alten Bekannten fragte, verfinsterte sich Oesterots Stirn, er wollte nichts mehr von ihnen wissen; der eine hatte ihn tief enttäuscht, der andere hatte sich unerhört benommen. Besser man sprach gar nicht davon. Dann zog er wieder einige Fremde an sich heran. Cornelius kam es vor, als ob dieser Mann einen nach dem anderen austrinke und dann fallen lasse. Es war etwas Kannibalisches in diesem gierigen Menschenverbrauch. Fieberhaft unruhig bewegte sich der ungeheure Körper, der sein Leben durch eine dauernde Ueberheizung des Blutes zu unterhalten schien. Er schlang alles Geistige in sich hinein und sprudelte es in überraschender Umgestaltung wieder heraus. Seine Phantasie war ein Hexenkessel buntester Vorstellungen, sein Geist ein in sausendem Tempo sich drehendes Rad, von dem nach allen Seiten feurige Funken stoben. Es war zugleich etwas elementar Dämonisches und etwas ganz und gar Künstliches in diesem Riesen mit dem schwammigen Leib, den alles an sich raffenden großen weißen Händen, dem flackernden Blick und den assyrischen Götterlippen.
Nach Mitternacht ging Cornelius zu dem Tisch zurück, wo er alle Bekannten versammelt fand. Lina lag in den Armen Rittmeiers, der ihr Dauerküsse versetzte. Frau Stehr war eben unter allgemeinem Gelächter und Beifall auf den Tisch gestiegen und schien ziemlich betrunken zu sein. Sie rief allen Leuten Freundlichkeiten zu. Amélie lachte sich darüber halbtot, neben ihr saß ein Unbekannter mit schwarzen, unanständigen Augen, der den rechten Arm um ihre Stuhllehne gelegt hatte und dessen linke Hand mit ihren Händen spielte, die sie ihm überließ.
Als sich Cornelius dem Tisch näherte, sah er, wie der Fremde gegen Amélie immer zudringlicher wurde, während sie ihn zwar abwehrte, aber sich dabei derartig amüsierte, daß man deutlich erkannte, wie sie die lüsterne Atmosphäre, die seine Angriffe um sie verbreiteten, mit allen Sinnen auskostete.
»Warum noch eine Minute länger warten, wo doch alles jetzt unwiderruflich klar ist?« sagte sich Cornelius. Er fühlte nicht einmal mehr Haß und Zorn gegen sie, nein, sie war ja ein reizendes, begehrenswertes Wesen, nur unglücklicherweise seine Frau. Diese äußerliche Tatsache mußte möglichst bald rückgängig gemacht werden. Er ging lächelnd auf sie zu und fragte sie, während er sich gleichzeitig leicht vor ihrem Partner verbeugte, ob sie ihm nicht auch einmal das Vergnügen machen wolle, mit ihm zu tanzen. Dieser Ton überraschte sie. Er tanzte einmal mit ihr herum und bat sie dann, mit ihm einen Augenblick umherzugehen. Unterwegs sagte er:
»Erinnerst du dich noch an den Fastnachtsdienstagsball des letzten Jahres, nach dem ich dir einen Heiratsantrag machte?«
»O ja,« sagte Amélie lachend.
»Nun,« erwiderte er, »unsere Ehe wurde im Fasching geschlossen, warum sollen wir sie nicht auch im Fasching trennen?«
Sie blickte ihn verblüfft an.
»Du bist wohl eifersüchtig?«
»Nein,« erwiderte er, »ein solcher Esel bin ich nicht, obwohl ich ein großer Esel gewesen bin. Ich habe dich immer vollkommen falsch behandelt, dich gequält und dir dieses Jahr verbittert. Das soll nicht so weitergehen. Nicht einmal diese Nacht will ich dir verderben. Nur ein paar notwendige Worte sind zu sprechen. Du kannst sofort wieder an den Tisch zurückgehen. Sage mir nur, bist du mit der Scheidung einverstanden?«
Amélie fiel wie aus den Wolken.
»Ich meine, es müßte für dich doch schon in diesem Augenblick bequemer sein, keinen Mann zu haben. Als meine Frau ist es unmöglich, daß du in dieser Gesellschaft bleibst. Da ich aber fest entschlossen bin, die Ehe mit dir zu lösen, und mir im Augenblick dazu deine Einwilligung genügt, – alles übrige sind Formalitäten, – weiß ich nicht, warum ich dich nicht schon dieses Fest in Freiheit genießen lassen soll.«
»Du bist wohl verrückt?« fragte Amélie.
»Nein, ganz und gar nicht. Du eignest dich nicht zur Ehe, was du ja selber oft genug gesagt hast. Sonst besitzest du eine ganze Reihe entzückender Eigenschaften, wir können Freunde bleiben, vielleicht sogar etwas mehr, aber jeder geht nun seine eigenen Wege; im übrigen nehme ich die Schuld auf mich, und die Ehe wird in wenigen Monaten geschieden sein. Geldschwierigkeiten gibt es nicht, da wir ja beide unser Auskommen haben.«
»Ach, du bist bloß eifersüchtig,« wiederholte Amélie, indem sie diese ernste Angelegenheit von sich wegzuschieben suchte. Trotzdem wurden ihre graublauen, etwas leeren Augen nachdenklich. Sie klopfte sich mit ihrem geschlossenen Spitzenfächer die Lippen.
»Aber nicht im mindesten, mein Kind! Hier, nimm den Hausschlüssel, ich gehe heute nacht ins Hotel, schon damit du auch den Hund bei dir schlafen lassen kannst. Im übrigen wünsche ich dir recht viel Vergnügen, und ich selbst denke mich auch noch zu amüsieren.«
Amélie war sprachlos. Sie wußte nicht, was sie antworten sollte.
»Du bist frei und kannst tun und lassen, was du willst. Hast du nicht selbst immer gesagt, wie notwendig dir die Freiheit ist, und daß es besser wäre, wir hätten nur ein Verhältnis zusammen? Dein weiblicher Instinkt hat recht behalten und mein männlicher Intellekt beugt sich.«
Darauf nahm er ihren Arm und führte sie lächelnd zum Tisch zurück.
Er küßte ihr die Hand und ging davon. Der Fremde nahm sie wieder in Empfang. Er fand sie etwas einsilbig und sagte:
»Der Herr Gemahl hat Ihnen wohl eine Moralpauke gehalten.«
»Sie haben keine Ahnung. Ich habe meine vollste Freiheit.«
»Nun dann ...« erwiderte der Fremde und wollte wieder nach ihren Händen greifen. Seine Augen glänzten feucht.
»Rühren Sie mich nicht an, hören Sie,« sagte sie schroff.