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Hermann und Amélie suchten zusammen Zimmer für den Winter. Sie kamen in die Straßen in der Nähe des Englischen Gartens, wo zwischen modernen Mietshäusern noch alte, hüttenartige Baulichkeiten standen aus der Zeit, als Schwabing ein Dorf unweit Münchens war. Die kleinen Häuschen hatten etwas viel Anziehenderes als die nüchternen, neuen Häuser, aber der Schritt von dieser behaglichen Stimmung zum wirklichen Einzug in ein solches Gemäuer war doch sehr groß. Hie und da gingen Hermann und Amélie hinein, wurden aber durch den muffigen Geruch, die Feuchtigkeit, den Schmutz und die unsauberen kleinen Leute mit den vielen schmierigen Kindern vom Mieten abgehalten. Da blieb Amélie plötzlich vor einem Zettel, der zu vermietende Zimmer anzeigte, stehen. Er war an einem Haus angebracht, das zwar stattlicher aussah als jene Hütten, aber doch nicht den nüchternen Charakter heutiger Mietskasernen hatte. Es war ein weitläufiger Bau mit dunkelgrauem, verwittertem, teilweise abbröckelndem Bewurf, der an Streußelkuchen erinnerte. Neben dem Haus erhob sich ein fast bäuerliches Scheunentor, das offenbar nach einem dazugehörigen Garten führte. Eben hatte Hermann den alten, rostigen Klingelzug erfaßt, der einen Ton von sich gab, von dem man nicht wissen konnte, ob es das eigentliche Klingeln war oder nur ein durch den schlechten Zustand des Dings bewirktes, ungewolltes Nebengeräusch, als sich das Scheunentor öffnete und einen sonderbaren Anblick bot. Auf einem Esel saß eine in einen großen Badmantel gehüllte Gestalt mit einem glattrasierten, sehr ausdrucksvollen Gesicht und darüber einem dunklen Tuchbarett, wie es Richard Wagner zu tragen liebte. Im ersten Augenblick erinnerte das Gesicht an den Dichter Friedrich Wartegg, doch war es bedeutend heiterer und freundlicher trotz dem Ernst der groß angelegten Züge. Der etwas verwitterte Mund verzog sich zu einem verbindlichen Lächeln und die dunklen Augen hefteten sich auf Amélie. Aus den Falten des Radmantels wickelte sich eine elegante, weiße Hand mit einem milchig-grün und goldenen persischen Türkis, faßte nach dem Barett und lüftete es ein wenig. Dann sagte der Reiter mit fremdländischem Tonfall:
»Oh, die beiden Herrschaften suchen wohl nach Zimmern?«
Er sprach das R ganz vorne mit der Zunge und zischte das S in auffälliger Weise.
»Bitte die Herrschaften näherzutreten,« fuhr er fort, stieg von seinem Tiere ab und führte es am Halfter nach rückwärts, während Hermann und Amélie folgten.
Auf der Rückseite des Hauses war das obere Stockwerk über das Erdgeschoß hinausgebaut und wurde von einigen Holzpfeilern getragen. An einem band der sonderbare Herr im Cape den Esel an, öffnete dann eine Tür, machte eine Verbeugung und ließ die beiden Geschwister mit vollendeter Höflichkeit in das Haus eintreten.
»Erlauben Sie, daß ich Ihnen den Weg zeige,« fuhr er dann fort, ging über eine bequeme Holztreppe nach dem oberen Stock, wo er wieder eine Tür öffnete, die in einen großen, hellen Raum führte. Dort waren die Mauern grün gestrichen, aus den Fenstern fiel Licht von zwei Seiten ein, um die Wände zogen sich Holzbänke. In einer Ecke stand ein breiter Tisch; ein Paneel, auf dem allerlei Holzfiguren standen, Bilder lehnten und sonderbarer Krimskrams herumlag, umgab das Zimmer. In der Ecke über dem Tisch befand sich ein großer Bauernteller, auf den in einem Dreieck das Auge Gottes gemalt war. Das Ganze wirkte wie der Hauptraum in einem wohlhabenden Tiroler Bauernhause. In einer großen Nische sah man den Herd, wo Feuer brannte.
»Dieses Zimmer heißt das Tirol,« sagte der Eigentümer und bat Amélie und Hermann, auf zwei etwas verbrauchten, aber bequemen Rohrsesseln mit blaßfarbigen Kissen Platz zu nehmen. Er setzte sich gegenüber auf die Holzbank und betrachtete die beiden mit freundlichem Wohlgefallen.
»Die Herrschaften studieren hier?« fragte er.
Die Geschwister bejahten, Hermann sagte, daß sie Bruder und Schwester seien und nannte die Malschulen, die sie besuchten.
»Ah, Künstler,« erwiderte er, »das freut mich besonders, ich habe es mir gedacht. Haben Sie hier schon irgendwelche Beziehungen?« fragte er weiter in seiner schnurrenden Aussprache.
Hermann nannte ein paar Namen, darunter vor allem das Haus Oesterot. »Oh, der Doktor!« sagte der Fremde erfreut, »Sie kennen den Doktor? Wir sind gute Freunde. Ich bin Fürst Kraminsky aus Warschau. Ich habe dieses Haus schon über zwanzig Jahre und führe hier meinen eigenen Haushalt, ganz künstlerisch, wie Sie sehen; aber ich habe ein paar Zimmer zu vermieten, die ich gerne an sympathische Leute abgebe. Bitte, wollen Sie ansehen.«
Er stand auf und öffnete eine Tür, die in das »Tirol« mündete. Man trat in ein sehr freundliches Zimmer mit Aussicht nach dem herbstlichen Garten, die Möbel waren alt und gediegen, teilweise von künstlerischem Wert. Ein schöner Renaissanceschrank war das Hauptstück. An dieses Zimmer stieß eine kleine Kammer, die als Schlafzimmer einfach, aber für einen jungen Menschen hinreichend eingerichtet war.
»Dies ist das eine Appartement,« sagte der Fürst, »nun habe ich noch ein zweites, ganz ähnlich; kommen Sie.«
Er schritt wieder durch das »Tirol« und öffnete eine andere Tür, die nach einem ähnlichen Raume mit Kammer führte. Die beiden Geschwister warfen sich hinter dem Rücken des Fürsten erstaunte, aber zugleich erfreute Blicke zu; das Ganze gefiel ihnen ausnehmend.
»Nun haben Sie gesehen,« sagte der Fürst, »jetzt hören Sie auch.«
Er setzte sich mit seinen beiden Gästen wieder an den Tisch.
»Ich bin ein Sonderling, Sie haben es gewiß schon gemerkt. Nun ist die Frage, ob Sie das stört oder nicht. Wenn ja, dann können Sie ausziehen, wann Sie wollen; wenn nein: gut, dann werden wir Freunde sein. Sie können die Zimmer haben, wann's Ihnen beliebt. Jeder zahlt sechzig Mark, dafür hat er eins der Appartements und Mittagessen. Jeden Mittag um ein Uhr finden Sie hier auf dem Herd oder auf dem Tisch ein paar warme und kalte Schüsseln. Wohlschmeckend, einfach, nahrhaft, das ist mein Prinzip. Für Frühstück und Abendessen müssen Sie selbst sorgen. Aber es kommt eine Zugeherin ins Haus, Frau Kuhwarm, die wird Ihnen morgens Kaffee oder Tee oder Schokolade machen und abends Nachtessen einholen, wie Sie wollen. Sie müssen sich mit ihr verständigen. Das ist alles. Dieses Zimmer hier, das »Tirol«, ist gemeinsamer Raum. Sie können hier sitzen, wann Sie wollen und Besuch empfangen, je mehr desto besser. Ich habe gern Leben im Haus. Meine Wohnung ist unten; ich werde sie Ihnen zeigen. Kommen Sie.«
Der Fürst führte die beiden immer mehr erstaunten, aber zugleich angeheimelten Geschwister die bequeme Treppe hinab und zeigte ihnen im Erdgeschoß ein außerordentlich großes Gemach, das fast das ganze Stockwerk einnahm und nach drei Seiten Fenster hatte. An einer Wand stand ein großes Büchergestell mit vielen schweinsledernen Bänden.
»Alles Polnisch und Latein,« sagte der Fürst, indem er auf seine Bücherei zeigte. »Das sind die zwei einzigen Sprachen, die man kennen muß. Was nicht auch in Polnisch oder Latein geschrieben ist, taugt nichts.«
In einer Ecke stand eine reichhaltige Sammlung von Waffen, Säbeln, Rapieren, Floretts, darüber hingen Masken. Bei einem der Fenster befand sich ein Werktisch, auf dem eine Menge altertümlich geformter Gläser standen, die teilweise bemalt waren. Farben und Pinsel lagen umher.
»Dies ist mein kleiner Nebenerwerb,« erklärte der Fürst, »ich liebe nichts mehr, als Freiheit und Unabhängigkeit, und wenn ich etwas Geld brauche, will ich nicht der Sklave sein von einem anderen. Dann male ich ein paar solche Gläser nach Mustern aus der Renaissancezeit. Es gibt hier einen Händler, der sie gut bezahlt und für alt verkauft. Es ist Schwindel, aber was geht es mich an? Er soll mit meiner Arbeit tun, was er will; aber ich arbeite nur im Notfall, wenn ich Geld brauche. Arbeit schändet.«
Eine Ecke des Raumes konnte durch einen Vorhang abgeschlossen werden. Dahinter stand ein einfaches Feldbett. Das Erstaunlichste in dem Raum aber war, daß in der Mitte eine große Schüssel voll Milch stand, bei der ein schwarzer Kater in den letzten Zuckungen seines Lebens lag. Ein Geruch von Baldrian füllte die Luft. Der Fürst nahm den Kater auf und betrachtete ihn. Dann schaute er lächelnd auf die beiden Geschwister, hob einen Finger gen Himmel und sagte:
»Gift.«
»Sie haben doch das arme Tier nicht umgebracht?« fragte Amélie ganz erschreckt.
»Doch,« sagte der Fürst, »ich habe. Im Herbst bringe ich immer meine Katzen um, weil sie die Vögel vertreiben. Es macht mir aber Freude, den Winter über Vögel an den Garten zu gewöhnen, indem ich ihnen Futter hinstreue. Das läßt sich nicht vereinigen mit Katzen. Im Sommer habe ich dann wieder Katzen, im Herbst mache ich sie tot. Das ist die letzte aus der diesjährigen Familie. Nun müssen Sie noch den Garten sehen.«
Sie traten wieder unter die Halle, die das vorgebeugte Obergeschoß auf der Rückseite des Hauses bildete. Dort hob der Esel gerade den Kopf hoch, entblößte sein Zahnfleisch und die fürchterlichen Zähne und schrie ein markerschütterndes Yah in die Luft.
Der Fürst streichelte das Tier und sagte:
»Dies ist Dogma, der Esel. Ich habe ihn Dogma genannt, weil ich selbst früher ein Dogmatiker gewesen bin und damit die erste Hälfte meines Lebens vollkommen verhunzt habe. Jetzt aber habe ich den dogmatischen Zug in mir gebändigt und lenke ihn so sicher wie diesen Esel. Selber reiten, das ist alles.«
Dabei streichelte er den Esel, der sich beruhigte und wieder grau und gutmütig zu Boden blickte.
Der Garten war vollkommen verwahrlost. Zwischen den größtenteils schon entlaubten Bäumen, an denen nur noch wenige Herbstblätter hingen, standen einige verwitterte Statuen, ein antikes Kapitäl und eine mit Skulpturen geschmückte, bemooste Brunneneinfassung. In einer Ecke sah man einen großen Käfig, in dem ein schwarzes Eichhorn mit weißer Brust umherraste.
»Dies ist Murfi,« sagte der Fürst, »ein mystisches Tier, so böse wie ein Verbrecher, aber seine Tragik ist seine Kleinheit. Es kann nichts tun, denn es ist zu winzig. Sehen Sie?«
Er streckte ein Hölzchen durch das Gitter, auf welches sich das schwarze Tier mit einer geradezu unheimlichen Wut stürzte.
»Wenn es töten könnte, es würde,« sagte der Fürst. »Ein Nero ist in ihm. Vielleicht ist es Nero selbst. Nero in der Hölle! ...
Nun sagen Sie mir, wie gefällt Ihnen das alles?«
»Oh, sehr schön und interessant,« rief Hermann.
»Reizend,« erwiderte Amélie.
»Nein, nein,« sagte der Fürst, »das ist nichts. Es ist ein anderes deutsches Wort, ich vergesse immer.«
Darauf nahm er unter seinem Cape, das er immer noch anhatte, ein kleines Bändchen hervor, offenbar ein Wörterbuch, und schlug nach.
»Oh, hier habe ich,« sagte er, »hier habe ich das Wort. Es ist gemütlich.«
Hermann und Amélie lachten, und der Fürst lachte mit: »Ja, gemütlich,« wiederholte er. »Nun können Sie sich entscheiden, wann Sie wollen. Ich muß jetzt gehen, um mit Dogma auf den Markt zu reiten, sonst bekomme ich nichts mehr zu Mittag. Ich kaufe alles selbst ein, weil ich auf eine gute Küche halte. Sobald Sie entschlossen sind, geben Sie Nachricht. Sie können von morgen ab einziehen.«
Der Fürst schwang sich wieder auf Dogma und geleitete die Geschwister nach dem Tor zurück, vor dem sie sich verabschiedeten. Darauf gab er seinem Tier die Sporen, das in einen merkwürdig schnellen Trab verfiel und den sonderbaren Reiter nach der Stadt zu trug.
Am anderen Vormittag fuhren die Geschwister in einer Droschke beim Fürsten vor. Das Geräusch, das der rostige Klingelzug machte, rief Frau Kuhwarm herbei, die das Scheunentor öffnete und dem Geschwisterpaar ihren Anblick bot. Sie war ein mageres, etwas langes Geschöpf und hatte gerade einen geschwollenen Backen, die einzige Schwellung übrigens, die ihr hagerer Körper aufwies, und diese verbarg sie unter einem roten, weißbetupften Kopftuch, das sie fest umgebunden hatte. Ueber dem Haar standen die beiden Zipfel des Tuches auseinander.
»Scheen gu'n Morjen winsch i,« sagte sie und half den Geschwistern, ihr Gepäck in das Haus bringen.
Amélie nahm die Zimmer nach dem Garten, Hermann die beiden anderen. Sie begannen gleich damit, ihre Sachen auszupacken und sich in den behaglichen Räumen einzurichten. Als sie sich etwas hungrig in dem Tirol trafen, schlug es ein Uhr. Von Frau Kuhwarm war nichts mehr zu hören und zu sehen, aber genau, wie der Fürst gestern gesagt hatte, fanden sie eine Reihe von anregenden Schüsseln bereit. Auf dem weißgebohnten Tisch stand eine Platte mit zierlich geordneten Vorspeisen, Radieschen, ein paar kleinen Fischen und etwas russischem Salat. Auf dem Herd befand sich in einer Pieschüssel eine Art Auflauf mit braungebackener Kruste. Es waren zwei Gedecke aufgelegt, bäuerliches Tongeschirr, aber gediegenes, ja prächtiges Silber. Amélie ordnete alles noch ein wenig, und dann ließen sich die Geschwister die Speisen schmecken. Besonders überraschend war der Auflauf, in dem alle möglichen Dinge zusammengebacken waren, Gemüse, Fleisch, Reis, und das alles hatte eine vortreffliche, geröstete Kruste.
»Das ist wirklich etwas anderes, als der Münchener Wirtshausfraß,« bemerkte Hermann.
Amélie wußte sich vor Staunen über diese Haushaltung nicht zu fassen. Auch ein Teller mit Früchten stand bereit und eine spitze Flasche mit einem leichten Tiroler Landwein.
Hermann und Amélie hatten gerade die Mahlzeit beendigt und sich Zigaretten angezündet, als man plötzlich ein lautes Getrappel von Hufen auf der Holztreppe hörte. Nach einigen Augenblicken sprang die Tür auf, und herein ritt der Fürst Casimir Kraminsky auf Dogma, dem Esel. Er grüßte sehr höflich, sprang ab und band das Tier an einen Eisenring, der neben dem Herd an der Wand befestigt war.
»Er lebt mit mir wie ein Mensch,« sagte der Fürst, auf Dogma deutend, »er wird Sie nicht stören.«
Dann setzte er sich zu den Geschwistern, wischte sich mit einem rotbraunen Seidentuch die Stirn und fragte, ob sie mit allem zufrieden seien. Sie versicherten ihm, daß ihnen alles ausgezeichnet gefiele.
»Dann werde ich noch Kaffee machen,« sagte er.
Nun nahm er von einem der Paneele eine lange dünne Messingmühle, in der er den Kaffee zu mehlartigem Pulver mahlte. Er bereitete das Getränk am Herd nach türkischer Art, indem er einen Messingbecher mit langem Stiel mit Wasser füllte und über glühenden Kohlen zum Kochen brachte. Darauf goß er das Kaffeepulver nebst Streuzucker in den Becher, ließ die Flüssigkeit mehrmals aufkochen, so daß ein lila Schaum darauf sichtbar wurde, und goß dann das schwarze, heiße Getränk in drei kleine Täßchen.
»Schwarz wie der Teufel, heiß wie die Hölle, süß wie die Liebe, das ist das Rezept,« sagte der Fürst. »Stehen lassen,« wendete er sich zu Hermann, der gleich trinken wollte, »bis sich der Kaffee gesetzt hat, sonst ist es nicht genießbar.«
Dann spritzte er noch einige Tropfen kaltes Wasser in jedes Täßchen, wodurch sich der Kaffee sofort klärte. Hermann und Amélie waren von dieser neuen Art der Zubereitung entzückt, wie von allem anderen, was sie in diesem Hause sahen.
»Sie haben Dr. Oesterot noch nicht wiedergesehen, seit Sie hier sind?« sagte der Fürst.
»Nein,« erwiderte Amélie, »wir wollen in diesen Tagen Besuch machen.«
»Ja, er wird sich freuen. Ich bin gestern bei ihm gewesen und habe ihm von Ihnen erzählt. Er ist ganz zufrieden, daß Sie bei mir wohnen, und ich bin auch zufrieden. Sie hoffentlich auch?«
»Aber gewiß, sicher,« sagten die Geschwister aufrichtig.
Der Fürst zog ein braunseidenes Säckchen hervor, aus dem er Tabak nahm, den er selbst zu Zigaretten drehte. Mit einer graziösen Bewegung reichte er eine solche Zigarette Hermann, der das Papier ungeschickt beleckte, um sie zu schließen. Der Tabak duftete wie Honig und der Rauch legte sich schmeichelnd um die Nerven.
»Lieben Sie Bücher?« fragte der Fürst, sich zu behaglicher Plauderei zurücklehnend.
Hermann war verlegen; auf eine so allgemeine Frage zu antworten, war schwer, er sagte:
»Ja, gewiß.«
»Ich verbringe die Hälfte meines Lebens mit Büchern,« erklärte der Fürst. »Ich interessiere mich für alles. Augenblicklich studiere ich die Kaffernsprachen. Stellen Sie sich bloß vor: es gibt dort einen Dialekt, der hat sechsunddreißig verschiedene Geschlechter, aber darunter ist nicht das männliche und das weibliche Geschlecht. Mann und Frau gehören bei diesen Kaffern mit einigem anderen zusammen nur einem Geschlecht an. Ist das nicht sonderbar? ... Vielleicht ist es ganz gescheit.«
Das fanden die Geschwister sehr seltsam, obwohl sie sonst über derartige Dinge nie nachgedacht hatten.
In diesem Augenblick läutete es unten an der Tür, d. h. der Klingelzug gab das den Geschwistern bereits bekannte Geräusch von sich. Der Fürst ging ans Fenster und sah unten ein paar Straßenbuben stehen. Er öffnete.
»Was wollen Sie?« fragte er kurz.
»Herr Firscht, Herr Firscht!« rief es herauf, »auf Eahnern Haus sitzt an Moarder. Mechtens uns net erlauben, den z'fangen?«
»Was sitzt auf dem Haus?« fragte der Fürst.
»An Moarder, an Moarder!« rief es hinauf.
»Ach so, Sie meinen den Marder, was soll er denn?«
»Wir mechten'n halt gern fangen.«
»Nein, das dürfen Sie nicht, den brauche ich selbst.«
Damit schlug er das Fenster zu und setzte sich wieder zu seinen Gästen.
»Sonderbar,« sagte er, »daß einen die Leute hier nicht in Ruhe lassen wollen. Deshalb möchte ich Sie auch bitten, immer die Vorhänge nach dieser Seite geschlossen zu halten. Dort wohnt nämlich eine Schriftstellerin, die ist absichtlich hierhergezogen; den ganzen Tag versucht sie, durch ein Opernglas zu sehen, was hier vorgeht. Die Dame sucht Stoff; aber ich danke dafür, ich bin kein Stoff, und Sie wahrscheinlich auch nicht, nicht wahr?«
Die Geschwister lachten.
»Also lassen Sie bitte die Vorhänge unten, damit sie nicht sieht, was wir tun; denn es wird sicher hier vieles geschehen. Jeder, der hier wohnt, erlebt etwas Ungewöhnliches.
Darauf stand der Fürst auf und ging auf den Esel zu.
»Ich reite gern auf ihm bis ins Zimmer,« erklärte er, »das liegt mir im Blut; und das ist so gekommen: einer meiner Vorfahren war König von Polen, aber nur wenige Stunden. Er wurde es durch Irrtum, weil der, welcher gewählt worden, im Augenblick betrunken war. Und so hat man meinen Ahn auf den Thron gesetzt, aber noch abends wurde der andere nüchtern und wollte selbst auf den Thron; mein Ahn war ein Gelehrter, er legte keinen Wert auf die Krone und hat gleich abgedankt; da wollte man ihn entschädigen, indem man ihm eine Reihe von königlichen Privilegien ließ, so z. B. das erbliche Recht, zu Pferd in den Dom von Krakau zu reiten. Dieses Recht habe ich heute noch; natürlich mache ich keinen Gebrauch davon, aber es ist den Kraminskys allen in der Gewohnheit geblieben, daß sie die Reittiere nicht draußen lassen, sondern auf ihnen ins Haus kommen; daran werden Sie sich schnell gewöhnen, es ist eine Kleinigkeit.«
Der Fürst verabschiedete sich und ließ die Geschwister zurück, die immer erstaunter über ihren neuen Wirt waren. Sie hätten sich kaum mehr gewundert, wenn er plötzlich auf seinem Cape durch das Fenster von hinnen gefahren wäre.