Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Im Kontor herrschte heute eine gewaltige Aufregung. Herr Westerholz und sein erster Buchhalter fehlten, und der Diener hatte gesehen, wie sein Herr Axel umarmt und gesagt hatte: »Nun soll die Firma doch: ›Westerholz u. Sohn‹ heißen!«
Natürlich verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer durchs ganze Haus und wurde eifrig besprochen. »Sie fahren wahrhaftig alle drei zusammen fort!« schrie Fritz, der kleine Laufbursche, an das Fenster stürzend.
»Wir werden wohl bald einen zweiten Chef haben!« meinte der Kassierer, »der Alte ist von jeher ganz vernarrt in den Brenken gewesen!«
»Wißt ihr was? Er hat einmal sein Schwager werden wollen!« schrie der Kommis Schnitzel. »Die schöne Schwester unsers ersten Buchhalters hat ihm einen Korb gegeben, das weiß ich durch meine Base, die damals bei Brenkens diente; Herr Westerholz ist gründlich abgeblitzt worden!«
»Da nun durchaus in die Familie hineingeheiratet werden mußte, hat er sich dort einen Schwiegersohn gewählt!« warf ein anderer ein.
Alle kamen aber darin überein, daß Axel ein wahrer Glückspilz sei.
»Dieses reizende Mädchen!« seufzte der sentimentale Kassierer.
»Und dieses viele Geld!« warf der zweite Buchhalter trocken ein.
»Wer weiß, ob sie sich erst heute verlobt haben?«
»Sie sehen sich an, als wollten sie sich fressen vor Liebe!« rief Fritz, der Laufbursche. »Mein Bruder guckte seine Braut ebenso an!«
Alle lachten über diese Bemerkung.
Es sprach für Axel, daß sich keine einzige Stimme erhob, die eine mißgünstige Bemerkung machte, sie hatten ihn alle viel zu gern, um ihm sein Glück zu neiden.
Das Erstaunen der Mutter und Heimchens, als der Wagen vor dem Gärtchen hielt und sie Alma an Axels Arm hereintreten sahen, war grenzenlos. Die drei andern Schwestern waren in der Schule, aber Tante Dora wurde aus ihrem Zimmer herbeigeholt und nahm innig teil an dem frohen Ereignis.
Herr Westerholz küßte Frau von Brenkens Hand und bat: »Nehmen Sie meine Kleine in den Kreis ihrer Kinder auf, gnädige Frau, sie hat jetzt wieder eine Mutter!«
Heimchen umarmte immer wieder den geliebten Bruder und die neue Schwester.
»Nun haben wir zwei Brautpaare in der Familie,« jubelte sie. »Wie wird sich Robert freuen!«
Als Gertrud zu Mittag nach Hause kam und von Axels Verlobung erfuhr, gestand sie ihm, daß sie sein Geheimnis geahnt habe.
»Und du, mein Liebling,« sagte er zärtlich, »wann schlägt deine Stunde?«
»O, ich bleibe bei der Mutter,« erwiderte sie schnell. »In jeder Familie braucht man eine alte Tante, ich werde diese Rolle übernehmen.«
Haßfeld hatte noch einmal aus Mailand geschrieben, wo seine Frau ihre bevorstehende Entbindung erwarten wollte. Er selbst fühlte sich wohler, nur wenn er schnell ging, empfand er eine kleine Schwäche.
Es wurde bestimmt, daß beide Hochzeiten an einem Tage gefeiert werden sollten. Heimchen schrieb ihrem Bräutigam oft und erhielt lange Briefe als Antwort. Zuweilen betrachtete sie Axel und Alma mit leisem Neid.
»Ihr habt es gut,« meinte sie, »ihr seid immer zusammen.«
Alma war jetzt wieder voll sprudelnder Lebhaftigkeit und Frohsinn gegen ihren Verlobten, von reizender, mädchenhafter Zärtlichkeit. Dabei hatte sie ein ganz klein wenig Furcht vor ihm und war immer ängstlich bemüht, ihn zufrieden zu stellen, sich nach seinen Wünschen zu richten.
»Sie hat eine starke und feste Hand nötig, die sie zugleich mild und liebevoll leitet,« sagte Tante Dora. »Axel ist gerade der passende Mann für sie.«
Das junge Paar sollte eine Hochzeitsreise machen und dann den obern Stock des großen Westerholzschen Hauses bewohnen, der bisher nur zu Bällen und Gesellschaften benutzt wurde.
Aufrichtige und herzliche Wünsche nahm der junge Bräutigam von dem gesamten Personal des Kontors entgegen. Durch seine energische und zugleich freundliche Art hatte er sich die Liebe aller, durch seine Tüchtigkeit ihre Achtung erworben.
Ilse und Erna beobachteten das Brautpaar mit heimlicher Neugier und machten Doktor Hansen wütend, wenn sie ihm erzählten, wie glücklich die Verlobten in diesem neuen Stande schienen.
»Hast du schon die Zeitung gelesen, Gertrud?« fragte ihre Mutter eines Tages. »Denke dir, Haßfeld hat seine Frau verloren, sie ist bei der Geburt eines Sohnes gestorben.«
»Wo steht es?« kam es langsam über Gertruds Lippen.
»Hier.« Frau von Brenken deutete auf die Stelle. Gertrud starrte auf die kurze Anzeige nieder, dann legte sie still die Zeitung fort und ging aus dem Zimmer. Die nichtsahnende Mutter sah sie gleich darauf, in ihren Mantel gehüllt, hinausgehen.
Sie blieb fort, bis es ganz dunkel war, sie hätte es nicht zu sagen gewußt, wo sie gewesen war, wohin ihre Füße sie getragen hatten.
»Hast du wieder deine Kopfschmerzen?« fragte Heimchen besorgt, als die Schwester im tiefsten Schatten der Lampe saß, ohne wie sonst die fleißigen Finger zu regen.
»Ich werde lieber gleich zur Ruhe gehen,« antwortete sie, ohne eine direkte Erwiderung zu geben. Sie suchte die Einsamkeit ihres Zimmers auf und war an dem Abend für niemand mehr sichtbar.
Zu Ostern wurden die Zwillinge eingesegnet, und Frau von Brenkens Mutterherz war voll Lob und Dank gegen Gott, der sie so wunderbar geführt und geleitet und ihr in ihren Kindern Freude und Glück geschenkt hatte.
»Es wird recht einsam ohne euch werden,« meinte sie. »Nur noch drei meiner Küchlein bleiben im heimatlichen Nest.«
»Wir kommen ja im August zurück, liebe Mutter,« tröstete Axel, »dann verbringen wir noch einige Wochen in Z. zusammen. Ich habe dort eine hübsche, kleine Villa für Tante Dora und die Unzertrennlichen gemietet, die auch für dich und Gertrud Raum hat, wenn ihr aus Rehme zurückkommt.«
Am fünfundzwanzigsten April wurde im Westerholzschen Hause die Doppelhochzeit gefeiert. Beide Bräute waren auf Almas Wunsch ganz gleich gekleidet, sie hatte darauf bestanden und Heimchen alles Nötige geschenkt, sie sahen sehr lieblich aus, und die jungen Männer strahlten vor Glück.
Dann kam das heitere Hochzeitsmahl, die vielen Toaste, in denen besonders Doktor Hansen etwas leistete. Er hatte sich »aus Ärger«, wie er behauptete, einen kleinen Strich angelegt und war der Lustigste von allen.
Warnbecks Mutter war gekommen, ebenso Almas Verwandte, unter ihnen der Husarenleutnant, der seinen Korb verschmerzt zu haben schien. Er machte den Zwillingen den Hof, die wie zwei eben erblühte Rosenknospen aussahen und mit großem Anstand, zum erstenmal, die Erwachsenen spielten.
Die Schönste war aber Gertrud. Sie überstrahlte selbst Almas reizende Erscheinung. In ihren dunklen Augen lag ein träumerischer Ausdruck, als lausche sie einer inneren Stimme; der oft etwas strenge Zug um ihren Mund war gemildert, ihr stolzes Gesicht gewann dadurch eine Weichheit, die ihr sonst nicht eigen war.
»Welche stattliche Frau sie gewesen wäre,« dachte Herr Westerholz bei sich, »schade, schade, daß ich nicht dreißig Jahre jünger bin!«
Als er Frau von Brenken nach der Trauung die Hand küßte, sagte er: »So paßt es besser zusammen, nicht wahr? Die Jugend gehört zur Jugend, und wir beiden Alten freuen uns ihres Glückes.«
Im Juni bestanden Ilse und Erna ein gutes Examen und bezogen mit Tante Dora die Villa in Z. Der Doktor kam oft zu ihnen heraus und blieb stets den Sonntag bei seinen beiden Lieblingen, die er mit Geschenken überschüttete.
Gertrud und ihre Mutter waren unterdessen in Rehme, das Bad befreite die Leidende völlig von allen Beschwerden, sie kehrte frisch und gesund im August zurück.
In froher Erwartung versammelten sich alle eines Tages in Herrn Westerholz' Villa, das junge Ehepaar sollte am Abend eintreffen.
Alma flog ihrem Vater mit dem Jubelruf entgegen: »Väterchen, wie froh bin ich, zu Hause zu sein, und ich bin so glücklich!«
Die letzten Worte flüsterte sie ihm zu, indem sie ihn innig umarmte.
»Wie bist du mit ihr fertig geworden, mein Junge?« fragte Herr Westerholz seinen Schwiegersohn. »Ist sie eine gehorsame Frau?«
»Nun, es läßt sich damit halten,« versetzte Axel neckend. »Ich muß zuweilen recht streng sein.«
»Das ist nicht der Fall, er verwöhnt mich noch mehr als du!« rief die junge Frau entrüstet, »es ist seine Schuld, wenn ich jetzt erst recht unausstehlich werde.«
»Wißt ihr, wen wir auf der Reise gesehen haben?« fragte Axel einige Tage später, »Waldemar von Haßfeld. Er will sein Gut in der Mark Brandenburg verkaufen und reiste nach Pommern, wo er ein schönes Rittergut ansehen wollte, um es wahrscheinlich zu erwerben. Er hat sich merkwürdig verändert, sieht wohl und kräftig aus und ist Volontair bei seinem Onkel, der in Schlesien große Besitzungen und Forste hat. Er will in allen Zweigen der Landwirtschaft selbst Bescheid wissen, um etwas Tüchtiges zu leisten. Ich hätte ihm nie soviel Energie und Thatkraft zugetraut, es muß eine mächtige Triebfeder vorhanden sein, die ihn umgewandelt hat.«
»Er ist jetzt frei von dem moralischen Druck, den seine Ehe auf ihn ausübte,« bemerkte Frau von Brenken. »Lebt das Kind, und wo ist es?«
»Bei seiner Mutter. Er will den Knaben später zu sich nehmen, ich hoffe, er heiratet bald wieder und wird dann glücklicher, als er es das erste Mal war, der arme Kerl.« –
»Aber wo ist Gertrud?« fragte Alma, »wir wollten doch einen gemeinschaftlichen Spaziergang machen, und nun ist sie nicht da.«
»Sie ging eben erst fort,« rief Ilse, »ich werde sie suchen.« Aber es war vergeblich.