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Herr Westerholz hatte sich entschlossen, Alma in eine gute Pension in Stuttgart zu geben.
Sie war sehr betrübt bei diesem Gedanken und weinte viel, als sie endlich von den Brenkens Abschied nehmen kam.
»Vergeßt mich nicht,« schluchzte sie, indem sie sich immer wieder in Gertruds und Heimchens Arme warf, »es ist so lange hin, bis ich wiederkehre.«
»Aber mein liebes Kind,« ermahnte Frau von Brenkens sanfte Stimme, »es ist ja zu Ihrem eigenen Besten, Ihrem Herrn Vater fällt es gewiß ebenso schwer, sich von Ihnen zu trennen.«
»Du wirst dich in der neuen Umgebung einleben,« tröstete Heimchen, »du wirst neue Freundschaften schließen und uns am Ende vergessen.«
Alma wurde ganz heftig bei diesen Worten und stampfte ärgerlich mit dem Fuß.
»Bitte, Heimchen,« rief sie entrüstet, »sage das nicht, du weißt gar nicht, wie lieb ich euch habe, alle, alle,« versicherte sie energisch.
Unter dem Versprechen, fleißig zu korrespondieren, trennte man sich. Auch Axel nahm Abschied von den Seinen. Er sollte Herrn Westerholz und seine Tochter bis Berlin begleiten und dann einige Tage später allein weiterreisen, um sich von Bordeaux nach Kairo einzuschiffen.
»Ich hoffe in einem Jahr zurück zu sein, liebe Mutter,« sagte er, die Weinende fest in die Arme schließend. »Gott behüte dich und die Schwestern.«
»Hast du nichts von Egon gehört?« fragte Frau von Brenken angstvoll. »Wo mag er jetzt sein?«
»Ich werde von Kairo aus Nachforschungen anstellen, es ist leicht möglich, daß er dorthin gegangen ist, mehrere Schiffe hatten gerade in der Zeit diesen Bestimmungsort.«
»Lebe wohl, mein lieber Herzenssohn,« sagte die ganz gebrochene Frau und legte segnend die schmale Hand auf das dunkel gelockte Haupt, das sich noch einmal liebevoll über sie beugte. »Erhole dich recht, und der liebe Gott geleite dich überall.«
Noch ein letzter, langer Blick, ein warmer Händedruck, und er schritt aus dem Zimmer, die Augen der Mutter folgten seiner hohen Gestalt mit unendlicher Zärtlichkeit.
Heimchen und Gertrud gaben ihm das Geleit bis zur Bahn. Er reichte seiner ältesten Schwester den Arm, und sie besprachen das Nötigste miteinander. Durch Egons Leichtsinn waren sie wieder in eine drückende Lage ohne ihre Schuld hineingeraten. Die hohen Zinsen für die von Axel aufgenommene Summe, die immer größer werdende Teuerung, das Schulgeld für Ilse und Erna drückten schwer auf ihren schmalen Beutel.
Dabei griff das rheumatisch nervöse Leiden ihrer Mutter um sich, ihre Gesundheit schien durch die Aufregungen des Winters zerrüttet, sie bedurfte der größten Ruhe und Schonung.
»Ich hoffe, euch soviel schicken zu können, daß ihr nicht Mangel leidet,« sagte Axel sorgenvoll. »Wenn ich nur das Geld bei Hirsch und Lewy bald bezahlen könnte, es ist mir sehr drückend, den Wechsel zu haben.«
»Entziehe dir nicht alles selbst,« bat Gertrud, sich innig an den geliebten Bruder schmiegend. »Du denkst immer nur an uns und nie an dich.«
»Ich werde nun auch Stunden geben,« erklärte Heimchen. »Wir sind jetzt so wenig zu Hause, die Stunden, die ich Ilse und Erna gab, fallen weg. Tante Dora meinte, ich könnte sehr gut in den untern Klassen einer Privatschule unterrichten.«
»Es ist mir lieb, daß Warnbeck bei euch ist,« sagte Axel. »Bitte, grüßt ihn noch herzlich von mir.«
Sie waren auf der Station angelangt und hatten kaum Zeit, das Billet zu lösen. Herr Westerholz und seine Tochter waren schon eingestiegen und winkten Axel zu, sich zu beeilen. Alma hatte ganz verweinte Augen, und beim Abschiede von den Schwestern liefen ihr die Thränen wieder über die Wangen.
Noch ein letzter, schneller Händedruck, ein Grüßen und Winken der Reisenden und der Zurückbleibenden, und alles verschwand, eingehüllt in den Dampf des dahineilenden Blitzzuges.
»Sie fahren natürlich mit uns, Brenken,« hatte Herr Westerholz gesagt, als er Axel das Geld zur Reise einhändigte. Und so saß er denn jetzt dem leise weinenden jungen Mädchen gegenüber und suchte sie zu trösten, obgleich ihm selbst auch nicht eben heiter zu Mute war. Ihr Vater saß am zweiten Fenster und unterhielt sich mit einem andern Herrn über Politik; Axel war mit Alma so gut wie allein.
»Weinen Sie doch nicht mehr, Fräulein Alma,« bat er. »Wir müssen beide in die Fremde hinaus und teilen dasselbe Schicksal. Sie wissen doch, es heißt mit Recht: ›Geteiltes Leid ist halbes Leid.‹«
Sie hob das hübsche Köpfchen und trocknete sich energisch die Augen, dann sagte sie ärgerlich:
»Ich will auch gar nicht weinen, die dummen Thränen kommen, ohne daß ich es merke.« Sie lächelte dabei und die reizenden Grübchen vertieften sich auf den rosigen Wangen.
»Ich wüßte gern, wie es Ihnen in Stuttgart ergehen wird,« sagte Axel. »Ob Sie sich dort einleben und sich glücklich fühlen werden.«
»Und ich muß erfahren, wie Ihnen der Wechsel des Klimas bekommt. Ich sage mir immer, daß Sie meinetwegen krank sind und sich von allen den Ihrigen trennen müssen, das macht mich so traurig. – Aber wissen Sie was? Wir wollen uns schreiben! Ist das nicht ein guter Gedanke?«
Sie blickte ihn freimütig lächelnd an.
»Wollen Sie nicht?« fragte sie ganz erstaunt, als er verlegen schwieg.
»Ihr Herr Vater wird es nicht wünschen,« warf er zögernd ein.
»Sagen Sie doch lieber, Sie wollen nicht!« schmollte sie, »ich bin Ihnen wohl zu kindisch und einfältig, obgleich ich schon fünfzehn Jahr bin.«
»Ein ehrwürdiges Alter,« versetzte Axel lächelnd und sehr belustigt.
»Nun lachen Sie mich aus,« klagte sie betrübt. »Ach! wenn ich doch schon steinalt wäre, mit grauen Haaren und Runzeln, dann müßte man Respekt vor mir haben. Zuweilen denke ich zwar wieder, daß ich noch lange ein Kind sein möchte, es ist eigentlich doch angenehmer, man muß sonst so schrecklich vernünftig und ruhig werden.«
Das Thema wurde zu Axels großer Erleichterung nicht wieder aufgenommen, Herr Westerholz setzte sich zu ihnen, und die Reise verlief ohne Störung bis Berlin.
»Sie werden einige Tage hier bleiben müssen, Brenken,« sagte sein bisheriger Prinzipal freundlich. »Ich habe Ihnen einige Geschäftsbriefe an meinen Schwager mitzugeben. Benutzen Sie Ihre Zeit und sehen Sie sich in der Weltstadt um, die Ihnen ja von früher bekannt ist. Thun Sie mir den Gefallen, meine Schwester und Tochter zu begleiten. Das Kind soll sich hier vierzehn Tage aufhalten, ich kann unmöglich überallhin mit. Sie kennt noch nichts von all den Sehenswürdigkeiten.«
»Mit dem größten Vergnügen, Herr Westerholz,« versetzte Axel dienstbereit.
»Hier bitte nehmen Sie diese Kleinigkeit,« sagte der ältere Mann, ihm eine ziemlich hohe Geldsumme reichend, »damit Sie durch Ihre Gefälligkeit keine Unkosten haben.«
Fast verletzt wollte Axel abwehren.
»Seien Sie doch nicht unnütz stolz gegen den Freund, den Sie sich fürs Leben erworben,« sagte der alte Herr vorwurfsvoll. »Sie verpflichten mich wahrhaft, wenn Sie meine Stelle bei den Damen vertreten. Ich habe weder Zeit noch Lust, in alle Museen und Theater mitzugehen.«
Seine ganze Art und Weise war so herzlich und gewinnend, daß Axel jetzt freudig dankte.
Er begab sich am nächsten Tage in die Jägerstraße, in der Fräulein Westerholz wohnte, Alma war bei ihr abgestiegen.
Nach dem Leben voll ernster Arbeit und Pflichterfüllung genoß der wackere junge Mann diese Erholung in vollen Zügen. Es war für ihn besonders reizvoll, den frischen, natürlichen Enthusiasmus des lebhaften Kindes zu beobachten, das auf der Grenze zur Jungfrau stehend, von einem eigentümlichen, knospenhaften Zauber umgeben war, der sie unendlich lieblich erscheinen ließ.
Die Schwester Herrn Westerholz' war eine freundliche alte Dame voll Humor und wahrer Herzensgüte. Feingebildet und belesen, machte es ihr Spaß, ihre junge Nichte überall umherzuführen, und eigentlich war Axels Begleitung ziemlich unnütz. Er erkannte dankbar die freundliche Absicht seines wohlwollenden Prinzipals an, der ihm auf diese Art eine Freude bereiten wollte.
»Wenn die Schwestern das alles wieder einmal sehen könnten,« sagte er.
»Sind Sie denn früher in Berlin gewesen?« fragte Alma.
»Ja, sehr oft,« erwiderte er. »Ich stand in Charlottenburg in Garnison.«
»Wie schwer muß Ihnen allen der Wechsel geworden sein,« sagte sie nachdenklich. »Ich könnte mich nicht darin finden, arm zu werden.«
Sie errötete heftig, als es ihr einfiel, daß sie recht unüberlegt gesprochen hatte. »War es sehr schwer?« fragte sie in ihrer kindlich offenherzigen Art.
Etwas von dem seelischen Kampf jener Tage trat in seine ernsten Augen, er sah düster vor sich hin.
»Da habe ich wieder recht unbesonnen geplappert,« rief sie, »und doch möchte ich Ihnen um keinen Preis wehe thun. Wollen Sie mir die indiskrete Frage verzeihen?« Sie hielt ihm zutraulich die Hand hin, die er ergriff und herzlich schüttelte.
»Es ist jetzt überwunden,« sagte er ruhig. »Wir alle arbeiten mutig und könnten sogar glücklich sein, wenn wir nicht die Sorge um Egon hätten und die Gesundheit unserer lieben Mutter besser wäre.«
»Ach ja,« versetzte sie teilnehmend. »Ich begreife nicht, wie Egon so handeln konnte, ich ärgere mich, daß ich ihn so gern hatte. Wissen Sie, ich habe seitdem nie mehr geraucht,« gestand sie lachend ein.
»Das freut mich, Fräulein Alma,« gab er ebenso zurück. »Wenn ich Sie wiedersehe, sind Sie schon ganz erwachsen, eine junge Dame von siebzehn Jahren.«
»Werden Sie dann mehr Respekt vor mir haben, Herr von Brenken?« fragte sie schelmisch.
»Wenn Sie bis dahin einige graue Haare und Runzeln haben,« neckte er.
»Nun, ich hoffe es,« antwortete sie fröhlich.
Sie waren in der Nationalgalerie und saßen auf einer der Bänke; Fräulein Westerholz sprach mit einigen Bekannten im anstoßenden Saal. Axel und seine junge Begleiterin stiegen die Treppe hinauf und blieben vor dem schönen Gemälde: »Der Raub der Helena« stehen.
Sie betrachteten es beide lange.
»Das ist herrlich,« sagte Alma schneller atmend. »Ich denke es mir wundervoll, so geraubt zu werden!« Er sah sie erstaunt an. In den blauen Augen spiegelte sich eine leidenschaftliche Bewunderung, ihre ganze Seele schien in ihnen zu liegen, ein unklares Sehnen sie zu erfüllen. Zum erstenmal sah er das Weib in ihr, das Weib, das einst tief und heiß zu lieben fähig sein würde, wenn die holde Knospe zur vollen Rose erblüht war.
An dem Abend hatte er Gelegenheit, dieselbe Bemerkung im Theater zu machen.
Man gab Romeo und Julia; das vollendete Zusammenspiel der Künstler riß die Zuschauer mit sich fort.
Bei der Balkonscene wandte sie sich plötzlich nach ihm um. »Das ist wie das Bild der Helena,« flüsterte sie, und wieder leuchtete es von tief verhaltenem Gefühl in den sonnigen Kinderaugen auf. Später, bei dem tragischen Ende des Liebespaares, weinte sie still vor sich hin, und als Fräulein Westerholz gutmütig tröstend sagte:
»Aber, Herzchen, es ist ja alles nur Komödie,« war sie ganz ärgerlich.
»Du hättest mich nicht daran erinnern sollen, Tante,« rief sie, »es war so natürlich, daß ich wirklich glaubte, sie seien gestorben!«
Nachdem Axel eine Woche in Berlin gewesen, sagte ihm Herr Westerholz, daß er abreisen könne. Er ging nach der Jägerstraße, um sich zu verabschieden. Das alte Fräulein war ausgegangen, er fand Alma allein.
»Leben Sie wohl,« sagte er, sich erhebend, nachdem sie eine Weile über gleichgiltige Dinge geplaudert hatten. »Ich kam, mich Ihnen zu empfehlen, heute abend verlasse ich Berlin.«
Er verbeugte sich tief vor ihr.
Ein Ausdruck aufrichtigen Bedauerns flog über ihr Gesicht.
»Warten Sie,« rief sie geschäftig, »ich muß Ihnen zuerst noch etwas geben.« Sie eilte ins Nebenzimmer und kehrte bald zurück, einen in Papier eingehüllten kleinen Gegenstand in seine Hand legend.
»Das habe ich für Sie gestickt, wirklich ganz allein,« versicherte sie eifrig.
Er entfernte das Papier, es war ein Täschchen aus feinem, dunkelrotem Leder, sein Monogramm prangte in Goldfäden auf dem Deckel.
»Öffnen Sie es,« befahl sie ungeduldig, »schnell, schnell!«
Als er es that, entrollte sich aus dem Innern ein kleiner Schirm zu Photographieen, der aus sieben einzelnen Blättern bestand. Die Bilder seiner Lieben daheim blickten ihn an, seine Mutter, Gertrud und Heimchen, die Unzertrennlichen und sein kleiner jüngst verstorbener Bruder. Über jedem Bilde war ein Blumensträußchen in bunter Seide sehr zierlich gestickt. Nur der letzte Rahmen war noch frei.
»Freuen Sie sich?« forschte sie wie ein Kind, das sein Geschenk bewundert sehen will. »Gefällt es Ihnen auch?«
Axels ernstes Gesicht war wie in Sonnenschein verwandelt, er hielt ihre Hände in den eigenen.
»Ich danke Ihnen von ganzer Seele,« sagte er mit bebender Stimme und beugte sich über die zarten, rosigen Finger, die er innig küßte.
Sie errötete heftig und entzog sie ihm. »Mir hätte nichts so große Freude machen können,« versicherte er, »ich besaß nur frühere Bilder der Meinigen, haben Sie es sich selbst ausgedacht, Fräulein Alma?«
»Gewiß,« erwiderte sie stolz. »Ich holte sie alle im Wagen ab, und wir fuhren, zum Photographen. Die Bilder sind alle sehr ähnlich, nicht wahr?«
Er stimmte ihr bei, und sie betrachteten beide das sinnige Andenken.
»Wie hübsch Sie das gestickt haben,« lobte Axel bewundernd. »Soviel Mühe haben Sie sich für mich gegeben!«
»Ich habe für jedes Bild eine passende Blume gewählt,« erklärte sie und tippte mit dem Zeigefinger auf die bunten Stickereien.
»Für Ihre liebe Mutter die weißen Astern, für Gertrud die stolze, dunkelrote Rose, Heimchen gleicht dem bescheidenen Veilchen hier, Erna und Ilse den frischen Apfelblüten, und Willychen sah wie ein zartes Schneeglöckchen aus, darum zieren sie sein Bild.«
»Der letzte Rahmen ist frei,« sagte Axel.
»Ja, da sollte Egons Bild hineinkommen, ich hatte aber keins von ihm. Ich wollte gern meine eigene Photographie hineinschieben, Miß Johnson, die langweilige Person, meinte, es sei shocking, und erlaubte es nicht. Ich war so ärgerlich!«
»Dieses Sträußchen ist besonders hübsch geraten.«
»Das sind meine Lieblingsblumen, erkennen Sie sie, Herr von Brenken?«
»Vergißmeinnicht,« sagte er langsam, mit Betonung zu ihr niederblickend, dann sprach er schnell, als legte er sich einen Zwang auf: »Leben Sie wohl, Fräulein Alma und tausend Dank, Gott segne Sie für alle Ihre Freundlichkeit gegen uns.«
Er küßte ihre Hand und verließ eilig das Zimmer. Auf der Straße angelangt, sah er noch einmal zum Fenster empor. Ihr hübscher, blonder Kopf nickte ihm zu, das kindliche Gesicht sah ungewöhnlich ernst, fast traurig aus.
In gleichfalls sehr herzlicher Weise verabschiedete Axel sich von Herrn Westerholz, der ihn ungern scheiden sah.
»Kommen Sie mir ganz frisch und gesund wieder, Brenken,« sagte er herzlich. »Ihre Stelle finden Sie bei mir offen.«
Es lag heute eine besondere Wärme in seinem Ton, er hatte am Morgen mit Axel über seine Absicht gesprochen, bei Gertrud anzuhalten, und ihn gefragt, ob er glaube, daß sie seinen Wünschen geneigt sei.
Der Bruder fiel wie aus den Wolken, er konnte dem unerwarteten Bewerber nichts Bestimmtes erwidern. Die Angelegenheit beschäftigte ihn während der Reise, und dazwischen tauchte ein rosiges Gesicht vor ihm auf, zwei leuchtende, dunkelblaue Augen, aus denen der übermütige Schalk blitzte, sahen ihn lächelnd an.
Er war kaum acht Tage an seinem neuen Bestimmungsort, als er einen Brief von Herrn Westerholz bekam, der einige geschäftliche Mitteilungen enthielt. Am Schluß hieß es:
»Meine Kleine hat mich so lange gebeten, bis ich ihr erlaubt habe, Ihnen ihr Bild zu schicken und zu schreiben. Sie ist ja noch ein ganzes Kind, und dabei ein sehr verwöhntes, dem ich nichts abschlagen kann, deshalb sende ich ihrem Lebensretter, ihrem Wunsch gemäß, beifolgendes Couvert.«
Es war offen und enthielt folgende Zeilen:
»Ich schreibe Ihnen doch, denn Papa hat es erlaubt. Er ist viel vernünftiger als Miß Johnson und sagt, ich sei noch ein Kind. Es ist doch zuweilen viel angenehmer, als erwachsen zu sein, ich werde wohl noch einige Zeit auf die grauen Haare und Runzeln warten müssen. Bis ich Sie wiedersehe, werde ich wohl damit dienen können, es ist so schrecklich lange hin!
Seit Sie von hier fort sind, ist es gar nicht mehr so lustig, und im Theater habe ich einmal sogar gegähnt, weil das Stück zu albern war. Finden Sie mein Bild gut? Papa schickt es Ihnen. Ich finde, es ist sehr geschmeichelt, so hübsch bin ich in Wirklichkeit gar nicht. Tante versichert aber, es sei sprechend ähnlich, desto besser!
Leben Sie wohl, Herr von Brenken; Heimchen hat mir schon einmal geschrieben, alle sind gesund, bis auf Ihre Mutter. Sie vermissen uns sehr.
Es grüßt Sie herzlich
Ihre Alma Westerholz.«
Der kindliche Brief charakterisierte das junge Mädchen, er sah sie deutlich vor sich stehen, mit dem halb scheuen, halb zutraulichen Ausdruck, der ihr eigen war. Das sprechend ähnliche Bild legte er nicht in den leeren Rahmen mit den blauen Lieblingsblumen. Er bewahrte es, nebst den Zeilen von ihrer Hand, in dem Geheimfach seiner Brieftasche auf, die er immer bei sich trug.
»Vergißmeinnicht,« sagte er leise, und jedesmal, wenn er beides hervorholte, schwebte ihm dasselbe Wort auf den Lippen.